1. Kapitel
Laut klirrend prallen die mit Schnaps gefüllten Gläser aneinander. Das ausgelassene Lachen meiner Kollegen ist in der gesamten kleinen Bar zu hören und lässt mich den stechenden Schmerz, der durch meine rechte Schulter schießt, kurzzeitig vergessen.
Mir schwappt ein bisschen Schnaps auf die Finger, da die Gläser so großzügig gefüllt sind. Bevor ich mich darüber ärgern kann, kippe ich mir einen weiteren Schwung auch noch auf meine Hand, da mir Caleb kräftig auf die bereits sowieso schon schmerzende Schulter schlägt. Verärgert kneife ich die Augen zusammen und ernte dafür nur amüsierte Blicke.
„Auf Darren, den Detektiv mit der besten Erfolgsquote unseres Reviers!", ruft Caleb laut neben meinem Ohr und klopft mir direkt nochmal auf die Schulter, sodass der restliche Inhalt in meinem Glas bedenklich umherwackelt und ich Mühe habe, es weiterhin festzuhalten.
„Auf Darren!", wiederholen die anderen grinsend meinen Namen und trinken gemeinsam auf meinen heutigen Erfolg. Ich tue es ihnen gleich und trinke die erbärmlichen Reste meines Schnaps aus. Die strenge Flüssigkeit brennt leicht in meiner Kehle, was mich aber nicht davon abhält, beim Kellner sofort eine neue Runde für uns zu bestellen.
Die gute Laune meiner Kollegen färbt auf mich ab. Gleichzeitig fällt die Anspannung von meinen Schultern, die ich die letzten Wochen tagtäglich mit mir herumgetragen habe. Dieser Fall war schwer zu lösen gewesen, ich kann nicht mehr zählen, in wie viele falsche Richtungen wir ermittelt haben, bevor ich endlich eine Spur zu dem Mörder entdeckt habe. Heute haben wir ihn festgenommen und hinter Gitter gebracht. Dorthin, wo er hingehört.
Die Festnahme verlief leider nicht ohne einen Schusswechsel. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, wenn ich daran denke, wie knapp mich die Kugel des Täters verfehlt hat. Beziehungsweise wie viel Glück ich hatte, dass sie nur die schusssichere Weste an meiner rechten Schulter traf und nicht ein paar Zentimeter daneben meine Hauptschlagader. Dann würde ich nämlich jetzt nicht so fröhlich neben meinen Kollegen in dieser Bar sitzen und von Schnaps auf Bier umschwenken.
Es ist heute niemand ernsthaft verletzt worden, was immer meine größte Angst bei solchen Einsätzen ist.
Die meiste Zeit gehen mir meine Kollegen zwar auf die Nerven, aber tief in meinem Inneren mag ich jeden einzelnen von ihnen. Und würde mich vermutlich für jeden in die Schussbahn werfen, sollte es erforderlich sein. Ich bin ihr Chef, ich trage die Verantwortung für ihre Leben. Eine Belastung, die ich gerne in Alkohol ertränke.
Mein Blick fällt auf die verspiegelte Theke, an der wir aufgereiht wie Hühner auf Barhockern sitzen. Mittlerweile sieht man mir den Stress an, den die Arbeit für mich bedeutet. Meine braunen Haare sind von leichten grauen Strähnen durchzogen, Falten umranden meine Augen. Nur mein markantes Kinn mit den herausstechenden Kiefermuskeln ist mir noch aus meiner Jugend geblieben. Meine glatt rasierten Wangen haben mittlerweile dunkle Schatten, da es etwas her ist, dass ich mich rasiert habe. Zu sehr war ich mit der Suche nach diesem Mörder beschäftigt gewesen.
Ich trage einen dunklen Pullover, der meine breiten, trainierten Schultern versteckt. Im Vergleich zu meinem Kollegen Caleb sehe ich aber aus wie ein Lauch. Er sitzt direkt neben mir und ich mustere ihn kurz mithilfe des Spiegels. Er ist gebaut wie ein Schrank und schüchtert damit oftmals Verdächtige nur durch sein bloßes Erscheinen ein. Auf den ersten Blick wirkt er ruppig, aber wenn man ihn besser kennenlernt, merkt man, wie gutmütig er eigentlich ist.
Kurz sehe ich meine anderen Kollegen an. Jenny, die ihre blonden Haare aus dem Zopf löst und Caleb schief grinsend ansieht. Ich frage mich nicht zum ersten Mal, wie lange es wohl noch dauern wird, bis er bemerkt, dass sie auf ihn steht.
Auf meiner anderen Seite sitzen Sam und Mike, die angeregt das Verhör durchgehen, welches wir nach der Festnahme geführt haben. Sie loben mich, mit welchem Geschick ich die Fragen gestellt und den Verdächtigen somit in eine Falle gelockt habe, die schließlich zu einem Geständnis führte. Sie sind beide noch jung und ich in ihren Augen ein erfahrener Held.
So würde ich mich aber niemals selbst bezeichnen. Ich mache meinen Job, mehr nicht. Leider habe ich schon immer zu viel gearbeitet, sodass ich mittlerweile nur noch für die Arbeit lebe. Meine Frau hat mich verlassen, Kinder hatten wir keine. Also gibt es nur noch den Job und mich. Eine gute Kombination, zumindest was die ganzen gelösten Fälle und Akten auf meinem Schreibtisch angeht.
Halbherzig beteilige ich mich an den Gesprächen meines Teams. Dabei spüre ich, wie die Müdigkeit langsam von meinem Körper Besitz ergreift. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal mehr als fünf Stunden am Stück geschlafen habe.
Nach ein paar Stunden kann ich nicht mehr zählen, wie viele Runden Schnaps ich ausgegeben und wie viel von meinem eigenen Bier ich mir währenddessen über die Hand gekippt habe, da sich meine Schulter immer stärker meldet. Der Inhalt meines aktuellen Glases landet souverän direkt auf meiner hässlichen, khakifarbenen Hose, die ein kläglicher Überrest meiner Uniform ist. Ich war auf dem Revier zu faul gewesen, mir auch noch die Hose umzuziehen. Leider sieht man auf ihr wegen ihrer Farbe jeden Fleck.
Caleb zeigt belustigt auf meinen feuchten Schritt. „Mit dem Alter kommen die Probleme mit der Kontinenz, stimmts?" Frech stößt er mich mit dem Ellenbogen an und ich sehe vernichtend zu ihm herüber. „Halt deine Klappe", herrsche ich ihn an und komme zu dem Entschluss, dass es für heute reicht.
Ich bezahle die Massen an geleerten Flaschen und erhebe mich so elegant wie möglich von meinem Hocker. „Übertreibt es nicht. Morgen geht's weiter auf dem Revier", ermahne ich meine Kollegen mit erhobenem Zeigefinger. „Und wenn es einer von euch wagt, mich heute wegen irgendeiner Scheiße anzurufen, poliere ich euch die Fresse", füge ich hinzu und bin stolz auf mich, noch so eine klare Aussprache zu haben. Der Vorteil davon, regelmäßig zu trinken.
Meine harten Worte rufen nur Gejohle hervor und ich gebe es auf, sie darauf hinzuweisen, dass ich es ernst gemeint habe. Ich will wenigstens eine Nacht mal durchschlafen, bis morgen sowieso ein neuer Fall auf meinem Schreibtisch landet.
Mit erhobener Hand verabschiede ich mich von meinem Team und verlasse die Bar. Die frische Luft lässt mich kurz stehenbleiben, da mein Kreislauf vermutlich noch auf dem Barhocker sitzengeblieben ist. Nach kurzer Zeit hat er mich dann aber erreicht und ich trete vollständig hinaus in den leichten Regen.
Kurz blicke ich die Handvoll Leute an, die mit Regenschirmen bewaffnet hektisch die Straße überqueren oder sich unter ihren Kapuzen vor dem Regen schützen. Seufzend ziehe ich mir die Kapuze meines Hoodies über den Kopf und laufe los.
Der sanfte Regen sorgt dafür, dass sich meine Gedanken sortieren und ich endlich realisiere, dass dieser Fall nun wirklich abgeschlossen ist.
Ich verliere das Zeitgefühl, merke nicht einmal, wo genau ich hinlaufe und wundere mich fast schon, als ich irgendwann völlig außer Atem vor meiner Haustür ankomme.
Der Schlüssel rutscht mir fast aus der Hand, so wenig Kraft habe ich noch in meinem rechten Arm. Mit zusammengebissenen Zähnen schaffe ich es schließlich, die verdammte Tür zu öffnen und betrete tropfend meine kleine Wohnung.
Der hässliche Fleck auf meiner Hose springt mir als erstes ins Auge, als ich mich im Spiegel erblicke. Leider hat der Regen die Verfärbung nicht herausgewaschen.
Ein kurzer Blick auf die Uhr lässt mich stutzen. Es ist viel später als gedacht und für den Weg nach Hause scheine ich mindestens dreimal so lange gebraucht zu haben, wie sonst. Ich runzle meine Stirn und ziehe mir dabei die nassen Sachen aus.
Vielleicht ist die Uhr in der Bar einfach stehen geblieben. Und der Weg nach Hause war so belanglos und von Alkohol benebelt, dass mein Gehirn ihn verdrängt hat.
Bevor ich mich in mein Bett legen kann, klingelt mein Handy.
Ich unterdrücke den ersten Impuls, es einfach zu ignorieren. Es sind bestimmt nur meine Kollegen, die sich einen Scherz erlauben. Nach einigen Sekunden kann ich dem Drang aber nicht widerstehen, doch einen Blick auf das Display zu werfen. Es sind nicht meine Kollegen, sondern die Zentrale. Verdammt.
Räuspernd lehne ich mich in Boxershorts an meinem Türrahmen an und nehme den Anruf entgegen.
„Reynolds, wir haben eine Leiche."
Wie sehr ich diese Worte doch hasse. Mechanisch frage ich nach der Adresse, da es sowieso nichts bringt, mich vor diesem Auftrag zu drücken. Rücksicht auf Ruhezeiten haben sie noch nie genommen.
Ich verspreche, in ein paar Minuten am Tatort zu sein und quäle mich wieder aus dem Schlafzimmer. Murrend schlüpfe ich in meine feuchte Kleidung und koche mir erstmal einen starken Espresso, um am Tatort voll funktionsfähig zu sein.
Zum Glück habe ich nur zwei Schnaps und ein bisschen Bier getrunken, sodass ich recht nüchtern bin. Zumindest für meine Toleranzgrenze ist es so gut wie gar nichts.
Nachdem ich den Kaffee getrunken habe, verlasse ich meine Wohnung. Da es jetzt stärker regnet als zuvor, entscheide ich mich dafür, das Auto zu nehmen. Es sind nur zwei Blocks und da es mitten in der Nacht ist, fährt kaum ein anderes Auto auf den Straßen.
Die Gegend wird mit jedem Meter, den ich zurücklege, verwahrloster und ärmer. Es wundert mich nicht, dass hier eine Leiche gefunden wurde. Wahrscheinlich irgendein Junkie in einer Gasse, der an einer Überdosis verreckt ist. Aber irgendwas scheint die Leiche an sich zu haben, dass die Kriminalpolizei dazu gezogen wird.
Als ich um die nächste Kurve biege, empfängt mich das bläulich blinkende Licht des Streifenwagens, der vor einem Mehrfamilienhaus steht. Ein weiterer Wagen parkt bereits davor, ich identifiziere ihn als den der Gerichtsmedizinerin. Ich bewundere ihr Talent, jedes Mal eher am Tatort zu sein als ich, obwohl wir immer gleichzeitig informiert werden.
Ich stelle meinen Wagen neben ihrem ab und überquere die paar Meter bis zum Hauseingang schnell, um meine durch die Klimaanlage gerade trocknende Kleidung nicht erneut vollständig zu durchnässen.
Der Streifenpolizist empfängt mich mit einem erleichterten Gesichtsausdruck in der Haustür. Er wirkt recht blass um die Nase, was meine Theorie mit dem Junkie nicht bestätigt.
„Danke, dass Sie so schnell kommen konnten."
Mit einem knappen Nicken weise ich ihn dazu an, mir die Leiche zu zeigen. Er setzt einen recht zögerlichen Schritt in das Treppenhaus und steigt bis hinauf ins Dachgeschoss. Dort hebt er das Absperrband an der geöffneten Haustür an, um mich hindurchtreten zu lassen. Ich höre Stimmen aus einem angrenzenden Raum. Ich folge ihnen und gleichzeitig der Spur nasser Fußabdrücke auf dem hellen Laminat, bis ich das Badezimmer betrete.
Das Blutbad, was ich dort entdecke, lässt meinen Magen rebellieren.
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