
Salz auf den Lippen
Der Wind peitschte ihr hart ins Gesicht und zerrte an ihr, wie ein hungriges Tier. Ihre Haare nahmen ihr nicht nur die Sicht, sondern wurden so sehr durcheinander gewirbelt, dass man meinen könnte, sie würden an der Wurzel in jedem Augenblick herausreißen. Aber das ist genauso Quatsch, wie sie sich wegen der Sache in die Fluten zu einem Ertrinkungstod stürzen würde. Dennoch stapfte sie energisch auf das wild gewordene Wasser zu. Eine Salzkruste legte sich auf ihre erhitzte Haut, auf ihr gerötetes Gesicht, und vermischte sich mit dem Salz ihrer Tränen, die nicht nur wegen des Windes tonlos aus ihren Augenwinkeln traten. Der Sand unter ihren nackten Füßen war noch warm von diesem heißen Sommertag, die Sonne neigte sich jedoch stetig dem Horizont entgegen, bevor sie in einer roten Schlacht den Kampf gegen die Nacht verlieren würde. Spitze Muscheln schnitten in ihre Füße, als sie sich tapsig dem Gestade näherte, doch das spürte sie gar nicht mehr. Sie war taub geworden, nur der pulsierende Schmerz in ihrer linken Brust drohte ihren Leib in tausend Stücke zu zerreißen. Unaufhörlich Schritt sie weiter und sehnte sich nach dem kühlen Nass. Ob es ihre Wut und Trauer erlöschen könnte? Wenigstens für einen Moment? Irgendwann, ohne es wirklich gemerkt zu haben, stand sie knietief im frischen Wasser, der kalte Seewind ließ beinahe die Gischt auf ihrer Haut erfrieren, die Wellen droschen auf sie ein, als hätte sie diese Prügel verdient. Wunderbar, dachte sie sich selig und schloss zufrieden die Augen, um diesen Moment zu genießen.
Durch das laute Meeresrauschen, hatte sie ihn nicht kommen hören. Mit mächtigen Schritten war er ihr nach gelaufen, den Angstschweiß auf der Stirn.
Zwei straken Arme rissen sie von hinten vom Boden los und trugen sie unter wildem Protest zurück zum sicheren Ufer.
„Verdammt Sophie, was machst du denn? Es ist zu gefährlich bei Flut und Wind ins Wasser zu gehen!", mahnte ihr bester Freund und legte seine Jacke um ihre Schultern, da sie nun zitterte wie Espenlaub. Weniger wegen der Kälte. Eher erdeten all ihr Gefühle nun in Überwältigung und Ohnmacht. Und wären dort nicht Jacobs starke Schultern zum Anlehnen, wäre sie geradewegs, in sich zusammengesunken, zu Boden gegangen. Sie wollte etwas sagen, darüber reden, dass ihr Leben gerade die schlimmste Wendung genommen hatte, die sie sich nur vorstellen konnte. Aber die Worte blieben stumm.
Eine Weile stand Sophie nun sicher und warm in den Armen ihres Beschützers, sodass sich auch ihr Gemüt langsam beruhigte und Herz und Lunge wieder in ihrem gewohnten Rhythmus arbeiteten. „Ich hab ihn mit ihr erwischt.", japste sie dennoch atemlos. Zunächst legte sich ein Fragezeichen auf Jacobs Gesicht, bevor es zu einer fiesen Miene versteinerte. „Dieser Hurensohn! Wie kann er es wagen, dich so zu verletzen?", spie er die giftigen Worte und wollte sich aufgebracht in Bewegung setzen, um diesen Betrüger eine Lektion zu erteilen. Niemand verletzte seine Sophie!
„Jacob! Warte doch! Er ist es nicht Wert.", ihre Stimme klang erstaunlich ruhig und hatte wieder an Festigkeit gewonnen, sodass auch Jacob etwas verdutzt auf halbem Wege in den Dünen innehielt. „Ach ja?", sich selbst beruhigend atmete er mehrere Male tief ein und wieder aus, „Warum sollte Johnny nicht endlich mal das bekommen, was er verdient? Er belügt und betrügt dich doch nach Strich und Faden!"
„Das ist jetzt vorbei. Soll er doch mit ihr glücklich werden, ich bin durch mit ihm." Verbittert kuschelte sie sich tiefer in Jacobs wärmende Jacke ein und stellte sich vor ihn. „Johnny ist es nicht Wert, genauso zu einem Arschloch zu werden, wie er es ist." Als ihre Hände seine Oberarme berührten, weil sie ihn mit dieser Geste beruhigen wollte, zuckte er kaum merklich zusammen. Doch nach und nach lösten sich seine harten Gesichtszüge, bis er dann endlich wieder sein verschmitztes Lächeln auf den Lippen hatte. „Ach Sophie, du bist zu gut für diese Welt." Er schloss sie in seine Arme und drückte sie an seine Brust, als würde sie sonst noch einmal ins Meer laufen. „Ich weiß." Sophie kicherte und hatte bereits ihre ganzen negativen Gefühle von sich gestreift, sollte dieser Bastard Johnny doch in der Hölle schmoren, sie würde keinen weiteren Gedanken mehr an ihn verschwenden, auch wenn er die nächsten Tage winselnd zu ihr käme, um um Entschuldigung zu flehen. Sie sah seine jämmerliche Visage schon vor sich und empfand jetzt schon Genugtuung genug, dass es ihr wesentlich besser ging. Jacob seufzte zufrieden und schaute sie an, seine tiefblauen Augen schaute geradewegs in ihre, sodass ihr auf einmal ganz anders wurde. Sie kannte diesen Blick. Auch Johnny hatte sie so angeschaut und schwach gemacht. Aber das war Jacob! Ihr bester Freund, den sie schon seit Kindertagen kannte, wie keinen anderen!
Doch dann geschah es. Wie in Zeitlupe näherte sich sein Gesicht ihr und seine Lippen legten sich sinnlich auf ihre. Ihr Atem stockte. Nicht nur des Schockes wegen, sondern weil atemberaubende Gefühle sich ihren Weg an die Oberfläche bahnten, sodass sie völlig geistesabwesend ihre Hände um seinen Nacken schlung und sich noch ein Stück mehr an ihn schmiegte. Gierig erwiderte sie seinen Kuss, der jetzt nun von Jacob selbst unterbrochen wurde. „Was machst du denn?", fragte er außer Atem und seine Augen suchten fragend nach einer Antwort, nach einer Lösung, in ihrem wunderschönen Gesicht. „Ja das gleiche könnte ich dich auch fragen!" Trotz ihrer Verwirrtheit bahnte sich ein Lächeln auf ihren Lippen. „Das war wirklich inakzeptabel!"
„Aber...", stotterte er und ihm wollten keine Worte einfallen. Er wusste doch auch nicht, was in ihn gefahren war. Doch ihr Lachen verwirrte ihn noch ein Stück mehr. „Aber du hast den Kuss doch erwidert!"
„Das bildest du dir ein.", sie schmunzelte. Vielleicht war es endlich an der Zeit, dass sie sich beide ihre Gefühle eingestanden, die sie schon lange füreinander hegten. Wie eine zarte Blume hatte aus dem festen Band der Freundschaft eine Knospe gesprosst, die nun zu blühen begann. Jeder hatte es vorausgesehen, ihre Mutter hatte immer gemeint, sie solle doch lieber Jacob nehmen, als sich mit diesem Hallodri Johnny einzulassen. Wie hatte sie sich immer gegen diese Ratschläge gewehrt. Sie konnten doch nicht ihre Freundschaft aufs Spiel setzen! Oder doch? Stand vielleicht viel mehr auf dem Spiel?
„Ich liebe dich.", riss sie nun plötzlich Jacobs leise Stimme aus den Gedanken. Ein Schleier aus Sanftmut hatte sich über ihn gelegt, so weich und greifbar hatte sie ihn noch nie gesehen. Eine Gänsehaut breitete sich bei ihr aus, der Kloß im Hals wollte nicht verschwinden, sodass sie Nichts erwidern konnte. Also neigte sie sich vor, um seine Worte mit einer Geste zu bestätigen.
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