Kapitel 10 - Erwachen
Thranduil rieb sich mit der Hand durch das Gesicht.
Er sah unendlich müde aus. Ausgezehrt von einer Schlacht, dessen Anblick kaum auszuhalten gewesen war. Selbst seine silberblaue Robe hin ihm desolat am Körper. Doch sein wacher Blick ruhte unverwandt auf Linaew, die nun mit fest geschlossenen Augen – ein sicheres Zeichen für sehr tiefe Bewusstlosigkeit bei den Eldar – im Heilschlaf lag.
Endlich, nach einem schier endlosen Kampf, war ihr Geist zur Ruhe gekommen, konnte beginnen zu heilen. Doch war es noch ein steiniger Weg, bis Linaew wieder die werden konnte, die sie war, bevor sie in die Gefangenschaft der Orks geriet.
Ein Schatten hatte sich im Osten erhoben.
Schlimme Dinge erwachten aufs Neue.
Jedes Jahr gewann Sauron neue Kraft, denn die meisten Menschen waren seinen Plänen geneigt. Nach des Königs Überzeugung war der Tag nicht mehr fern, an dem er für die Eldar zu mächtig geworden war.
Seine Niedertracht begann sich wieder zu regen. Ein Nekromant hatte Dol Guldur besetzt und das Böse herrschte wieder in Angmar. Der Schatten wurde immer länger. Dunkelheit begann das Land zu überziehen. Die ruchlosen Kreaturen Mittelerdes spürten dies und folgten dem stummen Ruf ihres Meisters.
Und doch hatten seine Tawarwaith den Schachzug im letzten Moment vereiteln können.
Eine Kreuzung zwischen Orks und Elben.
Der Fürst erschauerte bei den Gedanken, das Ellith die Frucht dieser Zucht austragen mussten.
Er vermochte sich nicht die Qualen vorzustellen.
Doch seine Gefährtin war in Sicherheit.
Sie nahm nichts um sich herum mehr wahr, außer der zwingenden Notwendigkeit zu heilen. Ihr Körper zeigte bereit erste Anzeichen davon. Deshalb war sie mittlerweile so stabil, dass man sie auf seinen Befehl hin in seine Gemächer gebracht hatte. Er wollte seine Liebste in seiner Nähe wissen, hoffte er doch, dass seine Präsenz ihr bei ihrer Genesung helfen würde.
Nur Meister Glandir hatte sich vehement geweigert, seine Patientin so weit aus seinem Einflussbereich gehen zu lassen. Erst Thranduils eisige Stimme und die vor Wut zusammengekniffenen Augen hatten den Obersten Heiler einknicken lassen.
Dies, und die Tatsache, dass Lord Elrond in der Nähe des Königs Gemächer bezogen hatte. Denn der Ziehvater Linaews ließ sich nicht davon abbringen, in der Nähe seiner Tochter zu verweilen.
Nun konnte Thranduil förmlich dabei zusehen, wie die Blutergüsse ihre Farbe veränderten und innerhalb von wenigen Stunden verblassten. Die tiefen Peitschenstriemen begannen zu verschorfen, während darunter neue, gesunde Haut gebildet wurde. Jedoch benötigten die größeren und tieferen Wunden mehr Zeit zum Heilen, ebenso wie der Bruch an ihrer Hand, deren Haut geschwollen undheiß war.
Doch verlief der Heilungsprozess eines Elda, welcher tief versunken im Heilschlaf lag, wesentlich schneller, als bei den Edain. Länger als einen halben Mondlauf verblieben die betroffenen Elben meist nicht in diesem Zustand, denn währte diese Phase der Regeneration länger und der Elb erwachte nicht von alleine, dann tat er es auch später nicht mehr.
Waren die Wunden nämlich zu tief, die Verletzungen zu schwer und wurden die Reserven bei dem Heilungsprozess aufgebraucht gab es keine Energie mehr für die Phase des Erwachens.
Da nicht nur körperliche Gebrechen dazu führen konnten, dass die Energien aufgebraucht wurden, sondern auch seelische Qualen sorgte sich der Fürst um das Leben seiner Liebsten. Zu lange lag sie schon in diesem besonderen Schlaf.
Thranduil betete seit jener Nacht zu den Valar, dass sie ihm seine Geliebte, sein Herz, seine Seele nicht nahmen. Denn er wusste, würde sie nicht überleben, würde er dem Wahnsinn ganz anheimfallen, der bereits an den Rändern seines Geistes kratzte, seit er ihr vor so vielen Zeitaltern begegnet war.
Behutsam flößte er der Elbin etwas Wasser ein, das über die trockenen und rissigen Lippen rann. Er war versucht, sie zu wecken, endlich ihr Antlitz, ohne von Schlaf umwölkt, anblicken zu könne, doch ihm war bewusst, dass ihr dies mehr schaden als nutzen würde.
Leise seufzend sank er auf den Stuhl neben dem Bett und bettete erschöpft das Haupt in seiner Hand. Er war so unendlich müde.
Elrond hatte nach einem leisen Klopfen die Gemächer des Königs betreten, um nach seiner Patientin zu schauen und tastete nun behutsam nach ihrem Plus, lauschte auf ihre Atmung und schüttelte dann doch niedergeschlagen den Kopf.
„Selbst wir Elben kennen den Zustand unendlicher Trauer, in dem wir vergehen und schwinden", murmelte er nachdenklich, neben ihrem Bett stehend und sanft über ihre Stirn fahrend. „Ich hoffe, Ihr habt ihr einen Grund zum Leben gegeben."
Er blickte den Gefährten seiner Ziehtochter ernst an.
„Sie muss sich selbst für das Leben entscheiden, doch nur die wenigsten sind tatsächlich dazu in der Lage, sich diesem Leben dann auf Dauer zu stellen. Ich weiß, dass sie einen starken Geist hat. Zu viel hat sie bereits in ihrem langen Leben durchlitten. Doch hieran könnte sie scheitern, wenn Ihr ihr nicht deutlich gemacht habt, dass hier ihr Gefährte auf sie wartet und um ihr Leben bangt."
Thranduil hörte stumm und ausdruckslos dem Noldo zu.
„Ich bitte Euch, aran Thranduil, sprecht mit ihr. Gebt ihr einen Halt, der sie aus der Dunkelheit zieht. Denn seht Ihr, ihr scheint es langsam besser zu gehen. Noch ist ihre Gesichtsfarbe sehr blass und sie liegt noch im Heilschlaf, aber sie atmet ein wenig tiefer und regelmäßiger. Es scheint nicht mehr lange zu dauern, bis sie wieder erwachen wird."
Unversehens wurden die beiden Elben von einem Geräusch aufgeschreckt.
Linaew bewegte sich leise stöhnend im Bett. Ihre Augenlieder waren nicht mehr fest geschlossen, wie in den Tagen zuvor. Sie waren halb geöffnet, während ein Schleier über ihrem Blick lag.
Indes würde es noch Stunden dauern, bis die Elbin tatsächlich erwachte. Stunden, in denen die Sonne über dem Nebelgebirge unterging.
Doch nun war erst mal Ruhe in seine Räumlichkeiten eingekehrt, keine Zwillinge, die sich die Klinke in die Hand gaben, kein Legolas, der Elladan nötigte, mit ihm auf den Trainingsplatz zu gehen und besonders keine Arwen, die leise summend im Sessel saß und stickte!
Endlich gehörte seine Gefährtin nur ihm alleine.
Und so stand Thranduil Oropherion mit einem Becher Dorwinion auf dem Balkon seines Gemaches und sah in den Nachthimmel. Die Sterne funkelten so hell und doch erreichte ihr Licht sein Herz nicht.
Er blickte mit trüben Augen zum Firmament hinauf und betete stumm: „Oh Elbereth, warum musstet ihr Valar mir meine Seelengefährtin offenbaren und mir dann ihre gebrochene Seele überlassen? Ich kann nicht ohne sie leben, wenn sie Mittelerde verlassen sollte. Ich kann nicht ohne sie auf dieser Welt bestehen. Warum quält ihr mich so?"
~. . . ~
In der Nacht kam das Fieber und wütete in Linaews Körper, bis sie kaum noch zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden konnte. Ihr Körper warf sich mit allem, was er hatte gegen die letzten Reste der Dunkelheit und Bösartigkeit Saurons.
Inmitten dieses Fieberwahns gab es nichts, woran sie sich klammern, woran sie glauben und worauf sie hoffen konnte. Nichts was ihr die Kraft verlieh, gegen das Fieber anzukämpfen.
Sie war allein.
Thranduil.
Ein Name in ihren Gedanken. Ein Name, der etwas in ihrem erkalteten Herzen berührte.
Thranduil.
Sie erinnerte sich vage an eine Berührung ihrer Seelen. An seine Liebe und seine Stärke, die er ihr schenkte.
An seine Gegenwart in ihrem Geist.
Mit einem Mal war sie nicht länger allein. Da war ein goldener Schimmer, der ihr den Weg aus der Dunkelheit wies.
Und so erlosch das Wüten des Fiebers in den Morgenstunden eines neuen Tages und Linaew fiel in einen ruhigen, erholsamen Schlaf.
~. . . ~
Im blassen roséfarbenen Licht, in das die aufgehende Sonne an diesem Morgen den Raum tauchte, glaubte Legolas für einen Augenblick, einen Hoffnungsschimmer in den Augen seines Vaters aufblitzen zu sehen.
„Deine ganze Seele schreit verzweifelt nach Linaew", murmelte Legolas erschüttert. Besorgt über das verwirrende Mienenspiel seines Vaters, das von Qual zu Hoffnung wechselte.
Müde rieb sich Thranduil die pochenden Schläfen.
„Athon", hauchte der Fürst, ehe er seine ruhelose Wanderung wieder aufnahm. Reizbarkeit sprach aus jeder seiner Gesten. Wie ein wildes Tier bewegte sich der König im Zimmer auf und ab, und Legolas wagte nicht, einen Laut von sich zu geben, denn des Fürsten Augen sprühten Eisfeuer.
Die Stille in seinem Geist war schier unerträglich, jetzt, da er wusste, dass dort noch eine andere Stimme sein müsste.
Die seiner Seelengefährtin.
Doch zu lange schon lag sie im Heilschlaf.
„Sieh doch, Adar", hielt ihn Legolas auf. „Sie beginnt zu erwachen."
Linaew schlug die Augen auf und fühlte sich, als sei sie gestorben. Verwirrt blickte sie sich um, während ihre Hand fahrig über das weiche Laken strich.
Wo war sie? Sie kannte dieses Gemach nicht. Alles, an was sie sich erinnerte, war die dunkle, kalte Höhle. Tonnen von Gestein um sie herum, die sie schier zu erdrücken schienen.
Sie bemerkte die beiden hochgewachsenen, in edle Gewänder gehüllten Männer, die mit den Schatten zu verschmelzen schienen, nicht. Zu sehr war sie in dem beängstigenden Gefühl, lebendig begraben zu sein, gefangen.
Ein ersticktes Keuchen wich aus ihrer Kehle und mit schmerzverzerrtem Gesicht fiel sie auf die Seite.
Thranduil zuckte automatisch vor, doch dann bedeutete er leise seinem Sohn, nach Elrond zu schicken.
Er hatte die Angst in ihren Augen gesehen.
Es erschien ihm ratsamer, dass seine Gefährtin erst ein bekanntes Gesicht erblickte, als einen ihr wildfremden Mann.
Nur das beständige Zucken ihrer schmalen Schultern verriet dem Fürsten, dass sie von heftigen Schluchzern geschüttelt wurde.
Es zerriss ihm schier das Herz, sie so leiden zu sehen und doch wagte er es nicht, seine Gedankenfinger nach ihr auszustrecken, zu sehr fürchtete er, sie zu verschrecken.
In dem Moment, in dem Linaew sich aufsetze und fahrig die Augen wischte, betraten Elrond und seine Söhne die Gemächer des Königs.
Thranduil bedeutete ihnen leise zu sein, winkte sie näher und deutete auf die Elbin, die im angrenzenden Schlafgemach leblos im Bett saß.
Wie eine Hülle. Stumpf und leer.
Plötzlich sprang die Elbin auf, stürzte jedoch sofort wieder kraftlos zu Boden.
Behände eilte Elrond auf die junge Elbin zu, die auf dem Boden kauert und berührt sie sanft an der Schulter.
Ihre Augen richteten sich sofort schreckgeweitet auf die Hand, die sie zu trösten versuchte. Ihr Blick huschte ängstlich nach oben und erblickte einen schlanken, alterslosen Mann, dessen dunkle Haare ihm bis zur Hüfte fielen. Während sie gepeinigt aufstöhnte, wich sie zitternd vor ihm zurück.
Elrond zog seine Hand wieder fort und blickte seine Ziehtochter einen Augenblick lang mitleidig an.
Der Noldo sprach beruhigend auf Linaew ein, die mit leerem Blick zu Boden sah. Dann schlug sie plötzlich um sich, wie eine Wilde.
„Nein, geht weg! Geht weg!", wimmerte sie unter Tränen.
„Daro, Linaew! Daro!" rief er entsetzt und stolperte dabei über den Sessel, der neben dem Kamin stand.
Hilflos musste Thranduil mit zu sehen, wie sie sich verzweifelt die Haare raufte und weinte. Er schluckte hart, konnte es kaum ertragen, sie so zu sehen.
„Linaew, sieh mich an, mein Kind", murmelte Elrond hypnotisch. Behutsam legte er eine Hand an ihre Wange. Verschreckt zuckte die Elbin zurück.
„Nein!", brachte sie panisch in Westron von sich. „Fasst mich nicht an! Geht weg von mir!"
„Beruhige dich, Linaew", murmelte der Halbelb leise in seiner melodischen Sprache. Sein Daumen strich leicht über ihren Wangenknochen, als sie kurz die Augen schloss.
Als sie spürte, wie er ihr über die Wange strich, zuckte sie geschockt zurück.
„Geht weg von mir!", schluchzte sie unter Tränen, die wie funkelnde Diamanten von ihren Wangen perlten. Noch immer verließen keine elbischen Worte ihre Lippen.
„Sieh mich an, Linaew." Elrond legte nun auch seine andere Hand an ihre Wange und zwang sie sanft, ihn anzusehen. Zärtlich wischte er ihr mit dem Daumen die Tränen von der Wange, im vollen Bewusstsein, das sechs Augenpaare seine Berührung verfolgten.
„Wer seid Ihr?" Linaews fein geschwungenen Augenbrauen waren ängstlich gerunzelt und doch erkannte sie in dem Mann vor ihr nicht ihren Peiniger.
„Ihr Valar!", flüsterte Elladan bestürzt in Sindarin. „Sie erinnert sich nicht."
Elrond war vollkommen erstarrt, als ihm bewusst wurde, dass jedes Wort, das er bisher von ihr vernommen hatte, in der gemeinsamen Sprache Mittelerdes gesprochen war.
„Ich bin Elrond", wechselte er mühelos ins Westron. „Dein Ziehvater." Er deutete auf die anwesenden Männer. „Das sind meine Söhne Elladan und Elrohir."
„Elrohir", wisperte sie und ein Funke Erinnerung glomm in ihren Augen auf, ehe ihr Blick wieder abwesend wurde.
„Und aran Thranduil, König des Taur-nu-Fuin, wo du dich gerade befindest, sowie sein Sohn Legolas." Elrond wagte es nicht, Linaew ihren Seelengefährten zu offenbaren. Zu instabil war sie, um diese emotionale Verbindung zu verkraften.
Langsam wanderten ihre Augen zu ihm, aber der Fürst hatte das Gefühl, als würde Linaew durch ihn hindurchschauen.
Dennoch konnte er bald darauf die ersten zarten Schwingungen ihres Geistes fühlen.
Thranduil entwich ein überraschtes Keuchen, als die Leere in seinem Geist mit ihrer Präsenz gefüllt wurde. Am Anfang nur schwach, doch der König wusste, je länger sie bei ihm blieb, desto intensiver würde ihre Gegenwart werden.
Und wieder war da dieses Gefühl, dass ihre Seelen eins wurden. Unzertrennlich bis ans Ende der Zeit.
„Thranduil ...", murmelte sie mit schwacher Stimme. Doch schien ihr Blick nun wacher auf ihm zu liegen und ein kaum wahrnehmbares Funkeln trat in ihre traurigen Augen, denn aus seinem edlem Gesicht blickten sie unergründliche Iriden an.
Behutsam hob Elrond die Elbin auf das Bett, setzte sich neben sie und zog sie an sich, bis ihr Kopf an seiner Brust lag. Flüchtig streiften seine Lippen ihre Stirn und den Haaransatz. Mit einem Blick bat er Elrohir, ihm einen Becher Tee zu bringen.
Wimmernd verkrampfte sie sich und kniff die Augen zusammen. Fest presst sie ihre Lippen aufeinander, dass jegliche Farbe aus ihnen verschwand. Sie keuchte überrascht auf, als Elrond unerwartet beide Arme um sie schlang und eine Hand davon sich vorsichtig in ihren Nacken legte, und begann sie zu kraulen.
Bedächtig wurde ihr ein Becher mit Tee an die Lippen gehalten, der Ruhe in den Geist einkehren ließ.
Erschüttert verharrten die vier Elben, bis sie an Linaews gleichmäßigen Atemzügen erkannten, dass sie eingeschlafen war.
Ellith => Elbinen
Edain => Menschen
Daro, Linaew! Daro! => Hör auf, Linaew! Hör auf!
Taur-nu-Fuin => Düsterwald
Adar => Vater
Hallo meine lieben Leser,
da bin ich wieder. :D
Nun ist Linaew also doch aufgewacht. Yea, ein weiterer Schritt ist in Richtung Heilung getan. Und zum ersten Mal hat sie Thranduil bewusst gesehen.
Dies war ja nun ein doch eher ruhigeres Kapitel. Ein wenig Zeit, um zu verschnaufen. ;)
Genießt das zweite Adventswochenende! Auf welche Weihnachtsmärkte geht ihr so? Und wie war euer Nikolaus?
Eure Shanti
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