Trennungsschmerz I
Es waren drei Tage, an denen die Schülerinnen und Schüler der UTZ-Kurse Blut und Wasser schwitzten. Es ging für sie um alles. Den Studienplatz, die Traumkarriere, die Bilderbuchzukunft. Wenn sie morgens zu den theoretischen Prüfungen in der Großen Halle auftauchten waren viele von ihnen sehr blass und wackelig auf den Beinen. Einige hatte kaum geschlafen und konnten deswegen nur schlecht die Augen aufhalten, während andere immer wieder nervös an Fingernägeln kauten und sich panisch umsahen.
Die Professoren und der jeweilige Aufseher des Ministeriums beobachteten den Ablauf der Prüfung mit Argusaugen und erst wenn es Mittag wurde, konnte man die ersten Prüflinge erleichtert aufstöhnen hören und das Kratzen der Federn verstummte. Die Nachmittage verbrachten sie mit den praktischen Prüfungen und als am dritten Abend endlich auch der letzte Schüler mit seiner praktischen Prüfung fertig war, eilten sie alle erleichtert und in einer unglaublichen Lautstärke aus dem Schloss und verteilten sich auf dem noch immer sonnigen Gelände. Es war vorbei! Endlich!
Zwischen all den jubelnden jungen Zauberern und Hexen fiel nur Liora auf, weil sie langsam und ohne großes Geschrei aus der Großen Halle trat und sich suchend umsah. Für sie waren die letzten Tage überraschenderweise nicht ganz so nervenaufreibend und stressig gewesen, wie sie erst erwartet hatte. Die Prüfungsaufgaben, die Snape sie noch zwei Tage vorher hatte durcharbeiten lassen, waren weit über dem Niveau, das in der Prüfung wirklich gefordert wurde. Sie hatte sich also völlig umsonst so verrückt gemacht.
Die Erleichterung darüber, dass nun alles vorbei war, war dennoch sehr groß. Endlich konnte sie sich wieder auf andere Dinge konzentrieren! So verrückt das auch klingen mochte, endlich konnte sie sich darauf freuen ihren Posten als Snapes Lehrling offiziell anzutreten. Sobald die Ergebnisse da waren, würde Dumbledore sie offiziell beim Ministerium melden und ihre Position war gesichert. Es gab kein Hin und Her mehr, sie war endlich wieder irgendwo angekommen und damit ein fester Bestandteil des Alltags auf Hogwarts.
Jetzt ging sie erst einmal mit einem scheuen Lächeln in Richtung der großen Flügeltüren, um sich hoffentlich ein verdientes Lob abzuholen. Snape stand mit verschränkten Armen neben dem steinernen Torbogen, beobachtete mit erhobener Augenbraue wie die Schüler hinaus eilten und dabei fröhlich vor sich hin schnatterten. Er bemerkte sie erst, als sie neben ihm stehen blieb und sich leise räusperte. „Möchtest du nicht auch hinaus stürmen und wie eine Wahnsinnige herumschreien?", fragte er düster und sie legte den Kopf schief. „Fändest du das denn angemessen?", beantwortete sie seine Frage mit einer Gegenfrage und fing sich einen „Sie-nicht-so-frech"-Blick von ihm ein.
„Ich habe ein gutes Gefühl, was die Prüfungen angeht. Heute lief es sehr gut, aber mir ist nicht nach Schreien und Jubeln zumute. Das mache ich erst, wenn ich die Ergebnisse vorliegen habe. Hast du denn schon etwas gehört, was die Ergebnisse angeht? Ihr Professoren redet doch untereinander ...", wollte sie wissen und sah ihn neugierig an. Snape presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein! Zumindest die Ergebnisse aus der Zaubertrankprüfung sollte er bereits kennen! Ein einfaches Kopfschütteln würde sie nicht gelten lassen. „Severus! Bitte!", bettelte sie leise und sah sich kurz um, damit auch niemand in Hörweite war.
„Ich weiß nichts.", erklärte er und trat dann ebenfalls nach draußen, um den Hof besser im Blick zu haben. Liora folgte sofort und schnitt ihm den Weg ab, indem sie sich einfach vor ihn stellte. „Doch! Natürlich weißt du etwas! Sag schon!", drängte sie und glaubte seine Mundwinkel zucken zu sehen. Er fand es also witzig, dass sie auf heißen Kohlen saß! „Severus! Bitte! Oder ich nerve dich den gesamten Abend!", drohte sie mit einem herausfordernden Lächeln und er warf einen gespielt genervten Blick zum Himmel. Es hätte sie auch gewundert, wenn er sich nicht bei seinen Kollegen nach ihrer Leistung erkundigt hatte. „Ich weiß noch nichts Genaueres, aber die Gerüchteküche sagt, deine Arbeiten gehören zu den Besten, die auf Hogwarts jemals geschrieben wurden. Das heißt, wir können erleichtert aufatmen. Zufrieden?"
Liora verkniff es sich vor Freude zu quietschen und ihm um den Hals zu fallen. Stattdessen ließ sie nur ein munteres Glucksen hören und strahlte. „Meinst du das ernst?", harkte sie zur Sicherheit nochmal nach und Snape nickte. „Das ist ja der Wahnsinn! Ich kann es gar nicht fassen!", flüsterte sie aufgeregt.
„Ich schon. Habe ich dir nicht prophezeit, dass du das im Vorbeigehen machen wirst?", wollte er wissen und es klang deutlich nach einem spöttischen 'Hab ich es nicht gleich gesagt?!'. „Wann habe ich schon mal ohne Protest auf dich gehört? Nimm es mir nicht übel, aber ich habe dich, was das angeht, nicht besonders ernst genommen.", erklärte sie tadelnd und Snape verzog das Gesicht. „Das solltest du dir abgewöhnen. Jetzt sieh zu, dass du verschwindest. Dieses schrecklich fröhliche Lächeln, wenn du neben mir stehst, versaut meinen Ruf sonst noch." Liora musste lachen und machte sich mit einem „Schon gut!" auf den Weg zu ihrem Zimmer.
Jetzt hatte sie ein paar Tage Ruhe, bevor die Abschlussfeier anstand und die Sommerferien begannen.
.........
Der Tag als die Prüfungsergebnisse kamen, war für alle Schüler der Abschlussklassen ein Tag zum Feiern und Jubeln. Liora war gerade damit beschäftigt gewesen, sich ein Kleid für den Abend heraus zu suchen, als Snape mit einem Umschlag in der Hand an ihrer Tür geklopft hatte. „Gratulation.", hatte er nur gesagt und ihn ihr überreicht.
Sie hatte bestanden! Und das sogar in allen Fächern mit einem Ohnegleichen! All die Lernerei, das viele Üben und die schlaflosen Nächte, waren es wert gewesen! Sie hatte die Ergebnisse immer wieder fassungslos betrachtet und erst als sie spürte, dass sie sich setzen musste, hatte sie ein leises „Danke." herausbekommen.
„Schon gut. Das hast du ganz allein geschafft. Bedanken solltest du dich bei deinem Durchhaltevermögen und deinem Ehrgeiz. Alles was ich getan habe war, dich rechtzeitig zu bremsen bevor du über das Ziel hinausschießt.", erklärte Snape und ging hinüber zu ihrem Kleiderschrank, wo sie zwei der Kleider die für das große Abschlussessen am Abend in der engeren Wahl waren, schon herausgehängt hatte. „Aber du hast mich erst dazu getrieben, mich selbst zu übertreffen. Ohne deine – zugegeben etwas schräge Art der Motivation – hätte ich diese Prüfungen nie geschafft. Ich hab das nur hinbekommen, weil ich dich nicht enttäuschen wollte.", sagte sie leise und spürte, dass sie leicht errötete.
Snape warf ihr einen neutralen Blick zu und ließ offen, was er von ihrer Erklärung hielt. Sicher war auch ihm klar, dass es seltsam klag, was sie sagte, doch der Druck in den letzten Monaten hatte sie wirklich zu Höchstleistungen getrieben. Er war nicht unschuldig daran und auch wenn sie gelitten hatte, war sie im Nachhinein sehr zufrieden mit dem Erreichten. „Wie geht es jetzt weiter?", fragte sie, während Snape den Schrank öffnete und dort zielgerichtet nach einem Kleid suchte.
Als er gefunden hatte, was er suchte, reichte er es Liora und sie kam neugierig näher. „Dieses? Sicher?", fragte sie verwundert und Snape lächelte kurz. „Es ist auch deine Feier heute Abend. Du solltest ebenfalls festlich gekleidet sein.", erklärte er und Liora hob eine Augenbraue. Dieses Kleid war lang, aber die Arme nicht bedeckt. Eigentlich ein Ausschlusskriterium, doch wenn er selbst es vorschlug. „Gut, dann dieses.", bestätigte sie und nahm es entgegen. „Ich hole dich zum Abendessen ab. Sei bis dahin fertig.", sagte Snape nur und ließ sie für ihre Vorbereitungen wieder allein.
.........
Pünktlich zu Beginn der Feierlichkeiten hatte Liora an der Seite des Professors für Zaubertränke die Große Halle betreten und sich wie schon an Weihnachten begeistert umgesehen. Überall schwebten Kerzen und die gesamte Halle schien vor lauter Vorfreude zu brummen.
Sie hatte das Kleid angezogen, dass Snape ihr rausgesucht hatte und war mit der Wahl mehr als zufrieden. Es war dunkelrot, fast schwarz, lang und der leichte Seidenstoff wogte bei jedem Schritt luftig um ihre Beine. Gekrönt wurde alles von einem cremefarbenen Seidenband, das sich locker um ihre Taille schlang und einem Wasserfallausschnitt, der bestimmt die ein oder andere männliche Fantasie beflügelte. Liora fühlte sich wohl darin und hatte die Haare passend zum Kleid nach hinten gesteckt und mit einer farblich identischen cremefarben Schleife fixiert. Sie flossen nun wie ein langer roter Schleier über ihren Rücken. Um alles abzurunden hatte sie einen schlichten schwarzen Umhang gewählt und ihn locker über die Schultern geworfen.
Auf Schmuck hatte sie verzichtet, denn allein das Kleid war Zugeständnis genug und sie wollte nicht testen wie weit Snapes Toleranz heute Abend ging. Verfolgt von den Blicken der Schüler schritten sie nach vorne und zu Lioras Überraschung gab es nun auch einen Platz für sie. Endlich, sie bekam einen festen Platz in der Großen Halle! Ab jetzt war klar wo sie hingehörte und so folgte sie Snape zum Lehrertisch. Nachdem sie Dumbledore und die anderen bereits anwesenden Professoren kurz begrüßt hatte, nahm sie auf dem Stuhl links von Snape Platz. Hier oben zu sitzen, war ein berauschendes Gefühl. Sie hatte die gesamte Halle im Blick und zu ihrer Freude, war es niemand anderes als Remus Lupin, der sich an ihre linke Seite setzte. Damit war auf jeden Fall gesichert, dass sie beim Essen immer einen angenehmen Gesprächspartner hatte.
„Gratulation zur bestandenen Prüfung und willkommen am Lehrertisch, Miss Avelon.", begrüßte er sie gespielt förmlich und Liora erhob sich kurz, als er ihr die Hand reichte. „Dank, Professor Lupin, es ist mir eine Ehre.", antwortete sie im selben Tonfall und sie mussten beide lachen. Snape kommentierte alles mit einem skeptischen Blick und sobald die beiden wieder saßen, nahm Liora sich einen Moment, um sich in der Großen Halle umzusehen. Nicht wenige neugierige Augenpaare sahen zu ihnen herauf und der ein oder andere Schüler war sogar aufgestanden, um sie besser sehen zu können.Es wunderte sie nicht, denn Liora war ein seltener Gast in der Halle. Sie hatte es bis zum Schluss konsequent vermieden hier zu erscheinen, wenn es nicht durch einen festlichen Anlass dringend erforderlich gewesen war. „Es scheint für Aufsehen zu sorgen, dass ich hier sitze. Einigen Schülern fallen gleich die Augen raus.", flüsterte sie und warf Snape einen Seitenblick zu. Dieser wirkte vollkommen entspannt und vermied es sie anzusehen oder sich zu ihr rüber zu beugen, als er antwortete. „Was erwartest du? Den Großteil des Schuljahres haben sie dich als eine der ihren betrachtet und jetzt bist du zum Feind übergelaufen. Es wundert mich nicht, dass dieser Schritt für Gesprächsstoff sorgt und sie alle neugierig macht. Alles Waschweiber. Ignoriere sie und verhalte dich wie immer. Sie werden sich schon daran gewöhnen, dir ab sofort mit Respekt und dem nötigen Abstand zu begegnen.", sagte er leise und Liora biss sich auf die Unterlippe. Sie hoffte es! Es wäre so viel leichter, wenn zwischen ihr und den Schülern die Fronten klar wären. Das Letzte, das sie brauchen konnte, waren Schüler, die ihr das Leben schwer machten.
Der Abend verlief festlich und die Abschlussklassen wurden noch einmal gelobt für ihren Einsatz und die guten Ergebnisse. Liora verfolgte alles sehr gespannt und vor allem die Verleihung des Hauspokales ließ sie schmunzeln. Er ging dieses Jahr zur großen Überraschung aller an Ravenclaw und Snape fluchte leise. Es war jedoch keine Überraschung, denn er hatte dieses Jahr auch sein eigenes Haus sehr viel strenger behandelt, als die Jahre zuvor. Der Kampf an den vielen verschiedenen Fronten hatte ihn härter durchgreifen lassen und sowohl Slytherin, als auch Griffindor hatten es abbekommen. Jetzt schien es ihn zu ärgern, dass er so konsequent gewesen war.
„Nun schau doch nicht so, Severus. Nächstes Jahr wird alles besser. Du hast mich dann an deiner Seite und gemeinsam werden wir unschlagbar sein.", flötete sie, während sie und die anderen Professoren noch Beifall klatschten. „Du hast mich bereits dieses Jahr den Sieg gekostet. Engagiere dich also bitte nicht zu sehr, denn ich bin nicht sicher, ob es bei den Punkten einen Minusstand geben darf.", korrigierte er und Liora zwinkerte ihm frech zu, als er ihr einen tadelnden Blick zuwarf. So einfach würde sie es ihm nicht machen. „Ich habe dich durch mein Eingreifen und den Punkteverlust Bescheidenheit gelehrt.", sagte Liora und griff nach ihrem Glas mit Kürbissaft. „Das Einzige, das du mich wirklich gelehrt hast, Liora, ist dass deine Sturheit keine Chance hat, gegen meine unendliche Geduld. Du wirst den Kürzeren ziehen, also versuch erst gar nicht dich mit mir anzulegen."
„Ja klar, Geduld ist deine Stärke.", flüsterte sie und sah ihm dabei lang in die Augen. Er hielt ihrem Blick problemlos stand und erst als sie skeptisch eine Augenbraue hob, wandte er sich ab. Geduld war das Letzte, das sie auf die Liste seiner guten Eigenschaften setzen würde! Er wusste das, deswegen wunderte es sie, dass er genau diesen Punkt nun erwähnte. Vielleicht hatte er sich doch ein wenig geändert?
Dumbledore erhob sich in diesem Moment und hielt wie jedes Jahr eine abschließende Rede. Er dankte allen, lobte die Schüler für ihren Einsatz im vergangen Jahr und gab ihnen für die Ferien die besten Wünsche mit auf den Weg. Dann gab es endlich Abendessen und Liora wandte sich Lupin zu, der es sich nicht nehmen ließ, sie bei dieser Gelegenheit noch einmal ausführlich zu ihren Prüfungsergebnissen zu befragen. Er benahm sich wie immer und auch wenn Liora anfangs nervös gewesen war, legte sich dieses Gefühl schnell wieder und sie konnte ganz ungezwungen mit ihm umgehen. Es war das erste mal, dass sie sich wieder unterhielten, seit dem Abend, an dem er sie nach ihrem Botengang zu Voldemort in so schlechter Verfassung erlebt hatte. Es war ein Schock gewesen zu erfahren, dass er ihr düsteres Geheimnis bereits kannte.
Das war für sie Grund genug gewesen ihm eine Zeit lang aus dem Weg zu gehen. Was hätte sie ihm auch sagen sollen? 'Ich hoffe du verurteilst mich nicht?' oder 'Tut mir leid, dass ich dir verschwiegen habe, dass ich eine Dienerin des Dunklen Lords bin?'. Es wunderte sie sowieso, dass er so ruhig geblieben war, wo sie doch von Harry wusste wie sehr die Todesser geächtet und verhasst waren. Rein theoretisch hätte man sie nach Askaban bringen können, hätte Lupin ihr Geheimnis verraten. Er tat es nicht ... weil er ein Werwolf war? Weil er und Snape einen Deal hatten, der den jeweils anderen schützte? Sie wusste es, nicht, nahm sich aber vor sich zu erkundigen. Es war seltsam mit all diesen Gedanken im Hinterkopf mit ihm hier zu sitzen und zu schweigen, als sie das Prüfungsthema durch hatten. Es würde sich nicht weiterhin totschweigen lassen. „Ist es seltsam jetzt DARÜBER zu sprechen?", fragte Lupin leise und Liora legte für einen kurzen Moment ihre Gabel zur Seite. „Ja, es ist seltsam, aber ich denke es ist nötig. Ich glaube, wir sollten uns einen ruhigen Abend Zeit nehmen und nichts überstürzen. Sobald die Schüler weg sind habe ich mehr Zeit und wir können über alles sprechen.", schlug sie vor und Lupin nickte zustimmend. „Das klingt vernünftig. Es gibt viele Dinge, die ich dich gerne fragen würde und ich glaube es tut dir auch gut, wenn du jemanden hast mit dem du offen reden kannst.", flüsterte er und sah dann aus, als wäre ihm wieder etwas eingefallen. „Da wir gerade beim Reden sind. Es gibt da jemanden, der wohl auch noch mit dir sprechen möchte." Dann griff er kurz in seinen Umhang und holte einen gefalteten kleinen Zettel heraus. „Ich habe hier noch was für dich.", sagte er und reichte ihn ihr weiter.
Liora nahm ihn und spürte von der anderen Seite sofort Snapes forschende Blicke. „Sollte ich dir geben, bevor das Fest zu Ende ist.", erklärte Lupin, als sie den Zettel entfaltete und sich zurücklehnte. So konnte sie den Inhalt lesen, ohne die Information mit jemandem zu teilen, denn der Sitznachbar neben ihr schien neugierig darauf zu warten, einen Blick erhaschen zu können. Nachdem sie die Nachricht zweimal gelesen hatte, seufzte sie und ließ sie unauffällig in ihrem Umhang verschwinden. Sie ignorierte Snapes fragenden Gesichtsausdruck und griff wieder nach ihrer Gabel. Sie hatte fast damit gerechnet ... Das Essen schmeckte plötzlich nicht mehr so gut wie vorher und sie spürte ein unangenehmes Drücken im Magen. Genau das konnte sie jetzt nicht brauchen. Unauffällig sah sie rüber zum Griffindoretisch und ihre Vermutung wurde nicht enttäuscht. Seine Augen schienen an ihr zu kleben. Er beobachtete jede ihrer Bewegungen und schien auf ein Zeichen zu warten, wie sie auf seine Nachricht reagieren wollte. Liora wandte den Blick ab und versuchte noch ein paar Gabeln von ihrem Kuchen zu essen, doch ihr Magen drohte zu rebellieren. Damit war der Abend für sie gelaufen. Jetzt musste sie sich wieder mit solchen kindischen Problemen herumschlagen. Als ob sie in den letzten Monaten nicht genug Ärger deswegen gehabt hatte, Harry konnte sie nicht mal am letzten Abend damit verschonen. Wie konnte er nur so stur sein?! Sie wich seinem Blick weiterhin aus, starrte ihren Kuchen an und erst als Snape ihr ein Glas Wein vor die Nase stellte, schaffte sie es, sich von ihrer Grübelei loszureissen und etwas zu entspannen.
„Was will er?", fragte er leise und überraschend ruhig. Anscheinend war er nicht wütend. Es musste sogar ihm aufgefallen sein, dass ihr dieser erneute Versuch Kontakt aufzunehmen unangenehm war. „Er will mich noch einmal sehen. Mir lebe wohl sagen und so. Ich weiß es nicht genau. Vermutlich eine Art endgültiges klärendes Gespräch.", vermutete Liora und griff dankbar nach dem Wein. Die tiefrote Flüssigkeit tat gut und schien schon nach wenigen Schlucken ihre Nerven zu beruhigen. „Möchtest du denn noch etwas klären?", wollte Snape wissen, ohne dass sein Tonfall verriet was er darüber dachte. Eine gute Frage. Wollte sie nochmal mit ihm sprechen? Liora runzelte die Stirn und sah nachdenklich zu Harry und seinen Freunden rüber, die sich jetzt laut lachend über das Dessert her machten. „Ich will nicht wieder diskutieren, ich möchte auch nicht, dass er mich als einen schlechten Menschen in Erinnerung behält.", antwortete sie schließlich, denn das war tatsächlich der einzige Grund, aus dem sie noch einmal das Gespräch suchen würde. Damit er ihr nicht nachsagen konnte, sie hätte ihn ungerechtfertigt und viel zu hart von sich gestoßen.
„Dir ist aber klar, dass du es nicht jedem recht machen musst und gerade Potter ist ein Fall, dem DU, Liora, es NIE recht machen können wirst. Das wird sein verdrehtes Verständnis von Recht und Unrecht nicht zulassen und du weißt das.", warnte Snape leise und lehnte sich zurück ohne sie aus den Augen zu lassen. Liora seufzte und sah zu, wie Ginny Weasley sich zu Harry rüber beugte und ihm mit geröteten Wangen einen Kuss auf die Lippen hauchte. Er wirkte zurückhaltend und sah sich danach auch gleich wieder zum Lehrertisch um. Es sah fast so aus, als wollte er nicht, dass sie zu viel in Ginnys Gesten hinein interpretierte. Auf der anderen Seite, würde die kleine Weasley sich nicht so verhalten, wenn sie nicht sicher war ihn für ich gewonnen zu haben. Vielleicht war er schon über das Geschehene hinweg und sie sollten sich wirklich verabschieden, bevor er die Schule verließ? Vielleicht konnten sie wieder Freunde werden ...
„Wirst du hingehen?", wollte Snape nach längerem Schweigen wissen und wieder konnte Liora seinen forschenden Blick spüren. Sie wandte sich ihm zu und fand sich in seinen dunklen, jetzt fast besorgt aussehenden Augen wieder. „Ich weiß es noch nicht.", behauptete sie, war innerlich aber schon darauf eingestellt zur angegebenen Zeit an dem Treffpunkt zu erscheinen, den Harry ihr notiert hatte.
.........
Liora schritt kurz vor Mitternacht durch die Flure des Schlosses und auch wenn sie den Weg schon lange nicht mehr bewusst gegangen war, fand sie ihn instinktiv doch recht schnell wieder. Es war ruhig im Schloss und auf ihrem Weg begegnete ihr niemand. Das Fest in der Großen Halle war schon lange zu Ende und die Schüler hatten sich in ihre Gemeinschaftsräume zurückgezogen. Wenn sie dort weiterfeierten, war es zumindest von außen nicht zu bemerken. Das Schloss schien zu schlafen. Selbst in einigen Portraits schliefen die Bewohner schon und ihr leises Schnarchen war das einzige Geräusch in den stillen dunklen Fluren.
Sie erreichte den Durchgang nach draußen recht schnell. Als sie schließlich durch die Tür schlüpfte auf den kleinen Balkon, auf dem sie sich ganz zu Anfang mit Harry und seinen Freunden schon einmal getroffen hatte, schlug ihr ein lauer Nachtwind entgegen. Aus der Ferne schallte der der Ruf einer Eule herauf, zu sehen war im Mondlicht jedoch nichts. Vermutlich waren die Schuleulen auf der Jagd.
Da entdeckte sie auch schon die Person, die sie heute Nacht hier her bestellt hatte. Harry saß an die Mauer des Schlosses gelehnt und hatte ein Bein angewinkelt, während er einen Schluck aus einer Flasche nahm, die Liora nicht erkennen konnte. Wie schon beim letzten mal hatte er ein winziges tragbares Feuer heraufbeschworen, das die Szene erhellte. Als sie heraustrat hob er den Kopf und setze sich aufrecht hin. Fast wirkte er überrascht. Als hätte er nicht wirklich mit ihrem Erscheinen gerechnet.
Liora kam langsam zu ihm rüber geschritten und setzte sich ohne viele Worte, allerdings vorsichtig, wegen ihres Kleides, neben ihn. Sie schwiegen und betrachteten lange den klaren Himmel über den Ländereien. Es war, als würden ihnen Milliarden kleiner Diamanten entgegen funkeln. Wäre der Anlass aus dem sie sich trafen nicht ganz so ernst, wäre es eine sehr romantische Nacht. Liora wartete ab, doch von ihm kam keine Reaktion. Erst, als das Schweigen schon fast peinlich wurde, weil es so lange dauerte, räusperte Harry sich und Liora konnte einen Hauch Alkohol wahrnehmen. Da hatte aber jemand ordentlich gefeiert! „Du hast heute Abend so wunderbar ausgesehen. So wie immer und dennoch so völlig anders und verändert. Als du die Große Halle betreten hast, konnte ich kaum wegschauen, weil ich so fasziniert war.", sagte er schließlich und drehte den Kopf zur Seite, um sie mit einem verträumten Blick zu mustern.
Eine ungewöhnlich Art ein Gespräch zu eröffnen, wie Liora fand, doch sie würde sich nicht anmerken lassen, dass dieses nett gemeinte Kompliment ihr eigentlich unangenehm war. „Danke, Harry. Lieb von dir, das zu sagen.", antwortete Liora schlicht und schenkte ihm ein kleines Lächeln. Ein leicht glasiger Schimmer in seinen Augen verriet, dass die Feier im Griffindore-Turm wirklich nicht ohne gewesen war und Harry nicht zu wenig von den angebotenen Getränken erwischt hatte. Ein weiterer guter Grund nicht all zu sehr auf seine Schmeicheleien einzugehen. „Es ist nur die Wahrheit. Wenn ich ehrlich bin, ich hatte nicht erwartet, dass du wirklich kommst, deswegen bin ich momentan gar nicht sicher, was genau ich eigentlich sagen möchte. Schön, dass du da bist.", murmelte er und führte die Flasche wieder an die Lippen. Jetzt erkannte Liora auch, dass es sich um die letzten Reste einer Flasche Feuerwhiskey handelte.
„Hast du die Flasche allein getrunken?", wollte sie wissen und Harry lachte kehlig. „Nein! Oh nein, dann wäre ich vermutlich nicht mehr bis hier her gekommen. Da war noch ein guter Rest drin und ich dachte, ich trinke mir noch ein wenig Mut an, bevor ich hier her komme.", gestand er und grinste entschuldigend. „Musst du das denn, wenn du mit mir sprichst? So beängstigend bin ich doch gar nicht.", wollte Liora wissen und Harry stellte die fast leere Flasche mit einem Seufzen weg. „Vielleicht bist du das nicht, aber vielleicht brauche ich diesen Mut auch nur um ehrlich zu dir zu sein. Du warst bei unseren letzten Begegnungen sehr hart zu mir und ich habe wohl auch etwas übertrieben reagiert. Bitte entschuldige mein Verhalten, aber ich konnte und kann einfach nicht begreifen, warum du dich so sehr von Snape vereinnahmen lässt. Das wird mir immer ein Rätsel sein. Deswegen konnte ich einfach nicht anders handeln."
„Ich musste genau deswegen hart zu dir sein. Es ging nicht anders, Harry, denn du hättest nicht aufgehört. Die Gefahr, dass unsere Arbeit behindert wird, war zu groß. Bitte versteh das und ..." „Ja ja, schon gut, ich frage nicht nach. Eure super geheime 'Arbeit' geht mich nichts an. Ich hatte nur gehofft, du merkst irgendwann, dass du auf der falschen Seite stehst.", unterbrach er sie leicht lallend und Liora wandte sich wieder ab, um weiterhin die Sterne zu betrachten.
Sie hatte keine Lust dieses Thema wieder zu diskutieren. Harry würde immer uneinsichtig bleiben, wenn es um Snape ging und da konnte sie noch so sehr auf ihn einreden. Etwas Unverfänglicheres musste her. „Wirst du dir nach dem Schulstress erst einmal eine Auszeit gönnen?", fragte sie und er brummte nachdenklich. „Erst dachte ich schon daran, aber das würde nichts bringen. Wir sind noch immer im Krieg gegen Voldemort, wie soll ich mich da entspannen und mich ruhigen Gewissens zurücklehnen? Ich werde wohl gleich anfangen eine Wohnung in London einzurichten und dann geht's los mit der Ausbildung zum Auroren. Außerdem müssen wir, wie eben erwähnt, einen Weg finden dieses Monster zu vernichten.", sagte Harry leise und klang dabei alles andere als entspannt. Die Verantwortung, die ab sofort auf seinen Schultern ruhen würde, wäre nicht ohne und er hatte kaum eine Möglichkeit sich davor zu drücken. Dass er sich sorgte, konnte sie also gut nachvollziehen.
„Es wird sich ein Weg finden, Harry. Du bist in diesem Kampf nicht allein und musst das nicht alles mit dir selbst ausmachen. Es gibt genug Unterstützung und bald kommt der Tag an dem ihr eure Chance bekommt.", versuchte sie ihm gut zuzureden und Harry schnaubte leise. Davon schien er ganz und gar nicht überzeugt zu sein! „Dieser Kampf kostet mich schon seit Jahren so viel Kraft. Ich hoffe jetzt dann endlich ein bisschen Normalität aufbauen zu können, trotz allem was früher oder später auf mich zukommen wird. Weit weg von Hogwarts und mit etwas Abstand zu allem was hier geschehen ist, wird es bestimmt wieder leichter. Ich will nur einen Tag mal aufwachen und nicht 'der Auserwählte' sein.", erklärte er und Liora nickte zustimmend. Das konnte sie gut verstehen.
„Liora ..."
„Hmm?"
„Ich weiß, es nervt dich, aber warum hast du mich einfach von dir weggestoßen?" Er klang gekränkt.
„Es musste sein. Du wolltest nicht weiter nachfragen.", erinnerte sie ihn.
„Nein, das meinte ich jetzt nicht. Es ging mir um eine andere Frage, die ich einfach nicht aus dem Kopf bekomme. Wenn diese 'geheimen Gründe' nicht wären, hätten wir dann eine Chance gehabt? Als Freunde und vielleicht auch mehr ...?", fragte er und Liora wandte sich wieder ihm zu. Sie konnte die Sehnsucht in seinen Augen sehen, war aber nicht sicher, ob es nicht nur der Alkohol war, der ihn so emotional werden ließ. „Das kann ich dir so einfach nicht sagen, Harry.", gab sie zu und er änderte seine Sitzhaltung. Harry griff nach ihrer Hand und barg sie in seiner. Er zitterte leicht. War er nervös?
„Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, wir hätten sehr gute Chancen gehabt. Ich habe dich wirklich sehr gern und in deiner Nähe fühle ich mich wohl. Wir verstehen uns gut und solang du bei mir bist, scheint alles andere egal zu sein. Dass du nicht genauso empfindest macht mich verrückt.", flüsterte er und Liora lächelte leicht. Mit ihrer freien Hand strich sie ihm kurz durch die Haare und lehnte den Kopf wieder gegen den kühlen Stein der Schlossmauern. Sehr süß. Ob er das noch immer sagen würde, wenn er ihr Geheimnis kannte? „Ich hab dich auch gern, aber vermutlich empfinde ich wirklich nicht das Selbe wie du. Es wäre nicht gut gegangen, Harry.", versuchte sie ihn in seinem Enthusiasmus zu bremsen.
„Aber du hast dem Ganzen nie eine Chance gegeben, deswegen kannst das unmöglich so sicher sagen! Lass mich dir zeigen, was du verpasst. Bitte ... du wirst es nicht bereuen!"
Was sollte das denn heißen? Liora hob eine Augenbraue und wollte gerade etwas erwidern, als er sich vorbeugte und seine Lippen ungefragt auf ihre presste. Sie zuckte zurück, doch er war sofort wieder bei ihr und versuchte nun sie dazu zu bringen den Kuss zu erwidern. Erst sträubte sich alles in ihr. Der Geschmack des Whiskey auf seinen Lippen, der Gedanke daran, dass er wahrscheinlich einfach zu betrunken war um zu begreifen, was er hier tat.
Er bemerkte ihre Zurückhaltung und unterbrach seine Bemühungen für einem Moment. „Komm schon, lass mich nur dieses eine Mal an dich ran. Nur einmal, Liora ...", flüsterte er an ihren Lippen. „Du bist betrunken, Harry. Wir sollten das hier abbrechen, denn das führt zu nichts.", antwortete sie mit fester Stimme und wich vor ihm zurück. Langsam erhob sich sich und befreite ihre Hand aus seiner. Sie klopfte den Staub von ihrem Umhang und dem Kleid und sah zu ihm runter. Dieser Ausdruck in seinen Augen ... Er hatte noch lange nichts überwunden! Der junge Mann war noch immer schrecklich verliebt und machte sich, angestachelt durch den Alkohol auch noch immer Hoffnung. Was hatte sie erwartet? Dass er vernünftig mit ihr sprach? Er hatte getrunken und die Hormone gingen mit ihm durch. Sie sollte gehen und versuchen zu vergessen, was geschehen war. Vermutlich hätte sie nie kommen dürfen, dann hätte sie es vermieden seine 'Leidenschaft', ob eingebildet oder echt, neu auflodern zu lassen.
„Liora! Bitte!", flehte er jetzt und stand ebenfalls auf. Etwas wackelig, doch er fing sich schnell wieder indem er sich kurz an der Wand abstützte. „Du glaubst, dass ich nicht weiß was ich tue, aber das ist falsch! Ich bin nicht vollkommen betrunken, sondern weiß einfach nur ganz genau, was ich will! Wahrscheinlich sehe ich jetzt klarer, als jemals zuvor. Ich will dich und da ich jetzt kein Schüler mehr bin, sollte es doch möglich sein einen Weg für uns zu finden ..." Liora ließ die Schultern hängen und musterte ihn mitfühlend. Wie gerne würde sie seinem Flehen einfach nachgeben, doch die Stimme der Vernunft rief sie zur Ordnung. Was brachte es ihn aus Mitleid zu erhören? „Ich kann nicht ...", flüsterte sie, doch er war schnell wieder bei ihr und drängte sie mit seinem Körper zurück gegen die Mauer. „Doch, du kannst. Lass es einfach zu! Es ist ganz leicht."
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