31 - Ein Date mit Luke
Ich schlief aus. Ich schlief aus, weil ich mir vornahm, nicht zu viel Aufwand wie gestern zu betreiben. Schließlich war dies nur Luke. Ich weiß. Wieso geht sie auf ein Date mit einem, den sie eigentlich nicht treffen sollte, weil sie einen festen Freund hat? Aber irgendetwas trieb mich doch dazu, dem Date mit Luke eine Chance zu geben. Vielleicht gefiel mir der Gedanke eines Wettbewerbs und vielleicht war ich auch einfach nur neugierig, was er sich hatte einfallen lassen.
Als ich dann irgendwann das Haus verlassen wollte, hielt mich diesmal meine Mom auf.
"Jenny, Schatz. Wo willst du denn hin?" - "Ich ähm...Luke wollte mir die Umgebung zeigen. Du weißt schon, unser Nachbar."
"Wenn's so ist. Grüß ihn von mir herzlich und sag ihm noch einmal Danke von uns für das Helfen beim Umzug."
Ja, das seltsame Gespräch, das Luke und ich geführt hatten, als er mit der Kiste in mein Zimmer spaziert gekommen war, hatte ich nicht vergessen. Wie auch?
"Na klar", versicherte ich ihr liebevoll.
"Okay, viel Spaß euch beiden." - Sie griff nach dem Besen und setzte ihre Putzprozedur fort. Die Tür sprang auf und ich stürmte hinaus.
Lukes Pick-up parkte bereits vor meiner Einfahrt. Aber wieso? Hatte er nicht gestern noch gesagt, ich solle zu ihm kommen, wenn ich es mir überlegt hätte?
Das Wetter war perfekt. Die Sonne brannte auf der Haut, aber die Wolken und der kühle Wind machten den Tag angenehm.
Ich lief zum Auto und stieg auf der Beifahrerseite ein. Zum Glück war die Tür nicht abgeschlossen.
"Ich wusste doch, dass du kommst", war das Erste, das er sagte.
Ich verkniff mir ein Lächeln und schnallte mich lieber an, während Luke mich von der Seite aus beobachtete. Dass seine Blicke auf mich gerichtet waren, war ich ja mittlerweile aus der Schule gewohnt.
"Bild dir nichts drauf ein! Du hast mich dazu gezwungen! Hätte ich nein sagen sollen? Dann wärst du ja nie von meiner Haustür verschwunden."
Er lachte leise und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Daraufhin sprang der Motor an und wir fuhren los.
"Fährst du uns schon wieder in die Wüste?", wollte ich wissen, als er wieder denselben Weg einschlug, den wir zum Kaufen der Farbe benutzt hatten.
"Nein. Lass dich überraschen."
Dieses lass dich überraschen kam mir von dem gestrigen Oliver bekannt vor. Die beiden hatten mehr gemeinsam, als sie dachten.
"Oh ja. Dreh das mal auf!", rief ich plötzlich instinktiv. Luke kam meiner Bitte nach. Mit einer Hand lenkte er das Auto, mit der anderen drehte er das Radio lauter auf.
"Du magst also Big and Rich?", fragte Luke mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.
Ich nickte kurz und summte dann mit: "Kennst du die?"
Okay, diese Frage hätte ich mir wohl schenken können.
"Ja natürlich. Die sind wirklich gut. Aber dieser Song ist...na ja."
"Was heißt hier na ja?" - Ich boxte ihm kurz in die Seite und legte die Stirn in Falten. Look at You war doch der Beste von allen!
"Na ja, ich persönlich stehe ja mehr auf Love Train, aber wie du meinst."
"Love Train?", fragte ich: "Den kenne ich gar nicht-."
"Tja, wer ist jetzt der bessere Big and Rich-Fan?" - Lachend schaute er zur Windschutzscheibe.
Für seine Antwort bekam er gleich noch einen Schlag von mir in die Seite. Diesen Luke mochte ich mehr als den vorwurfsvollen, verärgerten Luke. Mit diesem hier konnte man viel besser lachen.
Lautstark fingen wir an, den Song aus voller Kehle mitzusingen, nachdem Luke nachgab und den Song für gut erklärte. Wir waren zum Glück wieder die einzigen auf der Straße, sodass wir niemanden durch das Geschlenkere des Autos über den Haufen fahren konnten.
Ungefähr eineinhalb Stunden später trafen wir am Ziel ein. Wir stiegen aus und voller Freude blickte ich auf die Überraschung. Mein Lächeln verblasste allmählich. Wollte er etwa damit gewinnen?
Vor uns lag ein weiteres Restaurant, nicht so luxuriös wie gestern, mit heruntergekommenen Sitzbänken draußen. Die Fenster waren auch nicht mehr die Allerbesten.
"Willkommen im Beach-Club!", bezeichnete Luke diesen schäbigen Laden. Na ja, vielleicht sah er ja von innen besser aus?
"Beach?", fragte ich verwirrt. Nirgends war Wasser in Sicht. Wir standen mitten in der Pampa.
"Wart's ab und sei offen für was Neues, in Ordnung?"
Er nahm meine Hand und zog mich in den Club. Anders als erwartet, roch es nicht nach Rauch und erstickender Luft wie im Chatter. An der Decke hingen bunte Lichter von Lichterketten, die wie Lianen über den Dachsparen baumelten. Die Bar sah viel freundlicher mit Kerzen in unterschiedlichen Farben auf der Arbeitsplatte aus. Doch den meisten Platz nahm ein Holzboden in der Mitte des Clubs ein. Ich würde darauf schließen, dass man dort tanzen könnte. Bei dem Gedanken ans Tanzen schnürte es mir die Kehle zu. Ich hatte zuvor nicht sehr viele Tanzerfahrungen sammeln können.
"Ähm, tanzen?", war mein einziger Wortschatz zurzeit.
Lachend nickte Luke neben mir und versuchte wohl, meinen Gesichtsausdruck zu deuten.
"Ich hab's mir gedacht. Auf dem Wasser gibt es nicht genügend Platz zum Tanzen, nicht wahr?"
Irritiert ließ ich mich zuerst zu einem Barhocker ziehen, auf den ich mich setzte. Die Menschen, die man hier vorfand, saßen an ihren Tischen an der Seite und sahen nicht viel älter als zwanzig aus.
Ich glaubte es ja nicht! Gestern dachte ich noch, Oliver würde mich in einen Club schleppen, aber Luke?
Ich bekam kaum mit, wie Luke dem Typen mit Sonnenbrille an der Bar irgendetwas ins Ohr flüsterte und dann plötzlich wieder vor mir stand.
"Komm schon", forderte Luke mich auf und streckte mir eine Hand entgegen.
"Was?", fragte ich immer noch irritiert.
"Komm schon. Wir tanzen."
"Nein, ich kann nicht tanzen."
"Doch du kannst. Weißt du nicht mehr? Für Neues offen sein?"
Ich schüttelte schnell mit dem Kopf und betrachtete die große Holzfläche, die von Scheinwerfern bestrahlt wurde.
"Vertraust du mir etwa nicht?" - Luke hielt wartend seine Hand zu mir hinunter. Seine Lippen umspielte ein amüsiertes Lächeln. Was blieb mir anderes übrig?
Ich ergriff seine Hand und folgte ihm auf die Bühne. Irgendwie wurde mir unwohl, als die Menschen von ihren Tischen aufstanden und sich um uns positionierten. Plötzlich ertönte eine mir unbekannte Musik. Sie ließ sich irgendwie gut in die Irisch-Polka-Klasse einsortieren.
"Ich kann das wirklich nicht", meinte ich leise und schaute Luke an. Er schien sich jetzt schon prächtig zu amüsieren.
"Machst du dich etwa über mich lustig?"
"Nein, nein", versicherte er: "Okay, hör zu. Wir müssen etwas weiter zusammen, so ungefähr."
In diesem Moment berührten sich unsere Oberkörper. Eine Welle des Erschauderns überkam mich. Mir wurde auf einmal so heiß und schwindelig. Meine rechte Hand lag in seiner linken, seine rechte auf meiner Hüfte und meine linke auf seiner Schulter. Seine Berührung fühlte sich so gut an. Wie konnte sie sich bloß so gut auf meiner Haut anfühlen?
"Ich kenne die Schritte gar nicht", argumentierte ich, doch es war bereits zu spät, denn wir fingen uns bereits an zu bewegen. Erst langsam und dann immer wilder. Es war nicht diese Art von langsamer Tanz. Viel mehr erklang ein aufregender Song mit Dudelsack, bei dem man sich nah stand. Wenn das nicht mal sarkastisch war.
"Ich kenne sie auch nicht, aber darum gehts nicht. Machen wir's einfach wie die anderen."
Lachend drehten wir uns immer weiter über die Tanzfläche. Ich in seinen Armen. Sein beruhigender Minzgeruch stieg mir in die Nase. Ich fühlte mich trotz des Adrenalins in meinem Blut glücklich und wohl.
Als der Song sich dem Ende neigte, brachte Luke mich zu einem der Tische. Sofort ließen wir uns erschöpft nieder.
"Ich hätte niemals gedacht, dass ich tanzen kann", stieß ich schwer atmend aus.
"Du warst wirklich gut. Ich wusste, dass du das kannst", sagte er lächelnd.
Glücklich lachten wir noch kurz, bevor uns eine männliche Stimme unterbrach: "Das war wirklich gut. Wie hat dir der Song gefallen? Luke hat ihn ausgesucht."
Der Typ in Sonnenbrille von der Bar stand auf einmal neben uns und lächelte breit übers ganze Gesicht.
"Du hast den ausgesucht?" - Ich schaute zu Luke, der ebenfalls schwer atmend nickte und einen Ellbogen auf den Tisch aufstützte.
"Ja, er war klasse."
"Das freut mich zu hören. Was wollt ihr denn Essen?" - Sein Blick schwang zwischen uns beiden hin und her. An Essen dachte ich nun am wenigsten. Zu sehr war mein Körper noch wie elektrisiert.
"Ich hab nicht wirklich Hunger", bewahrheitete ich und suchte nach Lukes grünen Augen. Er schaute kurz mich, dann den Typen mit Sonnenbrille an: "Ich denke, dass wir uns eine Portion Pommes teilen."
Als ich nichts darauf erwiderte, nickte der Typ kurz und erkundigte sich noch nach unseren Getränkewünschen, wogegen ich nichts einzuwenden hatte. Ich entschied mich für eine Sprite und Luke für ein Glas Cola. Nicht Sekt wie gestern, wofür ich eigentlich ganz dankbar war.
Als er in der Küche verschwand, streifte mein Blick zum Fenster gleich neben uns hinaus.
"Ist das-?", fragte ich verblüfft und streckte meinen Hals etwas weiter. Was ich sah, konnte ich nicht glauben. So sehr hatte ich den Blick vom Meer vermisst.
"Der Club heißt nicht umsonst Beach Club, stellte er klar und folgte ebenfalls meinem Blick.
Vor uns erstreckte sich eine Promenade, dann herrlich weißer Strand und daran grenzte auch schon das blaue, endlos weite Meer an. Ich hatte den Anblick so vermisst, seit wir in Elizabeth City gelandet waren.
"Wir können gleich nach dem Essen rausgehen, wenn du magst."
Sollte das ein Scherz sein? Natürlich wollte ich hinaus zum Wasser. Ich konnte es gar nicht abwarten, bis die Bestellung kommen würde. In Gedanken stellte ich mir schon meine Füße im nassen Blau vor. Dieses Restaurant war ab sofort mein Lieblingsrestaurant.
Als endlich die langersehnte Bestellung auftauchte, folgten Mayo und Ketchup in zwei separaten Verpackungen.
"Was magst du lieber?", fragte Luke und wollte schon nach beiden Packungen greifen. Ich schnappte mir jedoch vorher die Ketchuppackung vom Tisch und öffnete sie.
"Ketchup. Mayo geht gar nicht."
Lukes Gesicht bekam ein warmes Grinsen, das ansteckend war. Ohne seine Erlaubnis verteilte ich die süße Mischung auf allen Pommes und klaute mir gleich eine vom Teller.
"Ich dachte, du hättest keinen Hunger", merkte er an.
"Aber wenn wir dadurch schneller rauskommen." - Ich lächelte amüsiert und nahm mir gleich zwei auf einmal. Vielleicht klang es falsch, dass ich keine besonders große Lust auf unser Date hatte, aber ich sah dieses Treffen eher locker und außerdem konnte ich es wirklich kaum erwarten, den Sand unter meinen Zehen spüren zu können.
"Tut mir leid", entschuldigte ich mich für meine Gier: "Es ist nur...ich hab' so lange kein Wasser mehr gesehen, nur den Hafen und der hat mich traurig gestimmt..."
"Schon gut. Ich verstehe das völlig." - Er beobachtete mich erneut.
"Was?", erwiderte ich seinen Blick: "Hab ich was zwischen den Zähnen?"
"Nein, keine Sorge. Es ist nur-. Ach nichts." - Er stand unerwartet auf und strich sich sein dünnes, blaues Flanellhemd über, das er für den Tanz ausgezogen hatte.
"Was wird das?" - Ich blickte zu ihm auf und verstand nicht recht.
"Komm schon. Ich dachte, du wolltest zum Strand." - Lächelnd ging er zur Tür. Ich ließ mich nicht zweimal bitten und folgte ihm dankbar. Ich glaubte sowieso nicht, dass er so großen Appetit verspürt hatte.
Luke hielt mir die Tür auf und dann machten wir uns zusammen auf den Weg, die Promenade entlang, bis wir kurz darauf auf einen Weg hinunter in den Sand fanden. Der Wind schnitt kühl in die Haut, aber für mich war es das größte Geschenk, das man mir machen konnte.
Während ich mir eilig die Schuhe und Strümpfe von den Füßen zog, stopfte Luke seine Hände in die Hosentaschen und schaute mir zu.
"Kommst du nicht mit?", fragte ich nebensächlich, als ich schon losstürmen wollte.
"Doch, doch. Ich wollt' dir nur den Vortritt lassen."
Er zögerte. Das erkannte ich sofort. Nicht nur in seiner Stimme schwang dieser Hauch von Unsicherheit mit, auch sein Blick und seine Haltung verrieten mir das.
Als ich meine Schuhe in die Hand nahm und mir die Hose hochkrempelte, fing er an, langsam seine Schuhe auszuziehen und folgte mir dann zum Wasser. Meine Füße berührten das kühle Nass. Es war wirklich kalt, obwohl es Hochsommer war. Luke zuckte kurz, als er das Wasser berührte, doch er blieb darin stehen.
Lächelnd streifte ich mit den Fingerspitzen über das Wasser. Es war so herrlich. Ich ging immer weiter hinein. Das Wasser berührte bereits den unteren Teil meiner Hosenbeine. Doch das war mir recht egal.
Plötzlich stolperte ich über irgendetwas. Irgendwie versuchte ich mich auszubalancieren, doch das klappte nicht so gut. Bevor ich ins Wasser stürzte, kam Luke mir zu Hilfe, ergriff meinen Arm und fiel unglücklicherweise mit mir zusammen ins Wasser. Im nächsten Moment schloss es sich über uns. Es kitzelte auf meiner gesamten Haut im Gesicht.
Lachend tauchte ich wieder auf und blickte zu Luke, der kurze Zeit nach mir hochkam und Wasser ausspuckte.
"Hast du nun deine Abkühlung, die du dir gewünscht hast?", fragte er sarkastisch und fiel in mein Lachen mit ein.
Nickend erwiderte ich: "Lässt du mich überhaupt so nass in deinen Wagen?"
Lächelnd schüttelte er mit dem Kopf und kam mir etwas dichter, ergriff meine linke Hand und zog mich Richtung Ufer. Als wir wieder dort ankamen, tat mein Bauch vom Lachen weh. Ich klammerte mich an den Braunschopf und ließ mich zurück zur Promenade bringen.
"Ich kenn' dort einen Ort, an dem wir uns von unserem Wasserunfall erholen können", meinte er und führte mich zu einer kleinen Wendeltreppe hinter dem Beach Club.
"Wo führt die hin?", fragte ich.
"Find's heraus". - Mit einer Handbewegung leitete er mich hinauf aufs Dach. Ich erwiderte seine Geste. Luke folgte mir. Oben angekommen, erkannte ich, was er so an diesem Ort mochte. Mittlerweile war es dunkler geworden und über dem Meer ging langsam die Sonne am Horizont unter.
"Das ist wunderschön", meinte ich und setzte mich auf die Dachziegel des Hauses, um den perfekten Blick auf den Sonnenuntergang genießen zu können.
"Du bist wunderschön."
War das alles, was er zu sagen hatte? Ich hatte doch einen festen Freund. Aber dieses Kompliment war nun auch nicht mehr von großer Bedeutung. Schlimm genug, dass ich mich mit Olivers Erzfeind traf. Trotzdem färbten sich meine Wangen in demselben Rotton von der Weite des Himmels.
Der Himmel war in triefende rot-, violett-, rosafarbene und helle Blautöne getaucht. Luke ließ sich neben mir nieder, winkelte die Beine an seinem Körper an und schlang die Arme darum.
Dass sich der Abend so entwickeln würde, hätte ich niemals zu träumen gewagt. Es war alles so wunderschön.
"Wow", bewunderte ich den Himmel erneut: "Das hat Oliver nicht geschafft."
"Da siehst du nun, dass ich in solchen Dingen besser bin als Prinz Charming", verteidigte er seine Würde.
"Luke, das ist doch kein Wettbewerb." - Trotzdem musste ich kurz vergnügt auflachen. Natürlich war es in irgendeiner Weise ein kleiner Wettbewerb zwischen den Beiden und ich war der Schiedsrichter. Luke wusste von der Wette, ich auch, aber Oliver hatte nicht die geringste Ahnung davon, dass er herausgefordert worden war.
"Aber wenn's einer wäre, hättest du gewonnen", musste ich zugeben.
Auf einmal hörte ich ein leises Klatschen auf nackte Haut. Ich drehte den Kopf zu Luke, der vergeblich versuchte, eine Mücke auf seinem Arm totzuschlagen.
Ich hielt seinen anderen Arm fest, mit dem er erneut ausholen wollte und begründete: "Lass die arme Mücke in Ruhe! Sie ist nur auf Futtersuche."
Luke ließ den Arm sinken, aber gab sich noch lange nicht zufrieden: "Dann soll sie gefälligst ihre Ernährung umstellen. Wieso bist du so mitfühlend mit ihr?"
"Ich glaube, jedes Lebewesen hat einen Grund, wieso es hier auf der Welt ist. Für irgendwas wird sie gut sein."
"Ja, nämlich, um mich zu nerven", neckte er, doch ließ es darauf beruhen.
"Das auch, aber stell dir Mal vor, man könnte irgendwann aus dem Blut der Mücken im Bernstein ausgestorbene Tiere wieder zum Leben erwecken."
"Und was hat man davon? Nichts ist von unendlicher Dauer."
"Ja, aber trotzdem will es das Leben so." - Ich schaute zurück auf den Horizont, der von Minute zu Minute immer dunkler wurde. - "Ich glaube, das Schicksal wollte, dass du in mein Leben kommst."
"Du glaubst wirklich ans Schicksal?", er lachte leise auf.
"Natürlich, du nicht?"
"Ich glaube an den Zufall. Daran, dass nichts im Leben vorbestimmt ist und dass jeder seine Zukunft selbst in der Hand hält. Und selbst wenn. Mal angenommen, es gäbe das Schicksal, dann wären wir nur Schachfiguren in diesem großen und ganzen, kranken Spiel des Schicksals. Und manchmal stehen die Karten nun einmal nicht gut für uns. Das hat rein gar nichts mit Schicksal zu tun. Es passiert einfach, weil wir falsche Entscheidungen treffen oder uns jemand eins auswischen will."
"Aber das Schicksal ist nicht immer ein mieser Mitspieler. Es kann auch gute Dinge in unser Leben bringen."
Er lächelte sanft wie Seide und irgendwie war es ansteckend. Der Himmel hatte sich mittlerweile so dunkel gefärbt, dass schon die ersten Sterne zu erkennen waren. Die Sommerluft war angenehm kühl und ich vergaß kurz die Feuchte der Kleidung, die noch an mir klebte.
Lukes Augen funkelten auf und ich hätte schwören können, etwas wie ein Strahlen in ihnen erkannt zu haben. Seine Hand legte sich auf meine, die sich hinter mir aufstützte.
Ich glaubte, ich errötete ein klein wenig. Aber ich zuckte auch nicht zurück. Keine Ahnung, wieso ich es zuließ, als er mit seinem Gesicht näher an meines kam. Ich wollte die Augen schließen und öffnete bereits die Lippen für ihn, doch kaum schaute ich ins Schwarze, kreuzte Oliver vor meinem geistigen Auge auf.
"Wir sollten Mal runtergehen. Es wird langsam dunkel. Wir fallen sonst vielleicht noch vom Dach." - Ich riss die Augen auf und erhob mich von meinem Platz. Luke schaute mir verwirrt nach, als ich die Treppen hinunter steigen wollte.
Lächelnd gab er nach und folgte mir. Ich schluckte kurz, weil mir die Situation unangenehm erschien. Sollte ich mich entschuldigen, den beinahen Kuss abgebrochen zu haben? Aber was hätte ich sonst tun sollen? Ich hatte schließlich einen festen Freund. Im nächsten Moment war ich darüber erschreckt, dass ich den Kuss beinah zugelassen hätte.
"Hast du noch Lust auf einen Spaziergang am Strand, bevor wir fahren?", erkundigte Luke sich, als wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten.
"Klar, wieso nicht? Meine Sachen sind sowieso noch nicht trocken."
Erneut gingen wir die Promenade entlang zum Strand. Die Spannung zwischen uns war deutlich zu spüren. Die Situation musste auch für Luke seltsam gewesen sein. Er musste nun sicherlich denken, dass ich ihn als ablehnend empfand. Aber ich hatte einen festen Freund und wollte ihn nicht betrügen.
"Wieso warst du an diesem Abend im Chatter? Der Abend, an dem ich ins Wasser gefallen bin, meine ich."
Die Schuhe sackten sofort im nassen Sand ein, als wir nebeneinander den Strand entlang gingen.
"Ich weiß auch nicht. Ich hatte ein schlechtes Gefühl, als ich von Owen erfahren habe, dass eine Party im Chatter steigen würde und du vielleicht dort sein könntest. Ich meine, für meine Verhältnisse sah es nicht so aus, als hättest du schon viel Erfahrung mit Alkohol gemacht, jedenfalls bis dahin."
Seine Gesichtszüge umspielten ein Lächeln.
"Ich sollte mich noch einmal bei dir dafür bedanken, was du getan hast. Wärst du nicht gewesen, wäre ich vielleicht jetzt tot. In diesem Punkt hattest du recht, ich hab's eingesehen", sagte ich ehrlich.
"Gern geschehen." - Luke nickte kurz.
Als wir nach einer halben Stunde wieder am Pick-up ankamen, war es mittlerweile zappenduster und kalt geworden. Schnell huschten wir ins Auto und fuhren los.
"Das war nett", meinte ich und schaute zur Windschutzscheibe hinaus. Viel zu sehen war nicht.
"Fand ich auch. Aber du scheinst zufrieden mit deiner Entscheidung mit Oliver zu sein", sagte er.
"Luke...ich...", wollte ich mich mit dem Wissen verteidigen, dass er den Kuss meinte, den ich seinetwegen abgelehnt hatte.
"Nein, schon gut. Es ist glasklar. Mehr wollte ich nicht. Du sollst nur zufrieden sein mit ihm. Deshalb halte ich ab sofort meine Klappe. Aber pass bitte trotzdem auf dich auf."
Ich nickte stumm und schaute hinaus. Ehrlich gesagt war ich nicht zufrieden mit meiner Entscheidung, wenn es denn eine war. Ich wusste nicht weshalb, denn eigentlich war ich mir bis zuletzt ziemlich sicher gewesen, dass ich Oliver von ganzem Herzen geliebt hätte.
"Wieso fährst du einen Pick-up?", wechselte ich abrupt das Thema, um uns beide auf andere Gedanken zu bringen. Das Radio war aus. Kein Auto war auf der Straße außer Lukes Wagen.
"Du musst nicht so tun, als würde dir etwas daran liegen, mich besser kennenlernen zu wollen. Wenn du dich für die Clique entscheidest, wirst du dich sowieso von mir fernhalten müssen."
"Nein, ich will's wirklich wissen."
Er stöhnte kurz auf und holte tief Luft. Trotzdem gab er kurzerhand nach.
"Meine Tante hat mir etwas Geld zum Pick-up beigesteuert, den Rest habe ich von meinem Geld bezahlt. Ich mag diesen amerikanischen Stil und die Möglichkeit, hinten auf die Abladefläche ein Zelt aufzustellen, wenn ich im Sommer zelten gehe. Dann sitzen wir am Lagerfeuer und spielen auf unseren Gitarren", erklärte er: "Zumindest habe ich das Mal getan. Doch das liegt schon weit zurück."
"Mit wem warst du da? Wieso habt ihr aufgehört?"
"Das ist eine lange Geschichte", begründete er.
"Das ist eine lange Fahrt. Los, erzähl sie mir", bettelte ich und drehte mich ein Stück weiter zu Luke.
"Du brauchst nicht alles von mir zu wissen!" - Er wurde lauter und aufgebrachter: "Meine Vergangenheit geht keinem etwas an. Vor allem dich nicht. Du triffst die falsche Entscheidung mit Oliver."
"Was?"
Hatte er nicht eben noch gesagt, er würde seinen Mund zu Oliver halten?
"Du hast richtig verstanden. Er ist der Falsche für dich! Dass du das nicht einsiehst!"
Er schüttelte wütend mit dem Kopf und kniff die Lippen zu einer dünnen Linie auf seinem Gesicht zusammen.
"Weißt du was Luke? Mich geht vielleicht deine Vergangenheit nichts an, aber das, was ich mit Oliver habe, das geht dich nichts an." - Nun wurde ich ebenfalls etwas lauter. Der Abend hätte so schön enden können, doch natürlich schaffte er es wieder einmal, alles zu zerstören.
"Ich hab' deine ewigen Vorträge so satt! Eben hast du noch gesagt, du wirst dich fern vom Thema Oliver halten, dann sagst du im nächsten Satz, dass ich die falsche Entscheidung mit ihm treffe und letzten Endes machst du mir wieder Vorwürfe! Was stimmt mit dir nicht? Ich will doch nur wissen, was Oliver dir angetan hat!"
"Das...ist kompliziert! Du würdest das nicht verstehen, Jenny!", bellte er.
"Was, Luke? Was würde ich nicht verstehen? Ich will doch nur eine Antwort!", rief ich außer mir: "Ach vergiss es!"
Soweit ich eine bekannte Stelle in der Nähe meines Hauses ausmachen konnte, öffnete ich die Autotür mit voller Wucht und stürmte hinaus, obwohl der Wagen nicht einmal stehen geblieben war. Rasend lief ich die Straße hinab zur Villa. Über meine Wangen liefen bereits einige Tränen. Keuchend atmete ich schnell und flach durch die Sommernacht.
"Jenny, warte! Ich muss mit dir reden", folgte mir eine Stimme. Ich rannte noch schneller.
"Jetzt bleib doch Mal stehen! Du kannst nicht ewig vor mir weglaufen!"
"Und du mir nicht immer hinterherlaufen!", stieß ich mit letzter Kraft hinaus.
"Bitte Jenny, lass uns reden!" - Luke folgte mir immer noch und war nur noch einige Meter von mir entfernt. Ich nahm größere Schritte.
"Nein Luke! Ich bin fertig mit dir! Selbst Oliver hat mehr Verstand als du!"
In diesem Augenblick ergriff Luke meine Hand und hinderte mich damit weiterzugehen.
"Wie oft willst du noch Oliver erwähnen? Immer geht es nur um ihn! Glaub mir doch endlich! Er ist falsch! Er benutzt dich nur!"
Mein Blick war bereits vollkommen verschleiert.
"Nein Luke, nein. Er gibt mir das Gefühl wahrgenommen zu werden und er behandelt mich gut, nicht schlecht, wie du es sagtest!"
Ich versuchte mich aus seinem festen Griff zu befreien.
"Was hat der, was ich nicht habe?"
Ich konnte nicht länger diesem Typen in die Augen sehen und mit ihm streiten, was massiv auf meine Nerven drückte.
Ich bekam mich schließlich doch noch frei und stürmte wieder davon. Mein Gesicht fühlte sich so feucht und verschwitzt an.
"Antworte mir!" - Luke blieb stehen und schaute mir hinterher.
Ich drehte mich ein letztes Mal um, bevor ich in die Einfahrt meines Hauses stürmte: "Lass mich in Ruhe Luke und sag mir nicht immer was ich zu tun habe! Ich komme auch sehr gut ohne deine blöden Kommentare zurecht!"
Schließlich knallte ich die Haustür hinter mir zu und ließ Luke verärgert zurück.
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