Confringo
Tania fühlte sich als würde sie vor Müdigkeit mit dem Kopf auf den Tisch krachen. Seit Tagen verbrachte sie ihre Abende in Snapes muffigem Büro, um die Klausuren der jüngeren Klassen zu korrigieren. Dabei wurde sie das Gefühl nicht los, dass diese stupide Arbeit ein weiterer Versuch war, sie loszuwerden.
Sie warf ihrem Lehrer einen finsteren Blick zu. Er saß an seinem Schreibtisch und beugte sich über denselben Aufsatz, den er vor einer halben Stunden zu korrigieren begonnen hatte. Die Tinte an seiner Schreibfeder war längst getrocknet, während er mit leerem Blick Löcher in das Papier starrte. Kopfschüttelnd rieb sich Tania die Augen. Sein Zustand bereitete ihr Magenschmerzen.
»Du solltest weniger Hausaufgaben aufgeben, Severus«, bemerkte sie trocken. »Dann könnten wir uns das ersparen.«
»Vielleicht«, murmelte Snape geistesabwesend. Schulterzuckend tauchte er seine Feder erneut in die Tinte und kritzelte ein unverschämtes Kommentar an den Rand des Aufsatzes.
Tania seufzte und widmete sich der nächsten Klausur, als plötzlich die Bürotür aufgerissen wurde.
»Todesser im Schloss!«, quiekte Professor Flitwick, der kreidebleich ins Büro stürmte und sich an einer Stuhllehne festklammerte, um nicht zu stürzen. »Severus, es sind Todesser im Schloss! Oben vor dem Zugang zum Astronomieturm! Wir müssen kämpfen! Wir dürfen keine Zeit verlieren!« Seine piepsende Stimme überschlug sich vor Aufregung, während er panisch mit seinen kurzen Armen in der Luft herumwedelte.
Bevor Tania einen klaren Gedanken fassen konnte, zog Snape mit einer fließenden Bewegung seinen Zauberstab und richtete ihn auf Flitwick. Ein roter Blitz zuckte durch den Raum und traf den kleinen Professor auf Brusthöhe. Mit einem dumpfen Geräusch brach er bewusstlos zusammen.
Tania klappte der Mund auf. Sie sprang auf ihre Füße, taumelte zurück und starrte Snape fassungslos an. Instinktiv hatte sie ihren Zauberstab gezogen und verteidigungsbereit auf ihn gerichtet.
»Was tust du?«, fragte sie schockiert, während eine entsetzliche Gewissheit von ihr Besitz ergriff. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, während ein beklommenes Gefühl ihren Brustkorb erfüllte.
Snape betrachtete Flitwick gleichgültig, bevor er seine kalten Augen auf Tania richtete. Die Drohung in seinem Blick war unmissverständlich. Eine falsche Bewegung und sie würde Flitwick auf dem Kerkerboden Gesellschaft leisten.
Mit gezückten Zauberstäben standen sie sich schweigend gegenüber. Dann stieg Snape rückwärts über den bewusstlosen Flitwick hinweg, schüttelte warnend den Kopf und rauschte ohne eine Erklärung mit wallendem Umhang aus der Tür.
Tania verharrte in ihrer Schockstarre, in dem grausamen Bewusstsein, dass sie ihn aufhalten musste, von was auch immer er vorhatte, doch sie konnte es nicht. Alles in ihr wehrte sich dagegen, ihren Zauberstand gegen Snape zu erheben.
»Lovegood und Granger, kümmern Sie sich um Professor Flitwick!«, hörte sie seinen hastigen Befehl durch den Kerkergang hallen. »Er hat einen Zusammenbruch erlitten!«
Laute Schritte näherten sich.
Geistesgegenwärtig schlüpfte Tania vom Büro ins angrenzende Zimmer. Kaum, dass sie die Tür geschlossen hatte, ertönte Lunas entsetztes Keuchen beim Anblick des bewusstlosen Professors.
Tania hastete durch das Klassenzimmer in den Kerkergang. Snape war verschwunden. Nein, das durfte nicht wahr sein! Es musste eine logische Erklärung für sein Verhalten geben.
Warum hatte er Flitwick geschockt, kaum dass er erfuhr, dass Todesser im Schloss waren? Die Antwort lag auf der Hand, doch Tania sträubte sich gegen die Wahrheit. Sie konnte sich nicht in ihm getäuscht haben - und doch waren da die Zweifel, die sie in den letzten Wochen beschlichen hatten.
Mit hämmernden Herzen hetzte sie durch Nathans Geheimgang. Sie musste mit eigenen Augen sehen, welcher Seite sich Snape anschloss. Strauchelnd kletterte sie in den Korridor und rannte die Stufen bis zum Zugang zum Astronomieturm hinab.
Schon von Weitem drangen gedämpfte Schreie und Kampfgeräusche an ihre Ohren, doch das bereitete sie nicht auf den Anblick vor, der sich ihr am Astronomieturm bot.
Der Korridor wurde vom hereinfallenden Mondlicht und den umherirrenden Flüchen in ein diffuses Licht getaucht. Ordensmitglieder und Schüler kämpften gegen die Todesser, welche mit ihren eisernen Masken und langen Umhängen angsteinflößend aussahen.
Die Anhänger der dunklen Seite waren in der Überzahl. Unzählige Flüche schossen durch den Raum und prallten von den Wänden ab. Die Bewohner der Porträts hatten längst das Weite gesucht.
Tania tauchte hinter eine Rüstung ab, als ein Fluch auf sie zuraste. Ängstlich schielte sie aus ihrem Versteck hervor. Ihr Blick blieb an einem leblosen Körper hängen. Ein Mann mit roten Haaren lag blutüberströmt mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden.
Plötzlich flog ein Körper durch die Luft und schlug einige Schritte von Tania entfernt auf dem Boden auf. Sie erkannte Neville, der mit verzerrten Gesicht über den Boden kroch. Ein Bein zog er hinter sich her, als wäre es gebrochen.
Ihr Atem beschleunigte sich. Niemand schien ihn zu beachten. Wenn sie sich beeilen würde, könnte sie ihm helfen, sich in Sicherheit zu bringen. Sie wünschte sich, mutig zu sein, doch ihr Körper weigerte sich hartnäckig, den Befehlen ihres Verstandes Folge zu leisten. Wie so oft, war sie vor Angst wie gelähmt und überließ dem Gryffindor seinem Schicksal.
»Sie haben die Treppe blockiert! Reductio! REDUCTIO!«, schrie jemand durch den Raum. Die Stimme kam ihr bekannt vor. Professor Lupin stand im Kampfgetümmel und feuerte Flüche auf den Zugang zum Astronomieturm ab. Eine Frau mit mausgrauen Haaren gab ihm Rückendeckung.
Hektisch suchte Tania die Kämpfenden nach Snape ab. Sie entdeckte ihn am anderen Ende des Raumes. Wie ein unheilbringender Schatten schritt er auf die Treppe zum Astronomieturm zu. Niemand hielt ihn auf, weder Todesser noch Ordensmitglieder.
»Snape, sie haben die Tür blockiert! REDUCTIO!«, brüllte Lupin, doch Snape ignorierte ihn und passierte den Zugang, wie nichts sonst es getan hätte.
Lupin folgte ihm und wurde von einer unsichtbaren Barriere zurückgeworfen. Tania hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, als er mit einem dumpfen Knacken auf dem Steinboden aufschlug. Die Frau mit den mausgrauen Haaren eilte ihm zu Hilfe.
Plötzlich begann der Boden zu beben. Ein riesiger Todesser hatte eine der Säulen mit seinem Fluch getroffen, welche nun wie in Zeitlupe in sich zusammensackte und die Decke mitzureißen drohte. Ohne nachzudenken stürmte Tania aus ihrem Versteck in Richtung des Treppenhauses.
Aus Angst, unter der einstürzenden Decke begraben zu werden, schnaufte sie die Treppe bis in die Eingangshalle hinab. Dicht hinter sich vernahm sie Schritte, ohne zu wissen, ob sie einem Feind oder einem Freund gehörten. Panisch stürmte sie durch das Portal in die Nachtluft und sprintete über den Rasen davon.
Ihr rasselnder Atem übertönte alle anderen Geräusche. Erst im Schutz der Gewächshäuser wagte sie es, einen Blick zurückzuwerfen. Das Schlossgelände war verlassen.
Zitternd saugte sie die kühle Luft in ihre protestierenden Lungen. Sie hatte furchtbare Angst. Angst vor den Todessern, der Wahrheit und vor allem Angst um Snape. Wo war der Tränkemeister? Was war, wenn ihm etwas zustieß? Wie würde sie jemals wieder in einen Spiegel schauen können, wenn er jemanden etwas antat?
Als Tania zum Himmel empor schaute setzte ihr Herz aus. Über der Schule schwebte das dunkle Mal. Der Totenkopf erhellte auf gespenstische Art den Umriss des Turmes, dessen Stufen Snape emporgestiegen war. Hinter den hohen Zinnen des Astronomieturms bewegten sich Gestalten. Von den Schlossgründen aus war es unmöglich zu erkennen, um wen es sich handelte.
Ein grünes Licht blitzte auf, etwas kippte über die Zinnen und fiel wie ein Stein zu Boden. Tanias Herz schlug wild, als sie wie in Trance im Schutz der Gewächshäuser auf das am Boden liegende Bündel zulief. Sie betete, dass es nicht Snapes Körper war, der den Turm hinabgestürzt war.
›Bitte nicht Severus‹, leierte sie das Mantra in ihrem Kopf hinunter. ›Alles, nur nicht Severus. Bitte nicht. Bitte, bitte nicht.‹
Als sie nur noch wenige Schritte von dem leblosen Körper entfernt war, durchströmte sie Erleichterung. Er war es nicht. Der Körper am Fuße des Astronomieturms hatte eine andere Statur, doch ihre Erleichterung wandelte sich in Fassungslosigkeit, als sie erkannte, dass es Dumbledore war. Ihrer aller Hoffnung. Tot.
Tanias Brust schnürte sich zusammen, als sie zu dem toten Schulleiter hinabblickte. Auf das bleiche Gesicht, die lange Nase und die zerbrochene Halbmondbrille. Nie wieder würde er seine Schüler anlächeln, die Schulhymne schmettern oder ihnen Mut machen. Dumbledore war fort. Er hatte sie im Stich gelassen!
Tania rieb sich ihre brennenden Augen und entfernte sich von dem Leichnam. Sie konnte die leeren Augen nicht ertragen. Ihre Schritte trommelten über den Boden, als sie zu rennen begann.
Vor ihr fiel ein schmaler Lichtstrahl über das Gelände. Jemand hatte das Eingangsportal geöffnet. Drei Gestalten zwängten sich aus der Tür und rannten in Richtung Hogsmeade davon. Trotz des schwachen Lichts erkannte sie Snape, der Draco am Arm gepackt hielt. Seine Art sich zu bewegen war ihr vertraut.
Sofort folgte sie ihnen durch die Dunkelheit. Ihre Kapuze hatte sie sich tief ins Gesicht gezogen. All ihre Sinne waren zum Zerbersten gespannt. Sie musste eine Antwort finden.
Aus den Augenwinkeln vernahm sie eine Bewegung. Zwanzig Schritte von ihr entfernt sprintete Harry dem eigenartigen Trupp hinterher.
Der Gryffindor schien vollkommen auf sein Ziel fokussiert zu sein, bis ihn ein Fluch im Rücken traf und er vornüber ins Gras kippte. Tania warf einen flüchtigen Blick zurück und sah zwei Todesser hinter ihnen laufen.
›Stupor!‹, dachte sie, während sie ihren Zauberstab auf einen der Verfolger richtete. Sofort brach dieser zusammen. Nach Luft ringend erreichte sie den Rand des verbotenen Waldes und lief im Schutz der Bäume weiter.
»Lauf, Draco!«, drang Snapes Befehl durch die Dunkelheit, bevor er sich zu Harry umdrehte. Tania beobachtete das Szenario stumm aus dem Schutz des Dickichts, während Draco hinter der Grenze disapparierte.
Harry versuchte Snape derweil mit dem Cruciatus zu verfluchen, doch dieser blockte die Zauber des Gryffindors mit beängstigender Leichtigkeit ab.
»Wehr dich!«, brüllte Harry. »Wehr dich du feiger -«
»Feigling hast du mich genannt, Potter?«, erwiderte Snape höhnisch. »Dein Vater hat mich nur angegriffen, wenn sie vier gegen einen waren, wie würdest du ihn wohl nennen?« In seiner Stimme lag die pure Verachtung.
Unentschlossen umklammerte Tania ihren Zauberstab. Sie konnte sich nicht überwinden, Harry zu helfen. Sie wollte nicht, dass die Flüche des Gryffindors Snape trafen. Was, wenn Snape seine Stellung als Spion wahrte?
Aber weshalb hatte er Flitwick geschockt? Alles sprach dafür, dass Dumbledore sich in ihm geirrt hatte! Warum war Dumbledore von dem Turm gefallen, den Snape wenige Minuten zuvor bestiegen hatte? Er hätte ihn beschützen können!
Durch das Gebrüll von Hagrid, dessen Hütte in Flammen aufgegangen war, konnte Tania kaum verstehen, was Harry und Snape sich zuriefen. Unverkennbar verspottete Snape den Gryffindor.
Plötzlich traf Harry der Fluch eines Todessers in den Rücken. Gequält kippte er vornüber ins Gras und wand sich unter Schmerzen. Tania schlug sich die Hand vor den Mund.
»Nein!«, brüllte Snape. »Hast du unseren Befehl vergessen? Potter gehört dem Dunklen Lord – wir sollen ihn am Leben lassen! Geh! Geh!« Hoffnung regte sich in ihr. Snape beschützte Harry! Das musste es sein. Es war nichts, als ein makabres Schauspiel!
Sie wich in die Dunkelheit des Waldes zurück, als weitere Todesser vorbeiliefen und disapparierten.
Harry rappelte sich auf und griff Snape erneut an, wurde jedoch zurückgeworfen. Mit angehaltenen Atem und schwitzigen Händen beobachtete Tania, wie Snape vor Harry trat, der ihm ohne Zauberstab schutzlos ausgeliefert war.
»Dann töte mich doch. Töte mich, wie du ihn getötet hast, du Feigling!«, stieß Harry hervor. Tania wurde schwindelig. Wen? Wen hatte Snape getötet? Sie konnte die Antwort in Harrys Gesicht lesen. Es spiegelte denselben verzweifelten Unglauben wider, der ihre Gefühle bestimmte. Nein. Das durfte nicht sein.
Die Tränen begannen über ihr Gesicht zu rinnen. Sie hatte Snape vertraut, ihm geholfen und ihn versorgt. Sie hatte sich geirrt. Er stand nicht auf ihrer Seite.
Sie durfte die Augen nicht verschließen. Sein Verhalten in den letzten Wochen. Seine Abneigung gegenüber Dumbledore. Der geschockte Flitwick und seine Anwesenheit auf eben dem Turm, von dem Dumbledore gestürzt war.
Das Puzzle fügte sich zusammen und Tania strömten die Tränen über das Gesicht. Sie hatte sich wider besseren Wissens in einen unausstehlichen Mann verliebt, hatte sich eingebildet, ihn retten zu können und die Wahrheit nicht hören wollen.
»NEIN, NENN MICH NICHT FEIGLING!«, schrie Snape hasserfüllt und riss seinen Stab empor, worauf Harry durch die Luft geschleudert wurde.
Im nächsten Moment rauschte ein gigantischer Hippogreif herbei und stürzte sich auf Snape. Mit den Händen über dem Kopf rannte dieser auf das Tor zu, während das Tierwesen ihn verfolgte.
Im Licht der lodernden Hütte beobachtete Tania, wie der Hippogreif hinabstieß und mit seinen Flügeln nach Snapes Rücken schlug. Dieser fiel auf den Boden, während ihm der Zauberstab aus der Hand flog. Der Hippogreif raste erneut auf Snape zu, als dieser sich auf den Rücken rollte und den Kopf in den Händen verbarg, um sich vor den todbringenden Krallen zu schützen.
Snape hatte es verdient! Er hatte verdient, dass sich die messerscharfen Klauen in seinen Körper bohrten, ihn der Lüge straften und ihn büßen ließen. Tania wusste das, doch sie konnte es nicht ertragen, konnte nicht zusehen, ohne zu handeln.
»CONFRINGO!«, brüllte sie und richtete ihren Zauberstab auf eine der Staturen am Eingangstor. Mit einem ohrenbetäubenden Knall zerbarst diese zu Staub, während die Explosion den Boden zu ihren Füßen vibrieren ließ. Sie konnte sich nicht erinnern, je einen solch kraftvollen Zauber vollbracht zu haben.
Der Hippogreif kreischte auf, wich flatternd zurück und Snape verlor keine Zeit. Er schnappte sich seinen Zauberstab, sprang auf und hechtete durch das Tor.
Während er disapparierte streifte sein Blick Tania, die keine Anstalten machte, ihn aufzuhalten.
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