𝟷𝟼 | 𝐴𝑙𝑙𝑦
❧༺༻☙
Ich muss hier raus.
Irgendwie war auf einmal alles zu viel. Ich ließ mein Müsli einfach stehen, packte nur den Brief meiner Mutter und stopfte ihn im Gehen hastig in die Tasche meines Umhangs.
In diesem Moment war ich dankbar, dass mich die Meisten meiner Mitschüler behandelten als würde ich gar nicht existieren.
Mit gesenktem Blick, damit niemand auch nur den Hauch einer Chance hatte, aus meinem Ausdruck abzulesen wie es mir gerade ging, bahnte ich mir einen Weg aus der Großen Halle.
Severus merkte von all dem nichts.
Wie denn auch?
Er hatte schon lange aufgehört mit seinen Gedanken im Hier und Jetzt zu sein. Er war gefangen in seiner eigenen kleinen Welt, die er sich von Tag zu Tag aufgebaut hatte.
Er war taub geworden für die Hilfeschreie, die ich ihm im Stillen geschickt hatte. Er war immerzu überall — außer bei mir.
Und das Schlimmste war, dass ihm alles egal wurde, sobald sie den Raum betrat. Als würde er alles andere einfach so wegwerfen.
Ich gab mir große Mühe, irgendwie einen gleichgültigen Blick aufzusetzen.
Einfach böse gucken, riet mir die Stimme in meinen Gedanken. Dann machen alle sowieso einen großen Bogen um dich.
Das war dann wohl der einzige Vorteil, wenn man eine Slytherin war.
Eigentlich wollte ich nur noch meine Augen vor der Welt verschließen. Ich war nicht einfach nur alleine, es war viel mehr als das.
Einsamkeit.
Am liebsten wollte ich auf der Stelle in den Schlafsaal verschwinden, mich unter einer Decke verstecken und dem Bedürfnis nachgehen, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.
So, dass es keiner je mitbekommen würde.
„Ally!", rief mir plötzlich jemand hinterher.
Es war Lupin. Ich schluckte.
Bitte nicht jetzt. Ich kann nicht mehr.
Entschlossen lief ich weiter. Aus Verzweiflung biss ich mir auf die Unterlippe, bis mich der metallische Geschmack auf meiner Zunge das Gesicht verziehen ließ.
„Hey!" Die lauter werdenden Schritte fühlten sich wie eine Drohung an. „Warte doch mal."
„Ich brauche nur kurz frische Luft, Remus", sprach ich nach vorne, ohne Rücksicht darauf zu nehmen ob er es überhaupt verstanden hatte. „Gib mir fünf Minuten."
Er hatte mich eingeholt und legte mir eine Hand auf die Schulter, um mich am wegrennen zu hindern.
Vermutlich konnte er schon ahnen, dass ich mich dazu hinreißen lassen würde, wenn er es nicht tat.
Als ich das angeschwollene Gefühl in meinem Hals spürte, schloss ich die Augen.
Geh bitte, flehte ich Lupin gedanklich an. Ich kann es gleich nicht mehr zurück halten.
„Kannst du dich zu mir umdrehen?", hob er so behutsam an, als würde er befürchten, dass er mit den falschen Worten etwas zerbrechen könnte.
Ich, flüsterte meine innere Stimme und der Zusammenbruch meines Schutzschildes wurde immer unausweichlicher. Ich werde gleich zerbrechen.
Ich wollte den Kopf schütteln, mich von ihm losreißen und das Weite suchen. Aber selbst das konnte ich nicht.
Viel zu sehr sehnte ich mich nach jemandem, der mich verstehen konnte.
Aber wieso er? Du weißt nicht ob du ihm trauen kannst!
Er war ein Gryffindor. Aber nicht nur irgendeiner, sondern der engste Vertraute der schlimmsten Sorte von Gryffindors, die Hogwarts je gesehen hatte. Potter und Black.
Wenn die Geschichte uns etwas gelehrt hatte, dann dass Lupin und ich uns nicht verstehen konnten.
Aber das wäre nicht ich, wenn ich mich von eingefahrenen Vorurteilen beeinflussen lassen würde. Denn mein Gefühl sagte etwas anderes.
Dieser Konflikt zwischen Kopf und Herz warf mich jedes Mal mit voller Wucht aus meiner gewohnten Umlaufbahn.
Ich verfluchte alles.
Gefühle sind ganz schlimm.
Die großen Kriege unserer Zeit wurden auch nicht gewonnen, weil sich jemand gerade danach gefühlt hatte. Dafür war Köpfchen gefragt.
Aber ich wollte mich auch nicht blind auf meinen Verstand verlassen. Ich wollte das Richtige tun.
Deswegen sollte es ein Kompromiss sein, für den ich mich letztendlich entschied. Solange ich mich nicht dazu hinreißen ließ emotional zu werden, war ja nichts dabei, wenn ich ein paar höfliche Worte mit ihm wechseln würde.
Wir kriegen das hin. Nur nicht die Fassung verlieren.
Ich holte noch einmal tief Luft, ehe ich ihm seine Bitte erfüllte.
Hoffentlich sieht er es mir nicht an.
Sein Blick fand meinen. Es fühlte sich schon wieder so an, als würde er mir direkt in meine Seele schauen können. Irgendwie war das beängstigend und faszinierend zugleich.
Doch genau das wurde mir zum Verhängnis. Es war nur ein Moment der Unachtsamkeit.
„Was ist passiert?"
Allein diese Frage reichte aus, um meine sorgsam aufgebaute Schutzmauer einstürzen zu lassen wie ein Kartenhaus auf wackeligem Boden.
Nicht hier!, fuhr ich mich in einem letzten, verzweifelten Versuch an, aber es war schon zu spät.
Ich konnte nichts sagen, taumelte zurück. Die einzelne Träne, die nun über meine rot angelaufene Wange rann, sprach in diesem Moment mehr als es meine Worte je hätten tun können.
Einen Herzschlag später stand das Wasser in meinen Augen und ich musste mich anstrengend überhaupt noch etwas erkennen zu können.
Verdammt.
Ich konnte nichts mehr tun, um es aufzuhalten.
Dann brach es einfach so aus mir heraus.
Leise schluchzend versuchte ich mir niedergeschlagen die Tränen mit meinem Ärmel wegzuwischen, aber es wurden einfach zu viele.
Ein Tropfen nach dem anderen strömte über meine mitgenommene Haut herab.
Mein ganzer Körper wurde von einem Beben erfasst, geschüttelt. Zitternd spürte ich auf einmal Lupins Arme, wie er mich tröstend an seine Brust drückte.
„Es ist alles okay", flüsterte er mir ins Ohr, obwohl er überhaupt keine Ahnung hatte, worum es eigentlich ging. „Das wird schon wieder."
Er fragte auch gar nicht mehr weiter. Vermutlich verstand er, dass ich ohnehin keinen Ton herausbringen könnte. Tiefe Dankbarkeit, dass er mich stützen konnte ohne dafür eine Erklärung zu verlangen, erfüllte mich.
Er tat nichts, strich mir lediglich die vor Tränen verklebten Haare aus dem Gesicht.
Irgendwie kämpfte ich immer noch dagegen an, als würde ich einen Schein aufrecht erhalten wollen, der schon längst enthüllt war.
Ich wollte nicht weinen, nicht vor Lupin oder sonst irgendjemandem. Nicht einmal vor Severus.
Es ging einfach gegen meine Natur vor anderen so offen und ehrlich meine Gefühle zu zeigen.
Irgendwann fing die salzige Flüssigkeit auf meiner Wange an zu brennen. Es fühlte sich alles so wund an.
Ich konnte und wollte mich einfach nicht mehr wehren.
Keine Schwäche zeigen, wies mich meine innere Stimme abermals an, obwohl sie bereits wusste, dass sie verloren hatte.
Und dann tat ich etwas, dass ich eigentlich nie zugelassen hätte.
Schwach erwiderte ich Lupins Umarmung, als ich mich endlich fallen lassen konnte.
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