𝟸𝟿 | 𝑆𝑒𝑣𝑒𝑟𝑢𝑠
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Es war ein blumiger Geruch, der seinen Weg in meine Nase fand und mich augenblicklich in eine andere Welt entführte.
Er vermochte es, mir bedingungslos ein Kribbeln in meinem tiefsten Innern zu bescheren, noch viel umwerfender und berauschender als Amortentia selbst. Wie in Trance wandte ich mich nach ihm um.
Seidig rote Haare, die fröhlich durch die Luft tänzelten, bekam ich noch zu sehen, ehe sie um die nächste Ecke verschwanden. Mein Lieblingsrot.
Lily.
„Snape? Warum grinst du so komisch?"
Da spürte ich erst die teils misstrauischen, teils verwirrten Blicke der anderen Slytherins auf mir ruhen. Wir hatten uns nach Verteidigung gegen die dunklen Künste in einer kleinen Gruppe zusammen gefunden, um über die fragwürdigen Methoden im Unterricht zu diskutieren. Über Dumbledore herziehen hat es wohl eher getroffen.
Doch ich musste dem Kreis von Schwarzmagie-Enthusiasten unterbewusst den Rücken gekehrt haben. Anders konnte ich mir nicht erklären, warum ich mich auf einmal ein paar Schritte abseits wieder gefunden hatte.
„Ich denke, er findet den Gedanken daran, dass bestimmte Zauber auszuführen, verboten sein soll, auch einfach nur lächerlich", kam mir Evan Rosier zur Hilfe. Er stieß mir mit dem Ellenbogen auffordernd gegen den Oberarm, als würde er mir sagen wollen, ich sollte einfach mitspielen.
Ich nickte eifrig, hätte mich aber gerne für meine offensichtlichen Träumereien geohrfeigt.
Ernüchtert musste ich feststellen, dass ich kaum Fortschritte machte. Meine Gefühle waren weiterhin für jeden dahergelaufenen Idioten wie ein frei zugängliches Buch lesbar.
Keiner der Anwesenden wirkte überzeugt. Dennoch fuhr Gaige Mulciber mit seiner Hetzrede fort.
„Wie bereits gesagt, bevor ich so unhöflich unterbrochen wurde-", meinte er mit einem Seitenhieb scharf in meine Richtung. „-wir sollten das definitiv nicht auf uns sitzen lassen."
Das zustimmende Gemurmel, das von allen Seiten kam, rückte für mich in den Hintergrund. Ich war schon wieder in meiner eigenen Welt abgetaucht.
Warum ist Lily wortlos an mir vorbei gelaufen?, grübelte ich. Vermutlich wegen meiner Gesellschaft. Vielleicht hat sie sich nicht getraut, mich unter diesen Umständen anzusprechen.
„Entschuldigt mich, ich habe noch anderweitig Pläne", warf ich ohne Rücksicht in das laufende Gespräch ein, was mir einen grimmigen Blick von Mulciber einhandelte. Doch ich ließ ihm keine Möglichkeit, etwas zu erwidern. Auf dem Absatz machte ich kehrt und hastete davon, Richtung Gryffindor Gemeinschaftsraum. Hoffentlich ist Lily in der Nähe.
Obwohl ich denselben Korridor wählte, den sie zuvor ebenfalls gegangen sein musste, war keine Spur mehr von ihr zu sehen.
Wie lange habe ich mich vorhin in meinem Gedanken verloren?
An meinem Ziel angekommen fand ich zu meiner Enttäuschung nur zwei weibliche Gryffindors, die aus dem Porträt der Fetten Dame schlüpften und sich lautstark über die Unmengen an Hausaufgaben beschwerten.
Ich musterte die Mädchen eindringlich. Hatte ich eine von ihnen als Begleitung von Lily in Erinnerung?
Die Braunhaarige!
Es fiel mir ein, als die Beiden den Weg zum Innenhof einschlugen und schon fast aus meinem Blickfeld verschwanden.
„Hey!", rief ich aus und zögerte nicht, ihnen hinterher zu rennen.
Sie drehten verwundert die Köpfe, als sie mich mit wehendem Umhang auf sich zu stürmen hörten.
Ich konnte erkennen, wie sie automatisch nach ihren Zauberstäben tasteten.
„Wisst ihr zufällig wo sich Lily gerade aufhält?", sprudelte es sogleich aus mir heraus, in der stillen Hoffnung, sie würden verstehen, dass ich kein Interesse daran hatte, sie anzugreifen.
Sie sagten keinen Ton, sondern wechselten nur beunruhigte Blicke.
„Wieso?", fragte die Braunhaarige schließlich argwöhnisch. „Wenn du ein guter Freund wärst, würdest du das wissen."
Am liebsten hätte ich sie mit einem bösen Blick gestraft.
Warum muss sie es mir so schwer machen?, dachte ich gereizt, ließ mir aber nichts anmerken.
„Ich habe sie vorhin aus den Augen verloren", gab ich kühl zurück.
Hilfesuchend sah sie zu ihrer Freundin, die nur ratlos mit den Schultern zuckte.
Letztlich antwortete sie mir, wenn auch etwas widerwillig. „Vielleicht schaust du mal in der Bibliothek vorbei."
Ich neigte den Kopf zum Dank und zwang mich zu einem schiefen Lächeln, das mir kaum glückte. Bibliothek. Darauf hätte ich auch kommen können.
Um keinen Moment länger die Gesellschaft von Lilys Freundinnen ertragen zu müssen, wandte ich mich sogleich von ihnen ab und schritt zügig in den vierten Stock. Der vertraute Geruch von frisch gedruckten Buchseiten, raschelndem Pergament und dem erdrückenden Gewicht an Wissen, das darin schlummerte, schlug mir entgegen, sobald ich auch nur einen Fuß über die Schwelle der Bibliothek gesetzt hatte.
Auf der Suche nach Antworten, Weisheit oder schlichtweg einem angenehmen Zeitvertreib schwelgten an diesem Nachmittag viele junge Hexen und Zauberer zwischen den gold glänzenden Einbänden.
Mein Blick schweifte von Regal zu Regal und die Vorfreude, Lily in wenigen Herzschlägen sehen zu können, wuchs.
Doch kurz bevor ich in den nächsten Gang einbiegen konnte, vernahm ich unmittelbar in der Nähe eine Stimmfarbe, die meine Laune in einen vernichtenden Schwarz ertränkte.
Abrupt kam ich zum Stehen. Potter.
Meine Miene verfinsterte sich, als ich mich mit einem Ohr skeptisch an die fein säuberlich sortierten Bücher drückte, um seine Worte verstehen zu können.
„Aber Snape?" Er klang mürrisch.
„Wie oft muss ich es dir noch sagen? Du weißt genau, was ich von Slytherin halte. Daran wird sich nie etwas ändern."
Ein Stich fuhr mich mitten durch das Herz, als ich realisierte, dass es Lily war, die ihm geantwortet hatte.
„Du könntest jeden haben! Das kann doch nicht dein Ernst sein?"
Unwirsch gab sie etwas Unverständliches zurück. Obwohl ich akustisch nicht verstand, was sie erwidert hatte, konnte ich ihre Abweisung deutlich heraus hören.
„Hast du es denn nicht gesehen? Die Bücher? Die Flüche? Die seltsamen Gestalten, mit denen er sich abgibt? Ich dachte, es wäre nur eine Phase. Aber es wird immer schlimmer!" Potter blieb hartnäckig, wie er eindringlich auf die junge Gryffindor einredete.
„Ich kann auf mich aufpassen, danke Potter." Lily schien allmählich die Geduld auszugehen.
„Wieso willst du mir-"
„Ich habe nein gesagt. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich habe noch einiges zu tun", unterbrach sie ihn schnippisch und erklärte damit ihr Gespräch für beendet.
Ein verärgertes Schnauben, gefolgt von polternden Schritten, kam näher. Geistesanwesend ließ ich mich rückwärts zwischen zwei Bücherregale gleiten, die mich vor Potters Blicken schützen sollten.
Vorsichtshalber riss ich wahllos ein Buch von seinem Platz, hielt es mir dicht vor das Gesicht und tat, als wäre ich komplett in dessen Zeilen versunken.
Erst als das missmutige Trampeln, dessen Beben bis in den Boden spürbar war, vollständig verklang, wagte ich hinter den Seiten hervor zu lugen.
Geräuschvoll klappte ich das Buch zu. Zwielichtige Zaubertränke stand in großer, geschwungener Schrift auf dem düster gehaltenen Cover.
Das werde ich im Hinterkopf behalten.
Prüfend spähte ich aus meinem Versteck zum Ausgang. Die Luft war rein.
Im Weitergehen klemmte ich mir die Lektüre meiner Wahl unter den Arm und schlug den Weg ein, wo ich Lily vermutete.
Als ich in den nächsten Gang abbog, sah ich sie. Den Ellenbogen auf den alten Tisch gelehnt, hing sie tief über einem Buch und stützte ihren Kopf mit der Hand.
Ich konnte ihren Blick aus der Entfernung nicht erkennen, doch ihre Haltung sprach Bände. Sie hatte ihren Bedarf an Hausaufgaben für heute gedeckt. Lustlos fummelte sie mit dem Daumen an der unteren Buchecke, um die nächste Seite aufzuschlagen zu können. Doch diese und die restlichen Blätter schienen unzertrennlich zu sein.
„Hey", begrüßte ich sie, nachdem ich direkt vor ihr stehen geblieben war.
Sie gab das Umblättern auf, schnappte sich ihre Feder und schrieb die wichtigen Fakten ab, die sie bereits hatte sammeln können.
„Hey", murmelte sie abwesend, während sie ihr Geschriebenes kritisch überflog.
„Was wollte Potter von dir?", konfrontierte ich sie ohne Umschweife.
Lily blickte von ihrer Arbeit auf, die Überforderung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Du hörst dich an wie mein Dad", wich sie anklagend aus.
„Ich bin mir sicher, dass er etwas von dir wollte, dass deinen Dad interessieren könnte", erwiderte ich eisern.
Ihr klappte der Mund auf, als sie nach einem schlagfertigen Konter suchte, aber keinen fand. Doch bevor sie ihn wieder schließen konnte, kam ihr etwas Anderes in den Sinn.
„Warte. Willst du mir gerade sagen, dass du uns nachspioniert hast?", überlegte sie mit hoch gezogenen Augenbrauen.
„Nein, natürlich nicht!", wehrte ich mich gegen ihre Anschuldigungen. „Ich konnte ja nicht wissen, dass du jetzt auch Zeit mit ihm verbringst."
Ihr Blick wurde weich, als er meinen traf.
„Es war nichts", beruhigte sie mich. Erfolglos. Ich wusste, was ich gehört hatte. Sie nicht.
„Er meint es nicht so", versuchte Lily sich ungefragt zu rechtfertigen. „Ich glaube, dass er sich einfach nur nicht richtig ausdrücken kann."
Es war nicht die Tatsache, dass sie es verharmloste, die mir Sorgen bereitete. Es war ihre Überzeugung. Sie dachte wahrhaftig, dass Potter seine Sticheleien, die mir das Leben schwerer machten als ich zugeben würde, nicht böse meinte.
War sie tatsächlich auf ihn reingefallen?
„Was tust du hier eigentlich?", lenkte sie ab. Ein neugieriges Funkeln lag in ihren verboten schönen Augen. „Wenn du etwas Spannendes zum Lesen willst, kannst du mich gerne nach Empfehlungen fragen. Die Liste von meinen Lieblingsbücher platzt förmlich aus allen Nähten."
Wie kann ich dazu nur nein sagen?
Meine Zweifel und negativen Gedanken konnten sich bei ihren Anblick ohnehin nicht lange halten.
„Also eigentlich-", hob ich nervös an, als ich merkte, wie unvorbereitet mich mein eigenes Vorhaben traf. „-bin ich tatsächlich wegen dir hier."
Doch ihre Aufmerksamkeit galt nicht länger mir.
„Und was wolltest du von mir?", verlangte sie zu erfahren, während sie nebenbei die Unterlagen auf ihrem Tisch neu sortierte.
„Ich dachte, du hast vielleicht Lust, zusammen ein bisschen zu lernen. Man kann schließlich nicht früh genug anfangen."
Schlechter Zeitpunkt, ich weiß. Aber ich konnte vorher nicht wissen, dass sie bereits bis zur Erschöpfung gearbeitet hatte.
Das vorsichtige Lächeln, das sie endlich zugelassen hatte, konnte ihre müden Augen nicht erreichen. Seufzend senkte sie den Blick. Gedankenverloren musterte sie das Zaubertrank-Buch, das ich immer noch dicht bei mir trug.
Die Andeutung des Lächelns erstarb. Es wich einem Stirnrunzeln, als sie zwischen ihm und mir abwechselnd hin und her sah. Langsam schüttelte sie den Kopf. Missbilligend verzog sie den Mund, um ihre unausgesprochene Meinung zu unterstreichen.
Sie traute mir nicht. Nicht mehr. Sie versuchte es zu überspielen, doch sie war eine verdammt schlechte Lügnerin.
„Tut mir leid. Aber für heute sollte ich erstmal eine Pause einlegen." Das Misstrauen hatte sich nicht nur in ihrem Blick festgesetzt.
Ohne auf eine Reaktion meinerseits zu warten, war sie aufgestanden und warf hastig all ihre Materialien auf einen Haufen, als könnte sie nicht schnell genug vor mir flüchten.
Überrumpelt von ihrem plötzlichen Stimmungswechsel blieb ich angewurzelt stehen.
Was habe ich jetzt schon wieder falsch gemacht?
„Wir sehen uns." Lily hatte ihre Sachen gepackt und war im Begriff an mir vorbei zu huschen.
Wie? Das war's?
Das sollte unser Nachmittag gewesen sein, den ich mir ausgemalt hatte, seit ich mich die Strahlen der Sonnen heute morgen wach geküsst hatten?
Nein, so schnell konnte ich nicht aufgeben.
Ich wollte nicht, dass sie jetzt schon ging.
Aber wie kann ich es schaffen, dass sie mehr Zeit mit mir verbringt? Nicht mehr nur diese kurzen Momente zwischendurch?, überlegte ich fieberhaft.
„Lily, warte!", hörte ich meine eigene Stimme rufen, bevor ich mir über meine spontane Idee ernsthaft Gedanken machen konnte.
Sie drehte sich noch einmal zu mir um. Fragend legte sie den Kopf schief, als sie auf mein Anliegen wartete.
„Wollen wir nächstes Mal zusammen nach Hogsmeade?"
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich etwas kleinlauter „Nur wir beide?" hinzufügte.
Die Zeit fühlte sich endlos an.
Sie wirkte hin und her gerissen. Als würde sie alle Vor- und Nachteile gründlich überdenken müssen, fuhr sie sich abwägend durch die Haare. Ein Seufzen verließ ihre rosigen Lippen.
„Sev..."
Lily Stimme war wie die süßlich duftende Wolke, die sie immer umgab, in der ich mich für einen Augenblick vergaß.
Ich hörte meinen Spitznamen, der früher nur Ally vorbehalten war, so gerne aus ihrem Mund. Es gab mir das Gefühl, dass wir trotz all unserer Differenzen stets miteinander verbunden waren.
Abermals gab sie entgegen ihrer Vernunft nach, ehe sie mir ein geschlagenes Lächeln schenkte.
Dann nickte sie.
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