Anouk
Der Schmerz durchfuhr mein Innerstes.
Man könnte meinen, dass man sich mit der Zeit an die Demütigung und Ablehnung gewöhnte, aber so war es nicht. Und ein weiteres Problem in meiner speziellen Situation war, dass es meine Mutter war.
Ich konnte mich nicht so einfach von ihr lösen.
Sollte man seine Kinder nicht eigentlich lieben?
»Du dumme Bitch, komm jetzt endlich runter. Ich habe Hunger. Man, wofür bist du denn hier, du unnützes Stück Scheiße. Jetzt mach endlich Essen.« Meine Mutter schrie durch die Wohnung. Ich hasste es, dass sie so war. Ich glaubte, irgendwann früher war sie auch Mal netter, aber daran konnte ich mich kaum noch erinnern.
Ich hatte gerade schon das Haus saugen müssen und jetzt wollte sie Abendbrot. Ich hoffte sie würde sich mit drei Gängen zufrieden geben.
»Du lahme Sau, beweg jetzt Mal dein fetten Arsch runter.«
Ich kniff die Augen kurz zusammen und seufzte.
Damian drückte mich noch einmal an sich. Er schaffte es zum Glück, die meiste Zeit sich in einem Zimmer zu verkriechen.
So musste wenigstens er sich nicht die Scheiße mit anhören.
»Wie hälst du das nur aus? Bleib beim nächsten Mal doch Zuhause. Tu dir den Drachen doch nicht freiwillig an.« Ich hörte sein leises Murmeln, beschloss aber nicht darauf zu reagieren. Ich sollte mich jetzt eh beeilen, wenn ich kein Prügel riskieren wollte.
Fuck!
Wo waren die Drecksteile nur? Es konnte doch nicht sein, dass die Ofenhandschuhe weg waren.
Das Steak musste jetzt rausgenommen werden.
Mist. So ein Scheiß!
Meine Mutter kam mit einem hämischen Grinsen in die Küche.
»Naa, suchst du etwa was?«
Oh man, ihr eingebildetes Gesicht ging mir so auf den Keks.
Sie machte mich einfach so aggressiv.
»Wo sind deine Ofenhandschuhe?«
»Oh, die ollen Teile suchst du. Die habe ich weggeworfen. Waren fast so hässlich und dreckig wie du. Außerdem brauche ich die ja nicht mehr.« Ihr fieses Kichern ließ mich meine Hände zu Fäusten ballen. »Hast du dann vielleicht irgendwas anderes zum Rausholen?«
»Ja. Aber ich gebe es dir nicht. Du hast es nicht verdient zu leben, warum sollte ich mich um Verbrennungen an dir kümmern. Schau dich doch Mal an.«
Ich senkte den Kopf. Wieso sagte sie nur sowas?
Hasste sie mich wirklich so?
Ich hatte ihr doch nie etwas getan?
Wieso behandelte sie mich wie Abschaum?
Ich verstand es nicht.
Und jedes Mal zog sich mein Inneres zusammen und ich wollte am liebsten heulen, obwohl ich wusste, dass ich nicht auf sie hören sollte.
Wieso kam ich auch jeden Monat wieder her?
Wieso konnte ich mich nicht einfach an meine Vornehmungen und die Rate der anderen halten?
Wieso setzte ich mich jedes Mal wieder ins Auto und fuhr zu ihr?
Wieso war ich so?
Wieso war sie so?
Ich tat so als würde es mir nichts ausmachen und verließ den Raum, um mich auf die Suche nach Tüchern zu machen. Irgendwas würde sie ja wohl haben.
Hoffentlich.
Damian musste mich gehört haben, denn er kam aus dem Zimmer und fragte mich: »Was brauchst du?«
»Tücher, ... und einen Kuss.«, knurrte ich hervor.
Er schaute mich liebevoll an, aber ich sah etwas in seinen Augen, was ich noch nicht deuten konnte. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Eine Art Wut, aber nicht gegen mich, sondern, gegen jemanden, der mich verletzte. Gegen meine Mutter.
Eine beschützerische und fürsorgliche Art Wut. Irgendwie Paradox.
Doch. Ich hatte den Blick schonmal gesehen. Zwar nicht so ausgeprägt, aber es war der gleiche Blick. Bei Avery.
Seine starken Arme umschlungen mich und pressten mich eng an ihn. Unsere Lippen trafen hart aufeinander.
Wir waren beide von Emotionen aufgewühlt und in diesem Kuss trafen sie wie zwei riesige Wellen aufeinander und brachen in sich zusammen.
Meine Hand fuhr an seinen Hinterkopf und ich stöhnte leise in den Kuss hinein.
Unsere Seelen trafen mit dem bekannten Blitz ineinander und verschmolzen. Es fühlte sich schon fast wie Zuhause an.
Ich konnte den Schmerz und meine Mutter ausblenden. Es gab nur noch Damian, mich und den Kuss. Unsere Verbindung. Unsere Liebe.
Wir schafften es tatsächlich uns wieder von einander zu lösen, zwei kleine Handtücher zu finden und ich konnte sogar noch in die Küche rennen, bevor das Fleisch abgebrannt war.
Das Abendessen lief ziemlich verkrampft ab. Damian und ich aßen wenig und redeten nicht. Meine Mutter saute den Tisch ein und beleidigte uns in einem Fort.
Es war kaum auszuhalten.
Als wir endlich fertig waren, mussten Damian und ich abwaschen und für die Nacht sollten wir uns zusammen ein kleines, klappriges Holzbett teilen.
Wobei da das Problem nicht war, dass wir zusammen in einem Bett schlafen sollten, das machten wir schließlich schon eine Weile und es war wunderschön, sondern der Zustand des Bettes.
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