Teil 10
„Da bist du ja", sagt eine Frau, die mir sehr bekannt vorkommt und schreitet auf mich zu. Ich weiß nicht, warum sie mir so bekannt vorkommt, denn ich kann nicht zuordnen, um wen es sich handelt und trotzdem sieht sie mir vertraut aus. Ich schaue mich im Raum um, welcher eher einem Saal entspricht. Der Saal ist mit Gold und Kerzen geschmückt und mehrere Paare tanzen. Ich schaue mich weiter um, bis ich auf einen Spiegel treffe und erstarre. Ich sehe mich. Beziehungsweise eine Person, die ich sein müsste, aber sie sieht nicht aus wie ich üblicherweise aussehe.
Ich trage ein pompöses Kleid, welches ich mir eigentlich nie leisten könnte. Meine Taille sieht extrem schmal aus, was vermutlich an einem Korsett liegt, da ich auch ziemliche Probleme beim Atmen habe. Und außerdem ist es vorne sehr offen ausgeschnitten. Schnell versuche ich, das Kleid ein wenig hochzuziehen, damit man nicht so viel sieht. Meine Haare sind zu einem Turm aufgesteckt und außerdem wurde bei der Schminke auch nicht gerade gespart.
„Du siehst wunderschön aus", meint die Person lächelnd, während sie mich sehnsüchtig im Spiegel beobachtet und reicht mir eine Hand. „Komm mit, wir...", setzt sie an und ich lasse mich mitschleifen, bis die Erde rüttelt. Ein Erdbeben?!
Ich reiße meine Augen auf. Ich befinde mich im Bus, der Bus hat gerade eine Vollbremsung gemacht. Unter mir liegt meine Schultasche. Und ich hatte wieder einen Tagtraum. Ich schließe meine Augen und hoffe, dass ich nicht verrückt werde.
---------------------------------------------------------------------------------------------------------
Den restlichen Tag sitze ich zu Hause rum, bis mir einfällt, dass ich mein Buch für das Referat bei Erika vergessen habe. Da sie nur eine Straße weiter wohnt, laufe ich dorthin. Ich klingele und ziehe mir meine Jacke enger. Es ist ein kalter Tag und ich fröstele. Endlich öffnet Erika die Tür.
„Hallo", begrüße ich sie freundlich. „Hi", sagt sie sichtlich irritiert und schaut auffällig hinter sich in den Flur. „Ich habe mein Buch vergessen", erkläre ich und sie nickt nervös, hält mir aber die Tür auf, damit ich eintreten kann. Aufgeregt hüpft sie die Treppe zu ihrem Zimmer hoch und ich öffne die Tür. „Oh, hi", sage ich erstaunt, als ich die Person im Raum wahrnehme. Daher ist sie also nervös gewesen. „Hey", meint Milan grinsend und mustert mich von oben nach unten.
„Ich gehe gleich wieder, ich muss mir nur mein Buch holen und dann lasse ich euch wieder alleine", murmele ich und Erika wirft mir einen dankbaren Blick zu. Ich hole mein Buch vom Schreibtisch und öffne die Tür, um zu gehen, jedoch fragt Milan ziemlich überraschend, bevor ich gehen kann: „Warum gehen wir nicht alle zusammen Eis essen?" Ich drehe mich zu ihm um und schaue ihn verwirrt an. „Schau mal wie kalt es draußen ist." „Wir können auch einen Film schauen", erklärt er und sein Mund umspielt ein grinsendes Lächeln, das ich nicht wirklich deuten kann. „Isabella wollte nur ihr Buch holen", meint Erika kühl und funkelt ihn wütend a.
Ich begebe mich in Richtung Tür. „Ja, Erika hat Recht, aber vielleicht könnt ihr ja zusammen einen Film schauen", sage ich mit einem zuckersüßen Lächeln. "Ciao, allerseits", rufe ich aus und schließe die Tür hinter mir. Auf dem Nachhauseweg komme ich ins Grübeln. Warum war Milan bei ihr? Ach, eigentlich sollte mir diese Frage doch egal sein. Aber warum ist sie es dann nicht?
---------------------------------------------------------------------------------------------------------
„Wer hat Ideen für unseren nächsten Wandertag?", fragt Frau Honig am nächsten Tag, während sie sich Notizen macht. Keiner meldet sich. Wie jedes Jahr hat niemand Lust auf einen pädagogischen Tag, immerhin ist dieser jedoch besser als Unterricht. „Wir könnten ins Kino gehen", meint Sven. „Das ist nicht sehr pädagogisch und kulturell", erwidert Frau Honig resigniert. „Wir könnten ja einen pädagogischen Film schauen", erklärt er ironisch.
„Ich würde vorschlagen, dass wir einen kulturellen Tag machen, wir könnten uns eine Kunstaustellung ansehen und danach eine alte Kirche besuchen und danach..." Milan meldet sich. „Ja, Milan?" „Die Idee mit der Kirche finde ich nicht gut. Ich denke, jeder aus der Klasse war bereits in einer Kirche und weiß somit, wie sie aussieht." Andere pflichten ihm bei.
„Okay", sagt Frau Honig gedehnt. „Ihr wollt ins Kino und ich möchte einen kulturellen Tag. Mein letztes Wort ist, dass wir ins Kino gehen, aber auch wenigstens anschließend eine Kirche besuchen. Eure Religionslehrerin wäre mir sehr dankbar." Ein paar nicken einverstanden, nur Milan versucht, weiter zu diskutieren, bis er schließlich aufgibt und sich seufzend nach hinten lehnt.
Ich beobachte ihn prüfend. In meinem Verstand fügt sich ein Puzzleteil zusammen. Der schwarz gekleidete Mann, der die Kirche aufgesucht hat. Dieser Mann war zufällig Milan, der nun überhaupt keine Lust hat, eine Kirche aufzusuchen. Bloß ein merkwürdiger Zufall oder hat Milans Geheimnis etwas mit einer Kirche zu tun?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro