Kapitel 7 - Fleischgewordener Schatten
"Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mir das antust!", zischte Evane hinter vorgehaltenem Fächer.
"Ich habe dich gewarnt", antwortete Mr. Brend trocken, "Das hast du jetzt von deinen nächtlichen Ausflügen." Evane verdrehte die Augen. "Stell dich nicht so an! Andere Mädchen wären sehr glücklich."
"Andere Mädchen werden gerade in Seitengassen abgestochen, während ich in diesem Aufzug lächelnd und winkend irgendwelchen Männern gefallen soll!"
"Ich verbiete mir solch einen Ton!", drohte Mr. Brend über das schallende Getrappel der Pferdehufe auf dem Straßenpflaster hinweg. Trotzig verschränkte Evane die Arme vor der Brust. Starrte in ihr trübes Spiegelbild. Die einzelnen Locken ihrer aufwendigen, halboffenen Hochsteckfrisur hüpften bei jedem Schlagloch. Das königsblaue Kleid schenkte ihrer blassen Haut wenigstens den Hauch einer gesunden Farbe. Lächerlich.
Ruckelnd kam die Kutsche zum Stehen. Evane atmete tief ein und wieder aus. Dieser Abend würde all ihre Nerven kosten, doch sie war es ihrem Vater schuldig sich gut zu benehmen. Also setzte sie ihr freundlichstes Lächeln auf, als ein blonder Mann ihr zu Hilfe eilte. Ihr die Hand reichte, weil sie natürlich nicht fähig war alleine die kleine Leiter hinabzusteigen. Schließlich war sie eine Frau!
"Guten Abend Ms. Brend. Sie sehen bezaubernd aus!"
"Vielen Dank, Mr. Crowling. Ich bin überwältigt. Ihre Kutsche zu schicken – das war so aufmerksam. Mein Vater ist fast in Scham versunken. Erst die Einladung und dann auch noch das. Sie sind zu gütig zu uns!" In die kleinen Augen hinter den schmierigen Brillengläsern trat ein freudiger Glanz. Geschmeichelt winkte er ab.
"Ach, das war doch nichts!" Ich könnte im Strahl kotzen.
"Mr. Crowling", begrüßte Mr. Brend ihren Gastgeber.
"Mr. Brend, ich freue mich sehr, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind!" Der Blondschopf fiel in eine tiefe Verbeugung. Evane verdrehte die Augen, ließ ihren Blick über das eindrucksvolle Gebäude gleiten. Unzählige Lampen tauchten das Mauerwerk in ein goldenes Licht. Fein gekleidete Damen und Herren flanierten über den roten Teppich die Treppe hinauf, während sie die anderen Gäste grüßten, ja die Aufmerksamkeit einforderten, die sie so sehnlichst begehrten. Evane hätte sich am liebsten die Kugel gegeben, als tuschelnde Zicken hinter vorgehaltenen Fächern sie verstohlen musterten.
Endlich wandten sich die Männer dem Eingang zu. Während Evane geflissentlich den dargebotenen Arm von Mr. Crowling ignorierte und sich bei ihrem Ziehvater einhakte, versuchte sie angestrengt die anderen Gäste nicht abzuscannen. Nicht nach unehrenhaften Geschäften, Drohgebärden oder gar Waffen zu suche. Nein, heute konzentriere ich mich ganz allein auf Vater. Seine leicht geröteten Wangen, das Glitzern in seinen Augen beschwor ein Gefühl von Wärme in ihrem Bauch.
Die Eingangshalle war eindrucksvoll mit Blumengestecken, flimmernden Kerzen und goldenen Girlanden geschmückt. Aufgereiht zu den bereits offenen Flügeltüren lachte und trank die obere Gesellschaft Sirenfords. Ein jedes Kleid entsprach dem jährlichen Einkommen der Straßenarbeiter. Evane verabscheute dieses Zurschaustellen von Reichtum. Und gleichzeitig ertappte sie sich, wie sie die fein gearbeiteten Schnitzereien an der Wandtäfelung musterte. Wie sie fasziniert an die Decke starrte, das detaillierte Fresko förmlich in sich aufsog. Evane nahm gar nicht wahr, wie Mr. Crowling sie über die anwesenden Gäste aufklärte, Krämer grüßte und die überladenen Colliers ihrer Damen lobpreiste.
"Dieses Meisterwerk ist gewiss das Faszinierendste, was Sie heute Abend erleben werden." Irritiert blickte Evane in die goldenen Augen eines Gentlemans. Fixierte die weiße Strähne in dem ordentlich zurückgebundenen pechschwarzen Pferdeschwanz. Ihr Magen verkrampfte, doch sie gab sich gelassen.
"Eine Beleidigung für die Darsteller."
"Ich habe sie bereits singen hören. Und glauben Sie mir, das war weitaus mehr eine Beleidigung für meine Ohren." Über Evane's Lippen huschte ein winziges Lächeln. Diese kleine Regung wurde mit einer hochgezogenen Augenbraue beantwortet. "Belustigt euch mein Leiden?"
"In gewisser Weise."
"Evane", mischte sich der nervös wirkende Mr. Crowling ein. Seine sachte Berührung an ihrer Taille ließ sie zusammenzucken. Lächelnd reichte er ihr ein Glas Champagner, welches sie widerwillig annahm.
"Mr. Crowling, richtig? Wenn ich so frei sein darf – Walker, Ethan Walker. Ich bin ein großer Fan ihrer Revolver. Kaum eine Waffe liegt so elegant in der Hand wie Ihre." Der gute Mann war sichtlich geschmeichelt. Während er die höflichen Fragen von Mr. Brend beantwortete, flüsterte Walker zu Evane: "Es wundert mich nicht euch an der Seite eines Waffenherstellers zu sehen." Evane fächelte sich die Luft gespielt entsetzt zu.
"Mr. Walker, Sie brüskieren mich. Gibt es hier keine interessanteren Damen, denen Sie ihre Aufmerksamkeit schenken könnten?"
"Nein." Und für den Bruchteil einer Sekunde schlug Evane's Herz nicht mehr im Takt. Irritiert zupfte sie an der Rüsche ihres Spitzenhandschuhs, während sich der stechende Blick des Alchemisten in ihren freien Nacken bohrte.
Mr. Brend räusperte sich. Evane war dankbar, als er sie in Richtung der zwei halbmondförmigen Treppen zog, welche hinauf zu den Balkonen führten. Doch zu ihrem Entsetzen musste sie feststellen, dass Mr. Walker ihnen folgte. Mr. Walker in seinem maßgeschneiderten tiefblauen Anzug mit der königsblauen Fliege, als hätte er diese zu der Farbe ihres Kleides abgestimmt. Die Nächte werden immer gefährlicher - Eine Warnung, die sich bestätigt hatte. Während Evane zwischen Mr. Brend und Mr. Crowling Platz nahm, versuchte sie nicht zu erschaudern, als der Alchemist sich hinter sie setzte. In die einzig andere Reihe ihres Balkons. Als einzig weiterer Gast. Oh Gott. Das ist nicht mein Tag. Ach, was denk ich da? Meine Woche!
Evane zwang sich ihren Blick auf die schweren, samtenen Vorhänge zu richten, auf das anspruchsvolle Bühnenbild und das Orchester zu ihren Füßen. Während sie sich Luft zufächerte, ein kalter Schauer ihr den Rücken hinablief, dimmte das Licht. Allein die Sängerin erstrahlte in einem gleißenden Schein, als sie die ersten Noten anstimmte.
Warme Luft strich Evane's Nacken. Sofort stellten sich die kleinen, unscheinbaren Härchen auf. Sie schluckte, wagte es nicht ihren Kopf zu drehen. Er wird jawohl nicht! Während ihre Ohren drohten abzufallen, wollte ihr das Herz aus der Brust springen. Evane erstarrte, als warme Finger eine zurückgefallene Strähne ihres Haares nach vorne strichen, sanft über ihre Haut fuhren. Evane fühlte sich unglaublich fremd in ihrem eigenen Körper.
Fieberhaft überlegte sie, was sie tun sollte. Doch in ihrem Kopf herrschte eine gähnende Leere. "Entschuldigt mich bitte kurz." Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang Evane auf und verließ hastig den Balkon. Ignorierte die verdutzten Blicke ihres Vaters. Sie brauchte dringend Abstand zu dem Alchemisten. Gehetzt flüchtete sie in den Toilettenraum. Klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Endlich beruhigte sich ihr Atem. Was stimmt nur nicht mit diesen dämlichen Alchemisten?
"Nervös?" Ihr Herz setzte aus. Durch den Spiegel erblickte sie Ethan. Finsternis umzüngelte seine hochgewachsene Gestalt. Während er die Arme vor der Brust verschränkt hielt, blitzten seine weißen Zähne auf. Doch das Lächeln erreichte nicht die geiernden, goldenen Augen.
"Was willst du?", zischte Evane. Gelassen stieß sich der Alchemist von der Wand ab und schlenderte auf die junge Frau zu. Evane kehrte ihrem Spiegelbild den Rücken. Ihr Kopf suchte nach einem Fluchtweg, doch Walker kam immer dichter. Grinsend stützte er sich mit beiden Händen auf der marmorierten Platte ab, umschloss Evane's schmale Taille.
"Warum ignorieren Alchemisten immer meine Distanzzone?"
"Ich weiß nicht.", sinnierte Ethan, "Vielleicht weil du zuerst ihre überschreitest?" Sein Gesicht kam Evane gefährlich nah. Spucken oder Knie hoch?
"Untersteh dich, Evane." Seine Stimme war nur ein Flüstern, doch in ihrem Kopf dröhnten die Alarmsirenen. Evane zitterte. Ihre Beine drohten nachzugeben. Mit einem zufriedenen Grinsen drückte Walker sich von der Platte ab und schlenderte zu den Schatten der gegenüberliegenden Wand. Strich mit einer Hand beim Vorbeigehen über die Tapete, die sich in ein brodelndes Schwarz verwandelte.
"Ich bin hier um dir ein Angebot zu unterbreiten. Informationen für einen Gefallen."
"Ich habe keinen Zugang zu internen Ermittlungsinformationen", antwortete Evane wie aus der Pistole geschossen. Ethan zog amüsiert eine Augenbraue nach oben.
"Nicht du sollst mir Informationen geben, Dummerchen. Ich biete dir welche an. Und in meiner Großzügigkeit erwarte ich lediglich einen Gefallen als Gegenleistung."
"Kein Interesse." Genüsslich musterte Walker Evane von oben bis unten und wieder zurück.
Evane schob trotzig das Kinn vor. Obwohl ihr Puls raste, ihr das Atmen schwerfiel, wollte sie ihm nicht die Genugtuung schenken.
"Ach meine süße Evane", hauchte Walker. Kenne ich dich irgendwoher? "Ich freue mich schon auf dein Gesicht, wenn du mich für Informationen auf Knien anflehst. Wenn du mir alles versprichst." Ein Schauer lief über Evane's Rücken. Ihr Kopf versuchte fieberhaft herauszufinden, wo sie diesen Mann schon einmal gesehen hatte. Selbstverständlich war sie ihm auf der Promenade nicht zum ersten Mal begegnet. Kein Zufall. Die Warnung war eiskalte Berechnung gewesen.
Walker gefiel offenbar die Wirkung seiner Worte auf Evane. Mit einem zufriedenen Lächeln, den Händen in den Hosentaschen wandte er sich zum Gehen. "Wir werden uns wiedersehen, Darling. Und bis dahin..." Er warf ihr einen Blick über die Schulter zu. Seine Augen glichen tödlichen Messerstichen. "Gib dich nicht allzu oft mit diesem Abschaum ab. Ich rieche den Gestank seiner Möchtegern-Alchemie an dir."
Walker trat durch die Tür. Evane war wieder allein. Erst als ihre Beine nachgaben, sie den kalten Fußboden unter sich spürte, bemerkte sie wie Tränen ungehindert ihre Wangen hinunterliefen.
So, ich bin gespannt. Wie findet ihr die drei Herren? Kann man sie gut unterscheiden? Wie kommen sie rüber? Der erste Eindruck würde mich interessieren.
Ich liebe alle drei Charaktere, daher bin ich nicht sonderlich objektiv.
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