Vulnera Sanentur
»Bombarda!«, brüllte Tania, als eine Acromantula auf sie zukrabbelte. Die Spinnen bereiteten ihr Probleme. Sie konnten die junge Hexe zwar nicht sehen, doch sie rochen ihre Angst.
Tania hatte furchtbare Angst. Vor den Toren des Schlosses tobte ein grausiger Kampf. Schreie der Wut und der Verzweiflung hallten über die Ländereien, Riesen stampften die Gewächshäuser platt und Flüche jagten durch die Nacht.
Sie sprang zur Seite, als ein verlorener Zauber an ihrem Kopf vorbeischoss. Niemals hatte sie vorgehabt sich dem Kampf anzuschließen, doch augenscheinlich blieb ihr nichts anderes übrig, als sich in das Getümmel zu werfen, um Snape zu finden.
Mit gesenktem Kopf rannte sie über das Gelände, als eine neue Gruppe mannsgroßer Spinnen aus dem verbotenen Wald flitzte. Hätte sie damals gewusst, dass dort solche Kreaturen lebten, wäre sie niemals auf die Idee gekommen, auch nur einen Zeh in den verbotenen Wald zu setzen.
Geistesgegenwärtig beschwor sie einen Schutzschild herauf, als feuerrote Lichtblitze durch die Nacht zuckten. Schüler, Lehrer und Mitglieder des Ordens lieferten sich einen erbitterten Kampf. Auf beiden Seiten wurden es immer mehr Kämpfer, als würden sie sich scharenweise der Schlacht um Hogwarts anschließen.
Hektisch drehte Tania den Kopf in alle Richtungen. Die Verzweiflung wuchs. Wo war Snape?
Sie stürmte an einem Trupp Auroren vorbei, der erheblich in der Unterzahl war. Mutig schossen sie Flüche auf die Todesser ab, die sie im Halbkreis umzingelt hatten.
»Rückzug!«, brüllte eine kleine Hexe, die den Trupp anzuführen schien. »Sofort zurückziehen!«
Tania hielt inne und wirbelte herum. Sie kannte die Stimme, hatte sie unzählige Mal gehört, sie war ihr vertrauter, als alles andere in ihrem Leben. Sie verengte die Augen, um in der Finsternis etwas zu erkennen und stolperte auf die Auroren zu.
»Mum!«, brüllte sie, als ein Fluch das Gelände für einen Sekundenbruchteil in grünliches Licht tauchte. »Mum, Vorsicht!«
Einer der Todesser schleuderte eine Feuerkugel gegen das Schutzschild der Auroren und trieb die Gruppe auseinander. Schemenhaft erkannte Tania ihre Mutter, die im Gras nach ihrem Zauberstab suchte, der ihrer Hand entglitten war.
Wenige Schritte von ihr entfernt, riss sich ein Todesser die Maske vom Kopf, fletschte seine blutverschmierten Zähne und stieß ein Heulen aus. Mit schnellen Sprüngen, die mehr dem Gang eines Tieres ähnelten, als dem eines Menschen, näherte er sich ihrer Mutter. Die Gier nach Blut stand dem Werwolf ins Gesicht geschrieben.
»Nein!«, keuchte Tania. »Nein!«
Wenige Meter trennten ihn von seiner Beute. Sie hatte keine Zeit. Keine Zeit um zu überlegen, welcher Zauber effektiv war und was moralisch vertretbar war. Sie handelte instinktiv, tat genau das, was ihr zuerst in den Sinn kam.
»Avada Kedavra!« Die Worte kamen leicht über ihre Lippen.
Grünes Licht stob aus ihrem Zauberstab und traf den Werwolf in der Brust, als er herumwirbelte, um sich zu schützen. Seine Augen zeigten Überraschung, bevor seine Gesichtszüge erschlafften und er in das feuchte Gras sackte.
Er war tot und Tania spürte nichts als Erleichterung. Es hatte eine Zeit in ihrem Leben gegeben, da war sie sicher gewesen, niemals einen unverzeihlichen Fluch zu wirken. Diese Zeit war vorbei.
Sie wusste, dass sie ihre Tat nie bereuen würde. Die Dankbarkeit, die ihr Herz durchströmte, als ihre Mutter sich aufrappelte, überwog jede Schuld. In dieser Welt gab es kein Gut und kein Böse - sie war voller Facettenreichtum. Das hatte sie von Snape gelernt.
Tanias Schockzustand endete mit einem plötzlichen Windzug, der ihr den Tarnumhang vom Leib riss. Sie fühlte sich, als hätte man ihr alle Kleider vom Leib gerissen. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr.
»Jetzt bist du nicht mehr versteckt, Mädchen!«, lachte ein untersetzter Todesser mit schwarzem Rauschebart und richtete den Zauberstab auf Tanias Herz. »Avada -«
Bevor der todbringende Fluch seine Lippen verließ, versteiften sich seine Glieder und er kippte rücklings zu Boden. Tania entwich ein verrücktes Lachen.
Instinktiv suchte sie den Blick ihrer Mutter. Diese hielt ihren Zauberstab wieder in den Händen und seine Spitze war noch immer auf den Todesser gerichtet. Ihre Blicke trafen sich.
Zwei Paar hellblauer Augen und Tania dachte daran, wie leicht es gewesen wäre, nicht mehr von ihrer Seite zu weichen. Sie würden kämpfen, Schulter an Schulter, bis zum Ende.
Aber was war mit Snape? Er hatte niemanden, der nach ihm suchen würde oder ihm zu Hilfe eilte. Ihre Mutter hatte ihre Kollegen, den Rest der Familie und die Mitglieder des Ordens.
Es kam ihr vor, als würde sie ihre Familie im Stich lassen, als sie ihren Tarnumhang schnappte und davonlief. Die Rufe ihrer Mutter hallten in ihren Ohren, sie waren eine einzige Qual, eine Anklage wegen Verrates, an denen, die sie liebte.
Doch Snape gehörte auch dazu.
Eine schwarze Wand schob sich vor den Mond, als Tania an den Gewächshäusern vorbeilief. Verwirrt blieb sie stehen und legte den Kopf in den Nacken, um eine Erklärung für die Finsternis zu finden. Inmitten der Gewächshäuser stand ein Riese und versuchte sich einen der Pflanztische in die Zahnlücke zu stecken, als sei dieser ein überdimensionaler Zahnstocher.
Tania kreischte auf, als der Riese den Tisch frustriert fallen ließ und hechtete mit einem Sprung zur Seite. Der Pflanztisch bohrte sich an der Stelle in den Boden, auf der sie Sekunden zuvor noch gestanden hatte, und riss einen Krater in den Boden.
Taumelnd richtete sie sich auf und stieß mit einer Person zusammen, die sich an ihren Schultern festklammerte, um Halt zu suchen. Zum zweiten Mal an diesem Abend, rutschte ihr der Tarnumhang von den schmerzenden Schultern.
»Loslassen!«, befahl Tania der Gestalt, schüttelte die Hände von ihrer Schulter und starrte in die eisblauen Augen von Lucius Malfoy. Sein weißblondes Haar schaute unter einer Kapuze hervor, die er weit in sein Gesicht gezogen hatte.
Entsetzt taumelte sie zurück und richtete ihren Zauberstab auf ihn, doch Lucius tat etwas, dass kein Malfoy tat. Er drehte sich um und floh. Verwirrt hob sie ihren Tarnumhang auf, als ihr eine Idee durch den Kopf schoss.
Sofort nahm sie die Verfolgung auf. Ihr Atem rasselte und dennoch fühlte sie sich, als würde sie über den Rasen fliegen. Mit jedem Schritt kam sie Lucius Malfoy näher, der sich seiner Verfolgerin nicht bewusst war.
»Expelliarmus!«, rief Tania und ihr Fluch traf Lucius im Rücken. Sein Zauberstab schoss ihm aus der Hand und schlitterte durch das Gras. Mit einem Satz sprang Tania vorwärts, packte ihn an seinem Umhang und bohrte ihm ihren Zauberstab in den Rücken.
Lucius erstarrte und hob die Hände empor.
»Wo ist Severus?«, knurrte Tania.
»Wer sind Sie?«, stammelte Malfoy.
»WO IST SEVERUS?«, donnerte Tania. »Antworten Sie mir oder ich schwöre Ihnen, dass das Ihre letzten Atemzüge sind.«
»Beim dunklen Lord«, keuchte Malfoy. »In der heulenden Hütte.«
Tania ließ von ihm ab, doch Malfoy packte ihren Arm und sie verlor das Gleichgewicht, als sie sich losreißen wollte. Sie wollte bereits einen Fluch auf Dracos Vater abfeuern, doch etwas in seinem Blick hielt sie davon ab.
»Haben Sie meinen Sohn gesehen?«, fragte Lucius und Tania verstand. Sie war nicht die Einzige, die auf dem Schlachtplatz war, um jemanden zu finden. »Haben Sie Draco gesehen?«
»Zuletzt war er im Schloss«, antwortete Tania.
Ohne Malfoy aus den Augen zu lassen, rappelte sich auf, während er nach seinem Zauberstab griff, dann liefen sie in entgegengesetzte Richtungen davon.
Lucius war auf dem Weg zum Schloss und Tania hastete der heulenden Hütte entgegen.
Das dunkle Mal tauchte die Umrisse der heulenden Hütte, die bedrohlich in den Nachthimmel ragte, in ein grünliches Licht. Tanias Lungen brannten und sie drückte sich ihre Hand in die Hüfte, um das Seitenstechen loszuwerden.
Die Hütte wurde von einem Zaun umgeben, um welchen sich dichtes Gestrüpp rankte. Mit angehaltenem Atem lief Tania am Zaun entlang, bis sie ein Loch entdeckte, dass groß genug war, um hindurchzuschlüpfen. Den Haupteingang zu nutzen kam nicht infrage. Nicht auszudenken, was geschah, wenn das Gartentor quietschte - es war sicher sein Jahrzehnten nicht geölt worden.
Die junge Hexe hielt inne, als sie sich auf der anderen Seite des Zauns aufrappelte, schloss die Augen und atmete tief durch. Ab jetzt durften ihre keine Fehler passieren.
Sie überprüfte, ob der Tarnumhang ihre Fußknöchel verbarg, huschte durch den verwuchterten Garten und drückte sich an die Holzwand der heulenden Hütte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während sie ihre Ohren spitzte.
Aus dem Inneren der Hütte drangen gedämpfte Stimmen. Irgendjemand hatte die Fenster notdürftig mit Brettern zugenagelt, sodass sie keinen Blick hineinwerfen konnte. Mit zitternden Händen tastete Tania über den Bretterverschlag und spürte, dass eines der Hölzchen nachgab. Es war zersetzt von der Nässe und den Holzwürmern, denen es seit Jahren ausgesetzt war.
Triumphierend bröckelte sie das Holz auseinander und zupfte die Späne, einen nach dem anderen, herunter, bis sie in das Innere der Hütte spähen konnte.
Das Wohnzimmer war spärlich beleuchtet. Tanias Blick fiel zuerst auf die Schlange, die vor dem Kamin schwebte, umhüllt von einer leuchtenden Membran. Sie hatte Nagini nicht derart riesig in Erinnerung. Das Vieh schlängelte sich in seiner Hülle, als würde es nur darauf warten, sich auf seine Opfer zu stürzen.
Voldemort stand unweit der Schlange und hielt den Blick in den Kamin gerichtet, in welchem ein eisblaues Feuer züngelte. Er drehte seinen Zauberstab in den bleichen Händen und obwohl Tania lediglich seinen Rücken sah, brach ihr der kalte Schweiß aus.
Ganz in der Nähe der Treppe, durch welche man in den Geheimgang zum Schloss gelangte, stand Snape. Jemand hatte den Zugang mit einer schweren Holzkiste versperrt, sodass die einzige Fluchtmöglichkeit durch den Haupteingang führte.
Snape schien angespannt. Seine Knöchel traten hervor, so fest umklammerte er seinen Zauberstab und er blinzelte nicht, während seine Augen Voldemorts Bewegungen folgten.
›Jener, zwischen Schatten und Licht, schwebt in Todesgefahr‹, rief sich Tania ein letztes Mal Trelawneys Worte ins Gedächtnis. ›Ein Bote, ganz beherrscht vom dunklen Lord, wird ihn Anfang des fünften Monats des qualvollen Todes zeichnen.‹
Naginis leises Zischeln drang an ihre Ohren.
›Aug um Aug wird er Buße tun ohne den Frieden zu finden, der ihm gebührt, denn Seelenheil wird nur dem zuteil, der aufrichtige Vergebung erfährt.‹
Tania strich ihre verschwitzten Handflächen an ihrem Umhang ab, löste die Kette um ihren Hals und verbarg die Phiole mit den Gegengift in ihrer Hand. Mit der anderen umklammerte sie ihren Zauberstab, als wäre er ein Knüppel.
»Ich - ich kann es nicht erklären, Herr«, stammelte Snape mit rauer Stimme und kreidebleichem Gesicht. Nagini kringelte sich wie ein Egel in ihrer schützenden Membran.
»Ich suchte einen dritten Zauberstab, Severus«, erklang Voldemorts Stimme. »Den Elderstab, den Zauberstab des Schicksals, den Todesstab. Ich nahm ihn seinem vorigen Herrn ab. Ich holte ihn aus dem Grab von Albus Dumbledore.«
Snapes Kopf zuckte zu Voldemort und Tania sah, wie schwer es ihm fiel, seine ausdruckslose Miene zu wahren. In seinen aufgerissenen Augen funkelte die Angst. Tania wusste nicht, was es war, doch etwas an diesem Gespräch beunruhigte ihn.
»Herr - lasst mich zu dem Jungen gehen -«, erwiderte Snape mit zitternder Stimme. Es schien, wie ein letzter Versuch, Voldemort umzustimmen.
»Diese ganze lange Nacht, in der ich meinem Sieg so nahe bin, sitze ich schon hier«, fuhr Voldemort unbeirrt fort, »und ich frage mich, ich frage mich, warum der Elderstab sich weigert, das zu sein, was er sein sollte, sich weigert, das zu leisten, was er der Legende nach für seinen rechtmäßigen Besitzer leisten muss... und ich glaube, ich habe die Antwort.«
Snape schwieg. Tania sah, wie seine Hand unbemerkt in die linke Tasche seines Umhangs fuhr. Seine Lippen hatten eine bläuliche Farbe angenommen und sein Zauberstab zitterte.
»Vielleicht kennst du sie bereits? Du bist schließlich ein kluger Mann, Severus. Du warst mir ein guter und treuer Diener, und ich bedaure, was geschehen muss.«
»Herr -« Snapes Stimme glich einem Stöhnen.
Tania verspürte den Drang, die Wand der Hütte zu sprengen und sich schützend vor ihn zu werfen. Was, wenn Voldemort ihn mit eigenen Händen tötete? Sollte das passieren, käme jede Hilfe zu spät und kein Gegengift dieser Welt würde ihn zurückbringen.
»Der Elderstab kann mir nicht richtig dienen, Severus«, fuhr Voldemort fort, »weil ich nicht sein wahrer Meister bin. Der Elderstab gehört dem Zauberer, der seinen letzten Besitzer getötet hat. Du hast Albus Dumbledore getötet. Solange du lebst, Severus, kann der Elderstab nicht wahrhaft mir gehören.«
»Herr!«, rief Snape und hob seinen Zauberstab.
Tanias Herz machte einen Hüpfer, denn es war gut, dass Lebensmut in ihm steckte. Die kurze Euphorie schwand in purem Entsetzen, als Voldemort mit dem Elderstab durch die Luft peitschte und Nagini auf Snape zuschwebte.
Trelawney hatte Recht gehabt - Die Prophezeiung wurde zu einer grausamen Wirklichkeit. Tania wollte den Kopf abwenden, ihn in den Händen verbergen, doch sie konnte es nicht.
Snapes Kopf tauchte in die glitzernde Membran, welche Nagini umgab. Die Szene schien vor Tanias Augen zu gefrieren. Nagini richtete ihre blutroten Augen auf Snape. Dieser verzog vor unverhohlenem Entsetzen sein Gesicht, während er der Schlange zu entkommen versuchte. Sein Mund formte sich zu einem Schrei, doch kein Ton kam über seine Lippen.
Stattdessen drangen schlangenhafte Geräusche aus Voldemorts Mund und als hätte er Nagini einen Befehl zugezischelt, riss sie ihren Schlund auf.
Snape schrie, als sich Naginis Zähne in seinen Hals bohren und er hörte nicht auf, als sie es ein zweites und drittes Mal taten. Sein Gesicht war vor Schmerz verzogen, sein Zauberstab hing nutzlos in seinen rudernden Armen und das Blut spritzte.
Tania wollte nicht wahrhaben, dass es sein eigenes Blut war. Sie riss den Blick los und krümmte sich in einem stummen Schrei zusammen. Sie glaubte, innerlich zu zerreißen. Nie zuvor war seelischer Schmerz so greifbar gewesen -
Die Luft wurde aus ihren Lungen gepresst, ihre Muskeln verkrampften und sie sackte auf die Knie. Wut züngelte auf. Heiß und lodernd spürte sie, wie ihre Magie durch ihre Adern strömte und auszubrechen drohte. Sie wollte ihn umbringen. Voldemort. Sie wollte das Haus in Brand stecken und hören, wie er in den Flammen verreckte. Wollte sehen, wie das Leben seinen Körper verließ, während seine Augäpfel in der Hitze hervorquollen.
Sie durfte nicht.
Die Sekunden zogen endlos dahin, während Tania im Gras kauerte. Sie war nicht wirklich da. Sie war weit weg, am Strand des Caeruleum Mare und rannte Snape hinterher, der über das steinige Ufer stampfte. ›Ich habe es vermasselt!‹, wollte sie ihm zurufen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.
Also rannte sie schneller. Die Steine knirschten unter ihren Füßen und mit jedem Schritt, kam sie ihm näher. Er drehte sich um, als er ihre Hand auf ihrer Schulter spürte und öffnete den Mund um zu sprechen, doch über seine Lippen drang nichts, als ein quietschendes Geräusch, welches Tania in den Ohren wehtat.
Das Gartentor! Tania riss die Augen auf und ihr Verstand fühlte sich plötzlich an, als hätte man sie in eine Wanne voll Gripsschärfungstrank getaucht. Sie hatte gewusst, dass das Tor sein Jahren nicht mehr geölt worden war.
Mit angehaltenem Atem spähte sie um die Ecke und sah Voldemort, mit Nagini im Schlepptau, das Grundstück verlassen. Kaum, dass er verschwunden war, taumelte Tania durch den Eingang der heulenden Hütte und erstarrte vor Schreck.
Auf dem Boden vor Snape kauerte Harry Potter. Er hielt eine Phiole mit einer silbrigen Flüssigkeit in den Händen, während Snape pfeifend nach Luft rang.
›Eine Erinnerung‹, schoss es Tania durch den Kopf. ›Dumbledore hat verlangt, dass er Harry eine Erinnerung gibt.‹ Und er hatte es getan. Der Auftrag war erfüllt. Es war vorbei.
»Sieh... mich... an.«, flüsterte Snape und Harry folgte seiner Bitte.
Es ergab alles einen Sinn.
›Aug um Aug wird er Buße tun‹, hatte es in der Prophezeiung geheißen. War das die Buße für den Tod von Lily? Hier zu sterben, in dieser elenden Hütte, wegen eines schrecklichen Fehlers?
Nein. Er durfte nicht sterben.
›Er muss gehen‹, stellte Tania fest. ›Harry muss gehen.‹ Snapes Blut floss über den Boden, saugte sich in Harrys Umhang und füllte die Ritzen der Holzdielen. Es blieb keine Zeit.
»Imperio«, flüsterte Tania und richtete ihren Stab auf Snape. Es war viel zu leicht, die Kontrolle zu erlangen. Sein Leben hing am seidenen Faden und die flackernde Präsenz, die von seinem Geist übriggeblieben war, setzte ihr nicht mehr Willenskraft entgegen, als der Geist einer Kröte.
Tania konzentrierte sich - Es musste einfach funktionieren. Snape hatte ihr selbst beigebracht, wie man Flüche illusionierte, damals, an der weißen Maus, die sie vor den Carrows gerettet hatte.
Er hatte gesagt, es ginge nicht bei Menschen wegen ihres widersprüchlichen Verhaltens, doch Snape war kaum noch ein Mensch. Sein Leben nicht mehr als die dampfende Glut eines sterbenden Feuers. Vollkommen willenlos.
Es brauchte keine harschen Befehle, um Kontrolle über ihn auszuüben. Ein einziger Gedanke reichte und seine Hand fiel dumpf zu Boden, während sich sein Blick zur Decke richtete und alle Anspannung von ihm fiel.
Ganz so, wie Tania sich seinen Tod vorstellte.
Ihr Schweigezauber ließ die letzten Geräusche verstummen und ein letzter Illusionszauber verbarg das sanfte Auf und Ab seiner Atemzüge. Es war genug, um das goldene Trio zu überzeugen, dass er tot war. Sie wandten sich von ihm ab.
›Geht!‹, betete Tania. ›Bitte geht endlich.‹ Irgendwo in der Ferne donnerte Voldemorts Stimme. Sie konnte die Worte nicht verstehen, doch endlich verschwand das goldene Trio.
Sie stürzte zu Snape und fiel auf die Knie. Ein schmatzendes Geräusch ertönte, als ihr Umhang sich mit der Pfütze aus Blut vereinigte, in welcher er lag. Es war so viel Blut.
Tanias Illusion verblasste. Kurz fürchtete sie, dass es zu spät war und die Starre nicht aus Snapes Augen weichen würde, doch seine Augenlider flimmerten. Sie griff an sein Handgelenk und weinte vor Dankbarkeit, als sie seinen schwachen Puls spürte.
Er war am Leben. Noch.
Sofort zog sie den Stopfen aus der Phiole mit dem Gegengift und kippe das Mittel unbeholfen in seinen Mund. Alles war voller Blut. Sein Gesicht, seine Kleidung und der Boden. Der metallische Geruch stieg ihr in die Nase und machte es ihr noch schwerer, einen klaren Kopf zu bewahren.
Hektisch zog sie Dilys Porträt aus ihrer Tasche und lehnte es an die schwere Holzkiste, die neben Snape stand.
»Dilys!«, keuchte Tania. »Dilys, was soll ich machen?«
»Haben Sie ihm das Gegengift gegeben?«
»Ja - Aber jetzt! Was jetzt? - Bitte, Dilys. Bitte -«
»Was ist mit dem Blutbildungstrank?«, fragte Dilys.
»Blutbildungstrank«, wiederholte Tania mit bebender Stimme und begann kopflos in ihrer Tasche zu kramen.
»Benutzen Sie einen Aufrufezauber, Miss Green.«
»Accio Blutbildungstrank!« Die Phiole schoss in ihre Hände und sie träufelte die zähe Flüssigkeit in Snapes offenstehenden Mund. Sie konnte seinen Anblick kaum ertragen.
War er tot? Sah er nur so aus?
»Sprechen Sie einen Diagnosezauber«, fuhr Dilys sanft fort.
Tania nickte und augenblicklich stiegen pechschwarze Rauchschwaden aus Snapes Halsregion empor.
»Hören Sie zu«, sagte Dilys streng. »Sie müssen sich beruhigen und die Blutung stoppen. Es besteht eine Chance, dass er überlebt. Sie haben das Wissen, um ihn stabil zu halten.«
»Ich versuch's«, würgte Tania und rutschte näher zu Snape, um sich über seinem Kopf zu beugen. Mit aller Macht versuchte sie das Bild, dass sich ihr bot, zu verdrängen.
Wie sollten diese Hautfetzen jemals wieder zusammenpassen?
»Sie schaffen das«, versprach Dilys. »Ich werde Ihnen Unterstützung schicken.« Mit diesen Worten verschwand sie, vermutlich um ihr Porträt im St. Mungos auszusuchen.
»Vulnera Sanentur«, begann Tania stockend. »Vulnera Sanentur.« Die Wunde an Snapes Hals verschloss sich, doch nur Sekunden später klaffte die Haut wieder auseinander und ein weiterer Schwall Blut ergoss sich über seinen Oberkörper.
Schnell flößte ihm Tania eine weitere Phiole mit Blutbindungstrank ein. Sie hatte ausreichend gebraut.
»Vulnera Sanentur«, murmelte sie verbissen. Wieder schloss sich der Riss an seinem Hals.
»Vulnera Sanentur.« Wieder riss die Haut auseinander. Sie wischte sich fahrig die Tränen von der Wange, bevor sie in einen monotonen Singsang verfiel.
Vulnera Sanentur, Vulnera Sanentur, Vulnera Sanentur.
Tania verlor jegliches Zeitgefühl.
Vulnera Sanentur, Vulnera Sanentur, Vulnera Sanentur.
Wie lange würde es dauern, bis Dilys Unterstützung kam?
Vulnera Sanentur, Vulnera Sanentur, Vulnera Sanentur.
Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Stirn, während sie alles andere um sich herum vergaß. Das einzig Wichtige war, dass sie Snape stabil hielt. Wo blieb Dilys?
Vulnera Sanentur, Vulnera Sanentur, Vulnera Sa -
Tania wurde schwindelig. Der Zauber raubte Kraft und die Panik drohte sie zu überwältigen. Snape würde unter ihren Händen sterben. Warum hatte sie nicht mehr geübt?
»Vulnera Sanentur«, krächzte sie ein letztes Mal, bevor sie auf dem Boden aufschlug. Das letzte, was sie wahrnahm, war ein Flackern. In Snapes halb geöffneter Hand brannte eine immerwährende Flamme in einer kleinen Glaskugel.
In der Ferne ertönte ein Knall, trippelnde Schritte drangen an ihr Ohr und sie spürte, wie winzige Finger nach ihrer Hand griffen.
Alles wurde schwarz.
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