𝟹𝟺 | 𝐴𝑙𝑙𝑦
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Ich musste jegliches Zeitgefühl verloren haben.
Keine Ahnung, wie lange ich noch auf dem Astronomieturm saß, die Beine angewinkelt, während ich den Kopf mit meiner Hand stützte und gedankenverloren ins Nichts blickte.
Vor mir war nur die endlose Nacht, geschmückt durch ein paar müde Sterne.
Vielleicht war ich für einige Herzschläge eingenickt? Hatte ich womöglich nur geträumt, dass Severus unserer Verabredung nicht nachgekommen war?
Langsam schüttelte ich meinen schläfrig gewordenen Körper, als könnte ich mich damit aus einer Art Trance wecken. Blinzelnd sah ich mich um.
Nein. Es hat sich nicht geändert.
Wieso war da nach wie vor dieser törichte Optimismus in mir? Wieso dachte mein Verstand, dass die Möglichkeit bestünde, er könnte jeden Moment aus den Schatten springen, die mich vollkommen verschluckt hatten?
Wieso malte sich mein Kopf weiterhin Szenarien aus, in denen er mich einfach nur reingelegt hatte? Dass er mein Warten sicherlich gleich mit einem belustigten „Du bist doch tatsächlich drauf reingefallen!" beenden würde?
Vermutlich nur ein Streich, den mir meine übermüdeten Gedanken spielen. Ein flüchtiges Hirngespinst, nichts weiter. Sowas würde er schließlich nicht tun. Das ist nicht seine Art.
Und natürlich geschah nichts davon. Nur die Kälte der Nacht, ihre Himmelskörper und ich.
Das Sprichwort *Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt* bekam in diesem Augenblick eine ganz neue Bedeutung.
Aber trotzdem konnte ich es nicht lassen, in dem funkelnden Treiben der Sterne seine klaren Augen ausmachen zu können. Ich sah sie mir lächelnd entgegen leuchten, wie damals, als es noch nicht zu spät war.
Als er mich noch an sich herangelassen hatte. Als in seinen tiefschwarzen Iriden noch die Hoffnung und Zuversicht lebte.
Heute war davon nichts mehr übrig. Und wenn, dann versteckte er es, so gut er konnte.
Ich wusste, dass von nun alles anders sein würde.
Seine Seele war gezeichnet. Die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen. Er war nicht mehr der unbekümmerte Junge von früher.
Trotzdem verspürte ich noch dieses Kribbeln in meinem Bauch, jetzt wo ich mir vorstellte, dass er mich ansehen würde.
Er gab mir keinen Anlass mehr für diese Gefühle, aber sie waren so tief in mir verwurzelt, begleiteten mich schon nahezu mein ganzes Leben, dass ich nicht wusste, was ich ohne sie tun sollte.
Wer war ich schon ohne ihn?
Ich will das nicht mehr.
Ich konnte diesen Schmerz, der mein Herz immer und immer wieder durchbohrte wie der giftige Stachel einer Venemosa Tentacula, nicht mehr ertragen.
Aber man konnte sich seine Gefühle nicht aussuchen.
Sie kamen einfach so, genau wie jetzt und rissen mich derart mit, dass ich dachte, in ihrem Strudel ertrinken zu müssen.
Ich hätte mir einfach solange einreden können, bis ich selbst geglaubt hätte, dass es jetzt vorbei war. Dass nun der Moment gekommen war, um ihn endgültig aus meinem Herzen zu verbannen.
Wenn ich ehrlich zu mir war, dann musste ich mir eingestehen, dass das weder so einfach noch so schnell gehen konnte.
Aber wollte ich das überhaupt? Ihn einfach so aus meinem Leben streichen wie einen Fehler, den man zu vertuschen versuchte?
Es ist das Beste für dich, meinte mein Verstand, wenn du Abstand nimmst und erstmal deine Gedanken und Gefühle sortierst.
Er ist das Beste für dich, widersprach mein Herz, ganz gleich durch welches Leid er dich schickt, für ihn lohnt es sich.
Ich spürte, wie sich allmählich Tränen der Verzweiflung in meinen Augen sammeln wollten, um mit vereinten Kräften an die Oberfläche zu treten. Doch ich hielt sie zurück.
Nicht jetzt und nicht hier. Heute soll doch mein Tag werden, schon vergessen?
Die Andeutung eines geschlagenen Lächelns schlich sich auf meine Lippen, ehe ihnen ein Seufzen entfuhr.
Warum muss das alles so kompliziert sein? Zu viele Dinge, über die ich mir den Kopf zerbrach.
Vielleicht sollte ich einfach zurück in den Gemeinschaftsraum gehen, mich in mein warmes Bett kuscheln und in das Reich des Schlafes flüchten.
Und wer wusste, womöglich sah die Welt morgen ganz anders aus.
Obwohl das die einzig vernüftige Idee des Abends war, zögerte ich — ohne zu verstehen, was mich hinderte.
Warum würde ich an diesem Augenblick festhalten wollen? Weil mich das Angesicht der Sterne beruhigte? Weil ich Angst hatte, dass all die Befürchtungen wahrwerden könnten, sobald ich diesen friedlichen Ort verließ?
Nur wegen ein paar Sekunden, die man länger in einer Illusion verweilte, änderte sich nichts an der Realität. Es half alles nichts.
Erschöpft gab ich die angehaltene Luft in die Dunkelheit frei. Mein Atem verflüchtigte sich gerade in einer seichten Brise, als ein Aufschrei in unmittelbarer Nähe die nächtliche Ruhe erschütterte.
Sofort wurde das Adrenalin in meinen Adern freigesetzt und ich schreckte alarmiert hoch.
Das war ein Tierwesen, ging es mir als Erstes durch den Kopf. Sorgenfalten verzogen meine Stirn, als ich mich aufrichtete und an das Geländer trat.
Suchend schweifte mein Blick über die finstere Landschaft. Doch Hogwarts schien tief und fest zu schlafen. Ich konnte nur die Umrisse der Baumkronen ausmachen, die sich wie zu einem Schlaflied wogen. Keine ruckartigen Bewegungen, keine weiteren Geräusche oder andere Hinweise auf eine ungewöhliche Situation.
Für den Bruchteil einer Sekunde zweifelte ich an meinem Verstand. Habe ich jetzt schon Halluzinationen?
Unschlüssig verharrte ich mehrere Herzschläge. Nein, das war echt.
Ich konnte es spüren. Irgendetwas lag in der Luft. Irgendetwas, dass mich schon die ganze Nacht hierhielt. Beinahe so, als wollte es mir etwas zeigen, dass ich unter anderen Umständen übersehen würde. Es zog mich geradezu magisch an.
Aber mein Kopf schaltete sich dazwischen.
Es hatte sich angehört wie ein Hilferuf. Und er war direkt aus dem Verbotenen Wald gekommen, da war ich mir sicher.
Bei der Vorstellung wieder von den bedrohlichen Bäumen umzingelt zu werden und nicht zu wissen, was im Dickicht auf mich warten wird, verkrampfte sich mein Bauch.
Das Blut pochte in meinen Ohren. Sie mussten zweifelsohne glühen wie ein Lumos-Zauber. Bevor mir die Erinnerungen hochkommen konnten wie eine verdorbene Kürbispastete, schluckte ich sie mit einem herben Beigeschmack runter - ebenso den Impuls auf schnellstem Wege im Inneren des Schlosses zu verschwinden.
Ein magisches Geschöpf braucht Hilfe, knurrte ich mich im Stillen an. Reiß dich zusammen!
Es war keine andere Seele in der Nähe. Ich war vermutlich die einzige Hoffnung, die dem Tier blieb. Mit Sicherheit hatte es niemand sonst hören können.
Wie denn auch? Wir befanden uns schließlich irgendwo zwischen tiefster Nacht und den frühen Morgenstunden. Es war verboten, sich zu solch einer Zeit außerhalb der schützenden Mauern aufzuhalten. Auch ich hätte es gar nicht erst wahrnehmen dürfen.
Verdammt, fluchte ich.
Die Anzahl an gebrochenen Schulregeln, die ich mir im Laufe dieses Tages eingehandelt hatte, wollte ich gar nicht wissen.
Es waren eindeutig zu viele. Jede einzelne war eine zu viel. Alleine um mich auf dem Astronomieturm mit Severus zu treffen, würde eine gewaltige Strafarbeit mit sich ziehen. Falls ich erwischt werde.
Wenn ich jetzt in das Ungewisse aufbrechen würde, um dem Ruf des hilflosen Geschöpfs zu folgen, würden noch so einige hinzukommen.
Aber würde ich es mir verzeihen können, wenn Hagrid mir in den nächsten Tagen berichtet, er hätte ein totes Tierwesen gefunden?
Die Anwort lag eigentlich auf der Hand.
Trotz all der Warnschreie meiner Vernunft, war der Drang, die hilfose Kreatur zu finden, einfach zu laut. Er übertönte sie nahezu alle.
Ich spürte, dass etwas nach mir rief. Ich musste es einfach tun. Also ignorierte den Aufruhr in meinem Inneren, als ich auf wackligen Knien den ersten Schritt machte.
Die Treppen runter. Durch die überdimensionale Tür huschen.
Die Luft fühlte sich kälter an, je mehr ich mich dem Irrgarten an dicht gewachsenen Tannen näherte.
Obwohl es fast schon Hochsommer war und ein plötzlicher Temperatursturz somit eigentlich wenig Sinn ergab, griff ich fröstelnd nach dem Kragen meines Pullovers und hielt ihn eng an meinen Hals gedrückt. Ich wusste nicht, ob es Einbildung war, doch mich beschlich das Gefühl, dass hier unten vor den Toren von Hogwarts ein anderer Wind wehte als in der schwindelerregenden Höhe des Turmes.
Der Vollmond fiel mir zum ersten Mal auf, als meine Augen nervös in Richtung des Schwarzen Sees wanderten. Er berührte behutsam dessen aalglatte Oberfläche, die seine tiefstehende Reflexion spiegelte. Aber auch die der unzähligen Lichtpunkte, des Sternenstaubs und der Nebelwolken, die den Himmel in ein kleines Kunstwerk verwandelten, konnte ich mit einem Schlag erkennen.
Es ist atemberaubend schön.
Von unserem kosmischen Begleiter ging eine solche Anmut aus, dass ich innehielt. Diese Erhabenheit, mit der er die Dunkelheit erhellte, konnte von keinem Stern übertroffen werden.
Sein blasser Schein streichelte die Silhouetten der Bäume, als wollte er der Welt den Trost spenden, die bittere Nacht zu überstehen.
Ein Jaulen aus voller Kehle machte den Moment des inneren Friedens zunichte. Instinktiv riss ich die Augen auf, fuhr herum und starrte zum Verbotenen Wald.
Die Gerüchte, dass diesen der ein oder andere Werwölfe sein Zuhause nannte, waren auch an mir nicht vorbeigegangen.
Ein Luftzug wirbelte meine Haare auf und mit ihnen die Gedanken in meinem Kopf, die ich nicht mehr zu fassen bekam.
Es dauerte einige Herzschläge.
Es dauerte einige Herzschläge, bis ich verstand, dass das Heulen niemals aus dem Wald kommen konnte.
Es dauerte einige Herzschläge, bis ich verstand, dass das keine Brise war, die mit meiner Frisur oder meinen Gefühlen gespielt hatte.
Dann wandte ich mich dorthin, wo der Laut wirklich hergekommen war.
Es war ein kühler Atem gewesen.
Wie in Trance ruhten meine Augen auf der Kreatur. Ich hätte mir die Seele aus dem Leib schreien, auf der Stelle flüchten und um mein Leben rennen sollen. Doch ich konnte nicht.
Als hätte sich eine Teufelsschlinge um meinen Körper gewickelt, war ich nicht in der Lage, mich auch nur eine Reagenzglas-Länge zu bewegen. Aus irgendeinem Grund ließ mich mein Überlebensinstinkt ausgerechnet jetzt im Stich.
Mein Puls blieb verdächtig ruhig.
Aus dem Augenwinkel meinte ich ein paar verzerrte Schatten an mir vorbeihuschen zu sehen.
Waren da noch mehr? Wollten sie mich einkreisen wie ein fettes Stück Beute?
Jemand musste an der Uhr gedreht haben. Anders konnte ich mir nicht erklären, wieso plötzlich alles in Zeitlupe vonstatten ging.
Vor mir baute sich ein Werwolf in seiner vollen Größe auf. Er überragte mich um ein Vielfaches und verdeckte beinahe den kompletten Nachthimmel.
In den undurchdringlichen Augen funkelte nichts als Wahnsinn. Das Fell um seine Schnauze kräuselte sich, als er seine Zähne fletschte und damit sein faules Gebiss entblößte.
Leise, aber bedrohlich donnerte ein Knurren aus seinem Kehlkopf. Es musste seine letzte Warnung gewesen sein, denn er hob seine linke Klaue.
Die messerscharfen Krallen blitzten im Mondlicht gefährlich auf.
Er war bereit.
Gewillt, jeden Moment zuzuschlagen.
Dann blieb die Welt stehen.
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