Kapitel 33 - Lucas
Ich gehe wieder hinein und sehe nach den Patienten. Einige von ihnen sind zwischendurch mal wach geworden. Bald werden sie alle wach sein und starke Schmerzen haben. Daher suche ich in den Schränken nach Schmerzmitteln. Aber Medizin finde ich keine.
Das OP-Besteck wird von mir noch einmal gründlich gereinigt, bevor ich es wieder in den Schrank einräume. Dann sehe ich mir jeden Patienten gründlich an. Der Puls ist bei den meisten stabil. Aber eigentlich kann ich unter diesen Umständen nichts für sie machen.
Die Tür wird geöffnet und Pablo kommt herein. Er hat dunkle Ringe unter den Augen uns sieht müde aus. "Du bist ja immer noch hier."
"Ja, natürlich. Gibt es hier Schmerzmittel für die Männer?"
"Ich frage nachher mal nach. Komm mit."
"Wohin?", frage ich skeptisch. Gibt es weitere Männer, die ich operieren muss? Ein anderer Notfall?
"Es gibt eine Dusche hier. Nicht ganz so komfortabel wie in einem Hotel, aber es wird reichen."
Ich zögere kurz. Eigentlich wäre eine Dusche jetzt perfekt. Aber der gestrige Abend hat mich nachdenklich gemacht. Vor allem die Worte von Veronica schwirren immer noch in meinem Kopf.
"Was ist los?", fragt Pablo, weil ich nicht sofort auf ihn zu gehe.
"Hast du mir jemals Drogen gegeben? Im Essen, oder in einem Getränk?"
Pablo sieht ehrlich bestürzt aus, dass ich ihm diese Frage stelle. Er geht noch einen Schritt auf mich zu, bis er direkt vor mir steht. Aber ich weiche nicht aus, sondern sehe ihm direkt in die Augen. Würde ich es erkennen, wenn er mich anlügt?
"Nein. Keine Drogen. Das würde ich bei dir nie machen, Clara." Er legt die Arme um mich und drückt mich fest. Mit einer Hand streichelt er über meinen Rücken. Immer wieder küsst er leicht meine Stirn.
"Was passiert nach dieser Woche, Pablo?"
"Das kommt ganz darauf an, ob du den Test bestehst."
"Welchen Test?", frage ich, obwohl ich die Antwort eigentlich gar nicht wissen will. "Und wenn ich diesen Test nicht bestehe?"
"Ich weiß es nicht...", antwortet er zögernd und ich merke, dass er sich ein wenig versteift.
Ich löse mich von ihm und gehe einen Schritt zurück, um in besser ansehen zu können. Sein Blick ist unentschlossen und ich erkenne Schmerz darin. "Sei ehrlich zu mir, Pablo. Wenn ich durchfalle, bin ich wertlos, nicht wahr? Wirst du mich dann töten?"
"Das ist nicht mehr so einfach, Clara."
"Denkst du, für mich ist es einfach? Was ist dann mit meinem Bruder?"
"Ich habe dir schon mal gesagt, dass er mir egal ist."
"Und trotzdem erpresst du mich! Gott, Pablo...", ich unterbreche mich, als ich merke, dass ich lauter geworden bin. "Was erwartest du von mir?"
"Genau das, was ich in Boston zu dir gesagt habe. Du sollst mich kennenlernen. Jede Seite an mir."
"Und dann?"
"Dann heiraten wir", erwidert er nüchtern, mit dunklen, leidenschaftlichen Augen und seine Stimme lässt mich kurz erschauern.
"Ich kann dich nicht heiraten", antworte ich schnell, obwohl mich seine Präsenz wieder einzunehmen droht. "Das geht nicht. Das passt nicht. Ich bin Ärztin! Ich kann nicht mit... mit jemandem wie dir zusammen leben!"
"Ich liebe dich, Clara."
Mein Herz steht einen Augenblick lang still, nur um danach beinahe doppelt so schnell zu schlagen. Mein verräterisches Herz, das ihn so sehr liebt. Aber ich darf meinen Gefühlen nicht nachgeben. "Du weißt doch gar nicht, was Liebe ist!"
Ein Schatten huscht über seine Augen und ich erkenne den Schmerz darin. Sofort fühle ich mich schlecht, denn er hat seine Frau und seinen Sohn verloren.
"Pablo..."
"Ich weiß, dass du mich auch liebst. Das alles schreckt dich gerade nur ab und wühlt dich auf." Er streckt eine Hand nach mir aus und streicht sanft über meine Wange.
Am liebsten würde ich mich in diese Berührung hineinlehnen. Ihn umarmen, küssen und spüren. Aber ich darf dieser Sehnsucht nicht nachgeben. "Nein, da ist keine Liebe mehr. Das kann man nicht erzwingen."
Die Tür wird aufgerissen und Veronica kommt herein. Ihre Unterlippe ist aufgeschlagen worden und blutet.
Welchen Beweis brauche ich noch, dass ich Pablo nicht nachgeben darf?
Pablo ist nicht mehr fähig, zu lieben. Er kennt weder Gnade, noch Mitleid. Diese Gefühle hat er im Laufe der Jahre verlernt. Sein Job hat ihn kalt werden lassen.
"Miguel will dich sehen, Pablo."
Pablo greift nach meinem Handgelenk und zieht mich mit nach draußen. Ich reiße den Blick von Veronica los. Auch wenn ich Mitleid mit ihr habe, ich will trotzdem nicht mit ihr alleine sein. Da gehe ich lieber mit Pablo und starre Löcher in die Luft.
Es geht wieder in die stickige Holzhütte. Diesmal sind nur drei Männer anwesend. Sie unterbrechen ihr Gespräch, als wir hereinkommen. Einen von ihnen habe ich noch nicht gesehen. Er ist jung, braungebrannt und sein Gang strotzt nur so vor Selbstvertrauen. Er kommt auf uns zu und schüttelt Pablo die Hände.
Dann sieht er zu mir und grinst überheblich. "Ich bin Lucas. Und du bist die amerikanische Ärztin, ja? Was hast du gelernt? Kinderarzt? Tierarzt? Leben meine Patienten eigentlich noch?"
Ohne groß nachzudenken, hole ich aus. Allerdings keine harmlose Ohrfeige. Nein, es soll richtig wehtun! Meine Faust landet mitten in seinem Gesicht, direkt in das überhebliche Grinsen.
Lucas torkelt ein paar Schritte zurück und greift sich an das Gesicht. Die anderen beiden Männer sind aufgesprungen und bauen sich bedrohlich vor mir auf. Pablo geht sofort dazwischen und redet auf die Männer ein, die sichtlich angepisst sind.
Ich sehe, dass Lucas auf den Boden spuckt. Blut vermischt mit Speichel.
Dann habe ich wenigstens gut getroffen. Was er getan hat, war einfach unmenschlich. Er ist Schuld, dass die Nacht jemand gestorben ist! Und ob die anderen durchkommen, steht noch in den Sternen.
"Ja, ist klar, Big Boss", brummt Lukas nun auf Amerikanisch. Die Wut in seiner Stimme ist unüberhörbar. Er sieht mich mit einem strafenden Blick an und geht.
Die anderen beiden Männer setzen sich wieder und Pablo zieht mich mit zu den Stühlen. Vorsichtig berühre ich meine rechte Hand. Aber der Schmerz lässt bereits nach.
Pablo beugt sich etwas zu mir vor und flüstert leise: "Sie sind immer noch wütend, weil du ihren Arzt geschlagen hast."
"Es ist seine Schuld, wenn noch einer von ihnen stirbt", erwidere ich. So ein Mann darf sich nicht einmal Arzt nennen. Und dann wollte er mich noch beleidigen und mir die Schuld in die Schuhe schieben! Einer von den jungen Männern ist gestorben! Und ich konnte nichts dagegen tun.
"Ich fand es gut." Pablo grinst kurz.
Vermutlich denkt er jetzt, er färbt schon auf mich ab. Aber davon kann er nur träumen. Wenn wir länger bleiben, dann muss ich vor diesem Lucas aufpassen. Würde mich nicht wundern, wenn er und Veronica sich ganz gut verstehen. Es sind beide falsche Schlangen.
Sie reden noch eine ganze Weile miteinander. Dann klopft Pablo mir auf den Oberschenkel und steht auf. Ich erhebe mich ebenfalls und sehe ihn fragend an. Er verlässt die Hütte und ich folge ihm. "Wo gehst du hin?"
"Zur Dusche. Schon vergessen?"
Er führt mich etwas abseits, vorbei an den Baracken. Dort sehe ich eine provisorische Dusche mitten im Freien. Der Boden ist mit Blättern bedeckt, hinter der Dusche ein kleiner Sichtschutz. Zu zwei Seiten, die anderen beiden Seiten sind offen. Eine zweite Dusche direkt daneben.
Aktuell duschen dort zwei Männer und rufen sich dabei irgendwas zu.
Diese Duschen sind von zu vielen Ecken einsehbar. Der Sichtschutz geht in Richtung Wald, was meiner Meinung nach absolut keinen Sinn ergibt. Oder gibt es hier wilde Tiere?
Eigentlich will ich mittlerweile gar nicht mehr duschen. Etwas Deo für den Flug und in ein paar Stunden kann ich zuhause duschen. Naja, bei Pablos zuhause. "Wie lange bleiben wir noch hier?"
"Ich warte noch auf die Nachricht, was mit den verbliebenen Männern ist."
"Mit den Verbliebenen?"
"Miguel hat fünfzehn losgeschickt. Nur acht kamen zurück."
"Fünfzehn", wiederhole ich schockiert. "Und alle wurden von Lucas operiert?"
"Miguel hat schon Suchtrupps losgeschickt. Einer wurde gestern gefunden. Deswegen war Lucas weg."
"Ich glaube, die Details will ich gar nicht wissen", gebe ich ehrlich zu.
Die beiden Duschen werden frei und die zwei Männer ziehen sich etwas abseits um. Pablo geht ein paar Schritte weiter zu einer kleinen Holzkiste und legt eine Tasche darauf. Dann entkleidet er sich und ich starre etwas zu lange auf seinen trainierten Körper.
"Hast du keine Dusche in deinem Flieger?"
"Doch, natürlich. Aber der Wassertank ist nicht ausreichend voll. Und die Dusche hier ist noch besser als das, was uns in Afrika erwartet."
Afrika? Also fliegen wir nicht zurück. "Was ist in Afrika?"
Pablo antwortet nicht, sondern holt aus der Tasche ein Duschgel und geht zu einer der Duschen. Ich seufze leise und gehe zu der Tasche. Er hat sogar meine Zahnbürste eingepackt. Schnell putze ich mir die Zähne und sehe mich dabei um.
Ständig laufen Männer und Frauen zwischen den Baracken hin und her und mehrere Kinder spielen in der Nähe. Aber nach dieser Nacht brauche ich eine Dusche. Also stecke ich die Zahnbürste zurück in die Tasche und hole ein großes Handtuch heraus.
Ich seufze leise, dann ziehe ich mich schnell aus, nehme das Handtuch und lege es mir um, während ich zu der freien Dusche gehe. Das Handtuch werfe ich über den Sichtschutz und stelle die Dusche an. Das Wasser ist frisch, aber nicht zu kalt.
Pablo stellt sich neben mich und reicht mir das Duschgel. Ich nehme es entgegen und drehe ihm den Rücken zu. Oder besser nicht... Falls er meint, er soll mir noch den Rücken einseifen.
Als ich wieder zur Seite schaue sehe ich, dass er gerade mein Handtuch nimmt. "Hey..."
Pablo grinst nur, trocknet sich ab und geht zurück zu der Holztruhe, um sich dort anzuziehen. Ich seife mich schnell ein und dusche mich ab. Die Haare lasse ich außen vor. Dann stelle ich die Dusche ab und gehe rüber zur Holzkiste. Das Handtuch, das Pablo mir reicht, ist noch nass. Aber es reicht, um sich wenigstens halbwegs damit abzutrocknen. Sogar saubere Unterwäsche hat er eingepackt. Wie gut, dass ich für den Flug nach Glenwood Springs noch etwas mehr mitgenommen habe.
Während ich mich anziehe, nimmt Pablo mir das große Handtuch ab und hält es hoch, sodass ich mich dahinter ankleiden kann. "Wie lange wirst du warten, bis du mehr weißt?"
"Ein paar Stunden. Ich bringe dich zu meinem Privatjet, du kannst dich solange ausschlafen."
"Beschissene Arbeitszeiten, nicht wahr?", frage ich rhetorisch. Immerhin wollte er, dass ich aus dem Grund eine Woche Urlaub nehme.
"Das war so tatsächlich nicht geplant. Miguel sagte mir erst hier, wie der Zustand seiner Leute ist."
Ob er den Ausflug mit mir gemacht hätte, wenn er es gewusst hätte? Oder sagt er es jetzt nur, um mich zu trösten? Immerhin hat ihm der Gleitschirmflug gegeben, was er wollte; Sex. Sollte ich ihm sagen, dass seine Bemühungen umsonst sind?
Vermutlich wird er dann auch keine Hochzeit mehr mit mir in Betracht ziehen.
Wie kommt er bloß auf diese verrückte Idee? Ich kann doch keinen Schwerverbrecher heiraten! Er ein verdammter Mafiaboss!
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