
Charakter Motivation
Dieses Kapitel könnte wohl 10 mal so lang sein, aber da ich nur wenig Zeit habe möchte ich eine Kurzfassung und kleine Inspiration zu diesem Thema geben. Leider sehe ich nämlich allzu oft, dass immer die gleichen Motivationen herangezogen werden, ohne zu bedenken, dass es so viele andere Möglichkeiten gibt, die nicht dem absoluten Autoren-Mainstream entsprechen.
Hier also ein paar Charakter-Motivationen, warum eure Protagonisten so handeln, wie sie handeln. WICHTIG: Eigentlich wird keine dieser Motivationen allein verwendet. Oft ändern sie sich im Laufe der Story, folgen aufeinander, begründen aufeinander oder treten gleichzeitig auf. Es hängt alles von der Lüge und der Wahrheit in der Charakterentwicklung ab, aber was das bedeutet erfahrt ihr bald in den folgenden Kapiteln.
GRUNDMOTIVATIONEN
- Überleben
Welcher Grund wäre stärker als das eigene Überleben? Das ist eine Motivation, die du nicht für einfache Handlungen verwenden solltest, sondern als Schlüssel zu Szenen und Taten, die der Leser sonst für undenkbar gehalten hätte. Ein harmloses Kind möchte die Mutter vor dem Vater beschützen und tötet ihn mit einem Messer in den Rücken, während er die Mutter zu Boden drückt. Oder dein Hauptcharakter verrät den besten Freund, weil er Angst hat, selbst zu sterben oder dass das Leben des Freundes sonst in Gefahr wäre.
- Versagen
Wir alle wissen, wie grausam und zerstörend das Gefühl des Versagens sein kann. Die Angst davor ist eine überwältigende Motivation, bestimmte Taten zu unternehmen oder zu unterlassen. Der Protagonist soll der Held des Dorfes werden, indem er eine wichtige Aufgabe erledigt? Aber er hat zu viel Angst zu scheitern, also stiehlt er sich davon und verlässt sein Dorf. Die Angst vor Versagen kann aber auch zum Handeln antreiben, wenn das Versagen mit hohen Strafen verbunden ist.
- Gruppendruck
Was können Kinder, Jugendliche und Erwachsene nicht alles Schreckliches und Dummes tun, wenn sie unbedingt in eine Gruppe gehören wollen und dort akzeptiert werden wollen? Das geht von der kleinen Clique in der Schule bis zu ganzen Gesellschaften, die verwerfliche Dinge tun, doch man schiebt die eigenen Bedenken zur Seite, um dazuzugehören. Ob es der liebe Junge ist, der anfängt zu rauchen und die Streber zu mobben, um von den anderen Jungs anerkannt zu werden, oder ob es eine Mutter ist, die ihre Tochter einem viel älteren Mann übergeben muss, weil die Gesellschaft das von ihr erwartet.
- Neugier
Es gibt kaum einen Grund, der stärker dafür verantwortlich ist, sich freiwillig in unsichere Situation mit hohem Risikopotential zu begeben. Doch beachte: Die Neugier muss auf einem Level sein, die logisch genug ist, um den Protagonisten ein hohes Risiko eingehen zu lassen. Oft sehe ich als Grund "Langweile", doch jemand verlässt nicht sein Land, steigt in ein verlassenes Gebäude ein, aus dem gruselige Geräusche kommen, nur weil er "gelangweilt" ist. Es muss eine Neugier sein, die auf größeren Emotionen beruht. Beispielsweise die Neugier, warum der Vater immer so spät nach Hause kommt, da die Konsequenz das eigene Leiden unter der Abwesenheit eines geliebten Menschen ist. Oder die Neugier, eine gefährliche Dorge auszuprobieren, weil man von anderen das Gerücht gehört, dass es die eigenen Probleme in Luft auflöst und Angst und Selbstzweifel verschwinden lässt. Wer würde für diese Versprechungen nicht ein größeres Risiko eingehen?
- Schuld
Schuld hat viele Menschen auf der ganzen Welt zu unglaublichen Taten getrieben. Sei es ein Bußgang durch die Wüste, Selbst-Verletzung, Lügen und Verrat, Selbstmord. Mit dieser Motivation muss gekonnt umgegangen werden und der Autor muss den Protagonisten sehr sehr gut kennen, um das Ausmaß der Konsequenz einzuschätzen. Es kommt ganz auf die Wesensart deiner Figur an, ob sie schlichtweg über das lügt, was ihr Schuldgefühle bereitet, selbst die größte Schuld weggesteckt werden kann oder ob eine kleine Schuld bereits zur Selbstbestrafung führt.
- Verlangen
Am häufigsten wird das Wort im sexuellen Kontext verwendet, doch das Verlangen nach Liebe, Akzeptanz, Macht oder Geld ist von viel größerer Bedeutung. Auch hier muss darauf geachtet werden, dass der Charakter einen guten Grund für das Verlangen hat. Einen reichen Sohn einer Mafia-Firma das Verlangen zu geben, Macht auszuüben und Geld zu haben, funktioniert schlichtweg nicht (leider sehe ich es trotzdem in fast jeder Wattpad-Badboy-Geschichte). Denn der Charakter hat bereits Geld und Macht. Natürlich gibt es eine gewisse Sucht nach mehr, aber das ist keine tiefgreifende Motivation, die mit dem Leser resoniert. Wenn ein armer Junge aus der Vorstadt, der immer herumgeschubst wird von seinem Umfeld nach Macht und Geld strebt, ergibt das viel mehr Sinn und der Leser ist deutlich tiefer involviert. Ein Kind, dessen Eltern nie da waren, hat ein Verlangen nach Aufmerksamkeit und ein Tier, das immer geschlagen wird, hat ein Verlangen nach Liebe, selbst wenn es unter Angst und Wut versteckt ist.
- Instabilität
Einer der Hauptgründe für Kinder, auf die schiefe Bahn zu geraten. Stabilität ist eines der wichtigsten Elemente im Leben für Mensch und Tier. Häufige Umzüge, Trennung von Eltern, Stimmungsschwankungen, stark unterschiedliche Moralvorstellung des Umfelds... all das führt zu einem instabilen Wertesystem, zu Orientierungslosigkeit und (da wären wir wieder beim Verlangen) zur Suche nach einer festen Konstante im Leben. Wenn nur dir das nur die "böse" Seite geben kann, wird sich der Protagonisten an sie klammern, wie an einen Rettungsanker. Sei es in der Form eines strikten Moral-/Regelsystems, militärisch getaktete Abläufe oder eine strikte Hierarchie und ein klares Feindbild.
Noble Motivationen
- Liebe -
Dazu muss ich wohl nicht viel sagen. Liebe macht einen blind, mutig, verrückt, wagemutig und dumm. Alles großartige Eigenschaften, mit denen der Autor spielen kann, um den Protagonisten Dinge tun zu lassen, die der durchschnittliche Nicht-Verliebte niemals tun würde.
- Loyalität und Gehorsam-
Loyalität kann von ehrlichen Emotionen wie Dankbarkeit oder Bewunderung herrühren, aber auch von physischem oder emotionalen Zwang und Unterdrückung - sowohl bewusst durch einen Charakter oder Umstand oder unterbewusst durch eine Lüge, die der Protagonist als Wahrheit glaubt, aber nicht erkennt. Je nach Lohn oder Konsequenz für den Dienst resultiert daraus eine unterschiedlich starke Bereitschaft zu Handeln. Achte also sorgsam, dass du im Laufe deines Plots ausführlich darstellst, was deinem Protagonisten die Loyalität zu einer anderen Figur oder einem Konzept bedeutet.
- Ehre -
Auch hier gilt: Die Sehnsucht nach Ehre und gesellschaftlichem Ansehen muss durch irgendetwas ausgelöst sein. Durch eine Familie, die den Protagonisten nur Aufmerksamkeit schenkt, wenn er gute Leistungen bringt, eine Belohnung, die aus der Ehre folgt, das Fehlen an Anerkennung trotz größter Bemühungen, etc. Ehre ist kein so starker Motivator wie Überleben, doch je nach persönlichem Wert für den Protagonisten und Bedeutung der Ehre für den inneren oder äußeren Konflikt der Geschichte kann sie an Intensität gewinnen.
- Vergeltung und Rache -
Den Wunsch, das eigene Leid oder das anderer heimzuzahlen, in der Hoffnung, dadurch selbst eine gewisse Erlösung zu erhalten, ist ein machtvoller und deshalb sehr beliebter Grund zu außerordentlichen Taten. Und wieder gilt hier: Mache es dir nicht einfach. Rache ist ein komplexes Konstrukt unterschiedlichster Erfahrungen und Emotionen, Selbstzweifel und Weltbild. Nimmt der Protagonist Rache aus Schuldgefühlen, weil er zu dem damaligen Zeitpunkt unfähig war, jemanden zu retten? Wie wird der Protagonist reagieren, wenn das Objekt der Rachsucht nicht mehr da ist? Erleichterung? Verzweiflung? Erkenntnis? Leere? Oder ist die Rache nur ein Motiv, das dazu dient, den wahren Zweck der Tat oder der damit verknüpften Handlungen zu verbergen? Soll die Rache ablenken von den eigenen Makeln, von anderen Aufgaben, von der Angst, sich dem eigenen Grund stellen zu müssen? Rache sollte niemals oberflächlich genutzt werden, da der Leser sonst schnell gelangweilt sein wird und der Plot vorhersehbar wird. Rache kann von einer noblen Gesinnung in Sekundenschnelle in eine böse umschlagen.
- Ungerechtigkeit -
Once again: Hier zählt der Grund, warum der Protagonist die Ungerechtigkeit beseitigen möchte. Warum hat er es bisher nicht bemerkt? Wenn er die Ungerechtigkeit bereits kannte, warum hat er nicht gehandelt? Ist die Ungerechtigkeit mit einer Person verbunden? Ist der Auslöser der Ungerechtigkeit ein ganzes Weltbild oder eine Vereinigung an Menschen oder gar eine einzelne Person, der Antagonist? Warum sollte der Protagonist seinen Jetzt-Zustand verlassen und sich um die Ungerechtigkeit kümmern? Bedroht sie seinen Frieden? Geliebte Personen? Die harmonische Umwelt?
Böse Motivationen
- Hass -
Nicht zu verwechseln mit Rache. Je nach Ursache für die Hassgefühle kann Rache eine Art der Ausprägung von Hass sein, muss es aber nicht. Hass kann sich gegen eine Person, gegen sich selbst, gegen eine größere Gruppe oder gegen ein ganzes Weltbild sein. Frage dich also: Wer trägt die Schuld? Denn Hass ohne Schuld gibt es nicht. Selbst, wenn der Hass scheinbar aus dem Nichts geboren wurde, muss es jemanden gegeben haben, der ohne direktes Einwirken Lügen über den Gegenstand des Hasses erzählt haben muss oder die Umwelt muss diese Lügen seit langem verbreitet haben.
- Unehrlichkeit -
Warum handelt dein Protagonist unehrlich? Aus Angst? Aus Berechnung? Aus List mit böser Absicht? Um jemanden zu schützen? Wie du siehst, ist dieses Motiv äußerst komplex je nach Umstände deines Protagonisten. Unehrlichkeit bietet eine schier endlose Reihe an Möglichkeiten, mehr Tiefe in deinen Plot und deine Charakterentwicklung zu bringen. Woher rührt sie? Welche Beschaffenheit hat die Wahrheit? Was wären die Folgen, wenn die Wahrheit ans Licht kommt? Was resultiert aus der Unehrlichkeit? Inwiefern nutzt das dem Protagonisten? Folgt auf kurze Erleichterung der Situation eine viel dramatischere? Können die Nebencharaktere dem Protagonisten noch trauen, nachdem sie die Wahrheit erfahren haben? Oder werden sie ihm helfen? Ahnen die Charaktere, dass sie belogen werden? Dient es einer externen Macht, dass der Protagonist lügt?
- Stolz -
Wer schon einmal einsehen musste, dass er falsch lag, kennt, wie unangenehm es ist. Der eigene Stolz ist verletzt und es fühlt sich furchtbar an. Je stärker man den falschen Standpunkt zuvor vertreten hat, desto stärker der Stolz und desto schärfer trifft die Verletzung. Damit unser eigener Stolz nicht verletzt wird, greifen wir gerne mal zu Übertreibung, zu Lügen und zu Täuschungen, wenn wir wissen, dass wir eigentlich falsch liegen. Wissen wir das nicht, führt Stolz zu Überheblichkeit, schlechtem Verhalten gegenüber denen, die unter uns stehen oder man verliert sich in eigenen Zielen und vergisst die Menschen, die einem lieb sind. Selten ist Stolz allein das treibende Element, sondern taucht als Ursache, Folge oder zusätzliche Motivation auf. Zum Beispiel in Zusammenhang mit Angst vor Entblößung, Sehnen nach Anerkennung etc etc.
- Gier -
Gier ensteht dann, wenn man erfährt, dass jemand anderes etwas hat, dass du nicht hast, und er dadurch einen großen Vorteil hat. Meistens in Form eines vermeintlich besseren, glücklicheren oder sicheren Lebens. Abgeschnitten von dem Vergleich mit anderen kann Gier nicht existieren. Gier richtet sich nicht nur nach materiellen Dingen, sondern kann auch eine überdurchschnittlich große Sehnsucht nach Herrschaft über andere, Aufmerksamkeit, Zuneigung, Bestätigung, Stärke, Sicherheit etc. sein. Gier resultiert meist aus einer persönlichen Erfahrung, die tief einschneidend genug war, um den eigenen Mangel vor Augen zu führen. Damit Gier als alleinige Motivation ausreicht, muss sie intensiv genug empfunden werden, also aus etwas sehr tiefgreifendem resultieren. Zum Beispiel das Fehlen der Eltern eines Waisenkinds, das Hungerleiden oder Frieren durch Armut, das Leiden unter Menschen, die mehr haben... Meistens lässt sich Gier aber auch in einer etwas abgeschwächteren Form sehr gut mit anderen Motivationen verbinden wie beispielsweise Verlustängste, Neid, Unsicherheit etc.
- Lust -
Lust ist so je nach Auslegung des Wortes ein unterschiedlich starker Motivator. Lust ist nämlich im Prinzip alles, was Lebewesen antreibt. Im Sinne von dem Erleben von Dopamin. Allein die Erwartung, etwas zu trinken oder essen, schüttet Dopamin aus und beschert uns Lust auf Befriedigung unterschiedlichster Bedürfnisse. Aber Lust nur bezogen auf einen bestimmten Bereich, wie sexuelle Bedürfnisse beispielsweise, muss durch viel Backstory und andere Motivationen unterstützt sein, um eine ganze Charakterentwicklung anzutreiben statt nur eine Szene.
- Neid -
Hierfür gelten eigentlich die gleichen Regeln wie für Gier. Meistens resultiert Gier aus Neid, doch Neid kann auch ganz andere Richtungen einschlagen, wie Hass und Rache, oder aber auch durch Bewunderung und Vorbild-Nacheifern ausgeglichen werden.
Furcht - Motivationen
Eigentlich so ziemlich die intensivste Motivation für einen Menschen ist die Angst vor etwas. Vor allem die Angst vor
- Tod
- Bloßstellung
- Schmerz
- Ablehnung
- Verlust
- Reue
- Schande
Wenn ich nun ausholen würde, würde ich mich wohl sehr oft wiederholen (nicht allein, Ursache, Komplexität etc.)
Motivationen sind für sich allein nicht viel wert, sondern erst im richtigen Umgang und das präzise Einfiedeln in den Plot liegt die Würze.
Der Grund, warum ich dieses Kapitel schreiben wollte, ist, dass ich zu oft sehe, wie schlichtweg die "tragische Vergangenheit" als Grund für alle weiteren Handlungen hergenommen wird, ohne genauer zu differenzieren oder gar eine nicht tragische Vergangenheit zu verwenden.
Hier also nochmal ein paar Motivationen für Bösewichte neben "tragischer Vergangenheit":
- sie tuen böse Dinge, weil sie Angst haben
- sie wurden getäuscht oder falsch informiert, zum Beispiel, dass die Helden darauf aus sind, sie zu verletzen
- sie sehnen sich nach Interaktion, Wertschätzung, Zuneigung oder Aufmerksamkeit und die böse Seite gibt ihnen diese Dinge
- Sie wollen sich auf die gute Seite schlagen, aber werden von ihrer Umgebung oder anderen Personen dazu gedrängt, böse zu bleiben
- sie haben ein eigentlich nobles Ziel, für das sie aber alles tun würde, um es zu erreichen (zum Beispiel, das eigene Kind zu schützen, selbst wenn es bedeutet, andere Kinder in Gefahr zu bringen)
- und so vieles mehr! Die besten Ideen sind ungewöhnlichen (aber sinnvollen ;) )
Hier habe ich nochmal die universell gültige Pyramide der Bedürfnisse nach Maslow (ein berühmter Psychologe), um euch zu zeigen, dass je nach Situation des Charakters bestimmte Bedürfnisse vorrangig sind, während andere zu weit weg sind, um sich darüber Gedanken zu machen:
Das war's für heute!
Dieses Kapitel soll als Vorgeschmack auf eine ausführliche Serie über Charakterentwicklung sein <3
Die Quelle für einiges in diesem Kapitel ist Pinterest, leider habe ich die Ausdrucke der Screenshots vor einigen Jahren gemacht, deswegen weiß ich den genauen Autor nicht... falls es jemand wiedererkennt, füge ich gerne den Namen hinzu!
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