16. "Was kannst du noch?"
Mittwoch.
Mittwoch zog sich genauso in die Länge wie auch schon der restliche Montag und gestern der Dienstag.
Ich wusste nichtmal, warum ich so sehr auf ein Treffen mit ihm hinfieberte - schließlich würde er mir am Ende nur den Autoschlüssel, das Auto natürlich selbst auch und die Unterlagen dazu überreichen.
Mehr nicht.
Die Adresse war direkt das Autohaus der Laynce Brüder und das befand sich widerum am Rand unseres Industrieviertels.
Alles ganz seriös.
Ich strich mir meine wild umherflatternden Haare zurück, um dann eines meiner Lieblingsrestaurants zu betreten. Kaily ist heute Abend mit ein paar ihrer Arbeitskollegen ausgegangen, sodass ich diesmal wieder alleine für mein Abendbrot zuständig war.
Und ja, ich denke gebratene Nudeln und Ente Kross tauchen wahrscheinlich nicht unter den Top Zehn der gesunden Sachen auf, doch ich hatte mir das heute nach dem anstrengendem Arbeitstag reglich verdient.
Während ich in der Schlange wartete und die Unterhaltungen um mich herum ausblendete, um den sanften Klängen der asiatischen Musik zu zuhören, streifte ich in reichlich unrelevante Gedanken ab.
Zum Beispiel, ob ich hier essen würde oder ob ich das Essen einpacken ließ und mit zu mir nach Hause schleppte. Aber das war halt nicht das gleiche, als wenn man es frisch zubereitet zu dieser schönen Atmosphäre genoss.
Lächelnd betrachtete ich die gemütlich angerichteten Sitzecken. Zwischen jeder befanden sich liebevoll gepflegte Planzen, die sich an Geländern oder um Regale rankelten. In dem warmen Lichtschein der altwirkenden Lampen wurde alles schön dezent beleuchtet, besonders das dunkle Rot der Sitzkissen auf den Holzbänken oder auf den Flechtstühlen wurde dabei besonders hervorgehoben.
"Ihre Bestellung bitte?"
Ich drehte mich zu der mir sehr bekannten Stimme um. Sie gehörte Frau Phan, die Besitzerin des Lokals und eine der nettesten Gastgeberinnen, die ich kannte.
"Oh Jane", meinte sie gleich, als sie mich erkannte. "Schön, dass du wieder hier bist. Das gleiche wie immer?"
Ich nickte und lächelte sie erfreut an. "Ja, das gleiche wie immer."
Sie nickte und tippte etwas auf einem Gerät ein, ehe sie auf einen kleinen Tisch in der Ecke am Fenster deutete, der mir fast gar nicht aufgefallen ist, da er so versteckt lag. "Setz dich doch hin. Einen Moment, wir bringen dir das Essen gleich."
"Okay", sagte ich, bedankte mich und machte mich dann auf den Weg zu diesem Tisch. Dort stellte ich meine Handtasche neben mir auf der Fensterbank ab, schälte mich aus meinem dünnen Mantel, den ich mir bei den heute etwas kühleren Temperaturen übergeworfen hatte, und ließ mich dann zufrieden in dem geflochtenen Korbstuhl zurücksinken.
Herrlich.
Die Hände auf den Lehnen abgelegt bemerkte ich, dass ich mich genau in dem Winkel hingesetzt hatte, in dem man gut zum Tresen schauen konnte.
Einerseits war das praktisch, so könnte ich eine Weile die hereinkommenden Leute beobachten. Andererseits fühlte ich mich dann auch automatisch beobachtet - und das mochte ich ja gar nicht.
Zwischen den zwei Möglichkeiten fieberhaft hin und her überlegend, trat plötzlich eine Person in mein Sichtfeld.
Mir stockte der Atem und meine Finger krallten sich um die Lehnen.
Was machte er denn hier?
Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete ich, wie Frau Phan auch ihn ziemlich vertraut behandelte.
Als würde auch er öfter hierherkommen.
Naja, das Lokal wurde als ziemlich gut angepriesen und lag auch in der Stadtmitte, so war es eigentlich kein Wunder, dass er hier auftauchte.
Und trotzdem war dieser Zufall schon wieder unglaublich.
Als hätte er meinen stechenden Blick auf seinen mal wieder teueraussehen dunkelblauen Anzug gemerkt, drehte er seinen Kopf in meine Richtung.
Ach du Schande.
Ich hätte mich mal wohl doch lieber auf die andere Seite setzen sollen.
Mit schnell klopfendem Herzen schaute ich weg, konnte aber noch erkennen, wie seine Augenbrauen überrascht in die Höhe zuckten.
Komm bitte nicht her.
Komm bitte nicht her.
Bitte.
Ich fühlte mich schon wie so ein Beschwörer, als ich diese Wörter immer und immer wieder in meinem Kopf laut wiederholte. Als würde das etwas bringen. Spätestens, als sein Duft zu mir herüberwanderte und Raye sich mir gegenüber in den anderen Korbstuhl fallen ließ, sah man - es hatte nichts gebracht.
Irgendwie freute ich mich über sein amüsiertes Lächlen und den warmen, spielerischen Ausdruck in seinen Augen.
Doch die Stimme der Vernunft appellierte an mir deutlich, ich sollte darüber ganz und gar nicht aus dem Häusschen sein.
"So verbringen sie also Ihre Abende, ja?", bei dem Wort "so" deutete er mit einer leichten Handbewegung auf die Umgebung, mich und dem Tisch mit der brennenden Kerze.
Von außen betrachtet würde es aussehen, als würden wir beide gerade ein romantisches Date inmitten von Kerzenschein abhalten.
Bei der Vorstellung erhitzten sich meine Wangen.
"Mal so, mal so", antwortete ich ausweichend und richtete mich räuspernd gerade auf, da ich das Gefühl hatte, in dem Stuhl wie ein Kartoffelsack vor sich hinzulümmeln.
Er lachte leise in sich hinein, weshalb sich ein Schwarm Schmetterlinge irrtürmlicherweise in meinem Bauch verirrte. "Ich merke schon, ich störe wohl bei der Entspannung. Ich wollte nur mal kurz nach Ihnen schauen, mehr nicht." Er warf mir wieder sein unwiderstehlichen Lächeln zu, ehe er Anstalten machte aufzustehen.
"Nein, nein", rutschte es mir heraus und im gleichen Moment hätte ich mir gerne gegen die Stirn gehauen.
Er ließ sich wieder zurücksinken und zog eine dunkle Augenbraue in die Höhe. "Nein?"
Wieder räusperte ich mich kurz. "Nein, Sie stören nicht. Außerdem haben Sie eine ganz andere Vorstellung von meinen Abenden", fügte ich in einem etwas schalkhafteren Ton hinzu.
Interessiert lehnte er sich vor und stützte sein Kinn auf der Handfläche auf. "Ach wirklich? Keine einsame Abende im Kerzenschein und mit gutem Wein?"
"Nein", ich schüttelte den Kopf, dabei zuckten meine Mundwinkel verräterisch. "Ich verbringe meine Abende meistens in Gesellschaft und mit gutem Essen."
"So, so", er betrachtete mich weiterhin amüsiert. "Und diese Gesellschaft gibt es wohl heute nicht?"
"Nein, die gute Gesellschaft ist ausgegangen. Ohne mich."
"Wie jammerschade."
Ich nickte nachdrücklich. "Absolut. Deswegen muss jetzt dafür das gute Essen als Ersatz herhalten. Ein kleiner Trost."
Er sagte nichts, sondern schaute mich einfach nur von der anderen Seite des Tischs an. Das Kinn immer noch auf die Hand gestützt, die lockigen Haare auf die Stirn fallend und mit einem leichten Kräuseln um den Mundwinkeln.
Beinahe schon etwas versunken in den Gedanken.
Unsicher schluckte ich und lehnte mich jetzt doch nachhinten, um irgendwie Abstand zu schaffen und seiner gewaltigen Anziehungskraft zu entkommen.
Es gelang mir dennoch nicht.
Allerdings war er es jetzt, der sich räusperte, sich durch die Haare strich und sich ebenfalls nachhinten sinken ließ. "Hatten Sie meine Nachricht mit dem Treffpunkt schon gelesen?", fragte er mich, gleichzeitig zog er sich sein Jakett aus und legte es zu meiner Handtasche auf die Fensterbank neben uns.
"Mhm ja. Das ist direkt beim Autohaus, richtig?"
"Nicht ganz", die wachen, funkelnden Augen wanderten wieder zu mir herüber. "Ihr Auto ist in der Werkstatt hinter unserem Gebäude. Da es nicht zu den Ausstellungsstücken gehört, mussten wir es erstmal heute woanders hinparken. Es kam nämlich auch früher an als erwartet."
"Wieso ist es kein Ausstellungsstück?", fragte ich irritiert. "Ich dachte, er würde bei den anderen Autos aus der Midnightblue Serie nicht weiter auffallen."
"Doch. Dein Schmuckstück schon", wandte er schmunzelnd ein und ich bemerkte im selben Augenblick, dass er das "Sie" nun gänzlich fallen gelassen hat. Ihm ist wohl heute nicht nach formell. "Du hast eine Sonderanfertigung und viele unserer Kunden fahren abends nochmal extra zu uns, um sich die neuesten Modelle anzuschauen. Da würden sofort alle für dein Wagen bieten. Und weil ich die armen Mitarbeiter mit den Nachfragen nicht überlasten wollte, musste dein Auto woanders hin."
Diese Wirkung, dass er mich nun direkt ansprach und die Professionalität nachhinten stellte, konnte ich gar nicht beschreiben.
Es war auf jeden Fall komisch mit dem Hintergrundwissen, dass er eigentlich mein Chef war und wir so miteinander sprachen, als wäre er mein Nachbar von nebenan.
"Achso", murmelte ich nur. "Dann muss ich ja jetzt wohl keine Angst mehr haben."
"Die musstest du noch nie haben", er warf mir wieder einen zweideutigen Blick zu, ehe er nach der Karte angelte und sich die Getränke anschaute.
"Gebratene Nudeln mit Ente Cross", ein Teller wurde vor mir abgestellt, der Geruch von dem Essen ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. "Und das gleiche noch einmal", der andere Teller wurde vor Raye abstellt. "Guten Appetit." Und dann war der Kellner schon wieder weg.
Raye sah von seinem Teller zu meinem und wieder zurück. "Also dann hätten wir ja gleich die Menükombination nehmen können. Dann wären nämlich noch die Frühlingsrollen inklusive gewesen. Und das Dessert."
Ich schnalzte mit der Zunge. "Nächstes Mal."
Moment - nächstes Mal?
Seine blitzenden Augen zuckten zu mir, doch ich wich seinem Blick aus und griff nach dem Besteck.
"Hast du dir eigentlich etwas zutrinken bestellt?"
Ich hielt mit der Gabel vor meinem Mund inne. "Nein. Das mache ich meistens nach dem Essen. Aber eigentlich nehme ich das Essen ja auch meistens mit nach Hause und esse nicht hier."
"Verständlich." Er klappte die Karte schmunzelnd zu und steckte sie wieder zurück in die dafür vorgesehene Halterung. "So ganz alleine hier mit dem Essen im Kerzenschein sitzend-"
"Hey", unterbrach ich ihn entrüstet. "So oft kommt das nun auch wieder nicht vor, wie du denkst."
Auch seine Finger tasteten jetzt nach dem Besteck. "Das wollte ich auch nicht unterstellen."
Ich warf ihm einen strafenden Blick zu.
Er drehte die Nudeln um seine Gabeln ein, während er wissend um meinen strafenden mörderischen Blick zu mir herüberlinste. "Okay, vielleicht ein bisschen."
Ich steckte mir die Nudeln in den Mund und kaute zuende, ehe ich alles herunterschluckte. "Außerdem wolltest du wohl auch ganz offentsichtlich hier alleine essen. Deine Bestellung hast du ja aufgegeben, bevor du mich gesehen hast."
"Oh, da hat mich wohl jemand beobachtet", hielt er mit einem gewitzten Lächeln dagegen.
Verdammt.
Wie schaffte er es immer nur, den Spieß so schnell umzudrehen?
Ich blieb still und piekste beschämt in ein Stück meiner Ente.
"Bist du mit dem Auto hier?"
"Nein." Fragend sah ich zu ihm hoch. "Warum?"
Anstatt mir zu Antworten, winkte er den Kellner herbei und ordnete irgendetwas auf einer mir ziemlich fremden Sprache an. Als der Kellner nickend wegging, konnte ich mir meine Fragen nicht verkneifen.
"Kannst du etwa Vietnamesisch?"
"Ein bisschen", gab er zu und schien dabei erstaunlicherweise etwas verlegen.
Ich überging es erstmal. "Und was kannst du noch?"
Jetzt war wieder dieses verschmitzte Grinsen zur Stelle. "Ich nehme an du meinst, was für Sprachen ich noch Sprechen kann?"
Oh okay, natürlich konnte man das bei meinem offenen und begeisterten Interesse auch anders verstehen. Ich verdrehte nur grinsend die Augen. "Ja natürlich meine ich das."
Er lachte erneut leise und mein Gott, ich mochte diese unbefangene Stimmung zwischen uns. Keine Arbeit, strenge Etikette oder sonst was, das uns im Nacken saß. Nur ein Restaurant, eine Kerze, Essen und Smalltalk.
"Ich spreche noch ein wenig Koreanisch und Chinesisch. Mein Französisch ist dagegen aber weithin besser", meinte er.
"Und wie kommt es, dass du die Sprachen kannst? Sie sind ja jetzt nicht gerade leicht", ließ ich meine Bewunderung unverholen heraushängen.
"Ich habe mal in den Ländern gewohnt und dort auch mit anderen Firmen zusammegearbeitet, um gegenseitige Unterstützung zu erreichen. In Hanoi, in Seoul, in Peking und in Paris. Irgendwann demnächst steht noch Dubei an", er zuckte mit den Schultern und spießte ebenfalls ein Entenstück auf.
Ich wollte gerade etwas darauf erwidern, als der Kellner neben uns mit einer Flasche Dalatwein auftauchte.
Wein.
Alkohol.
Keine gute Idee...
Ja, ich habe es nicht rechzeitig geschafft🤦♀️
Ich hoffe trotzdem mal wieder, ihr hattet Spaß am lesen. Habt ihr erwartet, dass Raye wohl langsam das Formelle fallen lassen wird? Und dass er offentsichtlich ein paar Sprachen kann?😏
Tja, was wird wohl noch passieren🤔
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