Kapitel 29 - Glenwood Springs
Nach etwa 30 Minuten setze ich mich hin und fühle wieder meinen Puls. Er schlägt nun deutlich langsamer.
"Besser?", fragt Pablo, der die ganze Zeit auf der Liege neben mir saß.
Aus Sorge? Oder ein schlechtes Gewissen? Gab er mir wirklich etwas in den Tee? Würde er das machen?
"Hm. Ja." Ich kratze mich am Kopf und überlege, was mein Herzrasen ausgelöst haben könnte. Psychisch, aufgrund der Geschichte von Pablo? Antibiotika käme noch in Frage. Zusammen mit Koffein kann es zu Herzrasen und Unruhe führen, was zu meinen Beschwerden passt. Das würde im schlimmsten Fall auch bedeuten, dass die Spritze wirkungslos ist.
Ist das seine Absicht? Zumindest sagte er vor ein paar Tagen, dass er eine Frau heiraten und ein Kind zeugen muss. Ist diese Woche nur dafür gedacht?
Ich seufze tief und schiebe die düsteren Gedanken beiseite. "Wo ist eigentlich meine Handtasche?"
"An der Garderobe im Flur."
Noch etwas vorsichtig stehe ich auf. Aber was immer das vorhin auch war, es ist vorbei. Während ich zurück ins Haus gehe, höre ich Pablo in den Pool springen.
Im Flur sehe ich meine Handtasche. Ich nehme sie an mich, gehe in das Bad um die Ecke und schließe die Tür ab. Im Waschbecken kippe ich den Inhalt der Handtasche aus.
Smartphone, Armbanduhr, Taschentücher, Tampons, Stift, Schlüssel, ... Alles noch da. Außer die Tabletten. Die Armbanduhr lege ich an und prüfe dann mein Smartphone.
Ein entgangener Anruf von Noah. Aber er schrieb mir auch eine SMS, in der er darum bat, die Tage mal mit mir zu reden. Über seine Zukunft und seine Möglichkeiten.
Ich blähe kurz die Wangen auf und atme langsam aus. Soll er erstmal die Therapie fertig machen und noch nicht so weit in die Zukunft planen. Klar, ein Ziel vor Augen zu haben ist wichtig. Aber er sollte kleine Schritte machen.
Dennoch schreibe ich ihm, dass ich mir ein paar Gedanken machen werde und mich demnächst bei ihm melden will. Die nächste Woche wäre es aber eng.
Gerade als ich das nächste Wochenende ins Auge fasse, stocke ich. Denn ich kann aktuell auch nicht groß in die Zukunft planen und muss kleine Schritte machen.
Ich räume die Handtasche wieder ein, schalte das Handy aus und lege es ebenfalls zurück in die Handtasche. Ich verlasse das Bad, stelle die Handtasche zurück an die Garderobe und Späher kurz in das Wohnzimmer.
Es ist ruhig. Also schwimmt Pablo noch draußen, also habe ich etwas Zeit. Ich gehe in die helle Landhausküche und schaue nach dem Tee. Aber ich finde nur ganz normale Teebeutel für Schwarztee. Nichts Verdächtiges. Trotzdem öffnest du noch ein paar Schränke.
Die Küche ist unglaublich sauber. Selbst in den Schränken ist alles tadellos. So sauber ist nicht mal meine Küche. Im Kühlschrank finde ich einen großen Teller mit Rührei, Speck und Wüsten. Letzteres nehme ich mir vom Teller und gehe wieder raus auf die Terrasse.
Ich setze mich auf die halbrunde Couch und blicke runter in den Pool. Pablo ist nicht mehr dort. Ob er mich in der Küche gesehen hat?
Seufzend schiebe ich den Gedanken beiseite und starre auf das Wasser. Jetzt eine Runde zu schwimmen wäre schön. Zuhause bin ich auch gerne im Pool gewesen. Vermutlich würde Pablo nicht mal merken, wenn ich jetzt im Pool wäre.
Das Haus ist aber auch groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen. Ob nun absichtlich, oder nicht. Vielleicht gibt es hier auch ein Laufband, oder einen anderen Hometrainer.
"Na, träumst du vor dich hin?" Pablo hat sich umgezogen, eine Mischung aus Outdoor und Business, die nur bei ihm gut aussehen kann. Er setzt sich zu mir und lächelt mich an.
"Vielleicht. Könnte ich die Tage ins Fitnessstudio? Bei mir zu Hause nach Post sehen?"
"Natürlich, das lässt sich arrangieren. Nur, weil du diese Woche bei mir bist, heißt es nicht, dass ich dich hier einsperren will. Möchtest du etwas unternehmen?"
"Ich weiß nicht..." Tatsächlich überrascht mich diese Frage gerade. Bezweckt Pablo damit etwas? Hat er Hintergedanken? Oder ist es bloß ein Versuch mir zu zeigen, dass er auch der Pablo sein kann, in den ich mich verliebt habe?
"Such dir was aus. Was wolltest du schon immer mal machen? Ein Kurztrip nach Europa? Paris, Venedig, Athen? Warst du schon mal an den Niagarafällen? Yellowstone? Wir können auch nach Las Vegas, Los Angeles, oder San Francisco."
Ich blinzle Pablo irritiert an. Meint er das jetzt ernst? So ein Flug dauert mitunter Stunden. Das kann er doch jetzt nicht einfach so machen. Flüge und Hotels müssen gebucht werden, wieder Koffer packen...
"Na komm", raunt Pablo leise und rutscht ein Stück näher an mich heran. "Sei verrückt. Sei spontan. Was wolltest du schon immer mal machen?"
Da kommt mir eigentlich nur eines in den Sinn. Aber das ist wirklich verrückt. Zumindest für normale Menschen. "Naja, das", ich stocke. "Ich glaube, das ist nichts..." Nichts für ihn? Für uns?
"So?", hakt Pablo nach. "Erzähl! Du hast Urlaub, Clara. Ich habe absichtlich das Wochenende frei geräumt."
Ich schweige einen Moment. Was ist mit seinem Plan, mich in seine Abgründe blicken zu lassen? Aktuell kommt es mir eher so vor, als wolle er mit dieser Aktion das Gegenteil erreichen. Ein Sinneswandel? Möchte er den Fehler, den er bei Vanessa gemacht hat, nicht erneut machen?
Also gebe ich mir einen Ruck. "Ich war schon ein paar Mal Parasailing machen. Einmal Fallschirm springen. Habe sogar Kurse besucht. Irgendwann wollte ich mal in einem Gleitschirm sitzen. Seit ein paar Jahren schiebe ich das schon vor mir her."
"Gleitschirm? Das ist wirklich verrückt." Pablo lacht kurz. Dann steht er auf und reicht dir die Hand. "Hattest du dir schon ausgesucht, wo?"
"Ich hatte Glenwood Springs ins Auge gefasst. Aber es gibt sicher auch in der Nähe etwas."
"Wo liegt das?"
"In Colorado. Aber im Norden von Amerika gibt es auch ein paar schöne Ecken."
"Rocky Mountains, oder?"
Ich nicke. "Ja, richtig. Der Ausblick soll ein Traum sein."
"Das ist ganz schön hoch..." Er befeuchtet seine Lippen und schluckt kurz.
Diesmal bin ich diejenige, die lacht. So ganz unerfahren bin ich nicht. Aber jemand, der so etwas noch nie gemacht hat, hat sicher großen Respekt davor. "Es gibt auch Tandemgleiter."
Pablos Mundwinkel zucken kurz. "Ich fürchte, das werde ich sowas von bereuen."
"Du wolltest etwas Verrücktes", entgegne ich grinsend.
"Ja... Ich fürchte, ich muss mehr auf meine Wortwahl achten."
"Wir können auch die Niagarafälle nehmen. Ich war zwar schon mal dort, aber es ist immer wieder schön."
"Kommt nicht in Frage. Gib mir eine Stunde."
Und bevor ich widersprechen kann, ist er schon wieder im Haus. Ich fahre kurz mit beiden Händen durch das Gesicht. Wie will er das denn organisieren? So einfach ist das nicht. Der Flug dorthin dauert schon ein gutes Stück. Und dann ist es auch schon zu spät heute. Ich habe auch keinen Wetterbericht gelesen aus der Ecke.
Das ist wirklich verrückt. Er schien jetzt nicht so besonders begeistert gewesen zu sein von der Idee. Und trotzdem will er sie umsetzen? Wer ist denn hier bitte verrückt? Ich fange wieder an zu lachen. Um mir die Zeit zu vertreiben gehe ich zum Pool, ziehe die Schuhe aus und hänge die Füße in das Wasser.
...
Nicht mal eine Stunde später sitzen wir im Auto. Ein kleiner Rucksack steckt zwischen meinen Füßen. Wechselwäsche und eine kleine Auswahl an Hygieneartikeln. Dabei meinte Pablo noch, das sei nicht notwendig, weil alles nötige im Hotel wäre. Wir fahrt etwas abseits zu einem kleinen Privatflughafen.
"Hast du sowas überhaupt schon mal gemacht?"
"Nein", erwidert Pablo trocken. "Ich hänge an meinem Leben."
Ich lache wieder. Dann wird er sicher nur dabei zusehen. Aber das ist mir auch recht.
Das Auto fährt zu einem kleinen Hangar, aus dem ein kleiner Privatjet rollt. Für einen Moment bin ich völlig sprachlos. Aber dann erscheint es mir nur logisch, dass Pablo seinen eigenen Flieger hat.
Der Pilot steckt schon mitten in den Startvorbereitungen. Nachdem ich eingestiegen bin, verschließt Pablo die Tür und die Maschine rollt kurz darauf schon los.
Ich gehe etwas weiter in das Innere und betrachte die Maschine. Nach hinten hin sind zwei Türen. Eine nach hinten, eine zur Seite. Vorne ist an der rechten Seite entlang eine Couch mit drei Gurten. Auf der linken Seite ist ein Tisch mit zwei großen Sesseln. An der Wand zum Cockpit hängt ein kleiner Fernseher.
Ich setze mich auf die Couch, drehe meinen Oberkörper leicht und blicke dabei aus dem Fenster. "Also ich finde das hier verrückt, um ehrlich zu sein."
"Der Jet ist mein zweites Zuhause. Manchmal schlafe ich öfter hier, als in einem meiner Häuser."
"Und dann hast du wegen meiner Arbeitszeiten genörgelt?"
Nachdem wir ein paar Minuten in der Luft sind, macht Pablo uns zwei Fertiggerichte warm. Anschließend besteht er auf eine Partie Schach.
Er ist besser geworden. Von drei Runden hat er eine gewonnen.
"In Glenwood Springs haben wir ein Hotelzimmer. Und morgen früh können wir direkt zu dem Höhenplatz."
Ich gebe überrascht die Augenbrauen. "Du hast schon alles organisiert?"
"Waren nur ein paar Anrufe", erwidert er schmunzelnd.
Als wenn man das alles so einfach aus den Ärmeln schütteln könnte. Aber für ihn scheint alles möglich zu sein.
...
Nach ein paar Stunden Flug landen wir in Glenwood Springs. Ein Taxi fährt uns in die Stadt und kurz darauf checkt Pablo in einem Hotel ein. So, wie es aussieht, natürlich das Teuerste.
Pablo öffnet die Tür zur Suite. Ein riesiges Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und zwei Badezimmer. Ich stelle die Zahnbürsten in die Becher. Aber tatsächlich wäre alles da gewesen, selbst kleine Tuben mit Zahnpasta.
Kaum sind die Sachen ausgeräumt, geht es schon weiter. Pablo will unbedingt zu den Hotsprings. Und ich brauche dafür noch Badesachen.
Den ganzen Abend sind wir in der riesigen Anlage der Hotsprings.
Nachdem die Familien mit ihren Kindern weg sind, ist es viel ruhiger. Und der Pool hat seinen Namen mehr als nur verdient und ich genieße diesen Abend sehr.
Zurück im Hotel bin ich absolut sprachlos über diesen spontanen Ausflug. Aber ich ahne, dass es sich ab Montag ändern wird. Wenn dieses Wochenende vorbei ist...
Im Hotel sitzen wir in einer ruhigen Ecke in einem Restaurant. Pablo ist wieder so charmant und witzig wie in der Woche, als er bei mir war. Ein Teil von mir wünscht sich, dass das Gespräch heute früh mit Pablo dazu geführt hat, dass er mir gegenüber seine Gefühle zugeben kann.
Trotzdem bleibt eine leise, zweifelnde Stimme in mir. Ich darf nicht vergessen, dass er Noah bedroht hat. Dass ich nur hier bin, weil er mich erpresst.
Im Hotelzimmer ist es schwer, ihn auf Abstand zu halten. Seine Küsse sind heiß und fordernd und es fällt dir schwer, ihm zu widerstehen.
Immer wieder weiche ich etwas zurück.
"Clara...", flüstert er fordernd. Seine Stimme ist heiser vor Begierde und jagt mir einen Schauer über den Rücken.
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Ich bin die nächsten zwei Wochen im Urlaub. In jeder freien Minute werde ich hier ein wenig weiter schreiben. Morgens beim Kaffee, Nachmittags, wenn alle schlafen... 🙂
Γειά σάς! 😘
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