Kapitel 28;3 - Letzte Worte blinder Richter
Rhun bereitete sich sofort auf einen entschiedenden Stoß vor — dass die Monster ihre Arme in seine Brust rammen würden, oder Chase entschied, dass es besser wäre, sie alle zu erlösen, bevor es so weit kommen konnte.
Und im selben Moment wusste er nicht, was ihm lieber war.
Einen Augenblick sahen sich die Seiten nur an — mit tiefer Stile, die gewaltsam dadurch beendet wurde, dass zwei Monster nach vorn sprangen. Sie trafen mit den Schultern gegeneinander und nahmen den engen Raum ein.
Verde trat vor und schoss mit seinen Schwertern in die Oberkörper der Wesen hinein. Rhun leuchtete ihnen mit dem Stab direkt ins Gesicht, doch die weißen Wesen schoben ihren Arm nach hinten und stachen in Verdes Taille, ohne sich davon beirren zu lassen.
Er reagierte nicht — merkte wahrscheinlich nicht einmal dass sie ihn infiziert hatten. Der Hüne schlug weiter auf sie ein, ging einen Schritt nach vorn und stürzte sich auf die anderen beiden.
Kenga bewegte sich an seine Seite.
Rhun sah nicht länger zu. Er hörte das schmerzverzerrte Stöhnen und entschied sich, den Weg nach draußen zu suchen. Seine Schritte donnerten auf dem Boden und er musste den Leuchtstab zur Hilfe nehmen, indem er ihn als Gehstock verwendete.
Dolunay war sofort an seiner Seite.
Er sah die Aart aus dem Augenwinkel an, bevor er erkläre: »Die Monster könnten hier überall sein. Ich empfehle, wir gehen schnell dorthin, wo Harding uns hinbringen möchte. Wir sollten uns von Gängen fernhalten, in denen Licht brennt, das vom Stamm betrieben wird. Sie fühlen sich vom Stamm angezogen.«
»Ich- Was? Ich dachte, sie lassen sich von Licht abschrecken?«, stammelte sie.
Er konnte nur die Schultern hochziehen. »Vielleicht ist es die selbe Art morbide Faszination, die auch wir mit Dingen haben, die uns töten können.« Auch, wenn das keinen Sinn ergab. Es war immerhin eine Erklärung und es war nicht Rhuns Aufgabe, biologische Fakten zu liefern.
Dafür könnte man Turem kontaktieren.
Rhun hatte seine Maske der Neutralität längst fallen gelassen; aber sie war ihm noch mehr entwichen, als er hinter ihm den spitzen Schrei von Kenga hörte. »Laufen! Laufen!«, donnerte durch die Flure.
Für einen viel zu langen Moment stand der Cruor noch da; dann preschte er vorwärts, mit neu errungener Kraft. Er schaute nicht hinter sich, doch hörte die unzählig vielen nackten Füße, die gespenstisch über das raue Gestein huschten.
Chase schubste Rhun zur Seite, um an Dolunay heranzukommen.
Er legte seine Hand auf ihren Rücken und führte die Gruppe nach vorn.
Rhuns Lunge prickelte, brannte — und für einen Moment befürchtete er, innehalten zu müssen. Die Bedrohung des nahenden Todes beflügelte ihn allerdings genug, damit er rennen konnte.
Harding ging plötzlich in der Dunkelheit verloren; nur Dolunays heller Schleier zeigte, dass sie nicht gegen eine Wand liefen.
Selbst der Stab in Rhuns Händen hing schlaff an seiner Seite herunter. Er hatte keine Kraft, ihn hochzuhalten.
»Lauft!«, brüllte Kenga erneut.
Rhun stolperte über etwas, doch konnte sich schnell genug fangen, um nicht auf Dolunay zu fallen. Er reihte sich neben ihr ein.
Etwas warmes kitzelte sein Gesicht; dann in seinem Nacken — eine schwere Wolke an Hitze, als würde er an einem Feuer vorbeilaufen. Etwas zischte, dann knirschte es.
Noch bevor er sich umdrehte, flackerte warmes Licht an den Wänden. Feuer.
Sofort wirbelte er herum, um Harding zu sehen, der einen Holzbalken — auf welche wundersame Weise auch immer — vollständig in Brand gesetzt hatte. Die Flammen fraßen sich durch das trockene Holz.
Der Bogen aus Holz brannte lichterloh.
Rhun wagte sich, etwas langsamer zu werden, doch ein strafender Stoß in den Rücken versetzte ihn zurück in Bewegung.
Mit einem Mal schien der Raum kleiner zu werden. Immer mehr Schläge schienen auf Rhuns Rücken zu trommeln. Ein kleiner Spalt — eine Tür, scheinbar — öffnete sich vor ihm. Irgendwie bewegte er seine Beine hindurch, ohne sie kontrollieren zu können. Verdrägte Gerüche nahmen sein Bewusstsein ein und Erinnerungen plagten seinen Verstand, die Rhun zu vergessen behauptet hätte.
Er presste seinen Rücken gegen die Wand an einer Treppe, doch die Schmerzen auf seinem Rücken endeten nicht — stattdessen schien Rhun in ihnen zu versinken.
***
»Veu?«, war das erste, was durch die steinerne Masse in seinem Kopf drang.
Er schlug die ausgestreckte Hand weg, setzte sich hin.
»Es ist in Ordnung. Sie sind sicher, Sie sind sicher.« Irgendwann kam es auch in seinen Gedanken an, welche von Angst zerfleischt wurden und Schuld und Scham und Unsicherheit.
Rhun zog die Beine an den Körper.
Neben ihm wurde etwas weggeschliffen — es waren die Überreste eines schwarzen Monsters.
Er schaute auf die Tür, durch die sie gekommen waren, orientierungslos — gänzlich verwirrt und noch halb in den Erinnerungen gefangen, die ihm zuvor so lebhaft vorgekommen waren.
Nun war er da, doch fühlte sich wie ein Kind.
»Brauchen Sie etwas?«, fragte Kenga, der an der gegenüberliegenden Wand hockte.
»Nein« Rhuns Stimme war kalt und hart wie Eisen. »Ich benötige lediglich eine Kurzfassung von dem, was geschehen ist.«
Chase und Dolunay tauschten einen Blick aus.
Blut kroch heiß in Rhuns Adern — und eine unberechtigte Wut brachte ihn fast dazu, aufzustehen und den Raum zu verlassen.
»Wir haben die Monster fast allesamt im Keller einsperren können«, antwortete ein anderer Leibwächter zögerlich, als die anderen nicht antworteten. »Die restlichen haben wir hier bekämpft, Veu.«
»Dolunay und ich haben noch die Lage kontrolliert«, erklärte Oryn. »Wir sind nun im Gerichtsgebäude. Von hier aus müssen Sie uns führen.«
Rhun sah sich um — und stellte jetzt fest, wo er tatsächlich war: dort, wo es zu den Gefängniszellen ging. Da, wo er auch die Gruppe gefangen gewesen war — und Kellen.
Kellen. Der Mann hatte es nie lebendig aus Brus geschafft. Er war noch eingesperrt gewesen, als die Stadt untergegangen war.
Der Cruor stand träge auf und bewegte sich die Treppen hinab, die zu den Zellen führten. Oryn und Dolunay mussten Fackeln entzündet haben. Es sah fast genauso aus, wie damals.
Mit dem Leuchtstab als Gehstock wanderte Rhun an den Zellen vorbei, bis er vor einem Gitter stehenblieb, hinter welchen Kellen und sein Freund eigentlich saßen.
Er öffnete das Tor, betrachtete die zwei verwesenden Körper, die schon fast zu Skeletten geworden waren.
Rhun sank auf die Knie; den Stab noch als Stütze in der Hand. Er kannte seine eigenen Gedanken nicht, aber er hoffte auf eine friedliche Ruhe der beiden.
»Vielen Dank für Ihre Informationen«, sagte er. »Sie waren der erste, der mich eingeweiht hat, trotzdem es nicht Ihre Aufgabe war. Und ich habe Ihnen im Gegenzug nichts geben können.« Er blinzelte durch die verschwommene Sicht, die er hatte. Gedanken — verfremdet von Gefühlen, verklebt durch alte Erinnerungen. Rhun war nur noch eine Hülle. Und er fühlte sich viel zu sicher, trotzdem sein Körper von einem Monsterbiss zerfleischt wurde. »Ich hoffe, dass Ihr Gott, an welchen Sie auch glauben mögen, Ihnen einen Platz im Äther geschenkt hat.«
Er flüsterte ein Gebet, das man stets für jene sprach, deren Götter man nicht kannte. Es war kurz, recht eintönig, aber bedeutungsvoll genug.
Vielleicht war es sogar besser, dass es leicht war — Rhun fehlte Kontrolle und Konzentration und er versuchte auszublenden, was die Gruppe im Nebenraum sagte.
Er zuckte zusammen, als Harding sich näherte. Der Mörder hielt ausreichend Abstand. »Wir haben ein Problem«, hauchte er angespannt.
Rhun drehte den Kopf um, als Dolunays Licht an den Wänden entlangtanzte.
Kengas Stimme begleitete sie: »Er hat gesagt, er ist ein Cruor!«
Ihr Gesicht war in Panik verzerrt, als die Aart ihn anstarrte. »Der Junge ist weg. Er ist ein Kind.«
Der Nachtschwärmer fügte erklärend hinzu: »Wir vermuten, er will mit den Monstern verhandeln.«
Rhun stand auf; trat an die geschlossene Tür der Zelle. »Er hat mir gesagt, dass er ein Cruor ist.«
»Mit der Erfahrung eines Kinds! Verstehen Sie denn nicht, dass er keine Erinnerungen sammeln konnte! Er hat noch kaum richtig gelebt!«
»Er ist doch nur vom Körper-«
»Nein, auch von den Erinnerungen! Er ist genauso menschlich, wie Sie, nur noch viel jünger!«
Der letzte Satz tat es.
Rhun schaute die drei an, riss die Tür auf und rannte blind an ihnen vorbei. »Das ist dann nicht seine Aufgabe! Ich kümmere mich allein darum!«, rief er.
Er nahm die Stufen blind, hakte mit den Hörnern gegegen die niedrige Decke, lief an Oryn und Verde und dem anderen Leibwächter vorbei und bedachte sie keine Sekunde länger.
Er navigierte durch das Haus, so, wie er es damals getan hatte, nahm den Hintereingang und riskierte es, sich für die Monster angreifbar zu machen, als er zwischen den Gebäuden wechselte. Die Stadt war so kalt, Rhuns Herz so müde, und die Rufe der Monster waren leise.
Brus war wie tot.
Sobald Rhun die Eingangshalle des Regierungsgebäudes betrat, huschte ein Schauer über seinen ganzen Körper. Das letzte Mal, als er zu den Monstern gegangen war, war dieser Bereich mit Kerzen ausgleuchtet gewesen. Nun lagen hier nur die ausgeschlachteten Überreste einer weißen Kreatur.
»Bursche!«, brüllte Rhun, während er die Wendeltreppe nahm, die in den Keller herunterführte. Er hörte Schritte. »Bursche!«
Die Luft wurde stickig, je tiefer er kam. Er fiel mehrfach fast herunter, doch wagte sich nicht, langsamer zu werden — bis er eine Stimme hörte.
»Bin ich hier richtig?«, fragte der Junge, der vor der hölzernen Tür stand. Er hatte sie bereits geöffnet und spähte in den Bereich dahinter.
Rhun sprang die letzten Stufen herunter und zog ihn am Kragen zurück. »Du gehst.«
»Ich weiß, aber-«
»Zu den anderen zurück!«
Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder. »Veu-«
»Ich lasse dich das nicht machen.«
»Ich bin kein Kind, Veu.«
»Doch, ein menschliches Kind. Geh nachhause.«
»Brus ist mein zuhause.«
»Das war keine Frage.« Rhun hob ihn an und schob ihn auf die Wendeltreppe, die vom tiefsten Punkt in Brus zurück nach oben führte.
Er packte die Tür, die der Junge geöffnet hatte, und starrte nun selbst in das Innere des Untergrunds.
Er konnte nur hoffen, dass das nicht das letzte sein würde, was er sah.
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