Eine Nacht am Piccadilly Circus
Der Kontrast zwischen der Stille des Forest of Dean und dem Trubel am Piccadilly Circus war überwältigend.
Ohrenbetäubender Lärm dröhnte über den Platz, während ihnen die beißenden Abgase der Muggel-Verkehrsmittel in die Nase stiegen und Tania sogar meinte, deren Ausdünstungen auf der Zunge zu schmecken. Bunte Lichter von Reklametafeln tauchten die Straßenkreuzung in ein wirres Farbspiel.
Ein feuerroter Doppeldeckerbus kurvte hupend an parkenden Taxis vorbei, die darauf warteten ihre Gäste zu den angesagten Clubs von London zu chauffieren. Trotz der späten Uhrzeit herrschte reges Treiben auf den Gehwegen. Aufgebrezelte Damen in hohen Schuhen staksten beschäftigt von einer Bar zur Nächsten.
Energisch kämpfte sich Tania mit Snape an ihrer Hand durch eine grölende Gruppe, die auf ein Gebäude zulief, aus dem dumpf Musik tönte.
Zielsicher steuerte sie eine der Seitenstraßen an und achtete nicht auf Snapes Flüche, als sie beim Überqueren der nächsten Kreuzung beinahe von einem Radfahrer umgefahren wurden.
Zwei weitere Straße später legte sich der gröbste Trubel und Tania erspähte endlich das kleine Lokal, welches sie als Ziel auserkoren hatte. Lächelnd zerrte sie Snape in einen Hauseingang und warf einen Blick über ihre Schulter, bevor sie ihren Zauberstab zückte. Sie waren außer Sichtweite der Muggel.
»Was zur Hölle machen wir hier?«, fragte Snape.
»Ich habe Hunger«, erklärte Tania, »und weil du in den Lokalen in Hogsmeade und der Winkelgasse kein wohl gesehener Gast bist, dachte ich mir, wir versuchen es in einem Muggelrestaurant.«
»Du gehst in Muggelrestaurants?«
»Eigentlich nur in dieses!« Sie deutete auf den staubigen Pub am Ende der Gasse. »Ich war mal mit meinen Großeltern hier und irgendwie gingen wir davon aus, dass die Lokalität von Magiern betrieben wird.«
»Wie seid ihr nur darauf gekommen?«, spottete Snape und betrachtete den Schriftzug über der Eingangstür. ›The Alchemists Bar‹, stand dort in blättrigen, goldenen Buchstaben.
»Aber es war gut!«, verteidigte sich Tania, als sie seinen skeptischen Blick sah. »Die Muggel essen das Gleiche wie wir und -«
»Wirklich? Sie essen ›das Gleiche wie wir‹?« Er lachte. Das tiefe Vibrieren seiner Stimme war wie Musik in ihren Ohren und die kleinen Fältchen an den Augen schmeichelten seinem Gesicht.
»Ich vergaß, dass du unter Muggeln aufgewachsen bist«, erwiderte Tania, während sich ihre Wangen leicht röteten.
»Dann zeig mir mal deine Verwandlungskünste«, verlangte Snape und breitete einladend seine Arme aus. »Wir wollen die Muggel nicht noch mehr erschrecken, als wir es auf dem Weg hierher schon getan haben, nicht wahr?«
»Ich bin eher von den Muggeln erschrocken«, erwiderte Tania und dachte an eine Gruppe männlicher Muggel, die mit Netzhemden und bunten Federboas bekleidet ihren Weg gekreuzt hatten.
Eingehend betrachtete sie Snapes dunkle Kleidung. Was würde er wohl sagen, wenn sie ihm auch -
»Denk nicht mal dran«, schnarrte Snape.
»Hör auf meine Gedanken zu lesen!«
»Man liest keine Gedanken«, tadelte er. »Außerdem hat dich dein schelmischer Gesichtsausdruck verraten.«
»Erwischt«, murrte Tania und setzte eine konzentrierte Miene auf, als sie ihren Zauberstab schwang.
Snapes voluminöser Umhang wurde zu einem schwarzen Mantel, der fast bis zu seinen Knien reichte. Ebenso erging es dem Gehrock, der sich in ein Hemd verwandelte. Mit einem letzten Schlenker färbte sich seine schwarze Hose dunkelblau, was ausgezeichnet mit dem Hemd harmonierte.
Anschließend widmete sie sich ihrem eigenen Outfit. Diese Verwandlung ging ihr leichter von der Hand. Im Nu trug sie hohe Schuhe, ein elegantes Kleid mit Spitzenärmeln und fast denselben schwarzen Mantel wie Snape.
»Und?«, fragte sie und drehte sich, wobei ihre blonden Haare elegant über ihre Schultern wehten.
»Ohnegleichen«, erwiderte Snape. Als sie an ihm voran in den Pub lief, spürte sie seinen Blick im Rücken.
Der Pub war gut besucht und sie fanden einen kleinen Tisch abseits der Blicke anderer Gäste. Es war furchtbar eng in der kleinen Lokalität. Schadenfroh beobachtete Tania, wie sich Snape unbeholfen auf die Bank ihr gegenüber zwängte.
»Guten Abend.« Ein junger Kellner war an ihren Tisch getreten und reichte ihnen die Speisekarten. »Darfs was zu Trinken sein?«
»Haben sie Elfenwein?«, erkundigte sich Tania.
»Klar - und Einhornsekt ist heute im Sonderangebot«, erwiderte der Kellner genervt und tippte sich mit seinem Kugelschreiber gegen die Stirn.
»Wir hätten gern den Wein des Hauses«, fuhr Snape schnell dazwischen. Ohne ein weiteres Wort schlurfte der Kellner davon.
»Elfenwein?«, fragte Snape. »Lass mich raten, Muggelkunde war nie dein Lieblingsfach.«
»Möglicherweise«, nuschelte Tania und steckte ihre Nase in die Speisekarte, bevor er die Röte auf ihren Wangen sah.
Die nächsten Minuten verbrachte sie scheinbar damit das Angebot des Pubs zu studieren. In Wirklichkeit konnte sie sich kaum auf die Wörter in der abgenutzten Karte konzentrieren.
Immer wieder warf sie verstohlene Blick zu Snape. Jetzt waren sie hier. In einem verstaubten Pub mitten in London, ohne dass es Tränke oder Zauber gab, mit denen sie sich beschäftigen konnten. Wenn man danach ging, waren sie das erste Mal wirklich privat zusammen, ganz ohne eine Aufgabe, die es zu erledigen galt.
Der Kellner brachte den Wein und nahm ihre Bestellung auf. Als er den Tisch verließ, spürte Tania leichtes Unbehagen. Verlegen fuhr sie sich durch ihre Haare und spielte an ihrem Weinglas. Snape saß ihr stocksteif gegenüber. Ihr Blicke trafen sich und Tania hätte wieder in diesen dunklen Augen versinken können.
»Ich -«, begann Tania nervös. »Ich würde gerne mehr von dir erfahren, Severus.« Sie schaute ihn erwartungsvoll an.
»Wie meinst du das?«, hakte er nach.
»Ich meine private Dinge.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wir reden so oft nur über Zaubertränke. Was interessiert dich sonst?«
»Ich lese gern«, sagte er zögernd und rutschte auf der Bank zurück. Seine Augen huschten durch das Lokal, als suche er nach einem Fluchtweg.
»Ich auch.« Tania lächelte. »Am liebsten sind mir Romane - momentan lese ich ›Blutsbrüder‹ von Eldred Worple. Kannst du dich an ihn erinnern? Wir haben Sanguini auf Slughorns Weihnachtsparty gesehen?«
»Ich habe es bildhaft vor Augen.« Seine Mundwinkel zuckten.
»Was liest du denn gern?« Interessiert beobachtete sie, wie er sich fahrig mit der Hand durch die Haare fuhr. Da war es wieder! Seine Nervosität, die so gar nicht zu ihm passte und die er ausschließlich zeigte, wenn sie allein waren.
»Ich -« Snape zögerte. »Ich interessiere mich für -« Er stockte erneut, als überlegte er, ob es besser wäre zu schweigen.
»Ich kenne dein Bücherregal, Sev.« Tania kniff ihre blauen Augen leicht zusammen. »Es ist voll schwarzer Magie.«
»Ich finde es interessant«, gestand er.
»Wie viele von den dunklen Zaubern in deinen Büchern würdest du anwenden?« Sie legte den Kopf schief.
»Einiges«, erwiderte er. »Aber nicht so viel wie du denkst.«
»Was denke ich denn?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich denke, dass du viele schwarzmagische Zauber beherrschst.« Sie hielt seinem forschen Blick tapfer stand. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.« Schaudernd dachte sie an Michael, der mit aufgerissenen Augen in der Luft schwebte. »Ich kann deine Faszination verstehen, aber ich heiße es nicht gut, dass du dich davon einnehmen lässt.«
»Wie meinst du das?« Er musterte bedächtig seine Finger.
»Du bist eine andere Person, wann immer du von Dem, dessen Namen nicht genannt werden darf, kommst.« Sie dämpfte ihre Stimme. »Als du Michael und Seamus angegriffen hast, warst du angsteinflößend und auch damals, bevor du mich unter den Imperiusfluch gestellt hast. Wann immer du deine Emotionen nicht unter Kontrolle hast, versuchst du es mit dunkler Magie oder körperlichen Ausbrüchen zu kompensieren.«
Sie achtete ganz genau auf Snapes Reaktionen, während sie sprach. Sein Gesicht hatte sich verschlossen, doch sie wusste, dass er ihr zuhörte.
»Manchmal ist es beängstigend, dich so zu sehen«, endete sie und folgte mit den Fingern der Maserung des Holztisches.
»Wenn ich so bin -«, fragte Snape, »warum sind wir hier?«
»Weil ich dich mag.« Sie hob den Kopf und griff nach seiner Hand. »Ich mag dich sogar sehr und ich weiß, dass du viel durchgemacht hast und eine große Last auf den Schultern trägst. Du lässt so viel über dich ergehen und du hast es nicht verdient, so behandelt zu werden, wie du behandelt wirst.«
Seine Hand fühlte sich kalt an und bebte leicht. Erst befürchtete sie, dass er sie zurückziehen würde, doch dann entspannte er sich.
»Ich bin nicht besonders gut in solchen Dingen«, gestand Snape plötzlich. »Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll.«
»Ich weiß.« Tania lächelte. »Ich wollte nur, dass du es weißt.«
»Danke.«
»Gern.« Sie lehnte sich zurück, als der Kellner eine dampfende Portion Spaghetti vor ihr abstellte. Als ihr der Geruch in die Nase stieg, wurde sie sich der Leere in ihrem Magen bewusst.
»Guten Appetit«, murmelte Snape höflich.
»Dein Hemd steht dir übrigens ziemlich gut«, bemerkte Tania.
»Ich hatte eine exzellente Beratung.«
»Es gibt eine Frage, die mich brennend interessiert.« Sie grinste und schob sich genüsslich ihre Gabel in den Mund.
»Du willst wissen, bei welcher Temperatur man Nesselkraut am besten destilliert?«, fragte Snape hoffnungsvoll.
»Nein.« Sie lachte. »Warum bist du Lehrer geworden?«
»Es war Dumbledores Idee.« Er stocherte auf seinem Teller herum. »Er meinte, dass ich für den dunklen Lord von größerem Interesse wäre, wenn ich in Hogwarts unterrichte, weil ich ihm wichtige Informationen liefern könnte.«
»Hm« Tania musterte unzufrieden die aufgedrehten Spaghetti auf ihrer Gabel. »Hast du in deinem Leben jemals etwas gemacht, dass dir Dumbledore nicht aufgetragen hat?«
»Ja.« Er gab einen verbitterten Laut von sich. »Ich bin einer Organisation von sadistischen Psychopathen beigetreten, um unsere Welt von unreinem Blut zu befreien.«
»Warum hast du dich trotzdem ständig auf die Stelle für Verteidigung gegen die dunklen Künste beworben?«, hakte Tania nach.
»Um Potter zu demütigen.«
»Warum wirklich?«
»Weil ich der Beste für das Fach bin?«, versuchte er es erneut.
»Professor Lupin war der Beste.« Tania grinste ihn provokant an.
»Pff.« Snape verdrehte die Augen. »Er hat sich mit Hinkepanks und Rotkappen amüsiert. Was hat das mit Verteidigung zu tun?«
»Lockhart würde es für Verteidigung halten«, kicherte Tania.
Auf seinen fragenden Blick erzählte sie ihm von ihrem zweiten Schuljahr, als der Schönling es nicht mit einem Schwarm unerzogener Wichteln hatte aufnehmen können.
»Er hatte deine Behandlung im Duellierclub mehr als verdient«, schloss sie ihre Erzählung und strahlte Snape an.
»Daran erinnerst du dich?«
»Daran erinnert sich die ganze Schule.« Tania zog die Augenbrauen hoch. »Es war so ziemlich das erste und letzte Mal, dass du Sympathiepunkte gesammelt hast.«
»Eine interessante Sichtweise«, bemerkte er und rief den Kellner mit einer harschen Handbewegung an den Tisch, um ihre Weingläser auffüllen zu lassen. Tania fühlte sich nach dem ersten Glas bereits leicht beschwipst.
Sie war es nicht gewohnt, Alkohol zu trinken und vor allem nicht auf leeren Magen nach einem stundenlangen Fußmarsch. Auf das zweite Glas folgte ein Drittes und schließlich ein Viertes. Mit jedem Schluck entspannte sie sich mehr und auch Snape schien es so zu ergehen.
Die Stimmung wurde ausgelassen.
Tania erzählte, über beide Ohren grinsend, wie Nevilles Irrwicht im dritten Schuljahr seine Gestalt angenommen hatte und zeigte ihm schließlich ihre Erinnerungen daran. Kurz nachdem er es gesehen hatte, hingen sie beide prustend über ihrem Tisch, bis Tanias Bauch vor Lachen zu schmerzen begann.
Der Tränkemeister erzählte im Gegenzug von den Eigenarten seiner Kollegen. Von Dumbledore, der eine Lehrerkonferenz im Honigtopf abhalten ließ und sie nötigte, die Süßigkeiten zu probieren. Von McGonagalls Vorliebe für Goldlackwasser und dem damit verbundenen Stepptanz auf dem Lehrertisch sowie Kesselbrands verrückter Leidenschaft, den Kot magischer Tierwesen zu konservieren und in einer Vitrine in seinen Räumen auszustellen.
Tania lauschte jedem Wort und ihr Herz machte jedes Mal einen Hüpfer, wenn sein Blick sie streifte. In seinen schimmernden Augen tanzte das Leben und sie wünschte, dass die tote Leere seinen Pupillen für immer fern bleiben würde.
Der Abend endete viel zu früh, als ein übermüdeter Kellner mit einem Mopp um ihren Tisch herum feucht wischte und damit jedwede Privatsphäre im Keim erstickte. Das Lokal war mittlerweile menschenleer.
Kichernd forderte Tania die Rechnung und versuchte mit ihren Galleonen zu bezahlen, doch Snape kam ihr zuvor. Sie wunderte sich, woher er das viele Muggelgeld hatte, vergaß jedoch, ihn danach zu fragen.
Eine Weile spazierten sie noch durch das schlafende London, entlang der rauschenden Themse. Tania hatte sich bei Snape untergehakt und die Kälte ließ sie wieder klarer denken.
»Das Essen war übrigens grausam«, bemerkte Snape.
Gespielt beleidigt entzog ihm Tania ihren Arm und blieb stehen. Er schlenderte gelassen weiter, den Blick auf die Lichter der Stadt geheftet, und drehte sich erst nach einigen Schritten um.
»Beim näch -«, begann er weiterzuspotten, doch Tanias Schneeball traf ihm mitten ins Gesicht und erstickte sein Worte. Prustend spuckte er die weiße Masse aus, während sie sich vor Lachen kringelte. Sie bereute es, als er auf sie zurauschte und Anstalten machte, sie in einen aufgetürmten Schneehaufen zu stuken.
»Nein, bitte nicht«, bettelte Tania lachend und krallte sich an ihm fest, um nicht in den Schnee zu stürzen. »Bitte, bitte.«
»Warum nicht?«, knurrte Snape und hielt sie weiter in dieser ungünstigen Position, aus der sie sich selbst nicht retten konnte, ohne die Balance zu verlieren.
Sein Gesicht war ihr so nah, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. Tania wurde still und ihr Lachen erstarb. Es war der perfekte Zeitpunkt. Der Moment, in dem der strahlende Held im Roman das unscheinbare Mädchen küssen würde. Sie hielt die Luft an. Seine schwarzen Augen brachten sie um den Verstand.
Die Art und Weise, wie sein Atem ruhig ihr Gesicht streifte und wie er ihre Lippen betrachtete. Sie wusste, dass er darüber nachdachte. Er musste das Prickeln spüren, sonst hätte er sie längst in den Schnee geschubst. Sein Blick war zu intensiv, als dass er die Spannung zwischen ihnen nicht spürte.
Sie kam ihm ein winziges Stück entgegen, ließ ihm jedoch die Wahl. Als er den Kopf wegdrehte, fühlte Tania nichts als Enttäuschung.
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