𝟸𝟶 | 𝐴𝑙𝑙𝑦
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Voller Entsetzen sah ich wie Evi zwischen den hohen Bäumen im geisterhaften Nebel verschwand.
Ohne lange zu zögern, eilte ich hinterher.
Die Pflanzen wuchsen so dicht beieinander, dass kein Schnee den kargen Boden erreicht hatte.
Verdammt. Meinen spontanen Einfall, nur ihren Spuren folgen zu müssen, konnte ich also vergessen.
Zudem war die Erde derart durchgefroren, dass selbst auf ihrem kahlen Antlitz keine Abdrücke sichtbar werden konnten.
Es gab wohl einen guten Grund, dass man sich über diesen verbotenen Ort nichts als Schauergeschichten zu erzählen hatte.
Ich sollte nicht hier sein.
Ich darf nicht hier sein.
Fluchend bahnte ich mir einen Weg tiefer in den gefürchteten Wald. Einen Weg, von dem ich mir vorstellen konnte, dass meine Schwester ihn gewählt hatte.
Immer wieder musste ich Ästen und Ranken ausweichen, die selbst die Trampelpfade überwucherten.
Gehetzt rang ich nach Luft, als ich mich an einem Busch vorbei gekämpfte hatte.
Notgedrungen hielt ich kurz inne, um mir mit schmerzverzerrtem Gesicht einige Dornen aus dem Umhang zu ziehen.
Ich spürte die warmen Einstichstellen pulsieren, während meine Wange von den spitzen Stacheln brannte, die meine sensible Haut zerkratzten.
Ein paar Spritzer Blut tropften tiefrot in die Dunkelheit, hinab auf den Waldboden. Schon bald spürte ich wie die nächtliche Kälte an meinen Muskeln zerrte.
Doch es war nur ein einziger Gedanke in meinem Kopf, der alles andere in den Hintergrund drängte.
Evi. Wo steckt sie nur?
Erst als ich kein Gefühl mehr in meinen Beinen verspürte und mein ganzer Körper taub war, gewährte ich mir eine Verschnaufpause.
Mein Atem stieg als kleine Wolke empor, bis er sich in nichts auflöste.
Wie soll ich sie in diesem Wald, in dieser Finsternis, je finden?
Wie in Trance beobachtete ich die Luft, die ich schubweise aus meiner Lunge stieß.
Als würde sie einen Tanz darbieten, vollführte sie kunstvolle Bewegungen, ehe sie mehr und mehr verblasste.
Weiter!, wies ich mich zurecht. Ich muss weiter.
Erschöpft schleppte mich weiter durch das tote Gestrüpp, welches in der Finsternis kaum zu erkennen war.
Es gab kein Mondlicht, kein Stern, nichts. Kein Funken Licht drang durch die gewaltigen Baumkronen. Bedrohlich schienen diese auf mich herab zu schauen.
Ich glaube, ich habe mich noch nie so hilflos gefühlt.
Die Nebelschwaden, die sich um die Baumwipfel zogen, hinterließen einen Schauder auf meiner Haut.
Sie bewegten sich alle in dieselbe Richtung.
Ihre Erscheinung wirkte so unnatürlich, dass mir sofort der Gedanke kam, dass sie jemand heraufbeschworen hatte.
Aber wieso sollte man das tun?
Meine Aufregung verhinderte jegliche klare Überlegungen, sodass mir die wichtigste Frage viel zu spät in den Sinn kam.
Wer hatte das getan?
Unbehagen durchströmte meinen Körper in einem Ausmaß, von dem ich gar nicht wusste, dass das überhaupt möglich war.
Dieses ungute Gefühl hatte mich fest im Griff und entzog mir allmählich den letzten Rest meiner Zuversicht.
Bloß nicht die Nerven verlieren, unternahm ich einen kläglichen Versuch mich zu beruhigen. Hör auf Angst zu haben. Evi braucht dich jetzt!
Verkrampft, als würde ich jede Sekunde mit einem herunter fallenden Ast rechnen, der mich erschlagen könnte, schob ich mich voran.
Pflanzliche Angriffe werden hier wahrscheinlich das geringste Übel sein, hörte ich die Stimme in meinem Kopf kichernd sagen.
Oh man.
Nach jedem einzelnen Schritt suchte ich die Umgebung nach lauernden Kreaturen ab. Ich musste dem ständigen Bedürfnis widerstehen einen verängstigen Blick über meine Schulter zu werfen — oder einfach wieder umzukehren.
Aber würde ich denn überhaupt zurück finden?
„Ally!"
Evis markerschütternder Schrei zerschnitt die Stille.
Panik. Sie hatte blanke Panik.
Mein Herz schlug rasend schnell, als ich mir direkt tausend verschiedene Szenarien ausmalte, in denen ihr irgendetwas Schlimmes zustieß.
Als hätte sie mit ihrem Lebenszeichen den „Du-musst-nur-noch-funktionieren" Schalter in meinem Kopf umgelegt, wachte ich auf und stürzte los.
Endlich schaffte ich es meinen Zauberstab zu zücken und ihm ein entschlossenes „Lumos!" entgegen zu hauchen.
Ich blendete die scharfen Dornen aus, die sich nun in meiner Strumpfhose verfingen und versuchten mir meinen Zauberstab aus der Hand zu schlagen.
Ich ignorierte die Pflanzenschlingen, die nach meinen Beinen suchten, um mich zu Fall zu bringen und auch die Schatten, die ich aus dem Augenwinkel an mir vorbei huschen sah.
Ich folgte einfach nur ihrem Hilferuf.
Er führte mich in einen Teil des Waldes, wo die Bäume immer mehr Abstand zueinander gewannen.
Doch der alles einnehmende Dunst blieb.
Als würde die Dunkelheit auf ihn abfärben, wurde er immer düsterer und schwärzer.
Angestrengt überwand ich einen abgeknickten Stamm, ständig darauf bedacht meine Schuhe richtig zu platzieren, um nicht abzurutschen oder unbeholfen auf dem kalten Boden zu landen.
Die Luft schien vor Spannung förmlich zu knistern. Oder war das nur ein achtlos herum liegender Ast?
Ich meinte die Schwingungen mehrerer zerbrechender Zweige zu hören, doch so leicht wollte ich mich diesmal nicht verunsichern lassen.
Aber was, wenn da doch etwas war? Oder jemand?
„Evi?", flüsterte ich, in der Hoffnung sie hatte sich nur aus Furcht vor den Tierwesen und der düsteren Stimmung unter einem Busch versteckt, darauf wartend, dass ich sie finden würde.
Ein leises, hämisches Lachen erklang hinter mir und ließ mich augenblicklich erstarren.
Wie angewurzelt blieb ich stehen, wagte es nicht, mich umzudrehen. Das Rascheln vertrockneter Blätter verriet mir, dass jemand näher kam.
„Das ist also der Name dieser frechen Kröte!"
Völlig bewegungsunfähig vernahm ich die zischende, äußerst tiefe und männliche Stimme eines Zauberers. Zustimmendes Brummen folgte seinen Worten.
Er war nicht alleine.
Ich wollte die Augen schließen, das alles nicht wahrhaben.
Aber das würde nichts daran ändern.
Jegliche Hoffnung auf Entkommen war verflogen; hatte sich wie Rauch in Nichts aufgelöst.
Es fühlte sich nach Zeitlupe an. Einem Moment, der nie vergehen wollte, während ich im Begriff war mich ihnen zuzuwenden.
Keine Baumlänge von mir entfernt standen zwei, in dunkle Umhänge gekleidete Herren mit gesenkten Zauberstäben.
Wie eine zweite Haut schmiegte sich die Schwärze an ihre starken Körper.
Die Gesichter wurden von aufwändig verzierten Masken verborgen. Lediglich ihre wahnsinnig glitzernden Augen stachen im schwachen Schein meines Lichtzaubers hervor.
Mir zog es gefühlt den Boden unter den Füßen weg und die Welt um mich herum schien zu wanken, als mir langsam klar wurde, mit wem ich es zu tun hatte.
Todesser.
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