Anders als erwartet
Aus reinem Anstand, naja eventuell auch weil ich mich eine Spur sorgte, begleitete ich Hilde und ihre Enkelin nach Hause. Wir redeten nicht besonders viel, da ich mit meinen Gedanken ganz woanders war. Ich ging im Kopf etliche Zaubertrankzutaten, Kräuter und Heilpflanzen durch, philosophierte über unterschiedliche Zusammensetzungen und deren Wirkung. Sicher gab es eine Möglichkeit ein Heilmittel zu entwickeln. Doch der Weg bis dahin war weit und ich hoffte, dass Hilde solange durchhielt. Auch wenn ich den Kontakt zu ihr in den letzten Jahren nicht besonders gepflegt hatte, was größtenteils dem Krieg zu verschulden war, vergaß ich doch nie, was diese alte Dame schon alles für mich getan hatte...
Verängstigt und weinend stand ich vor meinem Vater. Ein ungewollter Magieausbruch meinerseits, wenige Minuten zuvor, hatte seinen Zorn auf mich gezogen. Ich spielte draußen mit meinen Glasmurmeln, als ein paar Kinder kamen und sie mir wegnahmen. Sie lachten mich aus und da passierte es... Eine unsichtbare Druckwelle schleuderte sie quer über die Straße und die Murmeln flogen wie von Zauberhand zurück in den ledernden Beutel. Schadenfreude überkam mich, als die Kinder schreiend davonliefen. Doch dann packte mich unverhofft mein Vater brutal am Ohr, zog mich zur Veranda und schrie mich an. Die Hand hatte er bereits zum Schlag erhoben, als überraschend Hilde hinter ihm auftauchte. Sie hielt sein Handgelenk eisern fest, weshalb mir eine Backpfeife erspart blieb. Hilde verdiente sich damit meinen höchsten Respekt, dafür, dass sie sich traute, obwohl sie körperlich unterlegen war, sich meinem Vater entgegen zustellen. Etwas, wozu meiner Mutter all die Jahre der Mut fehlte.
>>Magst du noch auf eine Tasse Tee hereinkommen? << Einladend lächelte mich Hilde an. Merlin! Wo war ich nur mit meinen Gedanken gewesen? Ich hatte nicht bemerkt, dass wir bereits vor Hildes Haustür standen. Normalerweise passierte es mir nie, dass ich meine Umgebung dermaßen außeracht ließ. Ich war ein sehr aufmerksamer Mensch und schweifte nicht, wie andere, in lächerliche Tagträumereien ab.
>>Also reiß dich zusammen, Severus! <<, schellte ich mich gedanklich selbst. Ich sollte wahrlich nicht in der Vergangenheit schwelgen und mich lieber auf das Hier und Jetzt konzentrieren.
>>Hab Dank für das Angebot, aber ich muss ablehnen. Wichtige Angelegenheiten bedürfen keinen weiteren Aufschub. << Schließlich musste ich dem Apotheker noch einen Besuch abstatten und ihn, wenn meine Drohung allein nicht reichte, auf Schadenersatz verklagen. Enttäuschung blitze in Hildes blassen Augen auf. Auch wenn mich ihre Lippen weiterhin anlächelten, sah ich doch, dass sie traurig war, dass unser unverhofftes Wiedersehen schon ein jähes Ende gefunden hatte.
>>Ach, mein lieber Junger, du bist immer am Arbeiten. Nimm dir doch ein wenig Zeit! Ich habe auch noch ein paar Plätzchen für dich übrig<<, versuchte sie erneut mich zum Bleiben zu überreden. Kurzeit dachte ich ernsthaft über ihren Vorschlag nach. Hildes Plätzchen erinnerten mich stets an Liebe und Geborgenheit. Zwei Dinge, die ich von meinen Eltern nie bekommen hatte. Doch dann schüttelte ich über mich selbst den Kopf. Ich war doch kein Kind mehr, sondern ein gestandener Mann.
>>Ich weiß diese Einladung wahrlich zu schätzen, aber die Zeit drängt. << Mein Blick wanderte zu ihrer Hand herunter, die noch immer von ihrer Enkelin fest umklammert wurde. Wenigstens war das Mädchen wohl erzogen und sprach nicht ständig dazwischen, wenn zwei Erwachsene sich unterhielten. Ihre Augen jedoch musterten mich, die ganze Zeit über, neugierig.
>>Dann nimm wenigstens ein paar Kekse mit bevor du gehst. Warte einen Augenblick, ich geh sie schnell holen! << Schneller als man es von einer alten Frau erwarten würde, war sie auch schon im Haus verschwunden.
>>Oma, warte doch! Ich kann die Kekse holen gehen. Ruh du dich lieber aus! <<, rief ihre Enkelin ihr hinterher, doch da war Hilde schon außer Hörweite. Das Mädchen seufzte frustriert, ehe sie verstohlen zu mir aufschaute. Innerlich fluchte ich. Warum hatte mich Hilde mit diesem kleinen Gör alleine gelassen? Ihr war doch bekannt, dass ich mit Kindern nichts anzufangen wusste. Mein Bestreben lag eher darin Schüler auszubilden, in der Stillen Hoffnung, dass ein Talent darunter war, welches später ebenfalls Zaubertrankmeister werden wollte. Kinder allerdings waren vorlaut, ungeduldig und wollten beschäftig werden.
>>Mister, darf ich sie etwas fragen? <<, sprach mich das Mädchen an. Ich musste mir ein Augenrollen verkneifen und besann mich darauf meine ausdruckslose Miene beizubehalten.
>>Nicht wenn es nicht unbedingt sein muss<<, gab ich kühl zurück, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Stattdessen brannten meine Augen förmlich Löcher in die Haustür, da ich darauf wartete, dass Hilde wieder auftauchte.
>>Sie haben Oma doch vorhin etwas zu trinken gegeben, wodurch es ihr besser ging. Haben Sie eventuell noch etwas davon? Wissen sie, Oma geht es häufig schlecht und ich weiß nicht wie ich ihr helfen kann...<< Bedrückt ließ das Mädchen den Kopf hängen. Mein Blick streifte sie und ein stilles Seufzen kam mir über die Lippen. Ich verschenkte normalerweise keine zeitintensiven, aufwändig hergestellten Tränke, doch da es in diesem Falle um Hilde ging... Ich kramte in meiner Umhangtasche und fand noch eine Phiole des schmerzlindernden Zaubertrankes. Das Mädchen hatte wahrlich Glück, das ich zur Not immer eine zweite Dosis vorrätig hatte. Ich überreichte ihr die dünne Glasphiole und ihre Augen fingen darauf an zu leuchten.
>>Vielen lieben Dank! << Ihre kleinen Hände umklammerten das Glasröhrchen, als wäre es ein Rettungsanker. Ich antwortete ihr nur mit einem stillen Nicken, als Hilde auch schon im Türrahmen auftauchte. In der Hand hielt sie eine Plastiktüte randvoll mit Plätzchen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie das Mädchen die Phiole in ihrem Ärmel versteckte. Kluges Kind. Scheinbar wusste sie genau, dass Hilde diese Art von Hilfe niemals annehmen würde.
Ohne Worte nahm ich die Tüte mit Keksen entgegen, ehe ich mich verabschiedete. Mit zügigen Schritten überquerte ich die Straße, ging die wenigen Stufen zu der Haustür hinauf, löste den magischen Verriegelungszauber und betrat meine Wohnung. Dabei bemerkte ich nicht, die wachsamen Kinderaugen die mir aufmerksam gefolgt waren.
Ich verstaute die Kekse im Küchenschrank, ehe ich mich auf den Weg zu der Apotheke machte, in der ich die falsch dosierte Belladonna-Essenz erworben hatte. Eine Glocke läutete, als ich die abgenutzte Ladentür öffnete. Ein gemischter Geruch aus Kräutern und exotischen Salben stieg mir in die Nase. Die alten Dielen knarrten unter meinen Schuhsolen, als ich auf die unbesetzte Theke zuging. Ich hatte mich bereits dran gewöhnt, dass immer wenn ich die Apotheke betrat, keine Bedienung anwesend war. Vielleicht hatte das Personal Angst vor mir, oder es kam so selten Kundschaft in den alten Schuppen, dass es sich nicht lohnte jemanden am Tresen abzustellen. Unterm Strich war es mir mehr als egal, doch heute hatte ich keinerlei Geduld darauf zu warten, dass mich endlich jemand bemerkte. Zwischen zwei Regalen, die randvoll mit Zaubertrankzutaten waren, führte ein Gang ins Lager. Ohne Skrupel ging einfach nach hinten, um selbständig den Apotheker zu suchen, der mich neulich bedient hatte.
An einem Schreibtisch sitzend fand ich ihn dann auch. Lautstark räusperte ich mich, als ich vor ihm zum Stehen kam. Der Mann war schon sehr betagt, weshalb er mich zunächst überhaupt nicht bemerkte. Erst als ich ihm die leere Phiole Belladonna-Essenz auf den Tisch knallte, schaute er auf. Er musste zunächst seine Brille zurecht rücken, bis Erkenntnis in seinen Augen aufflackerte.
>>Ah, guten Abend Mister Snape. Was kann ich für Sie tun? << Scheinbar schien es ihn überhaupt nicht zu stören, dass ich unerlaubt hier eingedrungen war. Diese Tatsache ließ meine Wut gleich wieder von neuem entfachen. Doch es wäre einfacher gewesen einen Mann fertig zu machen, der nicht schon schwer hörte, keine zittrigen Finger und Probleme mit der Sehkraft hatte. In meinen Augen war dieser Greis schon viel zu alt, um diesen Beruf noch ordnungsgemäß auszuführen und das sagte ich ihm dann auch ganz offen ins Gesicht. Wiedererwartet belächelte der Mann meine „Ansprache".
>>Sie haben völlig Recht, Mister Snape und ich muss mich entschuldigen. Sowas sollte und darf nicht passieren. Natürlich bekommen sie eine Entschädigung für ihren Verlust <<, krächzte er mit heiserer Stimme und nahm mir somit den Wind aus den Segeln. Niemals hatte ich damit gerechnet, dass er mir ohne Wenn und Aber den Schaden zurückerstattete.
>>Ich kann ihnen versichern, dass solch ein Fehler nicht erneut passieren wird. Mein Sohn übernimmt demnächst das Geschäft und ich werde meinen wohlverdienten Ruhestand antreten. << Ich war sicher nicht her gekommen, um mir seine Zukunftspläne anzuhören, doch heute schien einfach alles anders zu verlaufen als erwartet.
Ich folgte dem Mann nach vorne zur Theke, wo ich ihm aufzählte, welche Zutaten bei der Explosion unbrauchbar oder gänzlich vernichte worden waren. Mit einem warmherzigen Lächeln, welches mir mehr als nur zuwider war, suchte er mir die gewünschten Sachen heraus, und wenige Minuten später verließ ich höchst missmutig die Apotheke. So hatte ich mir das ganze gewiss nicht vorgestellt, obwohl ich zum einem auch erleichtert war, keinen weiteren Aufwand betreiben zu müssen, um an die fehlenden Zutaten zu kommen. Jetzt konnte ich umgehend mit meinen Forschungen für ein Heilmittel gegen Hildes Krankheit beginnen.
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