Wahrheit? II
Liora hielt die Luft an.
Es war nur ein Gefühl, doch sie war sich sicher, dass er sie gerade ansah. Ihre Vermutung wurde auch sofort bestätigt.
„Deine Schülerin ist heute so schweigsam, Severus. Hast du es endlich geschafft, ihr die Flausen auszutreiben?", fragte der Dunkle Lord an Snape gewandt. „Ich gebe mein Bestes, Mylord. Sie ist auf dem besten Weg, Euch eine treue Anhängerin zu werden. So, wie Ihr es wünscht.", erklärte Snape kühl und Liora verdrehte die Augen. Wenn der wüsste ...
Anscheinend dachte der Dunkle Lord das Selbe, denn er ließ ein abfälliges Schnauben hören. Die letzte Begegnung mit ihr, war noch nicht lange her und er hatte sicher noch alles frisch in Erinnerung, was sie gesagt und getan hatte. Vorerst ging er jedoch nicht weiter drauf ein. Das vorherrschende Thema waren die Elemente und sie hoffte stark, dass er mit seinen Vermutungen was den Kristall und die Seelen anging auf der falschen Fährte war.
„Mich stellt diese Sache mit der geflohenen Seele vor ein riesiges Problem, Severus.", fuhr der Dunkle Lord nun fort und schien seine Aufmerksamkeit wieder dem eigentlichen Thema zuzuwenden. Sie konnte ihn wegen ihrer gebückten Haltung nicht sehen, hörte jedoch, wie sich seine Schritte entfernten. „Ich habe darüber nachgedacht und ich glaube mittlerweile zu wissen, warum die Kräfte der vier Seelen blockiert worden sind. Nicht Etwas, sondern Jemand muss sie gewarnt haben. Ich bin mir mittlerweile sicher ... Sobald wir angekommen sind hat JEMAND die Kräfte blockiert ... deswegen war die Seele nicht mehr aufzufinden und deswegen konnte ich vorher keinen Schutzzauber ausmachen. Sie lebt möglicherweise noch immer unerkannt unter uns ...", sagte er nachdenklich.
Liora spürte wie ihre Handflächen nass wurden und ihr Herzschlag für einen Moment aussetzte. Sie hielt instinktiv die Luft an. Nein! Bitte nicht! Ihr Puls begann zu rasen und wenn sie Pech hatte konnte er ihre Angst bereits riechen. Sie schallt sich innerlich für dieses Verhalten. Keine Schwäche zeigen ...
„DiePerson, die uns Antworten auf all diese Fragen geben kann, ist heute Abend anwesend!", rief Voldemort und ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Reihen der anwesenden Todesser. Sie konnte sie flüstern hören und es war auch vereinzelt das Rascheln der Umhänge zu vernehmen. Jeder schien sich plötzlich nach dem Verräter umzusehen, der angeblich unter ihnen war, doch keiner fand etwas. Wie denn auch? Die Todesser der niederen Ränge knieten noch immer, wie sie selbst, am Boden und solang ER sie nicht aufforderte, würden sie auch noch dort bleiben.
„Ich weiß was du getan hast! Steh auf Liora und stehe mir Rede und Antwort!", befahl Voldemort schließlich und Liora folgte schweigend. Ihre Knie zitterten, als sie sie langsam aufstand und versuchte möglichst unschuldig auszusehen. Mit viel Glück würde er sie nicht lange leiden lassen, sondern sie einfach wieder zurück in ihr dunkles, dreckiges Verließ werfen. Tot würde sie ihm auch gar nichts nutzen.
Sie konnte deutlich das Murmeln der anderen Anwesenden hören und wagte einen kurzen Blick unter ihrer Kapuze hervor. Die Tatsachen, dass Snape als einzige Reaktion lediglich eine Augenbraue gehoben hatte verunsicherten sie. Wusste er etwas? War es ihm vielleicht sogar egal, was hier geschah? Malfoy dagegen war sehr unentspannt. Er hielt mit beiden Händen sein Gehstock fest und sah aus, als wollte er auch nur beim geringsten Anzeichen von Gegenwehr ihrerseits den Zauberstab ziehen.
Ein leichter Schwindel ergriff sie. Na wunderbar! Aus diesem Netz kam sie so leicht nicht mehr heraus! Sollte Voldemort wirklich herausbekommen haben, was in dieser Nacht geschehen war und wer welche Rolle in dem Tumult übernommen hatte, wäre sie direkt in seine Falle getappt, indem sie heute Abend hier erschienen war. Jetzt hatte er sie endgültig ...
Alles was sie jetzt noch tun konnte war das Selbe, das Snape tat ... Ihn anlügen und hoffen, dabei nicht aufzufliegen ... Ein gewagter Plan, doch er konnte erfolgreich sein!
Liora versuchte ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen und rief sich zur Ordnung. Wenn Snape das konnte, dann schaffte sie es auch! Alles was sie brauchte war die nötige Dreistigkeit das alles durchzuziehen. Immerhin würde er sie nicht sofort töten, da war sie sicher. Es bestand also eine Chance, das alles unbeschadet und ohne ihre Geheimnisse preis zu geben, zu überleben. Sie hielt den Kopf gesenkt, um eine gewisse Distanz zu wahren, doch ihr war klar, dass er auf sie zukam und bereits war jegliche Grenze zu überschreiten.
Seine Schritte waren leise – fast schleichend. Er würde sie schon bald erreicht haben. Liora ballte die Fäuste und versuchte nicht unsicher zu wirken. Das Letzte was sie wollte war, dass er ihre Schwäche wieder ausnutzte wie beim letzten Mal. Nein, diesmal war sie vorbereitet! Ihre Gefühle würden ihr nicht im Weg stehen! Und so schwer es für sie war, auch ihr Stolz hatte hier nichts zu suchen ... Was auch immer er von ihr wollte, sie durfte nun nicht zögern ihm Folge zu leisten. Durfte sich nicht wieder gegen ihn wehren und eine weitere Strafe provozieren. Tief durchatmen und durchhalten.
Als er endlich vor ihr stand, zog er ihre Kapuze mit einem einzigen Ruck herunter und musterte sie lange abschätzend. Liora wich seinem Blick aus und sah nach unten. Heute wollte sie ihm nicht in die Augen sehen. Zumindest jetzt noch nicht. „Liora ... Ich habe sehr intensiv über unser letztes Treffen und unser kleines Gespräch nachgedacht. Über all das, was ich in deinem Kopf gesehen habe. Zugegeben, du hast es mir nicht leicht gemacht und ich hatte daran zu kauen, doch nun bin ich mir sicher. DU hast die Seele entkommen lassen. DU hast den Zauber aktiviert! DU bist die Wächterin dieser Seele! Wie hast du das gemacht?", fragte er und erhielt genau die Reaktion die er zu erwarten schien.
Liora hob erschrocken den Kopf und sah ihm nun doch sehr überrascht in die Augen. Allerdings aus anderen Gründen, als er vermutete. Sie hatte gedacht, er wüsste tatsächlich die ganze Wahrheit, doch sie hatte sich geirrt. Der Dunkle Lord hatte keine Ahnung! Nicht die geringste! Er hielt sie für eine Seelenwächterin! Am liebsten hätte sie sofort schallend losgelacht, doch sie konnte diesen Impuls unterdrücken, ohne die Miene zu verziehen. Es gab also noch Hoffnung, diese Geschichte nicht ganz so dramatisch enden zu lassen, wie sie es erwartet hatte. Alles was sie zu tun hatte, war sich eine glaubwürdige Geschichte zurecht zu legen und sie ihm als die Wahrheit zu verkaufen. Die Vorlage für ihre Lüge hatte er gerade eben selbst geliefert!
Am liebsten hätte sie vor Erleichterung gelacht, doch sie beschränkte sich darauf, überzeugend misstrauisch auszusehen. Sollte er nur glauben, dass er sie erwischt hatte. Es war einfach lächerlich! Voldemort ahnte von seiner Fehleinschätzung nichts. Er lächelte triumphierend, in dem festen Glauben sie enttarnt zu haben und Liora würde alles dafür tun, dass er die Zeichen auch weiterhin falsch deutete.
„Wusste ich es ...", sagte er leise, grinste triumphierend und packte grob Lioras Kinn.
Snape währenddessen tat gelassen, doch in seinem Kopf arbeitete es auf Hochtouren. Fragen und Vermutungen drängten sich ihm auf, doch in all der Informationsflut konnte er kaum eine klare Linie finden, die ihn zur Lösung führte. Was sollte Liora damit zu tun haben? Bis jetzt war sie nur ein zufälliges Opfer eines Überfalls gewesen, doch sowohl der Dunkle Lord, als auch er, Snape, hatten etwas übersehen, was die rothaarige Hexe anging. Und plötzlich war da kein Zufall mehr ...
Ja, er war unaufmerksam gewesen und hatte seine Pflichten als Spion etwas vernachlässigt. Vieles hatte er infrage gestellt, doch er hatte nie hartnäckig nachgefragt, warum genau das Kloster eigentlich überfallen worden war und weshalb Liora eine solch gut ausgebildete Hexe war. Sollte sie tatsächlich mehr wissen, als sie zugab? Was für eine Frage! Natürlich wusste sie mehr! Von Anfang an hatte sie alle Informationen, die auch nur im Geringsten mit ihrem vorherigen Leben zu tun hatten zurückgehalten und er war so dumm gewesen das Interesse daran zu verlieren.
Wie hatte er das nur so vernachlässigen können? Womöglich führte sie ihn schon seit einer Ewigkeit an der Nase herum und er war zu gutgläubig um in ihr eine Gefahr zu sehen. Am liebsten hätte er sich geohrfeigt.
„Ich habe nichts getan, wofür ich mich schämen oder entschuldigen sollte, Mylord.", antwortete sie nun leise und er entdeckte das ihm schon all zu bekannte unverschämte Lächeln auf ihren Lippen. Doch das war nicht alles, was ihm auffiel. Was auch immer es war, es schien ihr ein fast schon unangebrachtes Selbstbewusstsein zu verleihen. Weder in ihren Augen, noch in ihrer aufrechten Körperhaltung war nur der Hauch einer Unsicherheit zu erkennen. Was es sein konnte, das sie nun beflügelte, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Machte es ihr denn nichts aus, dass sie enttarnt worden war? Er konnte ihr Verhalten einfach nicht einordnen. Sie sollte Angst haben und alles abstreiten ...
Voldemort musterte sie lange. Sein Blick war starr auf sie gerichtet und als sein Gesichtsausdruck mit jeder Minute ärgerlicher wurde, war Snape klar, dass Liora ihm das Eindringen in ihre Gedanken und Erinnerungen verwehrte. Es schien ihr diesmal sehr leicht zu fallen, denn sie hatte weder die Fäuste geballt, noch wirkte ihr Körper angespannt. Im Gegenteil! Liora lächelte nur, erwiderte seinen Blick auf eine herablassend kühle Art, die er bisher nicht von ihr kannte, und einer ihrer Mundwinkel zuckte, als Voldemort ein leises Knurren hören ließ. War sie denn verrückt geworden?!
„Ich sehe schon, du hast dazu gelernt seit unserer letzten Begegnung und anscheinend auch Einiges zu verbergen. Fühl dich nicht all zu überlegen! Ich werde es aus dir heraus bekommen, sei dir da sicher.", zischte er und stieß sie grob von sich. Liora stolperte zwei Schritte zurück, rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht ihr Kinn und richtete sich dann wieder zu ihrer vollen Größe auf, um ihm selbstsicher entgegen zu treten.
„Wenn Ihr glaubt, dass diese Methoden gerechtfertigt sind und ihr mich wieder foltern wollt, Mylord, dann seid Euch sicher, ich gehe lieber in den Tod, als meine Geheimnisse unter solchen Umständen zu verraten.", sagte sie trotzig und ihre Augen verrieten ihre Entschlossenheit. 'Guter Plan, Liora! Warum richtest du den Zauberstab nicht sofort gegen dich selbst? Das würde uns allen eine lange Nacht ersparen!', dachte Snape verstimmt und hätte am liebsten verständnislos den Kopf geschüttelt.
„So?! Dann muss ich wohl an deiner Loyalität zweifeln ...", sagte Voldemort leichthin und man konnte ihm ansehen, dass er angespannt war. Seine Finger klammerten sich fest um seinen Zauberstab und Snape hielt die Luft an. Es war wirklich keine gute Idee den Dunklen Lord zu provozieren! Wieder ging ein Murmeln durch die Menge der Anwesenden und er konnte erkennen, dass viele der Todesser versuchten unauffällig einen Blick auf die Szene zu erhaschen.
Seine Schülerin schien es kalt zu lassen, dass die Stimmung langsam begann zu brodeln, doch ihn machte es unruhig. Sie war auf dem besten Weg eine Dummheit zu begehen! Wenn Liora sich jetzt unbedingt umbringen wollte, konnte er nichts tun ohne sich zu verraten! Sein Blick glitt zu ihr rüber und sie schien wirklich entschlossen noch immer Widerstand zu leisten.
„Dann zweifelt ...", flüsterte sie schließlich.
Voldemort hob noch in der selben Sekunde seinen Zauberstab und ein „Crucio" donnerte durch den Salon. Es ging aus Sicht eines Beobachters alles sehr schnell und Snape musste sich zwingen, dem Drang wegzusehen nicht nachzugeben. So konnte er fassungslos zusehen, wie Liora den Angriff, auf den sie diesmal vorbereitet war, problemlos abwehrte. Sie kreuzte abwehrend die Arme vor dem Kopf und rief eine Formel, die Snape noch nie gehört hatte.
Der Fluch prallte einen halben Meter vor ihr ab, als wäre er auf eine unsichtbare Wand getroffen. Sie hatte nicht mal den Zauberstab gezogen. Zwar kannte er ihre Fähigkeiten und Kräfte, doch ohne einen Zauberstab, einen Unverzeihlichen Fluch abzuwehren, den der Dunkle Lord gesprochen hatte, hätte er selbst ihr nicht zugetraut. Fassungslos betrachtete er seinen Lehrling und dann Voldemort, der die Augen aufgerissen hatte. Er würde sie umbringen! Da war Snape sicher, denn das rote Leuchten in Voldemorts Augen waren ein deutliches Zeichen seiner Wut und Blutgier. Snape sah sich schon jetzt Lioras Leiche nach Hogwarts zurück bringen.
Doch es kam ganz anders, als er erwartete.
Liora ließ die Arme sinken, doch noch immer vor der Brust gekreuzt. Sie traute der Sache noch nicht und das wollte er ihr auch geraten haben! Allerdings sagte das freudlose Lächeln, das nun auf ihren Lippen erschien, genau das Gegenteil. Sie sah aus, als wollte sie verhandeln ... „Mylord, ich habe nichts getan, was Euch ernsthaft an mir zweifeln lassen kann. Mich sofort zu bestrafen halte ich folglich für voreilig, denn auch, wenn ich nicht bereit bin, Euch meine Geheimnisse unter Folter zu verraten, so steht Euch immer noch der Weg frei, mich einfach zu fragen.", sagte sie und Snape glaubte sich zu verhören. Diese Dreistigkeit schlug dem Fass den Boden aus! Wagte sie es doch tatsächlich, den Dunklen Lord darauf hinzuweisen, dass er sie höflich fragen sollte! War sie bekloppt oder genial?!I „Damit Ihre nicht denkt, ich wäre respektlos Euch gegenüber, möchte ich darauf hinweisen, dass ich Eure Vorliebe für Spiele und Herausforderungen kenne. Ihr wollt nichts geschenkt haben und wenn ich Euch richtig verstanden habe, Mylord, dann wollt ihr auch keine hirnlosen Schleimer, die vor Euch auf dem Boden kriechen und Speichel lecken. Ich bin keiner dieser Kriecher und ich werde es nie sein! Mylord, und ich werde Euch versichern, dass ich Euch so gut ich kann helfe die vier Seelen zu finden, aber ich lasse mich nicht wie ein wertloses Stück Dreck behandeln.", sagte sie sanft und ihr Tonfall war so entgegenkommend und fast schon freundlich, dass es die Wirkung ihrer Worte entschärfte.
Snape glaubte dennoch seinen Ohren nicht zu trauen. Liora wagte es so mit dem Dunklen Lord persönlich zu sprechen und was am faszinierendsten war, er schien tatsächlich über ihre Worte nachzudenken! Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, doch dann grinste er zähnefletschend und ein amüsiertes Leuchten war für einen Moment in seinen Augen zu sehen. Das Spiel gefiel ihm und Snape konnte nur beten, dass Liora wusste worauf sie sich einließ. Sie mochte es eröffnet haben, doch die Regeln legte jemand anderes fest.
Voldemort setzte sich wieder an seinen Platz und gab Liora ein Zeichen näher zu kommen. Sie folgte und auch wenn sie ihre Schutzwälle noch nicht völlig fallen ließ, konnte Snape sehen, dass sie noch immer kein Anzeichen von Anspannung oder Unsicherheit zeigte. Nicht weit von ihm entfernt blieb sie stehen und ging langsam in die Knie, diesmal jedoch ohne ihr Haupt zu neigen.
Snape ließ eine Augenbraue nach oben wandern. Sie war wirklich ein Miststück, das musste er ihr lassen. Sobald sie aber wieder in Hogwarts waren, würde er sie zur Rede stellen!
„Du kannst froh sein, dass du noch einen Wert für mich hast, sonst würde ich nicht zögern, dich für deine Frechheiten büßen zu lassen! Zurück zu den Seelen. Du warst es, die mich daran gehindert hat die erste der vier Seelen zu bekommen. Was hast du mit ihr gemacht?", fragte Voldemort und seine Neugierde schien nun stärker, als die Wut auf die rebellische Hexe. Er wollte wissen was ihr Geheimnis war und dieses Wissen war ihm mehr wert, als die Genugtuung, die er kurzzeitig durch eine Bestrafung erfahren würde. Sein Blick verfinsterte sich wieder beim Gedanken an die Nacht des Fehlschlages, was Liora allerdings nicht zu verschüchtern schien.
„Ich habe nur getan, was mir befohlen worden war, Mylord. Ich habe einen Notruf gesendet und die Kräfte der vier Seelen wurden von der Hüterin des Kristalls deaktiviert. Die Seele selbst war somit von dieser Sekunde an für Euch unauffindbar. Sie ist geflohen, als Ihr die Schwestern töten und mich gefangen nehmen lassen habt. Ich, als ihre Wächterin habe sie gerettet und meine Aufgabe damit erfüllt.", erklärte Liora freimütig und senkte dabei den Blick leicht. Endlich wieder ein Zeichen der Unterwürfigkeit. Snape atmete lautlos auf und nahm sich vor, sie später nicht nur zur Rede zu stellen, sondern ihr auch eine ordentliche Strafe aufzubrummen.
Liora achtete währenddessen darauf, so offen wie möglich zu wirken, ohne sich wirklich verwundbar zu machen. Sie wollte nicht, dass er wieder in ihre Gedanken eindrang und vermied deswegen den direkten Blickkontakt. Die Erinnerungen an die Nacht des Überfalls waren im Moment so stark, dass sie nicht verhindern könnte, dass er dort noch mehr fand, als sie bereit war ihm zu zeigen. Sie würde es nicht schaffen ihn noch einmal so zu besänftigen, wie gerade eben, sollte sie ihm den Zugang zu ihren Gedanken noch einmal verwehren.
Snape versuchte derweilen noch einmal sich in die Situation hinein zu denken, doch er konnte es kaum. Es ärgerte ihn, dass er so blind gewesen war. Allein die Tatsache, dass sie ihm verschwiegen hatte, dass sie so tief in diese Sache verstrickt war! Eine Seelenwächterin! Am liebsten hätte er sie auf der Stelle geohrfeigt. War sie nicht von selbst auf die Idee gekommen, dass diese Information eventuell für ihn wichtig sein könnte?
Wenn er das gewusst hätte! Das hätte soviel geändert! An seinem Plan, an ihrer Zukunft auf Hogwarts, an seinem Verhältnis zu ihr ... Er biss sich auf die Zunge. Moment ... Hätte es das wirklich? Hätte er sie anders behandelt, wenn er von Anfang an gewusst hätte wer oder was sie war? Er konnte es nicht sagen. Vermutlich hätte er sie mehr auf Abstand gehalten. Hätte sie mehr wie ein Mittel zum Zweck behandelt und weniger wie die faszinierende junge Frau, die sie war.
Lioras Geschichte hörte er nun zum ersten mal aus dieser Sicht und das machte ihm klar wie fremd die junge Frau, von der er glaubte, er würde sie kennen, ihm trotz allem noch immer war. Diejenige, mit der er schon so viel Zeit verbracht hatte und die ihn dazu brachte, sich selbst zu hinterfragen. Womöglich war sie eine ganz andere, als er bisher glaubte?
Er war die ganze Zeit überzeugt davon gewesen, dass sie einfach Pech gehabt hatte. Eine junge Hexe mit der es das Schicksal nicht gut gemeint hatte. Die Einzige ihrer Art, in einem abgelegenen Kloster. Doch nun war ihm klar, dass Liora in dieser Geschichte eine größere Rolle spielte, als er sich jemals hatte ausmalen können. Sie war gar nicht zufällig dort, sondern behütet ein Geheimnis, das er nicht einmal im Ansatz kannte. Das machte es für sie gefährlicher, doch für Voldemort es nun verlockender sie am Leben zu lassen ...
Die ganze Geschichte war ihm unheimlich ... Er glaubte nicht an das Schicksal, doch Lioras Erscheinen in seinem Leben schien das Gegenteil beweisen zu wollen. Sie wären sich früher oder später begegnet. Egal wie er es wendete, sie wären sich in diesem Leben definitiv über den Weg gelaufen ... Der einzige Unterschied wären die Umstände gewesen. Hätte er gewusst, dass Voldemort den Angriff auf das Kloster plant ... wäre er dabei gewesen ...
Vermutlich wäre alles anders gekommen. Snape hielt sich für umsichtig genug, dass er gleich nach einem Schutzzauber oder einer „Wächterin" gesucht hätte. Etwas so wertvolles wie eine Seele, die ein Element beherrschen konnte, war sicher NICHT ungeschützt! Egal, was die Legenden sagten, das wäre der Punkt gewesen, an dem er auf Liora getroffen wäre. Wenn sie eine der Seelen bewacht hatte, dann wären sie sich noch in dieser Nacht über den Weg gelaufen. Sie hätte sich gewehrt, hätte versucht mit allen Mitteln ihren Auftrag auszuführen. Wenn er daran dachte, dass sie ihm anfangs mit so viel Hass begegnet war, stellte sich die Frage nach dem Ausgang dieser Begegnung gar nicht erst. Er hätte sie in einem direkten Kampf töten müssen, um seinen eigenen Auftrag zu erfüllen. Vermutlich hätte er es auch ohne Zögern getan, wenn sie sich ihm in den Weg gestellt hätte und das hätte sie sicherlich, davon war er überzeugt.
So war sie nun über einen makaberen Umweg zu seiner Schülerin und Vertrauten geworden ...
Voldemorts Anhänger hatten damals das Kloster in einer unüberlegten und schlecht geplanten Hauruck-Aktion überfallen. Liora war ihnen aufgefallen, weil sie als einzige Hexe im Kloster in letzter Sekunde einen Zauber ausgeführt hatte, der wohl eben dieser Hilferuf gewesen war, von dem sie nun berichtete. Sie kniete noch immer vor dem Dunklen Lord und ihre sonst so warme und sanfte Stimme, berichtete monoton und unterkühlt, was in dieser Nacht geschehen war. Was sie getan hatte. Mit ihrem Hilferuf war die Kraft der Seele verschwunden nach der die Todesser gesucht hatten und man hatte Liora aus Ratlosigkeit festgenommen ...
Sie wurde zu Anfang noch gefoltert, hatte jedoch geschwiegen und sich recht schnell als Sackgasse erwiesen, was Informationen anging. Das Schicksal sah zu diesem Zeitpunkt vor, dass sie in den Verließen blieb und dort auf ihren Tod wartete. Wie dieser aussehen sollte, konnte keiner genau sagen. Man hätte sie vermutlich in einem Blutritual geopfert, da ihr Körper unberührt war. Der Gedanke daran ließ ihn schlucken und als er sich ausmalte, was in den Verließen regelmäßig geschah, war es ein Wunder, dass eine junge Frau wie sie überhaupt so lange unbeschadet dort überlebt hatte. Sie hatte so viel Glück gehabt ... Man hätte ihren Tod einfach so in Kauf genommen. Wie sollte es auch anders sein, da ja niemand wusste, dass sie noch immer Geheimnisse mit sich herumtrug.
Liora berichtete freimütig über die Geschehnisse im Kloster, doch sie schwieg sich aus, was den Kristall selbst und den Aufenthaltsort der Seelen anging. „Ich musste handeln. Was erwartet Ihr anderes, wenn Eure Männer unser Kloster überfallen und alles niedermetzeln? Als Wächterin der Seele war ich gezwungen, die Hüterin des Kristalls zu warnen. Dies war meine Aufgabe und da ich Treue geschworen hatte, war ich verpflichtet zu reagieren.", sagte sie, als Voldemort Bedenken äußerte.
„Das heißt, du hast keine Ahnung wo die vier Seelen sind?", fragte er nach und sah aus, als hätte er Zahnschmerzen. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass er auf den Schutzzauber dieser rothaarigen Hexe nicht vorbereitet gewesen war. Snape vermutete, dass es Voldemort in den Fingern juckte seinem Frust Luft zu machen. Liora sollte vorsichtig sein mit dem was sie ab sofort von sich gab.
„Nein, Mylord, ich bin lediglich eine einfache Wächterin und diese Informationen sind mir zum Schutz der Seele nicht zugänglich. Die Gefangennahme einer Wächterin ist nichts Ungewöhnliches, deswegen erhalten wir dieses Wissen nicht.", antwortete Liora ohne zu zögern. Sie wirkte noch immer gefasst und ruhig. Kein verräterisches Zucken, kein Abwenden des Blickes ...
Voldemort hatte die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen und sein Blick ruhte forschend auf ihr. Auch Snape suchte ein Anzeichen einer Lüge, doch nach kurzer Zeit schienen sie beide zu dem Schluss zu kommen, dass sie die Wahrheit sagte.
Der Dunkle Lord lehnte sich zurück und sah nachdenklich aus. „Nun gut ... vorerst werde ich deine Worte glauben müssen. Trotz deiner Unwissenheit, was den Aufenthaltsort angeht, wirst mir helfen können, die Spur zu dieser Seele wieder zu finden. Ich brauche sie und dann werde ich auch die restlichen noch einsammeln! Vielleicht wird es nun sogar einfacher als ich dachte ... Früher oder später wird die Hüterin nach dir suchen, um herauszufinden ob du noch lebst. Dann kannst du mich zu ihr führen. Doch nun ...", er sah neugierig aus, als er sich wieder aufsetzte und den Kopf leicht zur Seite neigte. „Die wichtigste aller Informationen! Sag mir, welche der vier Seelen hast du bewacht?", fragte er interessiert und zeigte in einem boshaften Grinsen wieder seine Zähne.
Liora schien diesmal eine Sekunde zu zögern, bevor sie seinen Blick fest erwiderte. „Die Seele des Feuers, Mylord.", es war nur ein Flüstern, doch mit einem Schlag war es so ruhig, dass Snape seinen eigenen Herzschlag deutlich zu hören glaubte. „Eine sehr stolze und alte Seele, deren Temperament und Kraft einen schier zu fesseln scheint, wenn man sich in ihrer Nähe aufhält.", fuhr Liora leise fort und schloss für einen Moment die Augen, als würde eine Erinnerung ihr kurz die Luft rauben.
Snape horchte auf und nahm eine Bewegung hinter sich wahr. Als er sich umsah bemerkte er, dass ein paar der Todesser unruhig geworden waren. Die Erwähnung des Feuers machte sie nervös. Sie fürchteten sich vor ihm und der Dunkle Lord reagierte indem er die rangniederen Todesser mit einem „Verschwindet! Ihr stört!", fort schickte. So blieb nur eine Hand voll zurück und selbst diese Anhänger des Dunklen Lords verhielten sich mucksmäuschenstill.
Er selbst hatte über die Seelen selbst nicht viel gehört. Nur das, was auch in den Legenden berichtet wurde. Allerdings kannte er ein paar ihrer Eigenschaften. Vier Seelen, die in Zeiten der Not als Menschen geboren wurden und unerkannt unter ihnen wandelten, bis es an der Zeit war ihr Schicksal zu erfüllen ...
Das Feuer, das unbezähmbar und sehr impulsiv tobte.
Ein Mensch lodernder Gefühle und grenzenloser Macht.
Das Wasser, das sich lebendig und tiefsinnig zugleich seinen Weg bahnt.
Ein Mensch großen Wissens und wacher Intelligenz.
Die Luft, die frei und verspielt durch die Lande streift.
Ein Mensch voller Träume und Wünsche.
Die Erde, die mütterlich und liebevoll auf ihre Schwestern und Schützlinge acht gibt.
Ein Mensch des Schutzes und der Gesamtheit.
Ihm war völlig klar, dass eine Seele, die fast ausschließlich von Gefühlen geleitet wurde und diese in nutzte um ihre Kräfte zu steuern, wie das Feuer es tat, ein schwieriger Mensch sein musste. Die Todesser schienen vor der Kraft dieser Gefühle Angst zu haben und Snape konnte das nachvollziehen. Auch Voldemort sah nun so aus, als hätte er auf etwas Bitteres gebissen. Für ihn musste es eine Qual sein zu wissen, dass diese Seele ihre unvorstellbaren Kräfte aus Gefühlen zog, die er so sehr verachtete.
Wenn Liora diesen Menschen bewacht hatte, dann war es kein Wunder, dass sie selbst solche Züge angenommen hatte. Wie sollte es anders sein, in der Nähe einer solchen Kraft? Vermutlich hatte sie jeden Tag ihres Lebens an der Seite dieser Frau oder dieses Mannes verbracht und Charakterzüge, sowie Kräfte übernommen.
Er betrachtete seinen Lehrling nachdenklich und versuchte sich in ihre Lage zu versetzen. Liora kniete noch immer mit hoch erhobenem Haupt vor dem Dunklen Lord, doch in ihren Augen war mittlerweile eine Traurigkeit zu sehen, die vermuten ließ, dass die Trennung von dieser starken Kraft sie sehr mitgenommen hatte.
Auch Voldemort bemerkte diese Veränderung. „Das Feuer also ... erzähl mir von ihr.", befahl er und ein kurzes Lächeln huschte über Lioras Lippen. „Mylord, sie ist wunderschön. Ihr könnt Euch diese Pracht kaum vorstellen. Diese Energie, die einen in ihrer Nähe erfasst ... es ist unglaublich ergreifend und man fühlt die eigene Seele auflodern. Es ist eine Wärme, die einem das Gefühl gibt geborgen zu sein ... ein Feuer, das alle Sünden verbrennt und die Menschen heilen kann ...", flüsterte Liora und Snape glaubte etwas in ihren Augen glänzen zu sehen. Waren das Tränen? Hatte die Trennung von diesem Menschen eine solch große Lücke hinterlassen?
Wenn er das gewusst hätte, hätte er helfen können, diesen Verlust zu verarbeiten. Das Schicksal hatte es wirklich nicht gut mit ihr gemeint ... Sie würden nach dieser Nacht viel zu bereden haben.
„Das klingt fast als wärst du noch immer an diese Seele gebunden. Sag mir, wie stark ist die Bindung zwischen dir und der Macht des Feuers?" Der Dunkle Lord hatte sich nach vorne gebeugt und seine rötlichen Augen schienen Liora zu durchbohren.
„Ich liebe sie ... alles andere wäre eine Lüge und dieser wunderschönen Seele nicht würdig.", erklärte Liora leise und es klang so ehrlich und sehnsüchtig, dass Snape Gänsehaut bekam. Sie war in diesem Moment so schrecklich emotional, dass selbst Voldemort eine Sekunde inne hielt und versuchte die Situation einzuschätzen. Er war offensichtlich nicht sicher, was er von ihrem Geständnis halten sollte.
„Faszinierend ...", sagte er leise und ließ seinen Blick kurz durch den Salon wandern. „Es ist wirklich außergewöhnlich, was du beschreibst und auch wenn mich diese allgegenwärtigen Gefühle anwidern, muss ich gestehen, dass die Beschreibung, die du mir geliefert hast, mich neugierig macht. Die Verbundenheit zu solch einer Macht ist nicht ungewöhnlich, doch ich kann sie nicht gutheißen! Liora, ich bezweifele nicht, dass du mir hier die Wahrheit gesagt hast, dennoch bin ich unsicher, was deine Treue mir gegenüber angeht. Du wirst es verstehen, wenn ich einen Beweis verlange, oder?", fragte Voldemort und musterte sie abschätzend, ganz so, als erwarte er Gegenwehr und Protest.
Liora war es, als erwachte sie aus einer Art Trance und sie ballte unbewusst die Hände zu Fäusten. Er verlangte ein Opfer von ihr. Das war klar gewesen. Sie hatte sich hinreissen lassen von den Erinnerungen und nun musste er zwangsläufig an ihrer Treue zweifeln. Es war nicht anders zu erwarten, denn auch er fürchtete sich vor dem Feuer und den damit verbundenen Emotionen.
Es war kein Wunder dass er nun sehen wollte, wie es um ihre Loyalität stand und wie weit sie bereit war für ihn zu gehen. Liora sah ihren Herrn aus halb geschlossenen Augen an und wartete ab. Was sollte sie sonst tun? Es gab keinen Ausweg, denn jeder Fluchtversuch hätte sie als Verräterin gekennzeichnet. Sie war gefangen und dass die Erinnerung an ihre eigentliche Bestimmung sie innerlich aufgewühlt hatten, machte es nicht besser. Was auch immer jetzt kam, würde nicht angenehm werden, dessen war sie sich sicher. Doch sie würde auch diesmal stark sein.
„Was immer Ihr wünscht, Mylord. Ich erfülle Euch mit Freude jeden Wunsch.", sagte sie leise und ohne ein Anzeichen von Unsicherheit.
Voldemort hob seine Hand und winkte jemandem in Lioras Rücken. Sie wusste nicht, was hinter ihr geschah, war jedoch darauf vorbereitet sich zu verteidigen. Als nichts geschah, außer dass sich die Flügeltür öffnete, drehte sie sich um. Zwei Maskierte zogen einen ihr unbekannten Zauberer herein und warfen ihn in die Mitte des Salons, wo er stöhnend am Boden liegen blieb.
Liora kannte ihn auch vom Sehen nicht, es war also klar, dass er ein unschuldiger Gefangener und kein dreckiger Todesser war. Seine Kleidung war schmutzig und er war mager. Vermutlich hielt man ihn schon lange fest, denn ihm fehlte die Kraft um sich aufzurichten oder sich zu wehren. Sie fühlte einen Stich in der Brust, als sie an ihre eigenen Wochen im Verließ erinnert wurde.
Sie wandte sich wieder dem Dunklen Lord zu, der sich mittlerweile erhoben hatte und seinen Zauberstab provokant zwischen seinen langen dünnen Fingern kreisen ließ. Ein fieses Grinsen erschien in seinem Gesicht, als er in Richtung der Gefangenen nickte.
„Töte ihn für mich.", flüsterte er.
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