Kapitel 6 - In der Radiologie
Zu meiner Enttäuschung ist das CT die nächste Zeit blockiert. Also schiebe ich Vincent in den vorderen Teil der Radiologie. Und ausgerechnet hier läuft mir mein Chefarzt über den Weg, dieser miese Sexist.
„Swift, was machen Sie an Ihrem freien Tag hier?", fragt er und grinst mich an. Er hat dichtes, schwarzes Haar, das bereits einige graue Strähnen aufweist. Sein Gesicht ist immer rasiert und seine Zähne sind das einzig Makellose an ihm.
„Ich hatte während der Nachtschicht einen Fall, der mir nicht ganz aus dem Kopf gegangen ist. Ich wollte ihn noch röntgen, bevor er morgen früh entlassen wird. Nicht, dass wir doch etwas übersehen haben... Es war gestern sehr hektisch."
„So lobe ich mir das", erwidert mein Chef, kommt auf mich zu und klopft mir auf die Schulter. „Machen Sie weiter so, Swift, dann sehe ich Sie in den nächsten ein, zwei Jahren als Oberarzt. Solch couragiertes Personal findet man heutzutage nur noch selten."
Ich nicke nur knapp. Ich weiß, dass er die aktuelle Oberärztin loswerden möchte, die ihm von der Klinikleitung vor die Nase gesetzt wurde. Aber wenn Reyes mich empfehlen möchte, wird er es an eine seiner verfluchten Bedingungen knüpfen. Bedingungen, die ich sicher nicht erfüllen werde. Der Gedanke, mich hochzuschlafen, ist abstoßend. „Danke, Professor Doktor Reyes. Bis morgen früh."
Mein Chef geht weiter und ich atme auf. Dann schiebe ich Vincent schnell in ein freies Zimmer mit Röntgen. Ich helfe ihm, sich auf den Tisch zu setzen und hole die benötigten Geräte her.
„Oberarzt, also?", fragt Vincent mit einem leichten Unterton in der Stimme. „Wie werde ich Ihr Privatpatient?"
Na, das kann er mal vergessen. Zumal ich ihn eigentlich nicht weiter als Patient sehen will. Da gibt es eine klare Trennung zwischen Job und Privatleben. Wenn dieser Tag rum ist... Werde ich ihn wieder sehen? Oder werden wir getrennte Wege gehen?
Ich deute knapp auf den Pullover von Vincent. „Machen Sie sich bitte oben rum frei."
„So einfach ist das?"
„Wie?", frage ich irritiert, verdrehe dann aber kurz die Augen. „Ach so. Nein, ich werde keine Privatpatienten annehmen. Das hier ist eine absolute Ausnahme."
Vincent zieht seinen Pullover aus und ich drücke an seinem Rücken und den Schultern, schiebe die Arme zurecht und korrigierst immer wieder kurz seine Haltung. Du holst das passende Gerät heran und lege seinen Kopf auf die Vorrichtung. Immer wieder ändere ich eine Kleinigkeit an seiner Körperhaltung und drücke dann noch mal leicht an seinem Rücken.
„Okay, so bleiben.", weise ich ihn an und hole den Bleigürtel, um ihn Vincent umzulegen. Dabei bemerke ich, dass er einen Ständer in der Hose hat, und verkneife mir ein Grinsen.
Vincent räuspert sich. „Das ist mir wirklich noch nie passiert..."
Laut lache ich auf und halte mir sogar kurz den Bauch. Als ob er noch nie einen Steifen bekommen hätte. „Das glaube ich Ihnen nicht."
„Naja, zumindest nicht in einem Krankenhaus", erklärt er und seine Ohren werden sogar ein wenig rot.
„Und jetzt einfach so bleiben." Noch immer lachend gehe ich in den Nebenraum und starte die Aufnahme. Ich mache ein paar Bilder und das war es dann schon.
Bevor ich mir die Aufnahmen anschaue, gehe ich halb ins Zimmer zurück.
Vincent sitzt immer noch kerzengerade da. Und er hält sogar die Luft an, was mich zum Schmunzeln bringt. „Sie können sich wieder entspannen, Vincent. Ich sehe mir noch kurz alles an. Dann können wir auch bald los."
„Kann ich das einfach so weg schieben? Und der Gürtel?"
„Ja, ich räume das gleich alles wieder auf", erkläre ich knapp und trete zurück in den Aufnahmeraum. Dort hänge ich die Bilder auf und schaue genau auf die Rippen. Aber egal, welchen Winkel ich betrachte, es sieht gut aus. Die Rippen sind völlig intakt. Keine Fremdkörper. Danach richte ich meine Aufmerksamkeit auf den Bauchraum. Aber auch hier sehe ich keinen Fremdkörper. Die Kugeln haben also nur den Schaden angerichtet, den ich bereits behoben habe.
Vincent schielt durch die Tür und tritt zögernd neben dich. Er sieht ebenfalls auf die Bilder und setzt ein fachmännisches Gesicht auf. „Und, was sagen Sie, Doc?"
„Ein wirklich schöner Brustkorb."
Vincent sieht mich einen Moment irritiert an, dann schmunzelt er. „So ein Kompliment habe ich noch nie bekommen."
„Wollen Sie ein Bild mit nach Hause nehmen und einrahmen?", frage ich amüsiert.
„Das wollte ich Sie gerade fragen. Wenn der Brustkorb wirklich so schön ist."
Ich nehme die Aufnahmen ab und drücke sie Vincent in die Hand, der mich verwundert anstarrt. „Sie wollen sie wirklich mitnehmen?"
„Nur, um sie dort zu entsorgen und nicht hier. Sonst sorgt das vielleicht noch für Fragen. Also ab unter den Pullover damit."
Er hebt nur kurz die Augenbrauen, tut dann aber wie geheißen. Mir scheint, dass seine Augen kurz funkeln. Ich wende mich von ihm ab, räume alles auf, desinfiziere die Bedienfelder und schiebe Vincent dann wieder raus. In der Eingangshalle wechselt er zurück auf den Sessel und greift wieder nach der Zeitung.
Ich schiebe den Rollstuhl zurück zur Notaufnahme, winde mich dabei noch aus einem Gespräch mit einem Kollegen und gehe zurück in meine Abteilung. Das Gemeinschaftsbüro ist gerade voll besetzt. Daher grüße ich nur kurz, hänge den Kittel zurück und gehe ohne weitere Zwischenstörung zur Eingangshalle. „So, das wars. Halb so wild, nicht wahr?"
„Naja, wenn wir diesen einen Vorfall außen vor lassen können..."
Natürlich denke ich sofort daran, dass ich seine Erektion gespürt habe, als ich ihm den Bleigürtel umlegte, und lache auf. „Wir können uns auf ärztliche Schweigepflicht einigen. Aber ganz im Ernst, sowas passiert laufend."
Wir verlassen das BMC und gehen zum Parkplatz. Vincent sieht sich kurz um und legt einen Arm um meine Taille. „Sie sind unglaublich schön, Clara. Und ihre Hände auf meinem Körper...", er räuspert sich kurz und hebt dabei leicht seine Schultern. „Nun. Ich bin nur ein Mann. Und der Ärztekittel hat einige Phantasien in mir angeregt."
Ich überlege einen Moment, seinen Arm wegzuschieben. Er hat schon von Anfang an mit mir geflirtet. Aber nun setzt er noch mal einen oben drauf. Aber trotz aller Vorbehalte finde ich ihn sympathisch. Obwohl die Bedenken wirklich schwerwiegend sind. Dieser Mann hat ein Geheimnis. Ein dunkles Geheimnis und ich weiß nicht, ob ich es erfahren möchte. Zeitgleich fühle ich mich zu diesem Mann hingezogen. Mehr als nur auf einer Ebene.
Die Bedenken schiebe ich für einen Moment bei Seite und werfe ihm einen amüsierten Blick zu. „Doktorspiele, hm? Dann können wir aber erst in einem halben Jahr weiter machen. Sie wissen ja, bei Fachärzten hat man lange Wartezeiten."
Vincent lacht leise. „Naja, vielleicht wird ja kurzfristig etwas frei und Sie könnten mich dazwischen schieben."
Oh, wie gerne ich das sogar möchte. Noch nie war ich so hin und hergerissen. Dabei war ich schon oft unvernünftig. Ich liebe den Nervenkitzel und die Gefahr. Aber nur, solange ich sie kontrollieren kann. „Vincent, ich..."
„Pablo, bitte", unterbricht er mich und bleibt stehen. Dabei dreht er sich mir zu und ich spüre seine kräftige, warme Hand knapp über meinem Gesäß. „Und lassen wir doch das unpersönliche Sie weg und duzen uns."
„Das wird nicht funktionieren. Ich fange nichts mit einem Patienten an", antworte ich ausweichend und weiß, dass dieser Grund nur vorgeschoben ist.
„Mir geht es bald wieder besser. Wenn ich wieder zuhause bin, muss ich mich um ein paar Dinge kümmern. Aber ich muss dich wiedersehen, Clara."
Ich drehe mich etwas und entwinde mich so aus seinem Arm. Er kennt mich erst seit zwei Tagen. Wenige Stunden nur, um ehrlich zu sein, und er tut nun so, als habe er sich Hals über Kopf in mich verliebt. Aber wir sind keine Teenager mehr. Ab einem gewissen Alter weiß man einfach, dass die Liebe nicht plötzlich da ist, sondern wächst und sich entwickelt. Liebe... Das ist mehr als nur flüchtige Sympathie zu einem Menschen.
„Sie...", ich stocke kurz und ziehe leicht die Schultern hoch. Der Gedanke, dass er morgen schon geht, schmerzt plötzlich. Ist er wirklich schon so fit? „Hast du jemanden kontaktiert? Wirst du morgen abgeholt? Oder schon heute?"
„Nein, ich würde gerne noch ein oder zwei Tage deine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Aber ich kann nicht den Gedanken ertragen, dass danach alles vorbei ist. Ich brauche die Hoffnung, dass da mehr ist... Mehr sein kann."
Ich streiche mir kurz eine Strähne aus dem Gesicht. Wenn ich ehrlich bin, so wünsche ich mir genau dasselbe. „Das geht mir zu schnell, Vin... Pablo. Viel zu schnell." Und trotzdem nicke ich ihm leicht zu. Auch wenn ich mich frage, worum er sich kümmern muss. Ist er aktuell etwa in einer Beziehung? Oder verheiratet? Dabei trägt er keinen Ehering.
Am Auto öffne ich die Türen und steige ein. Pablo setzt sich neben mich und schweigt. Ich fahre ein paar Minuten um den Komplex herum und parke vor einem kleinen Supermarkt. Die meisten Kollegen kaufen hier ein, weil der Weg kurz und die Auswahl perfekt ist. Ein wenig Bio für die jungen Assistenten, Fachzeitschriften und jede Menge Fastfood und Fertiggerichte.
Ich steige aus und deute auf den Supermarkt. „Na los, der Kühlschrank sollte zumindest die nächsten Tage genug Auswahl haben."
Vor dem Supermarkt gehe ich noch an einen Bankschalter und hebe etwas Bargeld ab. Ich kann nicht erwarten, dass er sich mit zwei frischen Wunden in die Küche stellt und für sich kocht. Zum Glück liegen zu Hause in einer Schublade lauter Flyer von Lieferdiensten rum.
Vin... Pablo folgt mir in den Supermarkt und ich drücke ihm einen Einkaufskorb in die Hand.
„Ich habe keine Zeit zu kochen, ich esse meist auswärts. Also such dir was aus. Du kannst ja nicht jeden Tag Eier essen."
„Da bin ich ja froh. Ich dachte schon, du willst mich auf Diät setzen." Pablo grinst dich an und geht voraus.
Mein Blick wandert kurz über seinen Körper und bleibt an seinem Hintern hängen. Eine Diät hat er nun wirklich nicht nötig. An seinem Körper ist kein Gramm Fett und beim Gedanken an seine Muskeln fängt mein Körper an zu kribbeln.
Während Pablo nach und nach ein paar Artikel in den Korb legt, gehe ich nach vorne zur Kasse und blättere durch die Zeitschriften. Ich nehme die neuste Ausgabe von "Pupular Science", "New Scientist" und die "National Geographic". Und nach kurzem Zögern noch die "Scientific American". Die letzte Ausgabe war eigentlich nichts Besonderes gewesen. Aber der eine oder andere Artikel reizt mich durchaus.
„Ich denke, ich habe alles", meint Pablo und stellt sich zu mir.
Ich lege noch etwas Obst dazu und bezahle alles. Die Einkäufe werden eingeräumt und es geht wieder nach Hause.
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