Im Mondschein
Der Mond über den Ländereien von Hogwarts glich einer vollkommenen Kugel. Lediglich aufmerksame Beobachter bemerkten, dass eine Rundung nicht voll ausgeprägt war.
›Morgen muss Vollmond sein‹, dachte Tania schlaftrunken. Sie hatte das Gefühl, von etwas geweckt worden zu sein. Leise richtete sie sich auf und erschrak, als sie eine Gestalt neben sich wahrnahm. Snape. Es war merkwürdig, ihn schlafen zu sehen.
Er schien unruhig. Seine Bettdecke war verrutscht und gab den Blick auf den grauen Stoff seines Schlafgewandes frei. Seine Hände klammerten sich an die Decke, anders, als man es bei einem erholsamen Schlaf tat.
Das Mondlicht erhellte sein blasses Gesicht und Tania sah, wie er es zu einer gequälten Grimasse verzogen hatte. Feine Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn und auch sein Nachthemd war durchnässt. Ob er schlecht träumte? Sie erhielt die Antwort in Form eines Stöhnens, bevor Snapes Atem schneller wurde.
»Nein«, nuschelte er in seine Decke. »Nein. Nein.« Seine Stimme wurde immer lauter, bis er am ganzen Leib zitternd nach Luft rang. Im nächsten Moment saß er kerzengrade im Bett.
Seine Augen suchten panisch die Dunkelheit ab, bis sein Blick an Tania hängen blieb und er sich entspannte. Sie sagte nichts. Gelassen erwiderte sie seinen Blick, als wäre nichts geschehen.
»Warum schläfst du nicht?«, durchbrach Snape die Stille.
»Es ist ungewohnt neben dir zu schlafen«, erwiderte Tania.
»Habe ich dich geweckt?«
»Nein. Ich war schon vorher wach.« Sie zog die Decke fester um ihren Körper. »Hast du schlecht geträumt?«
»Das geht dich nichts an«, erwiderte er grob.
Tania senkte gekränkt den Blick, sprang auf und verließ das Zimmer. Wenige Augenblicke später kam sie mit einem Glas Wasser zurück. Schweigend reichte sie es ihm.
»Danke«, flüsterte Snape.
»Severus?« Sie malte nachdenklich kleine Kreise auf ihre Decke. »Was hast du vor, wenn alles vorbei ist?«
»Du meinst, was ich vorhabe, wenn die Zeiten besser sind?«, fragte Snape. Als sie bestätigend nickte, zuckte er mit den Schultern. »Ich habe noch nie darüber nachgedacht.«
»Ich finde, du solltest ein Buch schreiben«, riet ihm Tania. »Viele Menschen könnten von den Erkenntnissen aus deinen Forschungen profitieren - besonders von deiner Verbesserung des Wolfsbanntrankes.« Erwartungsvoll schaute sie ihn an.
Snape erwiderte ihren Blick kurz und fing an zu lachen, während er den Kopf schüttelte, als hätte sie etwas dummes gesagt. Es war ein verbittertes Lachen. Verwirrt legte Tania den Kopf schief.
»Was ist?«, fragte sie. »Ich meine das ernst. Kaum jemand ist so talentiert im Tränkebrauen -«
»Das ist es nicht«, fuhr Snape dazwischen. Seine Lippen zierte immer noch ein leicht verrücktes Grinsen.
»Was ist es dann?« Tania richtete sich auf.
»Du bist naiv.« Seine Stimme klang kühl. »Glaubst du tatsächlich, dass irgendjemand dieses Buch kaufen würde?«
»Natürlich?« Sie schaute ihn an.
»Tania.« Snape atmete tief durch. »Egal wie dieser Konflikt endet. Ich werde sterben. Merke dir das. Es wird kein Buch geben, keine Reisen und auch kein Haus im Grünen.« Seine Stimme klang abgeklärt, ganz so, als hätte er sich damit abgefunden.
»Warum sagst du das?«, fragte sie und spürte das Brennen in ihren Augen. Ihre Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Er wollte diesen Krieg nicht überleben.
»Es ist die Wahrheit.« Er zuckte mit den Schultern. »Wenn Potter stirbt werde ich dem dunklen Lord den Rücken kehren und nicht lebend davonkommen. Wenn der dunkle Lord stirbt, habe ich das Ministerium und den Orden auf den Fersen.«
»Wozu machst du das alles, wenn du sowieso keine Hoffnung hast?« In Tania loderte der Zorn auf. Sie schluckte die Tränen hinunter. Sie würde nicht weinen. Nicht vor ihm. Vor dem, der noch immer nicht begriffen hatte, wie viel er ihr wert war.
»Ich stehe in der Schuld«, erwiderte Snape.
»Welche Schuld?«, seufzte Tania. »Du hast einen Fehler -«
»Nein.« Er sprang mit einem Satz auf. »Ich habe einen Menschen auf dem Gewissen, Tania. Das ist kein Fehler, das ist -«
»Du bist da hineingeraten!« Sie erhob sich ebenfalls. »Aber du tust doch alles, um es gutzumachen. Was hat es für einen Sinn, dem nachzuhängen, wenn Voldemort tot ist. Diese vielen Menschen wären sowieso gestorben!«
»Lily wäre nicht gestorben!«, jaulte er, wirbelte herum und stützte die Hände auf den Sims. Seine Schultern bebten.
Tania versuchte die Puzzleteile in ihrem Kopf zusammenzusetzen. Das Bild von Lily Evans in seinem Nachtschrank. Die Erinnerungen in seinem Kopf. Der unpassende Patronus.
»Severus.« Sie schüttelte den Kopf. »Voldemort hat Lily Potter getötet.« Sie lief auf ihm zu und beugte sich vor, ohne ihn zu berühren. Ein Träne hing an seiner langen Nase.
Unwirsch wand er den Kopf ab und wischte sich übers Gesicht.
Anschließend packte er Tania an den Schultern, schaute sie an und zog sie mit in einen Strom aus Erinnerungen.
Tania fand sich in einem schäbigen Flur wieder. Ein jüngerer Snape stand ihr gegenüber und fixierte eine Tür zu seiner Linken. Er schien äußerst konzentriert und ein gewinnendes Lächeln zierte seine Lippen. Es dauerte einen Moment, bis Tania die Stimmen hörte, die hinter der Tür hervordrangen.
»Der Eine mit der Macht, den Dunklen Lord zu besiegen, naht heran«, sagte Sybill Trelawney. Tania erkannte die wabernde Stimme wieder. Sie hatte sie selbst vor wenigen Wochen gehört. »Jenen geboren, die ihm drei Mal die Stirn geboten haben, geboren, wenn der siebte Monat stirbt -«
Die Erinnerung begann zu verschwimmen als der Wirt des Eberkopfes aus dem Nichts erschien, Snape am Kragen packte und ihn aus dem Gasthaus warf.
Das Bild änderte sich. Sie fanden sich in einem luxuriösen Gebäude wieder. Der Boden war aus weißem Marmor und riesige Gemälde mit goldenen Rahmen säumten die Wände. Voldemort stand in der Mitte des Raumes. Sie erkannte ihn, doch er sah anders aus. Sein Gesicht ähnelte noch nicht dem einer Schlange und seine Haut hatte eine normale Farbe.
Nur die Augen. Seine Augen waren bereits feuerrot und ließen erahnen, in welches Monster er sich auch optisch bald verwandeln würde. Zu seinen Füßen kauerte eine Gestalt. Hager und verborgen unter einem schäbigen Umhang.
Snape. Er wiederholte die Worte der Prophezeiung, die er im Eberkopf belauscht hatte.
»Gut gemacht, Severus«, erklang Voldemorts kalte Stimme, während er Snape seine widerlichen Finger auf den Kopf legte, wie einem Hund, den man fürs Apportieren lobte.
»Es ist mir eine Freude, Herr«, erwiderte Snape. Der Stolz, der in seinem Blick glänzte, erschreckte Tania.
Der Raum verschwamm und gewann Sekunden später wieder an Kontur. Es war der gleiche Ort, aber ein anderer Tag. Wieder kauerte Snape zu Voldemorts Füßen, doch diesmal zitterte er.
»Du bittest mich, ein Schlammblut zu verschonen?«, zischelte Voldemort gefährlich und umrundete seinen Untergebenen.
»Ja - Herr. Ich flehe Euch an.« Snape kauerte sich noch weiter zusammen. Seine Haare streiften den Fußboden. »Verschont Lily Potter und ich werde alles tun - Alles.« Seine Stimme glich einem verzweifelten Wimmern, dem letzten Aufbegehren, bevor das letzte Fünkchen Hoffnung starb.
»Severus, Severus.« Ein Lachen drang aus Voldemorts Mund, bei dessen Klang Tania die Haare zu Berge standen. »Du wirst auch ohne diesen Gefallen alles tun, was ich will.«
»Herr!« Snape faltete die Hände wie zum Gebet. »Ich habe Euch die Prophezeiung gebracht. Ich bin ein treuer Anhänger und bitte um nichts, als -«
Dann kam der Schmerz. Ein finsterer Nebel durchzog die Erinnerung, die Formen verschwammen und alle Töne verzerrten sich zu einem Gemisch aus Snapes Schreien und Voldemorts Gelächter.
Tania konnte die Qual, die er erlitten hatte, beinahe körperlich spüren. Die Erinnerung zerfloss zu einem stumpfen Brei aus Blut, Leid und Demütigung.
Immer wieder zuckten Bilder auf. Voldemorts Fratze. Ein Riss in der Haut. Lilys schönes Gesicht. Eine Lache aus Blut.
Und das Schlimmste: die Angst um Lily.
Es dauerte, bis die Szene sich auflöste und einer neuen Umgebung Platz machte. Fast so als würde es Snape schwer fallen, die Erinnerung an jene Nacht loszulassen.
Er kauerte auf einem Hügel. Der Wind peitschte ihm seine Haare ins Gesicht und ließ seinen Umhang flattert. Dumbledore stand mit erhobenem Zauberstab vor ihm und tauchte ihrer beiden Gesichter in einen goldenen Lichtkegel.
»Wenn Lily Ihnen so viel bedeutet«, sagte Dumbledore mit kalter Stimme, »dann wird Lord Voldemort sie doch gewiss verschonen? Könnten Sie nicht um Gnade für die Mutter bitten, im Austausch gegen ihren Sohn?«
»Darum - darum habe ich ihn gebeten«, keuchte Snape.
»Sie widern mich an«, erwiderte Dumbledore verächtlich. »Dann ist Ihnen der Tod ihres Mannes und des Kindes also gleichgültig? Die können sterben, solange Sie haben, was Sie wollen?«
Snape schaute zu Dumbledore auf. Sein Gesicht zeigte das pure Entsetzen. Er sah aus wie ein Wahnsinniger und Tania erwartete, dass er Dumbledore in jedem Moment ein ›Ja‹ entgegenrufen würde, doch er besann sich eines Besseren.
»Dann verstecken Sie doch alle«, krächzte er. »Passen Sie auf, dass ihr - ihnen - nicht passiert. Bitte.«
»Und was werden Sie mir dafür geben, Severus?«
»Dafür - geben?« Snape schaute zu Dumbledore auf. »Alles.«
Abrupt endete die Szene. Snape stand vor einem Haus - wobei es das Wort Ruine eher traf, denn die obere Etage war weggesprengt worden. Er lief wie ferngesteuert durch den Vorgarten.
Seine Schritte wirkten mechanisch. Die Eingangstür stand offen und schwang mit einem Knarzen auf, als er sich näherte. Das Mobiliar im Flur war zerstört worden und ein lebloser Körper lag ausgestreckt am Fuße der Treppe.
Snape stieg über den leblosen James Potter hinweg und die Stufen hinauf. Das Geschrei eines Babys ertönte aus einer offenstehenden Tür. Er trat ein, ohne das Kleinkind zu beachten, welches ihm seine Arme durch die Gitterstäbe seines Bettchens entgegenstreckte und bitterlich weinte.
Er hatte seine Augen auf Lily gerichtet, die leblos am Boden lag. Ihre leeren Augen waren auf den Punkt gerichtet, an dem Voldemort gestanden hatte, um ihr Kind zu töten.
Jetzt traf ihr anklagender Blick Snape, der schluchzend auf die Knie fiel. Alles wurde schwarz. Es blieb der Schmerz.
Tania verstand, denn alles ergab Sinn. Snape stand stumm am Fenster und hatte seinen Blick auf einen Punkt in der Ferne geheftet. Zögernd streckte sie ihre Hand nach ihm aus.
»Du hast doch was du willst«, krächzte er und zuckte zurück.
»Es ist fürchterlich, Severus«, begann Tania. »Aber -«
»Nein, hör auf!« Seine Stimme wurde lauter. »Geh endlich.«
»Bitte, Sev.« Sie griff nach seiner Hand.
»Hör auf mich so zu nennen.« Ungehalten schob er sie zurück. »Such nicht nach Entschuldigungen. Es gibt keine -«
»Doch!« Tania packte ihm am Arm, als er sich an ihr vorbei drängte. »Bitte, es gibt Entschuldigungen dafür und du hast es wieder gutgemacht. Du beschützt Harry und -«
»Ich hätte sie beschützen sollen!«, brüllte er, riss sich los und eilte ins Büro. Unterwegs schnappte er sich seinen Reiseumhang.
»Nein, sie hatte einen Ehemann, der sie beschützt hat«, brauste Tania auf. »Und der warst verdammt noch mal nicht du!«
Mit einem Knall flog die Tür ins Schloss.
Tania blieb wie angewurzelt stehen. Endlich verstand sie sein Problem und jetzt lief er vor ihr davon. Was hatte sie falsch gemacht? Sie verstand, dass er Schuldgefühle hatte. Was gab es Schlimmeres als einen geliebten Menschen zu verraten?
Und doch war es keine Absicht gewesen. Er hatte sich von den Todessern abgewandt und beschützte Harry. Konnte das seine Schuld aufwiegen?
Bei jedem anderen hätte sie gesagt, dass es das nicht tat, doch bei Snape war es etwas anderes. Er begab sich zu Voldemort, wieder und wieder, nahm Schmerzen und Leid in Kauf und alles nur, weil er eine Information weitergegeben hatte.
Tania schloss die Augen. Für sie machte es keinen Unterschied. Sie wusste, dass Snape ein guter Mann war, doch da war etwas anderes, ein Gefühl, welches ihr die Luft abdrückte.
Lily. Er hatte sie geliebt - tat er es immer noch?
Wie verwerflich war es eigentlich, auf eine Tote eifersüchtig zu sein? Tania hasste sich für ihre Gefühle, doch sie konnte es nicht unterdrücken. Die Eifersucht fraß sich wie ein Fremdkörper, gleich einem fiesen Parasiten, in ihr Unterbewusstsein.
»Ich sagte ja -«, ertönte Nathans Stimme, »der Schulleiter ist eine schwierige Persönlichkeit.«
»Oh, ich bitte Sie«, höhnte Phineas. »Es kann ja nicht jeder so einfach gestrickt sein wie Sie, Nathan.«
»Was wollt Ihr damit sagen, Black?«
»Mir ist bekannt, Nathan«, erwiderte Phineas spitz, »dass sich Ihre Kontakte zum fremden Geschlecht auf rein körperliche Aktivitäten beschränken.« Er hob die Augenbrauen.
»Nun«, griente Nathan, »ihr seid das lebendige - Verzeihen Sie, ich meinte das tote - Beispiel für einen Menschen, dem die Enthaltsamkeit ganz arg geschadet hat, Phineas!«
Tanias Mundwinkel zuckten.
»Eins zu null für Sie, Nathan«, mischte sich Dippet ein.
»Ich weiß eben, wie man das Fräulein zum Lächeln bringt.« Nathan schubste Phineas von seinem Sessel. »Der gehört bis morgen Abend mir, mein launiges Freundchen!«
»Also wirklich -«, schnappte Phineas.
»Miss Green?« Dumbledores Stimme klang sanft.
»Professor«, antwortete Tania.
»Gibt es einen Grund für Ihre Auseinandersetzung?«
»Nein.« Sie seufzte. »Severus hat mir seine Erinnerung gezeigt - sie handelte von der Prophezeiung über den Auserwählten, die er belauscht hat und von Lily Potters Tod.«
»Warum denken Sie, hat er das getan?«
»Um sich in Selbstmitleid zu suhlen?«, erwiderte Tania. »Was weiß ich? Erst dachte ich, er wolle es sich von der Seele reden, aber damit lag ich falsch, wenn er einfach abhaut.«
»Severus tut es, um Sie von sich zu stoßen.« Dumbledore betrachtete eingehend seine Fingernägel. »Es ist sein letzter verzweifelter Versuch, damit Sie gehen.«
»Wozu? Er kann mich jederzeit vor die Tür setzen!«
»Eben das kann er nicht«, sagte Dumbledore. »Hat er Ihnen sein dunkles Mal gezeigt? Hat er Ihnen wehgetan? Hat er schwarze Magie genutzt - vor Ihren Augen?«
Tania nickte, ohne den Blick von Dumbledore zu wenden.
»Severus stößt jeden, der ihm freundlich gesinnt ist, von sich«, fuhr der ehemalige Schulleiter fort. »Vielleicht erträgt er es nicht, gut von Ihnen behandelt zu werden. Möglicherweise hat er Angst vor einem weiteren, schrecklichen Verlust.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Tania. »Sie meinten, er wäre nicht leicht zu durchschauen.«
»Mit gewissem Stolz darf ich behaupten Severus engster Vertrauter zu sein.« Dumbledore schmunzelte. »Ganz nebenbei interessiere ich mich für die Abgründe der menschlichen Psyche.«
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