Kapitel 28 - Frühstück
Zurück am Weg zum Haus nehme ich die Turnschuhe und halte sie an den Schnürsenkeln fest. Der Tag ist herrlich. Nicht eine Wolke am Himmel.
Kurz vor dem Haus bleibe ich stehen. Die Strandseite ist noch größer und beeindruckender, als von der Einfahrt aus. Das Schlafzimmer hat einen großen Balkon, wie ich sehen kann. Ebenso ein weiteres Zimmer darüber.
Rechts neben dem Haus ist der Essbereich, der nach drinnen zur Essecke führt. Davor ist die runde Sitzecke, die ins Wohnzimmer führt. Die Terrasse um die Ecke ist herrlich und das Meer ist eine angenehme Geräuschkulisse.
Pablo zieht mir an dem großen Tisch auf der Terrasse einen Stuhl zurück und ich setze mich. Während er sich mir gegenüber setzt, kommt die Haushälterin und fragt nach, was wir trinken möchten.
Wie so oft, nehme ich einen Tee, während Pablo Kaffee vorzieht.
"Pablo. Was ist damals passiert? Mit deiner Frau und deinem Sohn?"
Nach dem, was Pablo mir erzählt hatte, bin ich davon ausgegangen, dass die Ehe nach dem Tod von ihrem gemeinsamen Sohn in die Brüche ging. Aber nun, nach dem Gespräch von gestern weiß ich, dass Pablo nicht geschieden ist, sondern Witwer.
Die Getränke werden gebracht und Pablo schiebt seine Tasse etwas hin und her. "Das ist eine lange Geschichte..."
Ich sehe ihn schweigend an. Einerseits will ich ihn besser verstehen. Andererseits möchte ich nicht alles von ihm wissen. Und vielleicht ist es besser, wenn ich gerade diese schmerzhafte Seite von ihm nicht kenne.
Allerdings fängt Pablo zu meiner Überraschung an zu reden. "An der Westküste gibt es eine einflussreiche Familie, die Mason's. Ihre älteste Tochter war mir versprochen. Als sie 18 wurde gab es eine große Feier und es sollte auch direkt die Verlobung bekannt gegeben werden." Pablo greift nach der Tasse und trinkt einen Schluck Kaffee." Allerdings hat sie den ganzen Abend mit meinem Bruder Rubén geflirtet und am Ende ging ich leer aus. Ich gebe zu, dass ich mich all die Jahre an dieses Versprechen zwischen den beiden Familien hielt und daher viele Beziehungen im Keim erstickt habe."
Pablo macht eine kurze Pause und sieht mich kurz an, bevor sein Blick an mir vorbei geht. "Ich war fast 30 und hatte vorher so einige Frauen. Aber ich wollte, dass Veronica die Frau an meiner Seite wird. Nur, um am Ende zu sehen, dass mein Bruder sie am Altar geheiratet hat."
Ich lasse Pablo reden und trinke immer wieder etwas Tee. Das Frühstück wird gebracht. Rührei, Speck und Würstchen. Aber keiner von uns beiden isst etwas.
"Auf deren Hochzeit habe ich Vanessa kennengelernt. Eine hübsche junge Frau. Aus nicht ganz so guter Familie. Aber sie wich den ganzen Abend nicht von meiner Seite und kurz darauf haben wir geheiratet. Vanessa war tatsächlich noch Jungfrau... Und ich war betrunken und fühlte mich verschmäht." Pablo seufzt tief und ich erkenne einen Schatten, der sich über seine Augen legt. Kummer.
Als er weiterspricht ist seine Stimme deutlich belegte. "Vanessa war nur ein Ersatz, weil Veronica mich nicht haben wollte. Und ich habe es Vanessa zu jeder Zeit spüren lassen. Ich konnte Rubén keinen Vorwurf machen, immerhin hatte Veronica nur auf den Altersunterschied geachtet. Ich war ihr zu alt."
Pablo schweigt lange und schaut auf die Tasse, trinkt etwas Kaffee und richtet dann den Blick auf mich. "Vanessa wurde schwanger, Veronica nicht. Dann war irgendwann die Zeit, in der ich angefangen habe, mich wirklich für Vanessa zu interessieren. Und für das Baby."
Er stockt und Tränen benetzen seine Augen, die er sofort wegblinzelt. "Als mein kleiner Juan dann endlich auf der Welt war, konnte ich mein Glück kaum fassen. Ein kleiner Stammhalter. Und ich war auch irgendwie zutiefst zufrieden, dass Veronica immer noch nicht schwanger wurde."
Der Kaffee ist schon längst ausgetrunken. Dennoch hält Pablo die Tasse weiterhin fest. "Vanessa hatte es nicht leicht, die Milch wollte nicht so ganz, sie hatte Probleme mit dem stillen. Meine Eltern wollten unbedingt, dass das Kind gestillt wird. Es gab viel Streit und Vanessa konnte Juan nach wenigen Wochen schon nicht mehr sehen. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Als frisch gebackener Vater war ich glücklich. Und Vanessa..."
Pablo stockt und atmet tief durch. "Sie zog sie zurück. Es war mir damals egal. Frauenkram, dachte ich. Die Welt war perfekt. Juan war als Baby unglaublich süß."
Pablo schweigt wieder und ich trinke den Tee aus, stelle die Tasse bei Seite.
"Vanessa hat sich umgebracht. Keine vier Monate nach der Geburt. In einem Abschiedsbrief schrieb sie, dass ich ohne sie glücklicher wäre. Und dass sie dieses Leben nicht länger ertragen kann. Sie warf mir vor, sie nie geliebt zu haben und ich hätte immer an Veronica gedacht."
Mein Herz zieht sich für einen Moment zusammen. "Das... Das ist schrecklich, Pablo. Es tut mir so leid."
"Erst als Vanessa nicht mehr da war, wurde mir klar, wie sehr ich sie geschätzt hatte. Wie sehr ich ihre Stimme vermisse. Während ihrer Schwangerschaft wurde sie immer schöner. Nicht bloß, weil sie mein Kind unter ihrem Herzen trug. Ich habe Vanessa geliebt. Und ja. Ich habe es ihr in den wenigen Monaten unserer Ehe nicht einmal gesagt."
Er bricht ab und reibt sich den Nasenrücken. Um Tränen zu verbergen. "Sie hatte recht mir ihrem Brief. Mit allem... Ich habe Vanessa nie verdient. Manchmal glaube ich, Juan hat die Leukämie nur bekommen, weil das Schicksal mir sagen wollte, dass ich auch ihn nicht verdient habe. Es fühlte sich so an, als wenn Vanessa ihn mir wegnehmen wollte. Mir selbst nach ihrem Tod nicht gönnt, einen Menschen zu lieben."
Pablo hat aufgegeben, seine Tränen zu verstecken. "Juanito starb und ich konnte nichts dagegen tun. Die Ärzte haben die Symptome nicht richtig gedeutet. Oder sie wollten es nicht sehen. Oft hatte ich das Gefühl, die Ärzte behandeln mich und meinen Sohn wie Menschen zweiter Klasse."
Er schluckt schwer und wischt die Tränen aus dem Gesicht. Und er weicht noch immer meinem Blick aus. "Vanessa hätte ein passender Spender sein können. Das macht ihren Tod, aber vor allem den Tod von Juan so viel tragischer. Ich hätte Vanessa nur einmal sagen müssen, was ich empfinde... Und sie beide könnten noch leben."
Ich lehne mich zurück und starre Pablo an. Er fühlt sich verantwortlich für den Tod seiner Frau. Wenn es Karma gibt, dann hat es hier ganz übel zugeschlagen. "Das tut mir so unglaublich leid, Pablo..."
Mein Herz hämmert wie verrückt und ich fühle mich richtig unwohl. Nimmt mich das so stark mit? Während meiner Zeit als Ärztin habe ich schon viele schlimme Schicksale erlebt. Ich habe gelernt, sie nicht zu nahe an mich heranzulassen. Warum ist es jetzt anders? Weil Pablo mir nahe steht? Weil ich ihn mag?
"Und deine Eltern?"
Ich atme tief durch und gieße mir eine zweite Tasse Tee ein. Nachdem Pablo nun so ehrlich zu mir war, sollte ich es auch sein. Zumal er die Hälfte eh schon weiß. "Während meines ersten Jahres als Assistenzarzt... Ich hatte meinen Eltern zu ihrem Hochzeitstag Karten für ein Konzert gekauft. An dem Tag hatte ich Nachtschicht in der Notaufnahme."
Wieder höre ich eilige Schritte. Autounfall... Zwei Verletzte...
"Als zwei Patienten eingeliefert wurden, habe ich einen von ihnen im OP gehabt. Mehrere Frak... Knochenbrüche und so viele Blutungen..." Ich trinke wieder etwas Tee, um die Bilder aus meinem Kopf zu kriegen. Aber der Tee beruhigt mich diesmal gar nicht. "Ich fühlte mich im OP überfordert, aber der andere diensthabende Chirurg war im anderen OP. Also tat ich alles... Aber er starb mir unter der Hand weg."
Meine Stimme versagt kurz. Am liebsten würde ich bei der Kurzfassung bleiben. Aber Pablo war auch ehrlich zu mir. "Als er wiederbelebt wurde, habe ich in sein Gesicht gesehen. Es war mein Vater. Und das bedeutete, dass die Frau, die mit ihm eingeliefert wurde, meine Mutter sein musste. Ich wollte meinen Vater retten. Unbedingt retten. Aber ich fing im OP fast an zu weinen... Ich habe einfach nichts mehr gesehen. Es war so viel Blut... Als er erneut wiederbelebt werden sollte, konnte ich nicht vom Tisch weggehen."
Tränen brennen in meinen Augen. "Ich habe ihn sterben lassen. Und ich habe als Ärztin versagt." Ich wische die Tränen weg und atme mehrmals tief durch, fange aber immer wieder kurz an zu weinen. "Meine Mutter überlebte ihre Operation. Aber sie wurde in ein künstliches Koma versetzt. Ein paar Wochen später ging es über in ein Wachkoma. Die Ärzte sagten, sie würde bald wieder aufwachen. Aber das tat sie nicht.
Sie hatte einen Schlaf- und Wachrhythmus. Wenn ihre Augen offen waren, dann glaubte man, sie wäre gerade am tagträumen."
Mein Herz dreht fast durch und ich greife mir kurz an die Brust. Der Schmerz droht mich zu übermannen. "Als ich sie letzte Woche besucht habe, lag sie wieder nur da. Aber dann setzte ihre Atmung aus... Das Pflegepersonal wollte intubieren. Also sie künstlich beatmen lassen. Aber ich habe es unterbunden. Und musste zusehen, wie sie stirbt."
"Das muss schrecklich gewesen sein, Clara."
Ich trinke die Tasse aus und wedle mir etwas Luft zu. Mein Herz klopft so heftig, dass ich glaube, es springt mir bald aus der Brust. Pablo trägt eine Armbanduhr. Ich ziehe an seinem Handgelenk, schaue auf das Zifferblatt und lege zwei Finger an mein Handgelenk, um meinen Puls zu zählen.
"Alles okay?"
"Nein... Mein Puls ist über 140... Das ist viel zu hoch..." Ich sehe zu der Tasse und hebe argwöhnisch die Augenbrauen. War etwa irgendwas im Tee? Oder hat er zu lange gezogen? Aber das hätte ich geschmeckt...
"Kann ich dir irgendwie helfen?"
"Ich würde mich gerne etwas ausruhen... Die Füße einen Moment hochlegen."
Ich stehe langsam auf. Aber der erwartete Schwindel bleibt aus. Mir ist auch nicht übel. Gedanklich klopfe ich alle Symptome ab. Aber das ist keine Hypertonie.
Pablo geht um den Tisch herum. Ehe ich reagieren kann, hebt er mich hoch und geht auf der Terrasse zum hinteren Bereich. Einen Moment glaube ich, er geht mit mir in das Wohnzimmer. Stattdessen trägt er mich die Treppe neben der Terrasse herunter.
Sofort legst ich beide Arme um ihn. Nicht, dass er mich noch fallen lässt...
Neben dem Pool setzt er mich auf einer Liege ab und streicht besorgt über mein Gesicht. "Sag Bescheid, wenn es dir nicht besser geht. Und ruh dich aus, ja?" Er klappt mir noch die Rückenlehne herunter und ich schließe die Augen, atme bewusst und tief in meinen Bauch.
Seltsam, Bluthochdruck hatte ich noch nie... Lag es wirklich an dem Gespräch?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro