Die Entscheidung
Der Schwarzhaarige sah den Rotäugigen ungläubig an. „Du würdest mich einfach so gehen lassen? Wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es doch nicht viele Menschen, mit denen ihr euch binden könnt - du würdest mich nicht zwingen?!“
Daromir schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn du gehen möchtest, bringe ich dich nach Bukarest, oder an einen Ort, an den du möchtest. Denn was bringt es mir, wenn du anfängst, mich zu hassen, oder einen Weg suchst zu entkommen?!“
Eine nicht unangenehme Stille entstand zwischen ihnen, in welcher Harry sich alle Informationen, die er bekommen hatte, noch einmal durch den Kopf gehen ließ.
Was eigentlich nicht notwendig war, denn er hatte sich längst entschieden. Wo sonst sollte er denn schon hin?
Er hatte nichts und niemanden mehr und er würde sicherlich nicht so dumm sein und die vielleicht einzige Chance auf ein glückliches und behütetes Leben in den Wind schießen. Wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass das Leben es vielleicht endlich einmal gut mit ihm meinte.
Also warum noch länger darüber grübeln? Schlimmer wie sein bisheriges Leben konnte es auf keinen Fall mehr werden.
Daromir hingegen tat in der ganzen Zeit nichts anderes als den Kleineren zu beobachten und das Mienenspiel aufmerksam zu verfolgen. Er hatte nicht gelogen. Er würde den Jüngeren nicht zwingen, an seiner Seite zu bleiben, und ihn gehen lassen. Auch wenn es ihn all seine Selbstbeherrschung kosten würde, ihn ziehen zu lassen. Hoffte jedoch, dass es gar nicht erst so weit kam. „Du musst dich ja nicht sofort entscheiden Harry. Du hast lange geschlafen, vielleicht solltest du erst einmal eine Kleinigkeit essen und dich noch-.“
Das Herz des Fürsten sackte ein Stück ab, als er sah, wie der Grünäugige den Kopf schüttelte. Der Schlossherr schloss kurz die Augen und wandte leicht den Blick ab. Versuchte seine Emotionen wieder in den Griff zu bekommen und bekam dadurch gar nicht mit, wie Harry aus dem riesigen Bett des Vampirs krabbelte und auf diesen zuging. Erst als er eine vorsichtige sanfte Berührung auf seiner Hand spürte, flog sein Kopf herum und seine Augen blieben an den Grünen des Kleineren hängen.
Der Gryffindor senkte seinen Blick und betrachtete einige Sekunden lang seine eigenen Finger auf der Hand des Älteren, bevor er leise meinte. „Ich-ich habe mich bereits entschieden.“
Der Fürst wollte gerade ein gezwungenes Lächeln aufsetzen, als er sah wie sich die Lippen des Kleineren zu einem schüchternen, aber ehrlichen Lächeln verzogen. „Ich würde gerne hierbleiben.“
Harry atmete einmal tief durch und sammelte all seinen noch vorhandenen Gryffindormut zusammen. „- bei dir. Und eine Kleinigkeit zu essen klingt wirklich toll.“
Die Augen des Vampirs weiteten sich ungläubig. Die Zeit schien stillzustehen. Ganz langsam sickerte die Bedeutung Harrys Worte in Daromirs Gehirn ein und ein ehrliches Lächeln breitete sich im Gesicht des Fürsten aus. Vorsichtig griff er nach der Hüfte des Zauberers. Zog ihn auf seinen Schoß und legte die Arme leicht um den zierlichen Körper. Sein Rehkitz wollte bei ihm bleiben. Die roten Augen des Clanführers blitzten vor unendlicher Freude und er spürte zufrieden, wie sich sein Rehlein langsam entspannte und sich gegen ihn lehnte.
So saßen sie einfach eine Weile da, bis Harrys leise Worte die Stille durchbrachen. „Ich kann deinen Herzschlag hören und du hast gesagt, dass du geboren wurdest-. Das mit dem ‚untot‘ ist also schon mal falsch.
Ich seh auch keinen Sarg und du bist im Sonnenlicht nicht in Flammen aufgegangen. Was stimmt denn überhaupt von den Dingen, die über Vampire in den Muggelschauergeschichten erzählt wird?“
Der Ältere lächelte und erhob sich, was dem Kleineren einen leisen Quietschlaut entlockte, während er haltsuchend die Arme um den Nacken des Vampirs schlang. Doch dieser hatte nicht vor den Grünäugigen fallen zu lassen. Langsam stellte er den Schwarzhaarigen auf seine Füße und strich ihm eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. „Was hältst du davon, dir einen ersten Eindruck über dein Neues zu Hause zu verschaffen, währenddem wir in einen kleinen gemütlichen Speisesaal gehen, damit du endlich etwas zu essen bekommst.
Nebenbei werde ich dir alle Fragen beantworten, die dir einfallen.“
Harry nickte zögerlich und sah dann an sich hinunter. Was den Vampir dazu veranlasste den jungen Zauberer schmunzelnd und ohne ein weiteres Wort durch die geöffnete Glastüre in das angrenzende Ankleidezimmer zu schieben.
Etwa zehn Minuten später verließ der Grünäugige dann mit einem magisch an seine Größe angepassten weißen Hemd über den Bandagen, einer anthrazitfarbenen Hose und dazu farblich passenden Schuhe am Leib das noble Schlafzimmer. Natürlich an der Seite des Fürsten und staunte nicht schlecht, als er sich wenige Stufen später in einem noch beeindruckenderen Wohnzimmer wiederfand. Er musste sich wirklich sehr beherrschen, damit ihm nicht schlicht der Mund aufklappte. Was den Vampir sichtlich zu amüsieren schien.
Anscheinend sah man ihm trotz seiner mühsam aufrechterhaltenen Selbstbeherrschung die leichte Fassungslosigkeit dennoch an.
Daromir schmunzelte und beobachtete den Jüngeren aus den Augenwinkeln. „Was hast du denn erwartet? Staub und Dreck wo man hinsieht. Spinnweben in den Ecken und alte verschlissene Möbel aus dem 14. Jahrhundert?“
Der ehemalige Held runzelte die Stirn und ließ mal wieder völlig überwältigt den Blick schweifen, während er abwesend murmelte. „Ich weiß nicht so recht, was ich erwartet habe-. Doch das nicht. Ich kann mich noch dunkel an das Schloss erinnern, welches ich gesehen habe, als ich kurz wach war. Und das will mit dem, was ich hier sehe irgendwie nicht zusammenpassen.“
Sie standen auf der untersten Stufe der einzigen Treppe im Raum und blickten in ein großes offenes Zimmer mit hoher Decke. An dieser hingen, über die ganze Länge vier moderne Kronleuchter die den Raum mit einem angenehmen Licht erhellten.
Gegenüber der Treppe befand sich ein gigantisches beiges Sofa in L-Form. Welches auf einem großen weich aussehenden Teppich in derselben Farbe stand ebenso wie ein schwarzer quadratischer gläserner Couchtisch. Der Boden war ebenfalls in einem etwas dunkleren Braun gehalten und aus Holz.
Es gab mehrere recht schmale Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten und mit einem schwarzen modernen Rollo verhangen waren. Die Wände waren in einer dunkelgrünen, fast schwarzen Wandfarbe gestrichen und hoben sich dadurch nur minimal von der Decke ab, die mit schwarzen quadratischen Holzplatten verziert war. Ein Feuer knisterte in einem großen schönen, ebenfalls schwarzen Kamin und an einer Wandseite neben einem der Fenster im vorderen Teil des Raumes konnte der Grünäugige ein deckenhohes Bücherregal entdecken.
Doch trotz der größtenteils wirklich dunklen Farben wirkte der Raum, so wie schon zuvor das Schlafzimmer, durch das Licht und das wärmende Kaminfeuer keinesfalls kalt und düster.
Der Vampir gluckste amüsiert und schob den Jüngeren mit einer Hand auf dessen Rücken sanft durch den großen Raum, auf die gegenüberliegende Tür zu. „Stimmt. Das Schloss kann in der Nacht auf den ein oder anderen schon etwas düster und einschüchternd wirken, vor allem wenn man es das erste Mal sieht, und du warst ja noch nicht einmal mehr richtig wach-“, Daromir grinste. „Aber ich kann über mich mit gutem Gewissen sagen, das ich ganz sicher nicht altmodisch bin, nur weil mein Schloss wie aus einem anderen Zeitalter aussieht. Und das trotz meines doch recht stolzen Alters.
Ich hoffe, du kannst dich hier wohlfühlen? Wir können es auch gerne umgestalten, wenn du möchtest, ebenso das Schlafzimmer-.“
Harry schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein ... es gefällt mir wirklich gut-“, und schielte dann wieder leicht unsicher in Daromirs Richtung. „Darf ich fragen-?“ Harry schluckte nervös, währenddem der Fürst anfing leise zu lachen. Stehen blieb. Sich dem Jüngeren zuwandte und das Kinn sanft mit zwei Fingern anhob, damit sie sich in die Augen sehen konnten. „Natürlich darfst du Harry, alles - und zu jeder Zeit!“ Der Vampir strich mit dem Daumenballen behutsam über den Wangenknochen des Jungen und dachte dann einen Moment lang sichtlich konzentriert über seine Antwort nach. „Geboren wurde ich am 15. Februar 1426-“, der Ältere lächelte schief. „Ich bin jetzt also stolze 570 Jahre alt-.“
Der Schwarzhaarige keuchte. Verzog sein Gesicht und murmelte. „I-ich werde in zwei Wochen gerade mal sechzehn ... ich-!“
Harry atmete tief durch. Schloss ein paar Sekunden lang seine Augen, um sich zu sammeln.
Musste dann jedoch die Stirn runzeln, als ihm eine Kleinigkeit auffiel und meinte fragend an Daromir gewandt. „Dann ist es aber nicht nötig, dass du von deinem Gefährten trinkst ... ich meine-?!“
Der Größere schnappte sich die Hand des Grünäugigen und setzte seinen Weg durch die ebenso luxuriös gestalteten und für alle Anwesenden offen zugänglichen Flure des Schlosses fort, denn die privaten Räume hatten sie bereits seit einer Weile hinter sich gelassen. „Du hast recht, es ist tatsächlich auch für mich nicht überlebenswichtig. Ich kann mich, ebenso wie die gewandelten Vampire von jedem Menschenblut ernähren. Allerdings schmeckt es verdammt scheußlich und hilft nur den Hunger fürs Erste ein wenig zu lindern. Es stillt ihn nie vollkommen.“
Harrys Augen weiteten sich schockiert. „Das heißt, du hast eigentlich immer Hunger?!“
Der Fürst strich zärtlich mit dem Daumen über den Handrücken des Jüngeren und lächelte schief. „Keine Sorge mein kleines Rehlein, ich habe dir ja versprochen nicht einfach so über dich her zu fallen.
Man lernt schon in den ersten Jahrzehnten, dieses Gefühl in den Hintergrund zu drängen, und was dein Alter angeht ... was bringt dich so aus der Fassung? Oder ist es mein Alter?“
Der Gryffindor ließ den Kopf hängen. „Nein, es ist nicht dein Alter. Ich dachte mir schon, dass du als Vampir mit Sicherheit um einiges älter bist. Obwohl ich ehrlich gesagt nicht mit - sooo viel älter gerechnet habe.
Ich meine - ich werde jetzt dann erst sechzehn. Ich habe noch nichts von der Welt gesehen, außer Hogwarts die Winkelgasse und den Ort, an dem ich aufwachsen musste. Ich habe doch absolut überhaupt keine Erfahrung! In nichts! Und du ... ich meine-.“
Harry seufzte und hätte sich jetzt am liebsten die eh schon verwuschelten Haare gerauft. „Ich werde dich bestimmt auf ganzer Linie enttäuschen und blamieren!
Ich meine ... ich hatte ja noch nicht mal-.“
Mittlerweile ähnelte Harrys Gesichtsfarbe der vorherrschenden Farbe im Gryffindor-Gemeinschaftsraum. Doch anstatt für seine Ängste ausgelacht zu werden, blieb der Fürst erneut einfach mitten in dem großen Vorraum stehen, von welchem mehrere Flure und Treppen in verschiedene Bereiche des Schlosses führten. Und der wie der Rest der öffentlichen Flure in den Farben braun und schwarz gehalten war - erhellt durch verschiedene Lämpchen und Kronleuchter und zwang den Jüngeren mit sanfter Gewalt, ihm in die Augen zu sehen.
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