Kapitel 5;2 - Innere Rebellion
Chase saß am Bach. Neben ihm knisterte ein Feuer — das nicht nur verräterisch genau seine Position verriet, sondern auch angenehme Wärme durch die Herbstnacht jagte.
Dolunay schritt mit trügerischer Selbstsicherheit zu ihm. Das blaue Leuchten ihrer Haut reflektierte auf dem Wasser. Mittlerweile waren die frühen Abendstunden dunkel; letzte Vögel verirrten sich in der Ferne und Laub wurde von der Strömung fortgetrieben. Im Hintergrund verschwand das Gewässer im Wald.
Harding drehte sich zu ihr, noch bevor sie in Hörweite gelangte.
Eine Zigarre klemmte zwischen seinen Fingern. Eine weiße Wolke erhob sich in den Himmel und vereinte sich mit dem Qualm des Feuers.
»Wo hast du die denn schon wieder her?«, fragte sie — und eine solche Woge Nostalgie entlud sich über ihr, dass sie fast untergespült wurde. Sie wurde langsamer; Schritte mechanisch; die Atmung flach.
Es fühlte sich richtig an, auf ihn zuzugehen. Und nun, wo sie darüber nachdachte, verdrehte sich dieses Gefühl, bis es im Gegenteil endete. Es war falsch. Mit ihm zu reden, als sei er ein alter Freund, war nicht, was es gewesen war. Es war falsch. Falsch, falsch, falsch.
Chase erwiderte die Offenheit nicht. Anstatt eines amüsierten Blicks über seine Schulter, verirrte sich Verwirrung in seinen Zügen... Auch, wenn sein Ton noch der selbe war, wie damals: »Asche kommt an sowas immer heran.«
Die Perlen in Dolunays Haaren — die wenigen, die die Flucht aus Brus überlebt hatten — klimperten, als sie sich neben ihn in das Gras setzte. Sie legte ihr Kinn auf den Knien ab, während sie über das trübe Gewässer herausblickte. »Die Sache mit Oryn und dem Aart-Priester tut mir Leid.«
»Im Endeffekt ist zwar nichts passiert... Aber-« Chase stieß den Rauch beim Sprechen aus. »Ich verstehe es nicht. Seit wann stellst du dich auf die Seite der Aart-Priester?«
»Das war- Es ist nicht so gelaufen, wie ich wollte. Ich habe darüber nicht wirklich nachgedacht.«
»Darüber nicht nachgedacht? Du warst ziemlich überzeugt, dass wir Brus retten sollten.«
»Vielleicht sollten wir ihn nochmal anhören.« Sie zwang sich, fortzufahren, als er nicht antwortete. »Es gibt erste Hinweise auf Nahrungsmittelknappheit, oder nicht?«
Chase schloss die Lider. »Dolunay. Das ist jeden Herbst so.«
Diese spannte den Kiefer an. Ihr Verstand zwang sie, das Gespräch am Leben zu halten — doch am Ende gewann die Angst. Stattdessen zeigte sie auf die Zigarre. »Darf ich?«
Er überlegte lange genug, dass die Frage unangenehm wurde.
Er brummte erst; überreichte sie ihr dann.
Den Kopf hatte er in den Nacken gelegt, um in den Nachthimmel emporzublicken. Die zwei Monde waren hässlich-schwach und thronten als Sicheln über den Baumwipfeln.
»Dieser Cruor, der jetzt im Krankenlager ist«, sagte er schließlich. »Was hat der mit Rhun zu tun?«
»Alte Bekannte. Wir sind ihm begegnet. Er ist... Ich weiß nicht, wo er hergekommen ist. Wir-«
»Wir?«, unterbrach Harding. Er zog die Brauen herunter, bis sich das finstere Starren hervortat, dass er sonst nur hatte, wenn er Schelten verteilte.
Wie auch Dolunay hatte er keine eindeutige Mimik, sondern eher eine Aneinanderreihung willkürlicher Muskelregungen. Doch sie hatte mittlerweile gelernt, aus jedem steifen Gesicht die Abneigung herauszulesen.
Sie erklärte langsam: »Veu Rhun wollte mir etwas zeigen. Er hat eine Stelle entdeckt, von der aus man auf Brus schauen kann. Ich bin ihm gefolgt.«
»Aber-«
»Ich habe nicht viel mit ihm zu tun. Ich bin eigentlich alleine, die meiste Zeit.«
Er nahm die Zigarre wieder an sich. Seine Aufmerksamkeit verlor sich auf einem unsichtbaren Punkt in der Ferne. Er nahm sich Zeit, zu antworten. Immer wieder atmete er tief ein, doch keine Worte fanden heraus. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Und was hat er herausgefunden? Was war so wichtig an Brus?«
»Ich kann es nicht beschreiben.« Dolunay hob ihre Hände, um sich durch Gesten zu helfen. »Es sah aus wie eine violette Wand. Sie hat direkt vor der Stadt gewabert. Direkt hinter der Mauer. Man konnte die eigentlichen Gebäude nur noch erahnen.«
»Die Stadt ist dem Untergang geweiht. Sie gehört zu den zerstörten Orten dieser Welt abgelegt.«
»Chase. Brus ist dein Zuhause. Noch mehr als meins. Damals hätte dich nichts dazu getrieben, sie freiwillig zu verlassen.«
»Es ist nicht mein Zuhause. Sie hat nie mir gehört. Den Hauptteil meines Lebens hat mir gar nichts gehört.« Er legte den Kopf schief. Durch seine wilden Locken schimmerten die Augen, wie große Edelsteine.
»Möchtest du aber nicht versuchen, zurückzukehren? Würdest du jemals wieder in eine andere Stadt ziehen wollen? Ich dachte, deine Handlungen seien tief in Brus verwurzelt.«
Sein Schweigen war Antwort genug. Er zog die Lippen ein. »Das ist es aber nicht wert, wenn ich mit einem Aart-Priester kooperieren muss.« Die Zigarre hielt er fest, dass sie diese nicht an sich nehmen konnte. »Und du? Wieso liegt dir so viel daran?«
»Ich möchte, dass sich deine Gereiztheit legt. Ich möchte bei dir bleiben.«
»Kannst du doch. Hab ich dich weggescheucht?«
»Ich erkenne, wenn ich unerwünscht bin.« Sie streckte eine Hand aus, legte sie zögerlich auf sein Bein, drückte zu. »Ich will wieder zurück.«
»Kein Grund. Wir leben jetzt immerhin in Sicherheit. Ich habe keine Wachmänner mehr, die mich kritisch beäugen. Ich hab nur noch Kenga, der jeden mit seinen Witzen belästigt. Und mit meiner Vergangenheit kann ich auch abschließen. Ich-«
Im Hintergrund erhoben sich Geräusche. Es waren Gespräche fremder Stimmen.
Dolunay deutete ihm an, ruhig zu sein.
Etwas knirschte; Holz splitterte. Unruhige Schritte bebten hinter den nahen Hügeln.
Gerade als sie sich konzentrieren wollte, wurde ihre Aufmerksamkeit auf einige lautere Worte gelenkt, die Anweisungen brüllten. Es klang wie eine Mischung wilder Akzente, die in der Ferne aufeinander trafen.
Dolunay stieß Harding in die Seite. »Hörst du-«
»Hm-mh« Er reckte seinen Kopf, stand auf, um über das Buschwerk blicken zu können. Seine Wirbelsäule stach weit genug aus seinem Hemd heraus, als sei ein Dornenzweig unter seine Haut gespannt worden. »Kommt das von Asches Siedlung drüben?«
»Nein, ganz sicher nicht.« Dolunay konnte den besserwisserischen Klang in ihrer Stimme nicht unterdrücken. Sie sprang über das Wasser und lief den Hügel aufwärts.
Sobald sie den Schein des Feuers verließ, flammte ihr eigenes Licht auf.
Harding schloss sich ihr an.
»Das müssen mehrere Dutzend Leute sein«, schätzte er. Für einen Augenblick befürchtete Dolunay, er würde zusammenbrechen.
Sein Körper hatte sich von der Folter erst schwach erholt — und sein Verstand wahrscheinlich gar nicht. Er bewegte sich nicht für lange Zeit; verlor jeden spielerischen Kampf mit Asche und stolperte von einer Entzündung in die nächste.
Doch sie hatte keine Zeit, sich Sorgen zu machen.
Dolunays Unruhe trommelte in ihrer Brust. Gerade, als sie annahm, die Spitze vom Hügel erreicht zu haben, drückte Chase sie an der Schulter auf den Boden.
»Willst du uns verraten, Glühwürmchen?« Er stieg über sie hinweg auf einen Felsen, um in das Tal zu blicken. »Oh, ach du scheiße.«
»Was siehst du?«, hauchte Dolunay. Sie krabbelte neben ihn und spähte zwischen die Steine. Ein Lager wurde aufgeschlagen. Karren und Wagen standen abseits, einige Tiere wurden getrieben.
»Hoffen wir, dass die keinen Streit suchen«, zischte Harding.
»Naja, wenn das Flüchtlinge aus Brus sind... Ich bezweifle, dass sie die Karren aus der Stadt mitgenommen haben. Die haben sie bestimmt gestohlen.«
»Wir sollten Sichel Bescheid sagen.«
»Wir sollten hoffen, dass sie die Siedlung nicht vor uns finden«, gab sie zurück.
Harding schaute zu ihr — und diesmal war sein Blick passend zu seinen Worten: »Sowas hat uns gerade noch gefehlt.«
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