Kapitel 3
Helen wacht auf. Ihr ist kalt. Schnell schlüpft sie wieder in ihren Schlafsack, den sie während dem Schlaf von sich gestrampelt hat. Ausserhalb der Fabrik ist es schon hell geworden. Vergeblich versucht Helen, wieder einzuschlafen. Es lässt ihr keine Ruhe, dass Chris und Diego immer noch verschwunden sind! Sie steht auf und weckt ihre beiden Freunde Jack und Joaquin, die ihren Schlafplatz in einem anderen Zimmer, nicht weit vor ihr entfernt, haben.
Die beiden sind sofort hellwach und die drei machen sich auf den Weg zu einem Laden, der jeden Mittwoch und jeden Sonntag den Obdachlosen Leuten Essen schenkt. Heute ist Mittwoch.
Sie betreten den kleinen Supermarkt und begrüssen Eric, einen freundlichen Jungen in ihrem Alter, der jeden Morgen vor der Schule Brote für den Laden backt. Er gibt ihnen fünf Laibe. Die müssen für Helen, Jack, Joaquin und die anderen Obdachlosen, bis zum Sonntag reichen. Nachher bringen Helen und die beiden Jungs die Brote zu der Fabrik und teilen eines durch zehn, damit alle ein Stück bekommen. Die anderen vier Laibe verstaut Helen in einer alten Kiste, in der ihre Lebensmittel aufbewahrt werden. Danach macht sie sich, wie die anderen, hungrig über ihr Stück her.
Wie bisher jeden Tag, seit Chris und Diego verschwunden sind, machen sich die Obdachlosen Freunde auf die Suche nach den beiden. Auch Helen macht sich auf den Weg zu dem ihr zugeteilten Stadtteil, um die zwei verschwundenen Jungs zu suchen.
Sie durchkämmt dunkle Gassen, kaputte Strassen und ein altes, verlassenes Gelände. Auf ihrem Weg kommt sie auch an einer Privatschule für reiche Kinder vorbei. Sehnsüchtig starrt sie zum grossen Gebäude. Wie gerne würde sie jetzt dort drinsitzen und etwas lernen!
Aber leider mangelt es ihr an Geld, um diesen Traum zu verwirklichen. Sie kann gerade mal ein paar Sätze lesen, weil ihr ein Freund etwas Unterricht erteilt hat. Darum tut sie das einzig Sinnvolle in ihrer Situation: Ihre verschwundenen Freunde finden. Auch wenn ihre Hoffnung langsam schwindet. Helen geht weiter und sucht jeden einzelnen Winkel des Stadtteils ab, aber sie findet keine Spur von Chris und Diego. Niedergeschlagen geht sie wieder zurück zur Fabrik. Hoffentlich hat jemand anders die Vermissten, oder wenigstens eine Spur, gefunden!
Der Weg zurück zu ihrem Zuhause dauert ziemlich lange, denn ihr Stadtteil ist nämlich fast auf der anderen Seite. Dort angekommen, sieht sie schon an den Gesichtern der anderen, dass niemand etwas gefunden hat. Helen ist enttäuscht. Sie suchen jetzt schon so lange, aber haben bisher nichts, rein gar nichts, gefunden. Das kann doch nicht sein! Die beiden Jungs können sich doch nicht einfach so in Luft auflösen! Irgendwo müssen sie ja sein.
Ihre einzige Chance, heute die beiden wieder zu finden, ist einer ihrer Freunde: Sinan. Er ist schon erwachsen und hat ein Auto. Sinan ist nicht obdachlos und schenkt den Kindern manchmal etwas zu essen. Helen hat ihm von dem Verschwinden der beiden Jungs erzählt und Sinan hat sich bereit erklärt, ihnen zu helfen, die Jungs aufzuspüren. Sein Vorschlag ist, ein paar von ihnen mit dem Auto durch die Stadt zu fahren. So kommen sie schneller vorwärts und können in einem grösseren Radius suchen.
Helen, Jack und Joaquin gehen zu Sinan. Der verliert keine Zeit und bedeutet den dreien, in sein vor dem Haus geparktes Auto zu steigen. Den ganzen Nachmittag fahren sie kreuz und quer durch die Stadt und ihre nähere Umgebung.
Sie sehen Schüler, die in die Schule und später wieder zurück nach Hause gehen, viele Passanten; einige mit ihren Hunden und einige mit dem Handy vor ihrem Gesicht und sehr viele Autos, aber kein Chris und kein Diego. Niedergeschlagen machen sie sich wieder auf den Heimweg. Helen, Jack und Joaquin bedanken sich überschwänglich bei Sinan, obwohl sie leider nichts gefunden haben. Danach gehen sie betrübt zurück zur Fabrik.
In der Fabrik werden sie bereits von anderen obdachlosen Jugendlichen erwartet, die aber an ihren Gesichtern erkennen können, dass die Suche nicht erfolgreich war. Frustriert beraten sie, wie schon seit Tagen, was sie weiteres tun können, doch wie immer kommen sie auf keine Lösung. Schliesslich legen sie sich schlafen.
Helen findet lange keine Ruhe. Sie hat viel zu sehr Angst um Chris und Diego. Seit die beiden verschwunden sind, wird sie täglich von quälenden Gedanken und Albträumen geplagt: Chris und Diego liegen tot an einem Strassenrand. Chris und Diego hocken gefesselt in irgendeinem Gebäude. Chris und Diego werden gezwungen, Dinge zu tun, die sie nicht wollen... Kein einziger Traum endet gut für die Verschwundenen. Das macht ihr Angst.
Nach etwa drei Stunden, wird sie von der Müdigkeit übermannt und fällt in einen unruhigen Schlaf.
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