Ein gieriger Apotheker
Ein ohrenbetäubendes Krähen erklang, als Tania sieben Tage später die Apotheke in Hogsmeade betrat. Neben der Eingangstür hockte auf einer Stange ein Rabe, der sie neugierig aus seinen kleinen Augen musterte. Seinen Schnabel riss er eifrig auf und zu, um seinen Besitzer auf die neue Kundschaft aufmerksam zu machen.
»Komme sofort!«, tönte es dumpf aus einer Kammer hinter dem überfüllten Verkaufstresen. Tania kramte einen Eulenkeks aus ihrer Tasche und hielt ihm dem Raben hin.
»Du hast gehört, Jupiter«, wisperte sie dem Vogel zu, der beim Klang seines Namens zufrieden mit dem Schnabel klapperte und sich den Keks schnappte. Sanft strich sie über das glatte Gefieder.
Der Verkaufsraum in der Apotheke war winzig, aber vollgestopft mit Medikamenten, Cremes und Zutaten. Tania begutachtete interessiert das Sortiment. Als sie kritisch ein Glas mit Drachenschuppen unter die Lupe nahm, trat der Apotheker an seinen Tresen.
»Miss Green, ich habe schon auf Ihren Besuch gewartet!«, rief der beleibte Mann mit vor Begeisterung wippendem Zwirbelbart. »Haben Sie mir wieder etwas Schönes mitgebracht?«
»Natürlich, Mr. Minit«, erwiderte Tania und lächelte schüchtern. Dann legte sie ihre Tasche auf den Tresen und begann ihre Waren darauf zu verteilen. Mr. Minit schaute sich jede Zutat an und wog sie auf einer zierlichen Silberwaage ab.
Während Tania wartete, ertönte erneut das Krächzen des Raben. Der Apotheker nahm keinerlei Notiz von seinem neuen Kunden. Tania hingegen wäre am liebsten unter den Verkaufstresen getaucht.
Zu ihrem Unglück hatte kein geringerer als Snape den Laden betreten. Dieser zog, zu ihrer Bestürzung, ebenfalls einen Eulenkeks hervor und steckte ihm dem pechschwarzen Raben in den Schnabel. Soviel Empathie hatte sie ihm nicht zugetraut!
Anschließend wandte er sich um und seine Augenbrauen zogen sich mürrisch zusammen, als er seine Schülerin neben dem Berg an Zutaten auf dem Tresen erblickte.
»Guten Tag, Professor«, murmelte Tania verloren und richtete ihre Aufmerksamkeit rasch wieder auf den Apotheker, als Snape ihre Begrüßung ignorierte.
Es vergingen einige unangenehme Minuten, in denen Tania sich fragte, womit sie diese Pechsträhne verdient hatte. Offensichtlich hatte es nicht gereicht, Snape im verbotenen Wald zu begegnen. Nein. Jetzt erwischte er sie auch noch dabei, wie sie ihre Beute in Hogsmeade verkaufte.
»Eine sehr schöne Auswahl haben Sie da zusammengestellt, Miss Green«, lobte der Apotheker. Er rieb seine Handflächen aneinander und grinste über beide Ohren. »Sie sind talentiert!«
»Danke«, erwiderte Tania verlegen. Sie war sich nicht sicher, ob ihr Lehrer für Zaubertränke diese Meinung teilte. Sie hatte gute Noten in Snapes Fach, aber ein Lob hatte sie nie von ihrem düsteren Professor erhalten. Allerdings wusste sie mit Gewissheit, dass es auch allen anderen Schülern so ging, die nicht in einem Umhang mit aufgesticktem Slytherinwappen herumstolzierten.
»Ich zahle fünfzig Galleonen für Ihre herausragende Ware, Miss Green«, verkündete der Apotheker mit einem Augenzwinkern und hielt der jungen Frau selbstbewusst seine Hand entgegen.
»Einhundert Galleonen«, schnarrte Snape. Tania, die bereits einschlagen wollte, erstarrte in der Bewegung und zog die Hand zurück, bevor der Apotheker danach greifen konnte.
Ungläubig schaute sie zu Snape auf, der näher getreten war und jetzt unmittelbar hinter ihr stand. Seine dunklen Augen waren auf den Tresen gerichtet und huschten konzentriert von Zutat zu Zutat.
Ein schallendes Lachen ertönte: »Ah, Mr. Snape. Immer wieder zu einem guten Scherz aufgelegt!« Der Apotheker knuffte Tania an der Schulter. Jetzt schaute sie den Apotheker ungläubig an. Snape war definitiv niemand, der gute Scherze machte. Wenn sie darüber nachdachte, hatte er überhaupt noch nie einen Scherz gemacht!
»Die Zutaten sind diesen Preis wert«, sagte Snape mit eisiger Stimme und erdolchte den bärtigen Apotheker mit seinem Blick. Dieser sackte merklich in sich zusammen.
»Ähm«, begann Mr. Minit wenig schlagfertig, bevor er sich wieder fasste: »Nun gut, weil Sie es sind. Ich biete Ihnen siebzig Galleonen, junge Dame. Ein unschlagbares Angebot, nicht wahr?« Er strahlte Tania gönnerhaft an, als hätte er ihr ein großes Geburtstagsgeschenk überreicht. Diese warf einen fragenden Blick zu ihrem Lehrer für Zaubertränke.
»Wie oft haben Sie Zutaten in dieser Apotheke verkauft?«, fragte Snape knapp, ohne sie anzusehen.
»Sechsmal«, antwortete Tania und bereute ihre Worte, kaum hatte sie sie ausgesprochen. Warum konnte sie nicht ihre Klappe halten? Jetzt wusste Snape, wie oft sie die Regeln gebrochen hatte.
»Ein teurer Umhang, den Sie da tragen, Mr. Minit«, fuhr Snape fort und zog dabei jedes Wort in die Länge. »Porlockwolle. Wie exquisit.« Er rümpfte die Nase. »Muss eine Menge gekostet haben. Ich dachte, Ihr Geschäft liefe nicht.«
Der Apotheker lief knallrot an. Tania konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es Scham oder Wut war. Sein Bart zitterte unheilvoll, als er eine Kiste hervorzog. Verwundert beobachtete sie, wie er mit bebenden Händen einhundert Galleonen abzählte und sie widerwillig über den Verkaufstisch schob.
»Es ist mir eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Miss Green«, presste er hervor und warf Snape einen hasserfüllten Blick zu. »Ich hoffe beim nächsten Mal bleibt mehr Zeit für ein nettes Gespräch. Beehren Sie mich bald wieder!«
»Vielen Dank!«, strahlte Tania den betrübten Apotheker an und ließ rasch die Galleonen in ihrer Geldbörse verschwinden. »Ich wünsche Ihnen beiden einen schönen Tag.« Damit zwängte sie sich an Snape vorbei und wollte aus der Apotheke flüchten, als sie eine feste Hand auf ihrer Schulter spürte. Sofort erstarrte sie.
»Sie warten auf mich«, befahl Snape.
Tania nickte und warf ihm einen ängstlichen Blick zu. Vermutlich würde sie nicht ohne eine Strafe davonkommen.
Tania wartete eine Viertelstunde vor der Apotheke bis der Tränkemeister hinaustrat. Mit einer ruppigen Bewegung, gab er ihr zu verstehen, ihm zu folgen.
Die junge Frau musste sich anstrengen, um mit ihm Schritt zu halten, als er durch die verlassenen Straßen in Richtung Hogwarts eilte. Ihre Gefühle waren gespaltener Natur. Sie wusste nicht, wie sie seine Unterstützung in der Apotheke einordnen sollte. Hatte er es gut gemeint oder würde er sie für ihr fehlendes Verkaufstalent tadeln? Sie tippte auf die zweite Option.
»Vielen Dank für Ihre Hilfe, Sir«, durchbrach sie die Stille, nachdem das Schweigen unerträglich geworden war.
»Minit ist ein Betrüger«, knurrte Snape. »Sie hätten sich besser informieren sollen.«
»Es tut mir leid, Sir«, antwortete Tania, da ihr keine bessere Erwiderung einfiel. Ihr Lehrer schnaubte und warf ihr einen höhnischen Blick zu.
»Sie müssen sich nicht entschuldigen. Ihre bodenlose Dummheit wird Sie genug gestraft haben.« Gekränkt betrachtete Tania den Boden zu ihren Füßen. Snapes Stimme wurde lauter: »Sie sollten sich lieber entschuldigen, weil Sie wiederholt die Schulregeln gebrochen haben. Ravenclaw hat großes Glück, dass ich in den Ferien keine Hauspunkte abziehen kann. Der Hauspokal wäre dank Ihnen verloren, bevor das Jahr beginnt.«
»Es tut mir leid, Sir«, wiederholte Tania.
»Die Zeiten erlauben es nicht, sich dermaßen unbedacht zu verhalten. Ich habe Besseres zu tun als Ihnen sicheres Geleit auf das Schulgelände zu geben«, fuhr er Tania an. »Ihre Eltern haben nicht um Schutz für Sie gebeten, damit Sie einen netten Einkaufsbummel in Hogsmeade machen oder im gefährlichsten Wald ganz Großbritanniens spazieren gehen!«
»Es wird nicht nochmal vorkommen«, versprach Tania.
»Warum waren Sie eigentlich im verbotenen Wald?«, verlangte Snape zu wissen und beschleunigte seine Schritte, sodass Tania in leichten Laufschritt verfallen musste.
»Ich habe Zutaten gesammelt.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich wollte ein paar Tränke brauen, die nützlich sein könnten, wenn -« Sie zögerte und schaute zu Snape auf. »Wenn die Lage eskalieren sollte.« Nervös pfriemelte sie an den Ärmeln ihres Umhangs.
»Dafür besteht keine Notwendigkeit«, erwiderte Snape. »Sie sind vollkommen sicher in Hogwarts.«
»Meine Eltern sind es nicht«, sagte Tania.
»Ihre Eltern wissen sich zu beschützen.«
Tania nickte beklommen. Ihr war unwohl bei dem Gedanken daran, dass sie mit einem Todesser sprach. Sie hatte das Bild seiner eisernen Maske noch vor Augen. Kaum eine Woche war es her, dass sie um ihr Leben gerannt war. Das bot keine Basis für ein vertrauensvolles Gespräch.
Ganz abgesehen davon, dass man ein solches ohnehin nicht mit Snape führen konnte. Er ergötzte sich an den Fehlern anderer, war stets zynisch, grausam und schlecht gelaunt.
Schweigend liefen sie über die Ländereien, vorbei am verbotenen Wald, den Gewächshäusern und bis in den Innenhof. Tanias Blick blieb an der Stelle hängen, an welcher Snape zusammengebrochen war. Inwieweit konnte er sich wohl daran erinnern?
›Ich bin kein Mörder‹, hatte Snape gesagt. Tania musterte ihn verstohlen. Würde sie ihrem Lehrer zutrauen, jemanden zu töten? Sie wusste es nicht. Miese Charakterzüge zu besitzen, bedeutete nicht, dass man auch entsprechend handelte.
»Sie werden sich morgen wegen der Regelbrüche bei Mr. Filch melden«, sagte Snape steif, als sie das Eingangsportal erreichten. Seine schwarzen Haare umrahmten wie ein Vorhang sein schmales Gesicht. »Das Pokalzimmer soll wieder sehr staubig sein.« Er verzog das Gesicht zu einem boshaften Lächeln. »Damit sollten Sie sinnvoll bis zum ersten September beschäftigt sein.«
»Ja, Professor«, erwiderte Tania demütig und versuchte sich ihr Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Sie mochte den alten Hausmeister mit seiner merkwürdigen Katze nicht. Die Vorstellung ihnen zu begegnen, während kaum Menschen im Schloss waren, gefiel ihr nicht.
»Der Schulleiter wird in den nächsten Tagen die Sicherheitsvorkehrungen schärfen. Wagen Sie es nicht, das Gelände zu verlassen«, warnte der Tränkemeister und stieß mit einer ruckartigen Handbewegung das Eingangsportal auf. Sein Umhang ballte sich eindrucksvoll, als er an der Treppe zu den Kerkern verschwand.
In Gedanken versunken schaute Tania ihm hinterher. Wer war Severus Snape eigentlich?
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