3 ~ Devon
Ich wollte nur noch weg. Einfach alles hinter mir lassen und rennen, ohne ein festes Ziel vor Augen zu haben. Hauptsache weg von dem düsteren Ort, der so viele Erinnerungen zu Tage brachte. Weg von dem Satz, den ich Daniel entgegengeschleudert hatte und der noch immer in meinem Kopf herumgeisterte. Die einzelnen Worte hatten sämtliche Energiereserven aktiviert und meine Blutbahnen mit purem Adrenalin überflutet, das mich jetzt zwang, schneller zu werden.
Du würdest es nicht mal auf die Reihe bringen, einer einzigen Person die Seele herauszureißen.
Es war nur eine einfache Vermutung gewesen - doch Daniels Reaktion hatte alles gesagt. Er hatte mir nicht widersprochen, sondern war einfach gegangen, ohne ein weiteres Wort.
Eine so klare Antwort, die das bestätigte, was schon längst nicht mehr reine Spekulation war. Zwar hatte er mir nie direkt gesagt, wofür er die jungen Mädchen brauchte, allerdings hatte der düstere Ort den unumgänglichen Vorteil, dass ich es mir jedes Mal zur Genüge vorstellten. Diese strahlend weißen, reinen Seelen, von denen mir jedes Mal fast schlecht wurde...es war nicht schwer zu erraten, was er damit wollte.
Unwillkürlich verkrampfte sich mein Körper, wie immer, wenn ich nur daran dachte, in was ich involviert war...
Hör auf damit!
Seufzend legte ich meine Hand an die Schläfen, um die schmerzende Haut zu massieren, während mich meine Füße ohne Umwege durch die dunklen Gänge führten. Für jeden Fremden hätte das Labyrinth aus Verzweigungen, Sackgassen und düsteren Winkeln den sicheren Tod bedeutet, doch wenn man hier so oft ein- und ausging wie ich es tat, schlug man automatisch den richtigen Weg ein. Zuerst zweimal links, dann nach rechts, vorbei an den graffitibesprühten Wänden, deren markanter Geruch nach frischen Spraydosen wie dichter Rauch in der Luft hing.
„Shit.", fluchte ich leise, noch in derselben Sekunde, in der ich auch die Gestalten wahrnahm. Ihre dunkle Kleidung zeichnete sich nur schwach von der schwarzen Dunkelheit ab, die nur durch eine winzige Neonröhre unterbrochen wurde. Ein mattes, weißes Licht, das die Insekten in dieser feuchten Umgebung geradezu anzuziehen schien. Ich hätte das stetige Flattern und Summen nur zu gerne ausgeblendet, genau wie das Rascheln, das ab und zu in einer der Ecken zu hören war und jedes Mal dafür sorgte, dass mein Puls in die Höhe schoss.
Du hast weitaus größere Probleme als ein paar harmlose Ratten.
Ich brauchte keinen Blick nach vorne, um zu wissen, wie wahr dieser Gedanke war. Schon die Schritte, deren Echo tief von den Wänden widerhallte, bestätigten mir, dass ich in der Scheiße saß. Tief in der Scheiße.
„Wen ham wir denn da, hm? Wenn das nich' der kleine Hosenscheißer is'!", schallte mir schon eine raue Stimme entgegen. „Was will denn jemand wie du hier?" Im selben Moment ertönte das hämische Lachen direkt vor mir und ließ mich zurückweichen. Ein so dummer Fehler, wie ich sofort merkte, als sich der kalte Beton in meinen Rücken bohrte.
„Na, kein Ausweg, was?" Breitbeinig baute sich ein stämmiger Junge vor mir auf, dem ich am liebsten auf der Stelle eins übergebraten hätte. Nicht nur, weil er sich mir in den Weg stellte, mit diesem provozierenden Blick, sondern vor allem deswegen, weil ich ihn zutiefst hasste. Schon das Grinsen, das auf seinem Gesicht lag, ließ die Wut in mir auflodern, das Feuer, das jetzt so viel stärker war als in Daniels Nähe. Denn auch wenn ich zu dem kühlen Mann kein sonderlich gutes Verhältnis hatte, so war er doch derjenige, der dafür sorgte, dass ich ein halbwegs normales Leben führen konnte. Der mir das Serum aushändigte, das ich so dringend brauchte. Auch, wenn ich das alles nicht wahrhaben wollte.
„Sieht wohl so aus, als wärst diesmal du derjenige, der sich die Seele aus dem Leib brüllt.", riss mich der Junge mir gegenüber aus meinen Gedanken, während er seine Hände rechts und links von meinem Kopf platzierte. Er lehnte sich mit vollem Gewicht gegen die Wand und konnte sich so direkt über mich beugen.
„Vergiss es. Wenn hier einer um Hilfe schreit, dann du.", knurrte ich. Unsere Blicke hatten sich mittlerweile fest ineinander verkantet, zwei pulsierende Leuchtquellen, deren klares Grün dazu imstande gewesen wäre, jemanden auf der Stelle umzubringen.
„Na, mach schon, du Feigling. Schlag zu, wenn du kannst!" Die Stimme des wasserstoffblonden Jungen lechzte nur so nach Befriedigung, als würde sein ganzer Körper darauf warten, mich endlich zu Boden zu pressen. Sein Gesichtsausdruck war angespannt, genau wie meiner, doch da war noch etwas, das mir einen Schauer den Rücken hinunterjagte. Dieses Ernste, Verbissene hatte sich auf seine Züge gelegt und ließ mich sicher sein, dass das hier nicht nur ein normales, teenagertypisches Kräftemessen war. Dagegen sprach allein schon die giftgrüne Farbe seiner Augen, ein so aggressiver und seltener Farbton. Nicht mal Daniel hatte besaß ein so kräftiges Grün - und er war um einiges mächtiger als dieser halbwüchsige Dämon.
„Also, Devy? Hast du jetzt Schiss oder was?" Zwei andere Jungs, die sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatten, tauschten einen kurzen Blickkontakt mit dem Blonden aus und positionierten sich dann in einer Art Halbkreis vor mir. Ich saß in der Falle.
„Ach ja, Devy. So willst du doch genannt werden, oder?", griff mein Gegner die Worte seiner Freunde auf und entlockte mir so ein wütendes Schnauben. Es gab nicht viel, was ich mehr hasste als die Schmerzen - und das mochte was heißen. Denn eigentlich toppte nichts und niemand meine Verabscheuung gegenüber dem, was ich war. Und dem, was daraus geworden war. Dem ich was ich jetzt war.
Ein hoffnungslos verlorenes Wrack.
„Hoffnungslos verloren, Devy? Sieht wohl so aus, als hättest du nicht unbedingt das beste Selbstbewusstsein, was?", wandte sich der Anführer wieder mir zu, das süffisante Lächeln ganz offen zur Schau gestellt. Ich hätte mich innerlich dafür ohrfeigen können, meine Gedanken nicht früh genug vor seiner Fähigkeit geschützt zu haben, denn mit größter Sicherheit wusste dieser Junge jetzt meine komplette Lebensgeschichte. In sich aufgenommen mit nur einem Atemzug.
„Verpiss dich, Ace!" Sein Name klang aus meinem Mund so falsch, und doch genauso wie damals, an dem Tag, an dem wir uns gegenübergestanden waren. Jeder von uns mit diesem glühenden, eisernen Feuer in den Augen, dem Ehrgeiz, der Verbissenheit.
Nur einer kann gewinnen, wiederholten sich seine Worte in meinem Kopf, als wären sie darin gefangen. Nur einer kann der Erste sein, Dev.
Ohne es zu merken, ballte ich meine Hand zur Faust, während sich eine unangenehme Stille ausbreitete. Für ein paar Sekunden - oder waren es Minuten? - starrten wir uns an. Jeder in seine Gedanken versunken und doch so konzentriert, dass sich die Muskeln bei jeder noch so kleinen Bewegung anspannten.
„Du willst mich also provozieren? Willst, dass ich zuschlage?", brach Ace irgendwann das unheilvolle Schweigen, doch ich konnte nicht reagieren, denn im selben Moment traf mich seine Faust in den Magen. Stöhnend krümmte ich mich nach vorne, versuchte, gegen den Körper über mir zu treten, doch ich war so verdammt geschwächt, dass ich nicht mal das hinbekam. Stattdessen musste ich zusehen, wie er mich ein weiteres Mal gegen die Wand presste, bis ich keuchend nach Luft rang. Es fühlte sich an, als hätte man mir schwere Metallplatten auf die Lungen gelegt, die jeden Atemzug zu einem krächzenden Rasseln machten.
Verdammt, ich hätte einen anderen Weg einschlagen, hätte wegrennen sollen! Mir war doch klar gewesen, dass ich mich so nicht wehren konnte, schon gar nicht, wenn meine Kraftreserven so leer wie jetzt waren.
Es bringt nichts, sich Vorwürfe zu machen.
„Oh, du wirst an deinen Vorwürfen noch ertrinken, du mieses Arschloch!" Seine Hand drückte mich unsanft nach hinten, bevor er von endlich von mir abließ und grinsend ein paar Schritte nach hinten ging. Fast so, als wolle er sich versichern, dass es genug sei, warf er mir einen letzten Blick zu und drehte sich dann um. Ich blieb zurück, am ganzen Körper zitternd, ein lautloses Wimmern auf den Lippen.
„Das war nur der Anfang, Devy. Das nächste Mal mach' ich dich fertig!" Mit diesen Worten, die einen bitteren Nachgeschmack hinterließen, verschwand der blonde Junge in der Dunkelheit.
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