Wahrheit III
Die Spannung lag schwer in der Luft. Sie war fast greifbar und raubte den Anwesenden den Atem.
Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen und versuchte sich gegen die auf sie einströmende Kälte zu wehren. Jeder Schlag schmerzte.
Liora erhob sich, schloss die Augen und atmete tief durch.
Fast schon zärtlich glitten ihre Finger über das kühle Holz des Zauberstabes ...
Was nun? Gab es einen Weg das Kommende zu vermeiden?
In ihrem Kopf spielten sich innerhalb von Sekunden verschiedene Szenarien ab, doch keines war zu ihrer Zufriedenheit ausgegangen. Es gab keinen Weg.
Wieder glitten ihre Finger über das weiche Holz. Es fühlte sich falsch an diesen wunderbaren Stab, den Snape ihr überlassen hatte um unglaubliche Wunder zu vollbringen, nun für solche Schandtaten zu verwenden, und sie spürte deutlich den Wiederwillen des Zauberstabes, als sie den nötigen Spruch in ihren Gedanken ausformulierte. Es gefiel ihr auch nicht, doch was sollte sie tun? Sie hatte keine Wahl. Früher oder später würde sie auch sicher für ihre Taten büßen, doch jetzt musste sie alles tun um nicht aufzufallen. Der Gedanke daran mit dem Geschenk ihres Meisters nun solches Unheil anzurichten, jagte ihr einen Schauer über den Rücken und anscheinend war der Stab auch noch immer nicht überzeugt. Das Holz vibrierte protestierend.
Sie musste es also anders lösen.
Liora öffnete die Augen, sah sich lauernd um und richtete den Zauberstab dann auf die Gruppe Todesser. „Expelliarmus!"
Ihre Stimme hallte durch die Stille und schon in der nächsten Sekunde hielt sie einen Zauberstab in der Hand. Es war egal von wem er war und was er bisher getan hatte – er würde seinen Zweck erfüllen. Ein kleiner Tumult brach los, als der Entwaffnete aufschrie und sich mehrere Zauberstäbe auf seine Angreiferin richteten. Liora beachtete die Meute hinter sich nicht, sondern versuchte Blickkontakt zu ihrem Herren herzustellen.
Sobald sie die rötlichen Augen gefunden hatte, hob sie den Zauberstab und drehte sich um ...
„AVADA KEDAVRA!"
........
Snape riss entsetzt die Augen auf, doch noch bevor er einschreiten konnte, hatte Liora gehandelt und ein heller grüner Blitz blendete sie alle. Sie hatte den Zauber mit einer Kraft gesprochen, die er nicht erwartet hatte und es dauerte einen Moment, bis er es wagte seine Augen wieder zu öffnen. Sekunden später ließ er auch den Arm sinken, den er schützend vor sein Gesicht gehalten hatte und sah sich um.
Liora hatte den Zauberstab noch immer gehoben und atmete schwer. Er konnte sehen wie sich ihre Brust hob und senkte, als sie angestrengt nach Luft schnappte. Ihr Blick war mittlerweile starr auf den reglosen Körper am Boden gerichtet, als könnte sie nicht begreifen, was eben geschehen war. Sie war blasser als sonst und er konnte fast zusehen, wie die Farbe weiter aus ihrem Gesicht wich.
Ihm wurde kalt, als er begriff was gerade passiert war. Es war kein Alptraum. Mitten im Salon lag die Leiche des unbekannten Mannes und sein Blut klebte an Lioras Fingern. Sie hatte getötet ...
„Mylord ...", setzte Snape an, doch er wurde von Voldemort mit einer einzigen Handbewegung zum Schweigen gebracht. Das was er auf jeden Fall vermeiden wollte, war nun doch geschehen! Liora regte sich noch immer nicht, doch er konnte sehen wie nun auch ihre Lippen blass wurden und einen ungesunden bläulichen Ton annahmen. Als würde das Leben langsam aus ihrem Körper schwinden ... Er befürchtete das Schlimmste und wenn er Recht hatte, würde die Zeit, Liora zu helfen, knapp werden.
Er wollte zu ihr! Er MUSSTE zu ihr! Musste sehen, ob es ihr gut ging. Vielleicht war es nur der Schock, doch wenn nicht ... Schlimme Dinge würden geschehen, wenn er nicht handelte und er wusste nicht wie lange er bei einem zarten Wesen wie ihr Zeit hatte! Liora würde früher oder später zusammenbrechen und er konnte nichts tun außer zusehen, solange der Dunkle Lord ihn nicht gewähren ließ.
Voldemort erhob sich nun und trat vorsichtig und mit forschendem Blick auf sie zu. Es war fast, als betrachtete er ein seltenes Insekt und Snape vermutete, dass er Lioras Zustand versuchte einzuschätzen. Hoffentlich erkannte Voldemort nicht, was gerade geschah!
Lioras Finger zitterten und sie ließ den fremden Zauberstab los. Er fiel klappernd zu Boden und rollte unbeachtet von allen Beteiligten ein Stück über den Steinboden. Langsam und fast wie im Schlaf ließ sie ihren Arm sinken und drehte sich wieder um. In ihr herrschte Leere. Nichts als Leere ...
Mit einem Schlag schienen alle Gefühle wie ausgelöscht. Etwas Kaltes war in ihren Körper gekrochen und sie spürte wie es durch ihre Adern drang und sich in jeder Pore verteilte. Es raubte ihr den Atem und gab ihr das Gefühl leer und tot zu sein. Fühlte es sich wirklich so an zu sterben? Wurde alles kalt und schwer?
Vorsichtig hob sie den Kopf und sah direkt in die Augen Voldemorts, der mittlerweile vor ihr stand und sie nicht eine Sekunde unbeobachtet ließ.
Da war es. Sie konnte es ganz deutlich sehen. Mörderin! Sie war eine Mörderin ... Die Aussage konnte sie deutlich in den Augen des Dunklen Lords lesen und es schien ihn zu erfreuen. Sie selbst glaubte den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Snape beobachtete alles schweigend und selbst als Malfoy neben ihn trat und ihm ein leises „Beeindruckend, dein Schützling." zuraunte, ließ er sich nicht ablenken. Es passte ihm gar nicht zum Beobachter abkommandiert worden zu sein und er musste all seine Selbstbeherrschung aufbringen um nicht dazwischen zu gehen, als der Dunkle Lord sich seinem Lehrling noch weiter näherte.
Voldemort hob nun eine Hand und ließ seine langen dünnen Finger über ihren Hals gleiten, während Liora versuchte ihre Atmung wieder in den Griff zu bekommen. Sein Blick blieb lange auf ihrer weichen Haut ruhen, bevor er ihr wieder in die Augen sah. Lange, viel zu lange für Snapes Empfinden. Außerdem kam er ihr zu nah ... sein Beschützerinstinkt regte sich, als Voldemort seinem Lehrling so nah kam, dass sich ihre Körper fast berührten. Irgendetwas an ihr musste ihn faszinieren, denn der Dunkle Lord suchte nie den körperlichen Kontakt. Snape ballte unauffällig die Fäuste und sah zu wie Voldemort leicht seinen Kopf senkte und Liora etwas zuflüsterte, das er trotz der Nähe nicht verstehen konnte.
„Das ist interessant ... Was auch immer du verbirgst, dein Geheimnis ist es wert dafür zu töten.", flüsterte er und Liora gab einen erschrockenen Laut von sich, als seine andere Hand sich auf ihre Hüfte legte. Sie zuckte zusammen und versteifte sich, als er sie näher an sich zog und sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Nicht in Panik geraten! 'Er tut dir nichts! Alles ist gut!', versuchte sie sich immer wieder zu beruhigen, was gar nicht so leicht war, wo sie nun auch noch die letzte – die körperliche - Grenze überwunden hatte. „Noch bist du nur eine Schülerin, doch ich plane Großes mit dir. Sobald Severus es geschafft hat, dir auch die letzten Flausen auszutreiben, wirst du ein ganz besonderes Schmuckstück unter all meinen Anhängern. Fast hätte ich deinen wahren Wert nicht erkannt, doch jetzt wirst du mir nicht mehr auskommen. Ich kann es kaum erwarten ...", hauchte er ihr ins Ohr.
Liora schloss die Augen und versuchte nicht zu schreien. Die Situation überforderte sie maßlos und sie spürte wie ihre Kräfte schwanden. Die Kälte hielt sie fest in ihrem eisernen Griff, sorgte dafür, dass jeder Atemzug schmerzte und ihr Herz sich anfühlte als würde es zerspringen.
'Du hast getötet ... deine Kräfte missbraucht ... Mörderin ...', schrie die Stimme in ihrem Kopf wieder.
Snape versuchte sich zu beruhigen, doch es fiel ihm schwer und der leise vor sich hin feixende Malfoy neben ihm machte es nicht besser. Sein Freund schien es mehr als amüsant zu finden, was gerade geschah und Snape vermutete, dass Malfoy in seiner Fantasie schon die ausgefallensten Dinge ausheckte, die er am liebsten mit Liora tun würde. Diese Flausen würde er ihm gleich wieder austreiben!
Was auch immer der Dunkle Lord Liora zugeflüstert hatte, hatte dafür gesorgt, dass sie in Panik geriet. Zwar ließ sie es sich kaum anmerken, doch Snape kannte sie mittlerweile gut genug, um es dennoch zu sehen. Der letzte Rest Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen und ihre bläulichen Lippen zitterten, als würde sie frieren. Sie versuchte gegen die Schwäche anzukämpfen und war bisher erfolgreich, doch nun verließ auch der letzte Rest an Kraft ihren Körper. Snape hielt die Luft an, als er zusehen musste, wie sie nur wenige Sekunden später das Bewusstsein verlor und kraftlos in die Arme Voldemorts glitt, der sie zu seiner Überraschung nicht einfach fallen ließ. Es war fast schon unheimlich zu sehen, wie der leblose Körper in den Armen dieses großen schlangenähnlichen Mannes hing, der dabei ein triumphierendes Lächeln aufgesetzt hatte.
Snape versuchte zu erkennen, ob sich etwas an ihrem Körper regte. Ein Zeichen oder ein Hinweis, der ihm sagte, was mit ihr los war, doch er konnte auf die Entfernung nichts entdecken. Im schlimmsten Fall war ihre reine Seele in Gefahr und wenn seine Befürchtungen sich bestätigten, war es fast zu spät um einzugreifen. Jetzt konnte er es nur noch mit Schadensbegrenzung versuchen.
Die Sorge um die junge Hexe trieb ihn schließlich dazu seinen Posten als Beobachter zu verlassen und zu seinem Herren zu gehen. Alles was er wollte, war sie so schnell wie möglich hier raus zu bringen. „Mylord, der Fluch scheint ihr alle Kräfte geraubt zu haben. Es war ihr erster tödlicher Fluch, bitte verzeiht, wir werden daran arbeiten. Wenn Ihr erlaubt, nehme ich sie Euch ab.", sagte er ruhig und streckte die Arme schon aus um Lioras Körper an sich zu nehmen. Doch noch musste er sich gedulden, denn Voldemort wollte sie nicht ganz so schnell freigeben.
„Fürwahr, der Fluch war sehr stark ... Lass mich etwas überprüfen, Severus, dann bekommst du sie sofort wieder.", vertröstete Voldemort ihn und legte seine linke Hand auf Lioras Kopf. Seinen anderer Arm lag noch immer um ihre Taille, was ihre Arme und Kopf baumeln ließ, als wäre sie eine kaputte Puppe. Es sah bizarr aus.
Der Dunkle Lord sah konzentriert aus und bewegte lautlos die Lippen, als würde er einen Zauber murmeln. Was auch immer er gerade tat, das Ergebnis schien ihn nicht zufrieden zu stellen, denn sein Blick verfinsterte sich. „Ein ärgerlicher Umstand. Ich kann nichts mehr finden ... dabei war ich sicher, dass sie einen Hauch der Magie in sich trägt ...", sagte er leicht enttäuscht und war plötzlich nicht mehr so begeistert von seinem 'Spielzeug'.
„Was meint Ihr damit, Mylord?", fragte Snape nach, während Blick noch immer auf Liora ruhte.
„Ich war sicher einen Hauch der Seelenmagie an ihr zu spüren. Nur ganz leicht, aber dennoch vorhanden. Nun kann ich jedoch nicht die geringste Spur in ihrem Körper finden. Nimm sie, Severus, ich habe für heute genug."
Snape beeilte sich die bewusstlose Hexe hochzuheben, da der eben noch so faszinierte Voldemort sie nun doch völlig desinteressiert fallen ließ. Geschickt überspielte er seine Sorge um die junge Frau mit geübter Gleichgültigkeit. „Erlaubt, dass ich sie kurz versorge, Mylord.", bat er und wandte sich schon in Richtung einer unauffälligen Tür am Rande des Salons. Ohne ihm weitere Aufmerksamkeit zu schenken, erlaubte der Dunkle Lord es mit einer kurzen Handbewegung und Snape beschleunigte seine Schritte um den Salon zu verlassen.
Er beeilte sich im Nebenraum, der eine verstaubte Couch und ein ungenutztes, leeres Bücherregal enthielt, einen einigermaßen bequemen Platz zu finden und legte Liora nach einem kurzen Reinigungszauber auf der abgenutzten Couch ab. So schnell es ihm möglich war, zog er seinen Zauberstab und berührte vorsichtig ihre Brust. Ein Diagnosezauber bestätigte ihm, dass körperlich alles in Ordnung war, doch um ihre Seele stand es nicht gut. Er seufzte leise und ärgerte sich, nicht eingegriffen zu haben. Das hätte nie passieren dürfen! Sein Versprechen sie vor solchen Gefahren zu schützen, hatte er damit gebrochen ...
Gerade durchsuchte er die Innentaschen seines Umhangs, als Liora mit einem leisen Husten wieder aus ihrer Ohnmacht erwachte und flatternd die Augen öffnete. Sie sah sich nach ihm um. „Wo bin ich?", flüsterte sie kaum hörbar und Tränen stiegen ihr in die Augen. „Severus, wo bin? Was habe ich getan? Ahh ..." sie zuckte vor Schmerz zusammen und griff sich an die Brust. „Es tut so weh ... als ob mir jemand das Herz rausreissen möchte ...", weinte sie und Snape ließ sich kurz dazu hinreissen ihr beruhigend über die Stirn zu streichen, bevor er sämtliche Phiolen, die er immer für Notfälle dabei hatte, betrachtete und entschied, welche Mischung an Tränken ihr helfen könnte.
„Ich kriege keine Luft ... was geschieht mit mir?", hauchte Liora und griff sich hustend an den Hals. Die Angst zu sterben stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben und er konnte es nur zu gut verstehen. „Du hast einen Menschen getötet und die Schuld, die du damit auf dich geladen hast, wird langsam deine Seele zerstören.", erklärte er möglichst sachlich und machte sich daran ein paar der Phiolen zu entkorken und sie untereinander zu mischen. „Meine Seele ...? Habe ich sie zerstört?", flüsterte Liora und Tränen sammelten sich in ihren Augen. „Nein, nicht direkt. Böse Menschen, die böses tun, spüren nichts. Gute und reine Menschen wie du verkraften eine solch bösartige Tat meist nur sehr schlecht. Die Dunkelheit wird versuchen sich in deinem Körper auszubreiten, dort all deine Gefühle und schließlich deine zersplitterte Seele verschlingen.", fuhr er fort und hoffte, dass dieser Fall nicht eintreffen würde. Vielleicht konnte er eine größere Katastrophe verhindern.
Mit geübten Griffen ließ er die Phiole dann genau dreimal im Uhrzeigersinn kreisen. „Du kannst mich doch retten ...", ihre leise Stimme klang verzweifelt und Snape sah zu, wie der Trank in der Phiole die Farbe wechselte und jetzt ein blasses Blau annahm. „Ich kann momentan nicht sehr viel tun um dich zu kurieren, aber zumindest kann ich die Dunkelheit davon abhalten deine Gefühle und damit deine Seele weiter anzugreifen. Allerdings muss ich für eine Weile beides auf Eis legen und deine Erinnerung an den Vorfall blockieren. Das schützt dich lang genug, bis wir wieder auf Hogwarts sind.", flüsterte Snape und half ihr, sich aufzusetzen. Sie lehnte sich erschöpft an seine Schulter und Snape hielt ihr die Phiole an die Lippen.
Sie schluckte alles ohne das geringste Zögern und schloss dann die Augen. Das leere Gefäss verstaute er solang wieder in seinem Umhang und legte dann vorsichtig einen Arm um sie. Das Warten auf die Wirkung des Trankes zog sich gefühlt eine Ewigkeit hin. Es erschien ihm sinnvoll, noch einmal zurück zu gehen, damit der Dunkle Lord sich von ihrer Unversehrtheit überzeugen konnte. Anschließend würde er darauf hinarbeiten das Anwesen zu verlassen.
Ein leichtes Zittern fuhr durch den Körper der jungen Hexe in seinem Arm und als er zu ihr runter sah, hob sie gerade die Hand um sich verwirrt an die Stirn zu fassen. „Was ist geschehen?", flüsterte sie und verzog das Gesicht. „Du bist zusammengebrochen. Die Sache mit Potter scheint dich mehr zu belasten, als ich gedacht habe. Wir sollten später dringend darüber sprechen, aber jetzt lass uns zurückgehen.", sagte er und hoffte, sie mit dieser kleinen Lüge auf eine falsche Fährte locken zu können.
Liora sah ihn fragend an und Snape musste schlucken, als er feststellte, dass ein Schatten über ihren blaugrünen Augen lag und das sonst so lebendige Funkeln erloschen war. Sie war nicht die Selbe, auch wenn das auf den ersten Blick nicht zu erkennen war. Nicht die geringste Gefühlsregung war zu erkennen, als sie über seine Worte nachdachte. „Was ist geschehen, als ich zusammengebrochen bin?", fragte sie und erhob sich von der Couch. Sie ging ein paar Schritte durch den Raum, betrachtete ihre Hände und strich dann ihrem Umhang glatt. Endlich kehrte auch wieder etwas Farbe in ihr Gesicht zurück und sie sah nicht mehr aus wie ein Geist. „Du hast einen komplizierten Zauber ausgeführt. Er hat dich mehr Kraft gekostet, als erwartet und da du sowieso schon angeschlagen warst, wundert es mich nicht, dass du umgekippt bist.", erklärte Snape und stand ebenfalls auf. Liora musterte ihn ausdruckslos, als er zur Tür ging und diese öffnete.
„Ich habe also versagt ... Glaubst du, ER ist wütend?", fragte sie leise und folgte ihm. Snape hob ratlos die Schultern, doch nicht weil er diese Frage nicht beantworten konnte, sondern eher weil er sie in dieser Art nicht erwartet hatte. Sie erkundigte sich zuerst, ob ihr Fehler Konsequenzen nach sich ziehen würde ... ihr Verstand arbeitete rational, statt emotional. Der Trank wirkte also und sie hatten Zeit gewonnen, bis er ihr wirklich helfen konnte.
Besorgt sah er zu wie Liora sich an ihm vorbeidrängte und zurück in den Salon eilte. Er folgte ihr schweigend. Gerade schloss er die Tür, als eine ihm nicht unbekannte schrille Stimme sich lautstark beschwerte und über die unerwartete Unterbrechung durch Liora schimpfte.
Er sah sich um und beobachtete, wie Liora mit eiligen Schritten durch den Salon schwebte und die komplette Aufmerksamkeit der noch Anwesenden auf sich zog. Ihm entwich ein boshaftes Grinsen, als er sah, dass Liora mitten in einen von Bellatrix' ausführlichen Berichten hineinplatzte und ihr damit eine Chance verdarb sich bei ihrem Herren ein paar Pluspunkte zu verdienen. Bellatrix war kurz davor zu explodieren, doch das würde er riskieren, wenn er dafür miterleben durfte, wie sie gedemütigt wurde.
Liora eilte einfach an ihr vorbei und warf sich genau vor dem thronartigen Sitz in dem Voldemort nun Platz genommen hatte, auf die Knie. Bellatrix wich, entsetzt über diese Dreistigkeit, zurück und in ihrem Gesicht war deutlich zu sehen, dass sie Liora am liebsten in der Luft zerreissen würde, weil sie ihr die Tour vermasselte. Gut so! Es wurde Zeit, dass jemand begann an Bellatrix' Position zu sägen und warum sollte es nicht Liora sein? Eine würdige Konkurrentin um die Gunst des Dunklen Lords war sie.
Snape sah sich forschend um und stellte fest, dass sich der Kreis der Anwesenden auf Voldemorts engste Vertraute reduziert hatte. Nur noch Malfoy war anwesend, sowie Bella's Ehemann Rodolphus Lestrange, Antonin Dolohow und Rabastan Lestrange. Vermutlich hatten sie gerade ein weiteres Vorgehen erläutert, was das Anwerben neuer Anhänger anging. Die Armee des Dunklen Lords hatte noch lange nicht die Größe, die er benötigte um als alleiniger Herrscher bestehen zu können. Snape warf einen Blick zu der Stelle wo der tote Zauberer gelegen hatte. Die Leiche war weg. Nichts wies mehr darauf hin, was Liora noch vor Kurzem getan hatte.
Er hielt sich also im Hintergrund und beschloss lediglich zu beobachten. Sie würde schon durchhalten, bis sie zurück im Schloss waren.
Liora hob, noch immer kniend, ungefragt den Kopf und genau wie sie es sich erhofft hatte betrachtete Voldemort sie mit einem lauernden Blick. Er sah nicht wütend aus, sondern erwartungsvoll und das bestätigte ihre Annahme, dass sie etwas gut machen musste. Er sollte wissen, dass sie selbst nicht mit ihrer Leistung zufrieden war. „Mylord, es tut mir Leid, dass ich Euch enttäuscht habe indem ich Schwäche gezeigt habe. Ich gelobe mich zu bessern und Euren Ansprüchen in Zukunft voll und ganz gerecht zu werden.", flüsterte sie und versuchte aus seinem regungslosen Gesicht etwas herauszulesen.
Sie wusste, dass Bellatrix hinter ihr nur darauf wartete, dass Voldemort sie zum Abschuss frei gab. Die Todesserin schimpfte leise vor sich hin und marschierte wütend auf und ab. Sollte der Dunkle Lord sich entscheiden Liora für ihre Respektlosigkeit zu bestrafen, wäre Bellatrix die Erste, die ihr einen Cruciatus an den Hals hetzte.
Doch er tat es nicht. Er tat gar nichts und das war nicht weniger beängstigend. Liora schloss kurz die Augen, als er noch immer keine Regung zeigte und beschloss sich zurück zu ziehen. Sie senkte ihr Haupt und wollte sich gerade abwenden, als ...
„Warte.", sagte er und Liora hielt inne. Sie spürte, wie er ihr Haar berührte und wartete reglos ab, was auf sie zukommen würde.
Snape hob stumm die Augenbrauen und als Malfoy, der neben ihm stand, ihm einen unauffälligen Stoß mit dem Ellbogen verpasste, wandte er seine Aufmerksamkeit von Liora ab und sah zu wie Bellatrix mit vor Wut glühenden Augen auf ihn zu kam.
„Serverus! Steh nicht nur so dumm herum, sonder tu etwas!", fauchte sie. Snape und Malfoy tauschten kurz ratlose Blicke und Malfoy hob die Schultern, um zu unterstreichen, dass er sich nicht vorstellen konnte, was seine Schwägerin wollte. „Ich fürchte, ich kann dir nicht folgen, liebste Bella.", antwortete Snape ihr gespielt ahnungslos und ohne eine Miene zu verziehen.
„Das weißt du ganz genau! Pfeif deine kleine Hure zurück!", zischte sie und warf Liora einen tödlichen Blick zu.
„Ah, du meinst Liora? Nein. Warum sollte ich das tun? Wie du selbst sehen kannst, hat der Dunkle Lord seine Freude an ihr. Ich glaube es wäre unangebracht ihm diese zu nehmen.", antwortete Snape leise und setzte ein selbstgefälliges Grinsen auf. Er wusste genau wie sehr Bellatrix Konkurrenz hasste und wie sehr sie sich bemühte den Platz an der Seite Voldemorts zu verteidigen. Ihre Art den Dunklen Lord zu vergöttern und all seine Wünsche mit vollster Hingabe zu erfüllen grenzte schon fast an Wahnsinn.
„Dieses Dreckstück steht mir im Weg! Sie stört!", fauchte sie boshaft.
„Aber nur dich, mich nicht. Sieh es als einen Wettstreit um die Gunst unseres Herren. Wenn er dir so wohlgesonnen ist, wie du glaubst, solltest du nichts zu befürchten haben.", sagte Snape mit gelassener Stimme und wusste genau, dass er damit Unfrieden stiftete. Malfoy neben ihm schmunzelte amüsiert, schwieg jedoch.
„Ich werde dafür sorgen, dass deine unwürdige kleine Hure sich schon bald wünscht, jemand würde ihr die Gnade erweisen und sie töten!", giftete Bellatrix, was Snape einen empörten Laut entlockte. „Du vergisst dich, Bellatrix! Es soll doch nur ein kleines Kräftemessen werden. Kein Grund gleich ausfallend zu werden und meinem Lehrling Gewalt anzudrohen. Außerdem solltest du dir im Klaren sein, dass jeder Versuch Liora etwas anzutun dazu führt, dass ich ICH mich in dieses Spiel einmische! Sei gewarnt."
„Das werden wir sehen!" Bellatrix schnaubte abfällig und eilte mit einem wütenden Blick zu Malfoy, der sich nicht wie von ihr erwartet auf ihre Seite gestellt hatte, fort. „Ich bin entzückt! Genau so habe ich mir das vorgestellt. Dein kleiner Schützling läuft dem Liebling des Dunklen Lords den Rang ab ...", amüsierte Malfoy sich und grinste nun zufrieden.
„Abwarten. Ich habe nicht vor Liora in ein Haifischbecken zu werfen. Mit Bellatrix ist nicht zu scherzen, auch wenn es verlockend wäre sie in ihre Schranken zu weisen.", antwortete Snape ernst und wandte sich wieder dem Geschehen rund um den Dunklen Lord zu. Liora kniete noch immer vor ihrem Herren auf dem Boden, doch sie war näher zu ihm gerutscht und wechselte augenblicklich ein paar vertraute Worte mit dem Dunklen Lord, worauf hin dieser sich im Salon umsah und ihr kurz antwortete.
Die Interaktion mit einem launischen und von Grund auf bösen Wesen wie Voldemort, war erfahrungsgemäß ein schwieriges Spiel, doch Liora beherrschte es schon wunderbar. Sie ging in ihrer Rolle als angehende Todesserin völlig auf und war überzeugender, als Snape sich je erwartet hatte. Vielleicht sogar zu überzeugend. Zwar war es beruhigend zu sehen, dass sich für den restlichen Abend keine weiteren Katastrophen abzeichneten, doch er war kurz davor Liora in der Dunkelheit von Voldemorts Welt zu verlieren. Er musste sie da raus holen. Rechtzeitig die Notbremse ziehen. Snape nahm sich vor sie sobald sie zurück auf Hogwarts waren in alle Details seiner Arbeit als Spion einzuweihen. Sie durfte nicht zu einer solch verdorbenen Gestalt wie Bellatrix werden.
„Was hast du getan, dass sie nicht augenblicklich dem Wahnsinn und der Dunkelheit verfällt?", fragte Malfoy leise und seine Stimme klang ehrlich interessiert.
„Ich weiß nicht wovon du sprichst, Lucius.", antwortete Snape mit gleichgültigem Tonfall, um jegliche Vermutung, er hätte in irgendeiner Form eingegriffen im Keim zu ersticken.
„Doch, das weißt du ganz genau. Verkauf mich nicht für dumm, Severus! Sie hat heute viel mitgemacht, stimmt's? Draco hat mir berichtet, dass sie heute morgen schon nicht besonders munter ausgesehen hat. Anscheinend hat sie Ärger mit der kleinen Blutsverräterin Weasley. Weißt du, die Schüler reden sehr viel und ich habe die ganze Geschichte mit Potter interessiert verfolgt ...", flüsterte Malfoy in einem gespielt mitleidigem Tonfall. Snape ballte wieder die Fäuste, ließ sich aber sonst nichts anmerken.
„Stell dir nur vor, jemand könnte dem Dunklen Lord von all diesen Dingen berichten? Was würde er sagen? Ob er begeistert wäre? Bestimmt nicht und sie wäre die Erste, die seinen Zorn zu spüren bekäme. Die arme Kleine opfert sich ganz schön auf für dich und deine Lügen, Severus. Es wäre nicht fair sie zum Dank ins offene Messer laufen zu lassen."
Diesmal drehte Snape sich um und hob eine Augenbraue. „Was willst du, Lucius? Ist das gerade der Versuch mich zu erpressen?", wollte er kühl wissen, doch Malfoy winkte ab. „Nein, das einzig Interessante in deinem Besitz ist die kleine Seelenwächterin und um an sie ran zu kommen, muss ich dich nicht erpressen. Sie wird mir früher oder später von selbst in die Arme laufen. Was mich mehr interessiert, ist dein Netz aus Lügen ...", flüsterte Malfoy und lächelte übertrieben freundlich.
„Meine Lügen?", wiederholte Snape ungläubig.
„Ja. Severus, ich bin dein Freund und das weißt du. Du kannst mir vertrauen, auch wenn du es kategorisch ablehnst irgendwem zu vertrauen! Ich kenne dich und du hast dich verändert. Wegen ihr! Sie kam und du spielt mehr denn je den moralisch unantastbaren Heiligen. Was hast du dir nur gedacht, Severus? Allein die Idee sie auszubilden war das Dümmste, das du je vorgeschlagen hast! Sie ist keine von uns! Ich erkenne verdorbene Huren und boshafte Weiber und kann dir sagen, sie ist eines der reinsten magischen Wesen, die mir je begegnet sind! Sie könnte einen verdammten Einhorn Konkurrenz machen. Sobald dein Trank nachlässt – denn ich vermute, du hast ihr irgendetwas gegeben - wird sie zusammenbrechen. Sie hat heute Abend einen unschuldigen Menschen getötet, um den Schein zu wahren ... Sie hat es für dich und deine Spielchen getan ... Wenn sie fällt, wird auch dein Lügenvorhang fallen.", sagte Lucius mit einem vielsagendem Blick, bei dem sich Snape nicht sicher war, ob er warnend oder lauernd war.
Er war sich sicher, dass Malfoy nur darauf wartete einen Schwachpunkt zu finden, der ihm die Gelegenheit gab sich Liora unter den Nagel zu reissen, doch diesen Vorwand würde Snape ihm nicht liefern. „Als ob du dich wirklich für ihr Seelenheil interessieren würdest, Lucius. Ich kann mir vorstellen was sich in deinem von Lust gesteuerten Gehirn wirklich abspielt und verspreche dir, dass nichts davon jemals Realität werden wird. Sie ist MEIN Lehrling und ich werde nicht zulassen, dass du ihr zu nahe kommst. Du kannst also mit diesem Spiel aufhören und dich weiterhin nur um deine Belange kümmern." Malfoy lachte leise, als Snape die Arme verschränkte und düster drein blickte.
„Ja, du hast mich erwischt! Ich gebe zu, es macht mich tatsächlich ein wenig neidisch zu sehen, wie sehr sie dir verfallen ist. So eine Verschwendung, dieses hübsche Ding für deine Zwecke zu opfern ohne mal von ihr zu kosten, Severus. Aber ich kann mich mit dem Gedanken trösten, dass sie dank Potter zumindest nicht als Jungfrau sterben wird ...", flüsterte Malfoy mit einem boshaften Lächeln.
„Halt den Mund! Du bist ein so hinterhältiges Stück Dreck, Lucius! Wenn du mich erpressen willst, dann versuch es ruhig, aber du wirst sie nicht bekommen! Egal wie viele Geschichten du erfindest, ich werde nicht zulassen, dass du deinen Willen bekommst!", zischte Snape wütend und wandte sich dann ab, um nach Liora zu sehen. Malfoy war eine Plage, wenn er versuchte etwas zu bekommen, das ihm nicht zustand. Er war stur und konnte unfair werden, das wusste Snape und es machte die ganze Situation nicht besser. Sollte sich Lucius Malfoy nun ernsthaft einmischen und seine Pläne sabotieren, wären sowohl er, als auch Liora in Lebensgefahr.
„Serverus!", Malfoy hielt seinen alten Freund auf und dieser reagierte nur, weil plötzlich jegliche Arroganz aus der Stimme des Anderen gewichen war.
„Was?!", kam es genervt zurück.
„Dir liegt etwas an diesem Mädchen?", flüsterte Malfoy und kniff die Augen zusammen. Snape schnaubte abfällig. „Glaub was du willst, wenn es dir hilft dich besser zu fühlen, Lucius. Es geht dich gar nichts an!", wehrte er ab und versuchte abzuschätzen, welches Spielchen Lucius Malfoy nun wieder versuchte. Der einfühlsame Freund, der doch nur helfen wollte? Eher unwahrscheinlich, da der Malfoy-Clan nicht gerade durch Nächstenliebe und Verständnis seine Bekanntheit erlangt hat.
„Sei nicht so verbohrt, Severus! Ich konnte nicht ahnen, dass gerade du, der sich von allen Menschen fern hält, jetzt eine Schwäche für rebellische kleine Hexen entwickelt? Aber wenn es so ist, wirst du nicht zulassen, dass sie in die Dunkelheit abrutscht. Du wirst versuchen das zu verhindern und wahrscheinlich hast du ihr bereits irgendwas gegeben, das den Prozess aufhält. Das wird aber nicht reichen und du weißt das. Sie wird zerbrechen, wenn du sie nicht bald hier weg bringst!", flüsterte Malfoy eindringlich und Snape sah ihn misstrauisch an. Das waren ja ganz neue Töne!
Malfoy schien es aus irgendeinem Grund ernst zu meinen. In seiner Stimme waren weder Ironie noch Boshaftigkeit zu finden. Doch warum? Woher dieses plötzliche Interesse an Liora? Er musste vorsichtig sein, denn kein Malfoy tat etwas, ohne einen Hintergedanken! Was auch immer der Mann mit den kühlen grauen Augen plante, Snape würde darauf achten nicht unvorsichtig in eine Falle zu tappen.
„Du entschuldigst mich.", sagte er deswegen nur, ließ Malfoy stehen und schritt langsam durch den Salon zu Liora und dem Dunklen Lord, der gerade dabei war mit Rabastan Lestrange über das Anwerben von Muggeln zu sprechen. Liora saß noch immer zu Füßen des dunklen Lords und lauschte aufmerksam den Gesprächen, wobei ihre Augen immer wieder zwischen den beiden Sprechern hin und her glitten.
Snape stellte zufrieden fest, dass Voldemort sie problemlos in seiner Nähe duldete und sie kaum beachtete. Sehr gut! Solang er sie so nah an sich ran ließ, bestand kein Grund daran zu zweifeln, dass Lioras Position vorerst gesichert war. Wenigstens das konnte er als Erfolg verbuchen. Gerade wollte er sich etwas entspannen, als er bemerkte, mit was Voldemorts linke Hand spielte. Während er in seiner Rechten noch immer seinen Zauberstab hielt und ihn nur hin und wieder drehte, konnte Snape zwischen den Fingern seiner Linken etwas rotes entdecken. Mehrere von Lioras langen Haarsträhnen hatten sich aus dem Knoten in ihrem Nacken gelöst und eine davon wickelte der Dunkle Lord gerade nachdenklich um einen seiner Finger. Snape presste die Lippen aufeinander. Dieses kleine Detail versetzte ihm einen Stich, doch er ließ es sich nicht anmerken.
Mit ausdrucksloser Miene, aufrechter Haltung und verschränkten Armen blieb er in Lioras Nähe stehen. Nah genug um alles mitzubekommen, aber weit genug entfernt um sich zum aktuellen Thema nicht äußern zu müssen. Liora bemerkte die Bewegung und sah sich kurz zu ihm um.
Snape erwiderte ihren Blick kurz, hielt ihm aber nicht lange stand. Er schaffte es einfach nicht ... Die Leere in ihren Augen tat ihm weh. Zwar wusste er, dass es der Trank war, der ihre Emotionen unterdrückte, doch er bekam so einen Vorgeschmack auf das, was Liora schon bald sein würde, wenn er es nicht verhinderte.
Nachdem sie nun ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte, wäre der nächste Schritt nicht mehr groß.
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