𝟺𝟹 | 𝐴𝑙𝑙𝑦
❧༺༻☙
Es geschah unmittelbar vor unserer Abreise.
Nachdem ich den Schlafsaal verlassen hatte, verspürte ich einen stechenden Schmerz im Arm. In meinem linken Unterarm.
Mein Herz stolperte, ehe es in unregelmäßigen Takten um sich schlug, als wollte es ausbrechen. Mit einem dumpfen Aufprall fiel mein Handgepäck zu Boden. Obwohl ich es zum ersten Mal erlebte, war mir sofort klar, was das zu bedeuten hatte.
Es konnte nur eines heißen. Das Bild des Todesser mit den schiefen Zähnen und dem noch krummeren Grinsen drängte sich unweigerlich in mein Bewusstsein. Du wirst spüren, wenn er nach dir ruft!
Es war soweit.
Er verlangte nach seinen Gefolgsleuten.
Ich hätte auf diesen Moment gefasst sein müssen. Es war schließlich nur eine Frage der Zeit gewesen, dass er sich seine Verbindung zu seinen Anhängern - ob aus freien Stücken oder nicht - zunutze machte. Mir war bewusst, dass ich keine Ausnahme sein würde.
Ich konnte mich nicht ewig vor ihm verstecken.
Und trotzdem hätte ich nicht unvorbereiteter sein können. All die finsteren Stunden, in denen ich die Spuren der dunklen Magie zu heilen versuchte, waren umsonst gewesen.
Die Vorstellung an das Bevorstehende reichte aus, um die alten Wunden aufzureißen. Die Dämme brachen, als die Verzweiflung mich wie ein Wasserfall mitriss.
Ich konnte dem nicht entkommen.
Es war von Anfang an wie ein einzelnes Samenkorn, das in meine Seele gepflanzt wurde. Meine eigenen Tränen hatten es genährt, bis aus dem jungen Keim die reine Finsternis spross.
Es war unaufhaltsam.
Die Welt wankte. Es fühlte sich an, als würde ein Bergtroll auf meinem Brustkorb sitzen. Jeder Atemzug war schwer. Der Sauerstoff schien aufgebraucht, ganz gleich wie sehr ich mich bemühte, nach Luft zu schnappen. Eine Teufelsschlinge musste mir den Hals zuschnüren. Ihre Tentakel gelangten bis zu meinem Magen und umwickelten ihn - zweifellos bereit mich zu erdrosseln. Und meine Haut um das Dunkle Mal brannte lichterloh.
Die blanke Panik brach in mir aus.
Ich taumelte in den Gemeinschaftsraum. Die meisten Slytherins waren längst zum Bahnhof von Hogsmeade aufgebrochen. Die Tatsache, dass niemand von meinen Zustand Notiz nehmen würde, konnte mich nicht mehr trösten. Ich war in den tiefen Abgründen meines eigenen Geistes gefangen. Die Außenwelt konnte ich nur durch einen dichten Nebel wahrnehmen.
Alles begann sich zu drehen.
Meine Hand suchte nach dem stützenden Torbogen, der die Bereiche im Kerker voneinander abgrenzte, doch sie fand ihn nicht.
Ich verlor das Gleichgewicht und stürzte auf die Knie.
Was für eine Magie ist das?
Die körperlichen Blessuren würden mich zerreißen, wenn ich weiterhin Widerstand leistete.
Ich hatte keine Wahl. Ich musste seinem Befehl Folge leisten. Aber wie?
Ich konnte das nicht.
Alles in mir sträubte sich. Alles in mir schrie, dass es aufhören sollte.
Ich fühlte mich vollkommen gelähmt. Tränen stauten sich in meinen Augen, verschleierten meine Sicht.
War das jetzt das Ende?
Durch die Stille drang kaum hörbar ein Pochen zu mir durch. Schritte.
Ich konnte sie nicht orten. Sie mussten irgendwo ganz weit weg sein. Dort, wo der Nebel sie verbarg.
Aber sie wurden lauter.
Schwer atmend zog ich die Nase hoch. Kam er, um mich zu holen?
Mit einem Mal traten schwarze, polierte Anzugschuhe in meinen Sehwinkel. Langsam hob ich meinen Kopf.
Ich hatte mit vielem gerechnet, aber er gehörte nicht dazu.
Regulus Arcturus Black.
Es waren seine sturmgraue Augen, die mich stumm musterten. Als sich unsere Blicke trafen, blitzte so etwas wie Verwunderung in ihnen auf.
Die Art, wie er mich betrachtete, gefiel mir nicht. Er weiß es.
Er musste sofort begriffen haben, was ich in diesen endlos wirkenden Herzschlägen durchlebte. Aber woher konnte er das wissen, zumal er eben erst einen Fuß in den Raum gesetzt hatte? Die Antwort flüsterte mir das verständnisvolle Funkeln in seinen Iriden zu.
Weil ich dasselbe fühle.
Er war einer von ihnen und ich hatte es die ganze Zeit nicht gemerkt. Ich wollte den Mund öffnen, ihn nach dem warum? fragen, aber kein Ton kam über meine Lippen. Ehe ich mich versah, spürte ich seine kühlen Hände, die mich packten und mir mit einem Ruck zurück auf die Beine halfen.
„Wir müssen gehen."
Seine Finger schlossen sich wie eine Fessel um mein Handgelenk. Bevor ich etwas erwidern konnte, drehte er sich um und zog mich eilig hinter sich her.
Wir verließen den Gemeinschaftsraum, doch anstatt den Weg zum Nordausgang von Hogwarts einzuschlagen, schleppte er mich tiefer in die unterirdischen Korridore.
Wo bringt er uns hin?
Mein Körper war wie betäubt. Unbeholfen stolperte ich weiter, versuchte mit Regulus mitzuhalten. Er lockerte den eisernen Griff um meine Knöchel nach wie vor nicht.
Die Gänge wurden dunkler, unheimlicher. Irgendwann erkannte ich die Umgebung nicht wieder.
Sind wir überhaupt noch in Hogwarts?, zweifelte ich allmählich an meinem Verstand. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie wir hierher gekommen waren. Was hat er vor?
Ob das vielleicht eine Art Geheimgang war? Das würde zumindest erklären, warum mir rein gar nichts bekannt vorkam.
Aber wenn es sich tatsächlich um einen nicht aufgeführten Pfad handelte, wohin führte er?
Am liebsten würde ich auf dem Absatz kehrt machen und zurück in die wohlbehüteten Hallen des Schlosses rennen. Doch das quälende Stechen hinderte mich.
Es breitete sich aus.
„Avery." Regulus kam abrupt zum Stehen. Eine Gestalt, vollkommen in schwarz gekleidet, trat uns entgegen.
„Das wurde aber auch Zeit", brummte der Angesprochene mit einem grimmigen Gesichtsausdruck. „Wir sind spät dran."
„Mir ist noch etwas dazwischen gekommen." Der ältere der Black-Brüder deutete auf mich.
„Wo hast du die denn aufgegabelt?" Ich erntete einen misstrauischen Blick von Avery. „Ich dachte, du hast dich gegen die Geißelnahme kleiner Kinder ausgesprochen."
Statt einer Antwort wandte sich Regulus zu mir, fasste nach meinem linken Ärmel und entblößte das Dunkle Mal auf meiner weiß schimmernden Haut.
Meine Augen weiteten sich, doch ich brachte weiterhin keinen Ton über mich. Bilde ich mir das bloß ein, oder windet sich die Schlange um den Totenkopf?
„Ich konnte sie schlecht in Hogwarts lassen", gab er schnippisch zurück.
Averys Lippen formten ein stummes Oh.
„Aber wie du bereits festgestellt hast", meinte Regulus ernüchtert und schob sich an dem jungen Todesser vorbei. „Wir sind spät dran."
„Ich hoffe, er hat sich heute unter Kontrolle und die Strafen fallen nicht allzu heftig aus."
Ein entmutigtes Lachen senkte die Temperaturen um einige Grade. „Wann hatte er sich jemals unter Kontrolle?"
„Wir könnten es noch rechtzeitig schaffen", warf Avery ein. Doch er klang, als würde er sich selbst nicht glauben.
„Was passiert hier?", hörte ich meine Stimme krächzen. Ich traute mich kaum, das Wort zu ergreifen.
„Wir können in Hogwarts nicht apparieren."
„Deswegen müssen wir umgehend die Reichweite der Schutzzauber hinter uns lassen."
Aber was erwartet uns am Ende dieser unzähligen Gänge? Warum müssen wir uns verstecken? Und was hat er mit uns vor?
Ich wollte sie nicht weiter löchern. Sie konnten sich sicherlich Angenehmeres vorstellen, als den Wissensdurst einer ahnungslosen Schülerin zu stillen.
Womöglich wollten sie sich selbst nicht ausmalen, was uns bevorstand.
Und obwohl sie auf meine Frage nicht so eingingen, wie ich gehofft hatte, waren es genug Neuigkeiten für mich. All meine Befürchtungen bewahrheiteten sich in diesem Moment.
Wir waren auf dem Weg zum ihm.
Eine staubige Tür zeichnete sich am Ende des Flurs ab.
Sie machte den Eindruck, dass nur ein sanfter Stupser genügen würde und sie fiel in sich zusammen. Angesicht des Dschungels an Spinnenweben, die sich um das schäbige Holz rankten, musste es Jahre her sein, seit sie jemand das letzte Mal benutzt hatte.
Regulus stieß sie schonungslos auf. Krachend knallte sie gegen die Steinwand, darauf zerschnitt ein splitterndes Geräusch die Ruhe.
Wir huschten weiter.
Ein Wald, eine weitläufige Wiese und sogar ein leise plätschernder Fluss empfingen uns. Doch mir blieb keine Zeit, näher zu erörtern, wo wir uns befanden.
Avery hatte bereits die Hand seines Freundes umschlungen.
„Bereit?", machte mich Regulus darauf aufmerksam, dass nun der Moment gekommen war, zu unserem Ziel zu apparieren. Ehe ich reagieren konnte, hatte Avery meinen anderen Arm gepackt.
Zuerst verschwammen die Umrisse der Bäume, dann vermischten sich die Farben, als würde man alle zusammen in einen Kessel kippen.
Vorhin hatte ich noch gedacht, die ganze Welt würde sich drehen - aber das war nichts gegen dieses Gefühl.
Jetzt schwankte sie wirklich. Ich fiel in dieses klaffende Loch.
Es dauerte unendlich lange, bis ich endlich wieder den Boden unter mir spürte. Während Regulus und Avery elegant auf ihren Füßen landeten, haute es mich regelrecht um.
Dann formte sich dieser Druck in meinem Bauch, der danach verlangte, meinen Mageninhalt loszuwerden. Doch dieser war ohnehin leer.
Und so kam ich mit einem krampfhaften Würgen und kleineren Hustattacken davon.
„Wir sind da."
Hastig rappelte ich mich auf. Mit hochrotem Kopf wich ich den Blicken meiner Begleiter aus, die mir unangenehm im Nacken kribbelten. Verlegen versuchte ich mich auf das neues Umfeld zu konzentrieren.
Vor uns erstreckte sich ein riesiges Grundstück. Der angelegte Garten, der beinahe das gesamte Anwesen ausmachte, wirkte wie aus einer Modellzeitschrift für Grünanlagen. Breite Wege aus erlesenem Kies führten einen um das Gelände. Dazwischen wuchsen frisch gemähte Wiesen und Hecken, alle fein säuberlich in Reih und Glied gepflanzt. Sie waren perfekt zurechtgeschnitten. Ganz gleich für welche Form sich der Künstler entschieden hatte - nicht ein einziges Blatt der Buchsbaumgewächse störte das Gesamtkonzept.
Alles saß genau am richtigen Ort.
Es wirkte nicht, als würde auch nur ein Funken Leben in diesen Pflanzen stecken. Kein bisschen wilde Natur, die sich entfalten konnte. Sobald ein Ast wuchs, würde er Bekanntschaft mit der Schere machen. Es gab keinen Platz für Veränderungen oder den natürlichen Lauf der Dinge.
Der Himmel stimmte unterdessen auf Gewitter ein. Dunkle Wolken zogen auf, verdichteten sich und ließen kaum das Licht durchdringen.
In der Mitte des Gartens ragte ein gewaltiges Gebäude empor. Es thronte zwischen seiner Begrünung wie ein unbarmherziger Herrscher.
Die dunklen, spitz zulaufenden Dächer des Herrenhauses unterstrichen das bedrohliche Flair.
Wenn man nicht aufpasste, könnte man sich leicht an seinen Dornen stechen.
Was ist das für ein Ort?
„Das ist der Landsitz der Malfoy", erklärte Regulus, als hätte er meine Gedanken gelesen, während er neben mich trat. „Er wird seit einer gefühlten Ewigkeit immer nur von Generation zu Generation weitergegeben. Es kam noch nie vor, dass der Eigentümer nicht Malfoy hieß. Für gewöhnlich zieht es der dunkle Lord vor, seine Versammlungen in den Privathäusern seiner Freunde zu veranstalten. Es zieht weniger Aufmerksamkeit auf sich und verursacht weniger Unruhen."
„Heute sind wir zu Gast bei Abraxas Malfoy", ergänzte Avery und gesellte sich auf meine andere Seite. „Es wird gemunkelt, dass er das Anwesen schon bald seinem Sohn Lucius überlässt. Die Pläne für dessen Hochzeit mit Narzissa Black stehen bereits fest, nicht wahr?"
Black? Habe ich richtig gehört? Ich warf Regulus einen fragenden Blick zu. „Das verbreitet sich schneller als ein Lauffeuer", entgegnete dieser wenig begeistert. „Und ja, ich kenne Narzissa nur zu gut. Sie ist meine Cousine. Genau wie Bellatrix. Sie werden uns beide gleich mit ihrer Anwesenheit... beehren."
Er konnte nicht verhindern, dass seine Haltung zu seiner nahen Verwandtschaft an die Oberfläche kam.
„Halte dich lieber von Bella fern", riet er mir, bevor er resigniert auf die Villa zu marschierte. „Ihre Art kann leicht verstörend sein. Vor allem für Zartbesaitete. Sie ist mit Vorsicht zu genießen."
Wenn die treu ergebenen Gestalten um den gefürchtetsten Zauberer schon so einschüchternd waren, wie würde das Urteil wohl erst über ihn ausfallen?
Ich schluckte.
Eine Sache verstand ich nicht. Regulus erweckte auf mich nicht den Eindruck, er wäre mit voller Überzeugung ein Todesser.
Ob er von seiner gänzlich reinblütigen und stolzen Familie gezwungen wurde? Aber wenn sein Bruder sich dem entziehen konnte, warum nicht er?
Weshalb hatten sie sich nicht zusammengetan statt sich gegenseitig entweder zu ignorieren oder den anderen für seine Einstellung zu tadeln?
Als wir vor einem rostigen Gartentor stoppten, erhöhte sich meine Herzfrequenz auf ein ungesundes Maß.
Mit einem Wink des Zauberstabs schwang es auf Averys Geheiß hin auf und gab den Weg frei.
„Bringen wir es hinter uns."
Kaum hatte ich einen Fuß über die Schwelle des Bauwerkes gesetzt, fühlte ich mich schrecklich fehl am Platz. Trotz der hohen Decken, die von Säulen aus feinstem Marmor gestemmt wurden, hatte ich das Bedürfnis den Kopf einzuziehen. Die Holzdielen kündigten uns mit jedem Schritt eindringlicher an.
Dann erreichten wir den Raum der Zusammenkunft.
Dutzende in dunkle Gewänder gehüllte Männer und Frauen saßen auf noblen Stühlen an einer Festtafel, die mich von der Größenordnung an die Haustische in Hogwarts erinnerte.
Weit über unseren Häupter zierten in Stein gemeißelte Ornamente die kalten Wände. Der prunkvolle Kamin war erloschen.
Natürlich. Die einzige Quelle, die so etwas wie Wärme ausstrahlen könnte, haben sie verstummen lassen.
Nur zwei Kronleuchter spendeten spärliches Licht. In jeder Ecke lauerte die Dunkelheit.
Die Verzierungen der Fundamente und die Extravaganz in jedem Winkel des Saals ließen auf die längst vergessenen Zeiten schließen, die Regulus erwähnt hatte. Seit das Anwesen vererbt wurde, schien kaum ein Malfoy jemals etwas an der Villa verändert zu haben. Die Tradition und der Stolz steckten in jedem noch so kleinen Stein.
Ich zuckte innerlich zusammen, als ich eine Bewegung am Ende des Tisches wahrnahm.
Ein Mann tigerte auf und ab, die Hände abschätzend hinter dem Rücken verschränkt. Seine schwarzen Locken warfen lange Schatten auf sein Gesicht, was es mir unmöglich machte, ihn zu erkennen.
Aber das war ohnehin nicht nötig. Seine bloße Präsenz strahlte eine derartige Macht und Überlegenheit aus, dass sich selbst die berüchtigtsten Todesser vor seinen Blicken duckten.
Meine Muskeln verkrampften sich augenblicklich. Ich stand nur einen halben Raum entfernt von ihm, dessen Name nicht genannt werden durfte.
„Regulus. Avery", vernahm ich eine tonlose Stimme. Es dauerte einige Herzschläge, in denen ich dachte, ich wäre am Boden festgefroren, bis ich verstand, dass er gesprochen hatte.
„Ihr bringt noch jemanden mit, wie ich sehe?"
Er wandte sich uns gemächlich zu. Leichenblasse Haut stach aus dem dämmrigen Licht hervor. Keine Regung verzog seine Züge. Er hätte genauso gut aus dem Marmor geschaffen worden sein, der uns massenweise umgab. Seine Augen ruhten emotionslos auf uns.
Regulus löste sich aus seiner aufrechten Haltung und ging fließend in eine Verbeugung über. „Ja, mein Lord. Eine Schülerin aus Hogwarts."
Die Aufmerksamkeit des Schwarzmagiers legte sich auf mich. Ich hielt die Luft an, als sein Mundwinkel zuckte.
Ein charmantes Lächeln umspielte seine schmalen Lippen, während ein Glanz seinen Iriden Leben einhauchte, als er mich angetan musterte. Die Eiseskälte war gänzlich von ihm verschwunden. Wenn man ihn so sah, könnte man beinahe an der Böswilligkeit seiner Absichten zweifeln.
Doch ich wusste es besser.
„Blutstatus?" Er richtete nur ein einziges Wort an mich, als wollte er sich zuerst vergewissern, dass ich seiner Zeit würdig war.
„Reinblut", erwiderte ich genauso knapp, während er das Slytherin Wappen auf meiner Uniform zur Kenntnis nahm.
Aber ich gebe nicht viel auf diesen Status. Ganz besonders nicht, wenn es Zauberer wie Sie unter uns gibt, die ihre Macht schamlos ausnutzen, fügte ich in Gedanken hinzu. Dann schäme ich mich sogar dafür, dieses reine Blut in meinen Adern zu tragen.
Niemals hätte ich es gewagt, meine Meinung offen kundzutun. Dafür war ich viel zu feige. Und außerdem war mir mein Leben lieb.
„Wie erfreulich." Sogleich schweifte sein Augenmerk von mir weg. „Dann werde ich es euch dieses Mal nachsehen, dass ihr uns mit eurer Verspätung aufgehalten habt. Setzt euch."
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen.
„Ihr fragt euch sicher, warum ich euch alle hierher berufen habe", ergriff der Lord das Wort. „Was ich heute zu sagen habe, ist für euer aller Ohren bestimmt."
Ich wagte es nicht, in die Runde zu blicken. Zu groß war die Angst, dass ich unter den Anwesenden die Männer ausfindig machen konnte, die mich im Verbotenen Wald gebrandmarkt hatten.
Obwohl das Treffen vor wenigen Momenten eingeläutet wurde, wünschte ich mir das Ende sehnlichst herbei.
„Das Zaubereiministerium ahnt, dass vertrauliche Informationen ihren geschützten Rahmen verlassen haben. Noch haben sie keine Beweise. Und das gilt es zu unterbinden. Jeder, der im Ministerium Nachforschungen diesbezüglich anstellt, muss beseitigt werden. Das ist besonders für jene relevant, die in den entsprechenden Abteilungen arbeiten. Wenn sie aus der Welt geschafft sind, nehmt ihre Positionen ein. Ihr Gerüst muss von innen heraus gebrochen werden."
Seine Ansprache folgte Grabesstille.
„Habe ich mich klar ausgedrückt?", setzte er verschärft nach. Zustimmendes Gemurmel und Kopfnicken wurde von den Todessern hastig nachgereicht.
„Gut", gab er sich damit vorerst zufrieden. „Desweiteren sollt ihr wissen, dass wir uns nicht nur auf die Unterstützung von Hexen und Zauberern verlassen dürfen."
Unruhe fuhr durch die Gruppe. Aus dem Augenwinkel konnte ich beobachten, wie verwirrte Blicke ausgetauscht wurden. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mein inneres Chaos zu bändigen, als dass ich seine Worte begreifen konnte.
„Ich will, dass ihr nach allen Kräften sämtliche magische Kreaturen rekrutiert. Riesen, Inferi, Werwölfe. Alles, was ihr finden könnt. Überzeugt sie von unserer Sache, macht ihnen leere Versprechen oder gebt ihnen einen Vorgeschmack auf unsere Art, mit nutzlosem Vieh umzugehen. Dann sollte das kein Hindernis darstellen."
„Sehr wohl, mein Herr", ertönte eine hohe Frauenstimme. Sie saß ein paar Stühle von mir entfernt und erweckte als Einzige nicht den Anschein, den gefährlichsten Zauberer am Tisch in irgendeiner Art und Weise zu fürchten. Im Gegenteil. Sie schien seine gnadenlose Ausstrahlung zu genießen und sich geradezu in seiner Aufmerksamkeit zu suhlen.
„Das ist Bellatrix", flüsterte Regulus mir unauffällig zu. Ich war mir nicht sicher, ob sie überaus mutig oder einfach dem Wahnsinn verfallen war.
„Angesichts der Umstände...", riss mich die kalte Stimme des dunklen Magier aus meiner Überlegung. „... hatte ich noch eine spontane Eingebung."
Seine dunklen Augen durchbohrten mich, das Gesicht abermals verzerrt zu einer gleichgültigen Maske. Die nackte Angst fraß sich tief in meine Knochen.
Von dem vorgetäuschten Charme war nichts mehr übrig. Er hatte mich nicht eine Sekunde an der Nase herum führen können.
Aber wie viele andere hatte er damit um den Finger wickeln können? Nur um sie von sich zu überzeugen und dann im geeigneten Moment das Messer an die Kehle zu halten?
„Als Slytherin hast du sicherlich enge Verknüpfungen zu anderen Schülern, die ebenso fasziniert von den dunklen Künsten sind. Verbündete in Hogwarts zu haben, könnte uns einen erheblichen Vorteil verschaffen."
Ein Schauder lief mir über den Rücken. Worauf will er hinaus?
„Beim nächsten Mal erwarte ich, dass du ein paar deiner Freunde mitbringst", kam er ohne weitere Umschweife zum Punkt. „Sie sollen gewillt sein, sich uns anzuschließen. Wenn sie noch nicht soweit sind, dann bekehre die Unwissenden. Betrachte es als eine Art... Hausaufgabe." Der herablassende Tonfall war unverkennbar.
Es dauerte seine Zeit, bis ich realisierte, was das zu bedeuten hatte. Vor Aufregung stieg mir die Hitze in den Kopf. Ich muss jemandem mein Geheimnis anvertrauen.
Als ich mich nicht rührte, stieß Regulus mich auffordernd an.
„J-ja", stotterte ich und fügte auf seinen nachdrücklichen Blick gezwungenermaßen ein kleinlautes „Herr" hinzu.
„Sie lernt schnell", stellte er, dessen Name niemand nicht aussprechen wollte, fest. Er redete von mir, als wäre ich ein Hund, den man dressieren musste.
Vermutlich war ich das auch für ihn.
„Das ist die Kleine aus dem Wald", raunte plötzlich eine Stimme am anderen Ende der Tafel. Ein gehässiges Lachen entfuhr seinem Sitznachbarn.
Mein Herz begann so wild zu schlagen, dass ich befürchtete, jeder in diesem Haus könnte es hören. Angespannt biss ich mir auf die Unterlippe, um den Drang, nicht einfach fluchtartig diesen finsteren Ort zu verlassen, unter Kontrolle zu halten.
Der Schwarzmagier war schon dabei gewesen, sich von mir abzuwenden. Doch als er das Wispern des Todesser hörte, verharrte er.
Eine Augenbraue schnellte nach oben. „Jene, die sich für ein verzogenes Kleinkind eingesetzt hat?"
„Genau die", bestätigte der mit dem grässlichen Grinsen.
„Nun, wenn das so ist", verkündete sein Gebieter und fixierte mich abermals. „Dann wirst du für deinen Auftrag gleich noch viel motivierter sein."
Eingeschüchtert schrumpfte ich unter seinem Blick, bemühte mich aber weiterhin, ihn standzuhalten.
„Es sei denn, du bist nicht mehr so besorgt um das Wohlergehen deiner Schwester."
Seine Worte drangen nicht mehr zu mir durch.
Ich spürte nur, wie ich meinen Kopf instinktiv senkte, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich verstanden hatte.
Die Drohung kreiste gleich einer Gewitterwolke über mir. Wie vom Blitz getroffen sah ich abwesend an dem Geschehen vorbei.
„Und jetzt geht schon. Es gibt viel zu tun, meine Freunde!"
Das Einzige, was mir in den Sinn kam, war Evi. Ich musste sie schützen. Um ihrer Willen und den meiner restlichen Familie. Sie durften niemals ins Visier dieses grausamen Zauberers geraten. Das könnte ich mir niemals verzeihen.
Genauso wenig wie ich noch in den Spiegel schauen könnte, wenn ich maßgeblich an der Verbreitung beteiligt war.
Der Saal leerte sich schleppend.
Mit zittrigen Knie tat ich es den Todessern gleich und erhob mich.
Ich muss es tun!
Aber wen in Merlins Namen konnte ich einweihen? Wer würde stark genug sein, nicht unter dieser Last zu zerbrechen?
Warum sollte sich überhaupt jemand aus freien Stücken für diesen Pfad entscheiden?
Ich hatte damals wie heute keine andere Wahl gehabt. Mir blieb nichts anderes übrig, als mein Schicksal hinzunehmen. Aber es widerstand mir zutiefst, eine unschuldige Seele mit schwarzer Zauberkunst infizieren zu müssen.
Wem konnte ich so eine Bürde zumuten? Und wer würde es für sich behalten?
Ratlos ließ ich die Schultern hängen. Ich kann das nicht tun!
„Wir können los. Ich bring' dich zurück. Du wirst wahrscheinlich schon vermisst." Regulus betrachtete mich mitfühlend. „Tut mir leid, dass das passieren musste."
Mit einem Kloß im Hals nickte ich bloß und starrte auf seinen Arm, den er mir anbot.
Ich konnte endlich von hier verschwinden. Es sollte mich mit Erleichterung erfüllen. Doch da war nur diese Leere.
Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte; wohin ich überhaupt noch gehen konnte. Ganz gleich wie ich mich entscheiden würde, ob ich der Forderung nachkam und entgegen aller Vernunft die Saat der Todesser in die Welt pflanzte oder ihm mein klägliches Scheitern beichtete und das Leben meiner Familie riskierte - ich müsste einen Teil von mir zu Grabe tragen.
Eine Müdigkeit, die nichts mit körperliche Erschöpfung zutun hatte, überrollte mich.
Ich schloss die Augen.
Es gibt kein Entkommen.
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