Dope
Schreibwettbewerb: KurzgeschichtenWettbewerb von Zeilenqueen25
Thema: Schreib über eine Person, die gerade durch einen besonderen Moment aus ihren Selbstzweifeln steigt. Es ist erlaubt, eigene Wünsche oder Erfahrungen in die Geschichte zu bauen.
Anzahl Wörter: 1125
Triggerwarnung: Diese Geschichte beinhaltet den Umgang mit Suchtmittel, Doping und Selbstzweifel. Die folgenden Ereignisse basieren nicht auf wahren Begebenheiten, sie sind frei erfunden und ich habe keinerlei Erfahrungen mit diesen Themen.
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Tropf.
Tropf.
Tropf.
Dieser Wasserhahn wird mich noch in den Wahnsinn treiben. Obwohl ich dachte, dass ich nicht noch angespannter werden könnte als ich sonst schon bin, ist es doch möglich. Denn seit ich den Raum betreten habe, tropft dieser Wasserhahn ohne Pause.
In dem kleinen Waschraum für Beeinträchtige mit nur einer Toilette und einem Lavabo hallt das tropfende Geräusch durch den ganzen Raum. Meine Sporttasche steht neben der Tür auf dem Fliessboden. Ich schaue meinem Gegenüber im Spiegel tief in die Augen und versuche in seinem Blick etwas anderes zu deuten als das gleiche Gefühl, das mir jedes Mal einen kalten Schauer den Rücken herunterjagt: Panik.
Ich schlage auf den Wasserhahn, aber das Tropfen hört nicht auf. Ich möchte frustriert aufschreien und den Spiegel von der Wand reissen, gleichzeitig will ich mich die Toilette runterspülen und meine Scheissprobleme mitnehmen. Anstatt irgendetwas davon zu tun, hole ich das kleine Päckchen aus meiner Sporttasche. Die weisse pulvrige Substanz funkelt darin.
Die Einnahme durch die Nase wirkt effizienter, eines der ersten Dinge, das ich gelernt habe. Ich brauche genau so viel, um meine Angst davor, dass ich nicht genug Leistung auf dem Spielfeld erziele, zu eliminieren. Aber mir ist bewusst, dass eine zu hohe Dosis des Kokains kontraproduktiv sein wird.
Ich, ein kleiner Junge, der mit dem Handballspielen beginnt und Spass hat, veränderte sich. Seit ich älter bin und in einer wichtigen Mannschaft spiele, die eine hohe Erfolgsquote anstrebt, steigt der Vergleich mit anderen und mein Selbstzweifel, dass ich auf dem Spielfeld nicht gut genug bin. Seit den letzten Spielen, bei denen ich nichts auf die Reihe brachte, weil meine Zweifel mich verschlangen, wollte ich dem ein Ende setzen. Von da an hat mir das Pulver geholfen. Für eine Stunde verschwinden meine Selbstzweifel, bis sie wieder über mich hereinbrechen wie die Flut nach der Ebbe.
Ich öffne das Säckchen und gleichzeitig nähern sich Schritte von draussen. Bevor ich etwas tun kann, wird die Tür aufgestossen. Im gleichen Moment schiessen mir tausend Fragen durch den Kopf – warum ist die Türe nicht abgeschlossen? Ich schliesse doch immer ab? Wer zum Teufel ist da?
Und was zur Hölle soll ich tun?
«Oh, hey Nick, tut mir leid, dass ich dich ...»
Ich schrecke auf. Mein Teamkollege Thomas, ein exzellenter linker Flügel, steht im Türrahmen und stockt während seiner Rede. Ehe ich das Pulver verbergen kann, entdeckt er es.
Er schaut es emotionslos an und mein Herz rast. Es kommt mir vor, als ob er minutenlang schweigt.
«Verpfeifst du mich?», durchbreche ich die Stille flüsternd. Thomas antwortet nicht.
«Du dopst», sagt er plötzlich. Und dann packt er mich am Kragen und stosst mich gegen die Wand. Sein Gesicht kommt meinem drohend nahe.
«Verpfeifen?», flüstert er und wird mit den folgenden Sätzen immer lauter. «Verpfeifen soll ich dich? Verdammt, weisst du eigentlich, wieviel du damit aufs Spiel setzt? Nicht nur für dich, sondern für deine gesamte Mannschaft!» Nun brüllt er.
«Na, was hast du da? Kokain, stimmt's?» Ich sinke zusammen und er schnaubt. «Wusste ich's doch. Wie meine Mutter, auch so ein Feigling. Du bist genau so. Und du wirst wie sie enden, wenn du so weitermachst. Du wirst noch miserabler sein als jetzt, du wirst am Boden ankommen und nicht mehr hochkommen.»
Er lässt mich los und ich sinke tatsächlich zu Boden. Von oben herab funkelt er mich an.
«Du wirst nicht nur unzählige Spiele in deinem Leben verlieren, sondern vor allem verlierst du auch dich selbst. Unsere Schwächen kommen immer zu uns zurück.»
Er geht in die Knie und zwingt mich, meinen Kopf zu heben und ihn anzusehen.
Ganz leise raunt er: «Aus der Schwäche kann nur Stärke werden, wenn wir sie akzeptieren.» Er macht eine Pause und das Schweigen lastet schwer auf unseren Schultern. «Mehr als akzeptieren, steh auf und kämpfe, gegen das, was dich an dir zweifeln lässt. Ich bin nicht unser Coach, aber ich dachte, dass ich mehr bin als dein Teamkollege. Ich bin dein Freund. Und du bist verantwortlich für das.»
Er steht auf und lacht freudlos. «Vielleicht war es ganz gut, dass die Männertoilette defekt ist, damit ich hierherkommen konnte, um dich zu finden. Hätte ich meine Mutter gefunden, wäre es vielleicht nicht zu spät gewesen.» Ruhig erwidert er meinen Blick. «Nach dem Spiel will ich in deinem Gesicht sehen, dass du es besser kannst. Denn du kannst es.» Mit diesen Worten verlässt er den Raum.
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Der Wasserhahn tropft noch immer, als ich das nächste Mal den Waschraum betrete. Einige Minuten sind bereits vergangen, seit das Spiel geendet hat, und doch bin ich immer noch ausser Atem. Ich stütze mich am Waschbecken auf und geniesse die Kühle auf meiner Haut.
Meine Gedanken drehen sich um die Ereignisse der letzten Stunde. Ich spüre das Vibrieren der Schritte auf dem Hallenboden, höre das Rauschen in den Ohren und das Jubeln der Fans und sehe den Ball vor mir. Während dem Sprinten prelle ich ihn vor mir her und auf das Tor zu, vor dem keine Verteidigung steht, denn unser Torhüter konnte einen guten Gegenstoss rausholen. Der Torwart der Gegnermannschaft macht sich bereit, stellt sich in Position – doch schon im Sprung überliste ich ihn und versenke den Ball in die untere linke Ecke.
Triumphgefühl macht sich in mir breit, so wie bei all den anderen Momenten, wenn ich oder jemand anderes aus dem Team ein Tor für uns erzielt hat. Und nach einem langen Kampf, schnellen Angriffen und hartnäckiger Verteidigung holten wir mit einigen Toren Vorsprung den Sieg der Saison.
Dieses wundervolle Gefühl werde ich nie vergessen. Es ist viel besser als diese erzwungene Ruhe des Dopings. Ich fühle mich lebendig, glücklich und stolz – so stolz, dass ich es geschafft habe, ohne Unterstützung von Drogen zur Leistung meines Teams beitragen zu können. Und als ich den Blick von Thomas erwiderte, sah ich seine Anerkennung. Er hat mich aus dieser trüben Blase herausgeholt, aber ich musste mich selbst überzeugen, es durchzuziehen. Nachdem er gegangen war, brauchte ich einige Minuten, um von meinen Zweifeln wegzukommen. Irgendwie raffte ich mich zusammen.
Und nun grinse ich mich im Spiegel an. Denn ich habe es durchgezogen.
Ich stosse mich vom Waschbecken ab und klaube das Päckchen mit dem weissen Pulver aus der Sporttasche heraus. Ohne weiter darüber nachzudenken, kippe ich den Inhalt ins Waschbecken und wickle ein wenig Papier ums leere Päckchen, bevor ich es in den Abfall werfe. Dann drehe ich das Wasser an und sehe zu, wie es den Schnee den Abfluss herunterzieht.
Ich kann nicht versprechen, dass jetzt die Welt wieder heil ist, aber für den Moment ist sie in Ordnung.
Als das Waschbecken wieder sauber ist, spritze ich mir noch ein wenig Wasser ins Gesicht. Ich drehe den Hahn zu und schmecke das Gemisch aus Wasser und Schweiss auf meinen Lippen. Ich verharre für einige Augenblicke.
Das Tropfen des Wasserhahnes hört auf.
Ich schultere meine Sporttasche, verlasse den Waschraum und mache mich auf den Weg, um den Sieg unserer Mannschaft zu feiern.
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