~ 12
Beide hatten seit zwei Stunden kein Wort mehr miteinander gewechselt. Nurana, weil sie es nicht wagte und Cathal weil er es nicht wollte. Die Frau war für ihn nicht weiter von Belang und er wollte sie so schnell wie möglich loswerden. Die junge Lady stattdessen bemühte sich, eine gefasste Fassade aufrechtzuerhalten. Sie wollte ihm nicht zeigen, wie sehr seine Worte sie erschraken. Konzentriert starrte sie an die Wand und versuchte, sein Verhalten zu verstehen. Sie konnte seine Abneigung gegenüber den Briten nachempfinden, doch es rechtfertigte nicht diesen ungehobelten, unhöflichen Umgang mit ihrer Person. Nurana hatte sich Sterling nicht ausgesucht - im Gegensatz zu ihrer Tante.
Doch wie sollte sie ihm klar machen, dass sie anders war als die üblichen Adeligen? Es war zum Haare raufen! Nurana war es gewohnt, beweisen zu müssen das sie dazu gehörte. Sie musste ihrem Titel stets gerecht werden und nun sollte sie genau das Gegenteil tun? Wieso kümmerte es sie überhaupt, was dieser Rüpel von ihr dachte? Es sollte sie nicht interessieren und doch tat es das. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Es lag doch nicht etwa an seinem Aussehen oder?
Er hielt eine raue Schönheit inne. Die markanten Kieferknochen und das Kinn erinnerten an schroffe Felsklippen. Seine Lippen waren wohlgeformt und fest. Sie wurden selten von einem Lächeln durchbrochen. Ihre Konturen verrieten eine zurückhaltende Entschlossenheit, wie die Ruhe vor einem aufziehenden Gewitter. Die hohe, markante Nase verlieh seinem Gesicht Charakter. Seine eisblauen Augen funkelten wie das Licht, dass sich auf gefrorenen Seen bricht. Trotz der Kälte schien in ihnen ein warmer Funken zu lodern. Sie schienen gezeichnet zu sein, von Erlebnissen die sich die feine Dame nicht einmal in ihren kühnsten Träumen erahnen konnte. Seine hohe Stirn trug eine feine Falte, die von tiefer Nachdenklichkeit und innerer Unruhe zeugte, wie ein Echo vergangener Stürme. Er verkörperte eine Stille, wie sie sie nur in einem Wald finden würde und gleichzeitig spiegelte er die rohe Kraft des Meeres wider. Es faszinierte und beunruhigte sie zu gleich.
Schweigsam lehnte sie sich zurück und lauschte dem Knistern des Kaminfeuers. Was war es, dass sie dermaßen in den Band zog? War sie so gelangweilt? Sehnte sie sich so sehr nach einem Abenteuer? Ihre oberste Priorität war doch eigentlich, zurück nach London zu kommen und das so schnell wie möglich. Cathal McKinnon war jemand, der ihre Pläne durchkreuzen konnte - das hatte er schließlich bereits! Doch im selben Moment fiel Nurana ein, dass es eher das Wildschwein war, das ihre Pläne durchkreuzt hatte. Dieses grässliche Ding! Die junge Dame erschauderte bei dem Gedanken an seine Knopfaugen und die großen Hauer. Wäre Cathal nicht gewesen, wäre sie höchstwahrscheinlich gestorben und man hätte ihren Leichnam nie gefunden. Ihr Gram fand abrupt ein Ende und ein schlechtes Gewissen machte sich in ihr breit. Sie hatte ihm kein einziges Mal dafür gedankt. Wieso wunderte es sie also überhaupt, dass er sie für eine verwöhnte Aristokratin hielt, wenn ihr Benehmen genau dies widerspiegelte?
"Mr. McKinnon..." Begann sie leise und der Mann blickte auf, er schwieg und schien auf ihre folgenden Worte zu warten. "Ich habe mich nicht bei Ihnen bedankt. Das tut mir leid. Ich sollte Ihnen mehr Respekt zollen, schließlich haben Sie mein Leben bewahrt." Entschuldigte sie sich ehrlich und das erste Mal schien er sprachlos zu sein. Er trat näher an sie heran. Seine Haare bewegten sich bei jedem Schritt mit und fingen das Licht des Feuers ein, was ihm eine gefährliche Eleganz verlieh, wie Flammen die im Wind tanzten. "Gern geschehen, Lassie." Meinte er dann stumpf und griff nach seinem Mantel. "Ich werde im Vorraum schlafen um Ihre Ehre zu wahren." Er nickte und verließ das Zimmer. Nurana blieb wieder einmal wortlos zurück, ehe sie sich aufrichtete und die Tür verschloss. Das Korsett presste ihr wieder einmal jegliche Luft aus den Lungen, doch sie hatte keine Ahnung wie man es aus - und wieder anzog. Dies bedeutete Wohl oder Übel eine schlaflose Nacht, denn es war unmöglich in dem Kleid eine komfortable Schlafposition zu finden. Verärgert setzte sie sich auf den Pelz und lehnte sich an die Wand, womöglich konnte sie ja im Sitzen schlafen? Leise summte sie Schlaflied, welches ihre Mutter ihr damals beigebracht hatte.
Ihre Mutter - ihr Vater...
Die Ehe!
Bei all dem Tumult hatte sie ihr größtes Problem völlig vergessen. Sie sollte verheiratet werden. Am liebsten hätte Nurana laut aufgeschrien und ihren Kopf gegen die Wand geschlagen, doch sie fürchtete das der Schotte sie dann für komplett unzurechnungsfähig halten würde. Vielleicht wäre das besser so? Würde er dies an ihre Großtante vermitteln, sanken womöglich ihre Chancen auf einen Mann. Wobei, würde sie erfahren das sie mit einem Mann, ohne Anstandsdame in einem Waldhaus genächtigt hatte, wären ihre Chancen sowieso gleich null. Es schien ein guter Plan zu sein, doch gleichzeigt wurde ihr klar, dass wenn sie McKinnon erwähnte, ihm vermutlich der Tod drohen würde. Die Entehrung einer Fairchild? Die Tochter des Herzogs? Man würde ihn Enthaupten und alleine bei dem Gedanken, drehte sich ihr Magen um. Nein, sie musste ihn schützen. Das war sie ihm schuldig!
Sie ächzte leise, denn langsam wurde das Korsett unerträglich und sie rappelte sich auf. So leise wie möglich öffnete sie die die Holztür und wollte in die Küche schleichen, doch gerade als sie den Vorraum verlassen wollte, ergriff eine kräftige Hand ihren Oberarm und zog sie zurück. Erschrocken kreischte Nurana kurz auf und sie hörte ein genervtes Stöhnen. Kurz darauf ging eine Kerze an und sie erblickte Cathals Gesicht. "Was zum Teufel macht Ihr um diese Zeit?" Fluchte er und baute sich vor ihr auf. Er überragte sie bei weitem und dies wurde ihr in diesem Moment erst wirklich bewusst. "Ich wollte ein Glas Wasser." "Es ist kurz vor Morgendämmerung." Wies er sie zurecht und Nurana blickte zu Boden. "Ich habe die ganze Nacht kein Auge schließen können." Gestand sie schließlich kleinlich und die Irritation stand in seinem Gesicht geschrieben. "Weshalb?" Wollte er wissen und die Miss errötete: "Ich...äh..." Er blickte sie weiterhin verständnislos an. "Das Korsett ist nicht sonderlich gut zum Schlafen geeignet." Nuschelte sie und Cathal musste seinen Kopf senken, um ihre Worte zu verstehen und seine Augen weiteten sich. Auch das noch!
"Dann zieht es aus?" Er sah sie fragend an und als sie seinem Blick auswich strich er sich verzweifelt mit der Hand durchs Gesicht. "Jetzt sagt mir bitte nicht, Ihr wisst nicht wie?" Als das Rot ihrer Wangen einen noch intensiveren Farbton hatte er seine Antwort. "Dè rinn mi airson seo a dhèanamh?" (Was hab ich getan um das zu verdienen?) Fluchte er leise und sah sie schließlich an. "In Ordnung, Bampot. Du hast die Wahl, entweder ich helfe dir oder du bleibst die restliche Nacht wach." Plötzlich wich jede Farbe aus ihrem Gesicht und ihre Augen wurden kugelrund. "Mā de." (Verflucht) Entfloh es ihr und perplex blinzelte Cathal. Die Gräfin würde sie umbringen, sollte sie es jemals erfahren und ihre Ehre! Ein Mann sollte ihr dabei helfen, das Korsett auszuziehen? Ihr wurde eiskalt bei dem Gedanken, doch der Pein wurde mit jedem Atemzug unerträglicher. "Ich..." Murmelte sie schließlich leise und wandte sich ihm mit dem Rücken zu. "Na schön." Gab sie leise nach und Cathal hielt inne. Er wusste, wie beschämend es für sie sein musste und sein Kiefer spannte sich an: "Es ist nichts schlimmes dabei. Ich helfe Euch lediglich." Sie nickte und zögerlich begann er die Schnüre ihres Kleides zu lösen. Sie hatte ihn mit ihrer Verlegenheit angesteckt und plötzlich fühlte es sich wie ein Verbrechen an, ihr Kleid zu öffnen. Es war nicht das erste Mal, dass er einer Frau beim entkleiden half - die Motivation unterschied sich jedoch gewaltig. Als er jedoch das Kleid sanft von ihren Schultern nahm, musste er für einen Moment zur Seite blicken. Ihre Haut hatte eine warmen Ton, welcher an das schimmernde Herz einer Muschel erinnerte. Wahrlich, sie verkörperte das Ideal der feinen Gesellschaft. Ihr Schultern waren sanft gerundet und von einer natürlichen Feinheit umgeben. Alles an ihr erinnerte ihn daran, was verabscheute und doch keimte ein anderes Gefühl in ihm auf. Eines, das er nicht umschreiben konnte.
Seine Finger zitterten leicht, als er das Korsett löste und als er sah, wie sich ihr Körper entspannte und sie vernünftig einatmen konnte, wandte er sich ab. Diese Frau...
Er schüttelte den Kopf und schluckte schwer. Er griff nach ihrem Kleid und überreichte es ihr schweigsam. Sie nahm es wortlos an und zog es sich rasch über den Kopf. Erst jetzt wagte er es, die Sassenach wieder anzusehen. Ihr langes, seidiges schwarzes Haar ergoss sich sanft über ihre Schultern und ihren Rücken, glänzend und geschmeidig wie eine Nacht ohne Mondlicht. Es betonte ihre natürliche Schönheit, eine Schönheit wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Die sanften Konturen ihrer Wangenknochen und die feinen Linien ihrer Augen verliehen ihr eine mysteriöse Ausstrahlung. Ihre Augen, groß und mandelförmig, spiegelten ihre kluge Seele und eine ruhige Entschlossenheit wider. Erst jetzt realisierte er, dass sie sich schweigend ansahen und er wunderte sich, was in diesem Moment durch ihre Gedanken ging. "Danke." Murmelte sie leise. Er nickte und räusperte sich: "Ich werde nie verstehen, weswegen Ihr Frauen Euch ständig in diese umständlichen Kleider zwingt." Nurana hob belustigt die Augenbrauen: "Nicht jeder kann es sich erlauben, mit einem Kilt durch die Gegend zu stolzieren."
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