15.1 Kapitel
Eos nahm die Blätter des Baumes entgegen. Sie drehte sie in ihren Fingern und begutachtete die Dinger. Ihre Größe und Form war nicht besonders. Vergleichbar mit den Blütenblättern einer Rose. Außerdem waren sie nicht grün, wie die meisten Blätter von Bäumen, sie waren grau, aber trotzdem voller Saft und nicht ausgetrocknet. Eos fing an heimtückisch zu grinsen und hob ihren Rock an. Dann verstaute sie die Blätter schnell in ihrer Strumpfhose, da sie ärgerlicherweise keine Taschen hatte. Diese Schuluniform war total unpraktisch! Man konnte nicht einmal irgendetwas darin verstauen. Naja, wenigstens würde man sie dort auf keinen Fall zufällig finden. Sie ließ ihren Rock wieder fallen und strich ihn glatt. Und dann ertönte plötzlich eine fremde Stimme hinter ihr: »Wer war das grauhaarige Mädchen, mit dem du gesprochen hast?« Total überrascht zuckte Eos zusammen. Sie hatte nicht mitbekommen, wie jemand näher gekommen war! Immerhin hatte sie alle paar Sekunden überprüft ob ja niemand in Sicht war und nun stand da ein kleines Mädchen. Das Mädchen trug keine Schuluniform. Vielleicht lag das daran, dass sie noch zu jung war um in den Unterricht zu gehen. Sie wirkte noch so unschuldig. Nie im Leben hatte sie schon etwas böses angestellt. Vermutlich hatte sie nicht einmal gelogen. Das Mädchen machte einen Schritt auf sie zu und legte dann ihren Kopf schief. Dabei fiel ihr einer ihrer zwei braunhaarigen Zöpfe ins Gesicht. Eos setzte ein freundliches Lächeln auf und kniete sich zu dem Mädchen hin. Nun war sie genauso groß wie sie. Fast tat es ihr schon leid, dass sie diese unschuldige Seele töten würde. »Und was hat dieses grauhaarige Mädchen gemacht?«, hackte Eos nach und legte ihr eine Hand auf den Rücken. Sie konnte ihre Wirbelsäule deutlich spüren, so zierlich war es. »Sie hat dir diese grauen Blätter gegeben und gemeint, dass du Selene damit ganz leicht ausschalten könntest.« Ihre Zöpfe schwangen wieder hin und her, als sie ihren Kopf wieder gerade richtete und dem großen Mädchen in die Augen blickte. »Meint sie die Mondgöttin Selene? Willst du ihr etwa etwas antun?« Kurz hatte sie aufgehört zu atmen. Es war verwunderlich, dass dieses kleine Mädchen genau gewusst hatte, von welcher Selene die Rede war. Immerhin glauben nur mehr die wenigsten Elements an ihre Schwester. Vielleicht hatten die Eltern dieses Mädchens an sie geglaubt und sie in diesem Thema belehrt. »Ja, aber darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, bestätigte Eos und lächelte sie an. Sie runzelte allerdings verwirrt ihre Stirn. Was Eos ihr da gesagt hatte, bedeutete mehr, als sie in diesem Moment begreifen konnte. Doch bevor das Mädchen auch noch ein weiteres Wort sagen konnte, verkrampft Eos ihre Finger, die die ganze Zeit auf dem Rücken von ihr gelegen hatten. Lila Blitze schossen innerhalb weniger Zehntel durch den kleinen Körper. Ihr entfuhr ein schmerzhafter, schriller Schrei, bevor sie verstummte und Tod zu Boden fiel. Ihre Haut stank nach verbrannten Fleisch und war an einigen Stellen schwarz angekohlt. »Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, wiederholte sie und ließ von ihr ab. Langsam stand sie auf und stupste den Leichnam mit ihrer Fußspitze an. Er rollte sich kurz ein kleinen wenig zur Seite, dann aber wieder zurück. Ja, sie war eindeutig nicht mehr am Leben.
»Marie!«, quietschte auf einmal ein Junge, der sich die ganze Zeit hinter der nächsten Ecke versteckt gehalten hatte und alles mitangesehen hatte. Er hatte zugesehen, wie seine Zimmergenossin gebraten worden war. Eos fuhr blitzschnell herum. Wie schafften es diese kleinen Kinder nur so unauffällig zu bleiben? Sie funkelte den Jungen an, der kaum älter sein konnte als Marie. Kurz stand er wie angewurzelt da und starrte auf den schlaffen Körper seiner Freundin. Er beachtete Eos gar nicht. Als wäre sie nicht da. Doch dann schien er schließlich zu realisieren, dass die Mörderin von Marie direkt vor ihm stand und nicht gerade gut gelaunt aussah. Langsam wanderte sein Blick zu ihr. Zuerst glitt er ihre Füße entlang, dann ihren Oberkörper, bis sich schließlich ihre Blicke trafen. Er schrie verängstigt auf und ergriff sie Flucht. Der Junge flitze davon wie eine Maus vor einer Katze. »Scheiße!«, fluchte sie und jagte ihm nur ein paar Sekunden später hinterher.
Er rannte so schnell er konnte. Tränen flossen seine Wange hinab und tropften auf sein Shirt. Sie hatten doch nur schnell ein paar Bücher holen wollen und dabei hatten sie dieses blonde Mädchen entdeckt, dass mit einem grauhaarigen Mädchen in einem fliegenden Bild gesprochen hatte. Er hatte ja gesagt, dass sie das nichts angehen würde, doch sie meinte nur: »Sei kein Weichei, Jakob!« Daher hatte sie sich hinter der nächsten Ecke versteckt und gelauscht. Die zwei Mädchen hatten fürchterliche Dinge besprochen. Und der Name Selene war immer wieder in ihrem Gespräch gefallen. Jakob hatte ja keine Ahnung welche von welcher Selene die da gesprochen hatten, doch Marie war davon überzeugt gewesen, dass es dabei um die Mondgöttin gegangen war. Und so neugierig und abenteuerlustig sie war, konnte sie einfach nicht anders als aus ihren versteck hervor zu treten. Sie hatte die blonde Schülerin ausgefragt und dann hatte sie sie einfach umgebracht. Verzweifelt schluchzte er auf. Er bog um die nächste Ecke und bemühte sich dabei nicht hinzufallen, so schnell wie er doch war. Seine Augen waren schon so wässrig, dass er kaum noch sehen konnte, was vor ihm lag. Schnell wischte er sich Rotz und Wasser mit seinem Handrücken weg. Er war nun im Gang zum Schulleiter angekommen. Jakob musste ihm sofort berichten, was er gesehen hatte. Mr. Midow würde ihn beschützen können.
Er riskierte einen Blick über seine Schulter und musste mit Entsetzen feststellen, dass dieses Mädchen direkt hinter ihm war. Es waren nur wenige Meter zwischen ihnen. Ob er es überhaupt vor ihr in das Büro des Direktors schaffen würde? Wenn nicht, würde sie ihn dann genauso töten wie sie es mit Marie getan hatte? Er befahl seinen Füßen sich schneller zu bewegen, doch seine Lunge war schon am explodieren, sodass er einfach nicht schneller rennen konnte. Die Tür zum Direktorat war nicht mehr weit. Seine Hand war bereits von seinem Körper gestreckt und bereitete sich darauf vor den Türgriff hinunter zu drücken. Das Mädchen machte einen Satz nach vorne und bekam sein Shirt zu fassen. Jakob schrie aus Angst und Verzweiflung auf. Nur mehr zwei Meter! Sie versuchte ihn zu bremsen, doch ihr Griff war schlecht daher konnte er sich losreißen und stürzte nun auf die Tür zu. Jakob packte den Griff und stolperte in das Büro, als die Tür durch die Wucht seines ganzen Gewichtes ruckartig aufschwang.
Der üppige Direktor fiel vor Schreck sein Handy auf seinen Schreibtisch. Er war gerade dabei gewesen ein Telefonat zu führen, als der kleine Junge in den Raum geflogen kann. »Ach, Herrgott noch mal!«, schimpfte der Direktor und nahm sein Handy wieder in die Hand. Schnell überprüfte er ob kein Kratzer oder Sprung im Bildschirm war, bevor er sich wieder meldete. »Tut mir leid, ein Schüler kam gerade ganz plötzlich in mein Büro gestürmt. Ich rufe dich später noch einmal zurück.« Und dann legte er auf. In der Zwischenzeit war Jakob wieder auf seine Beine gekommen, zitterte vor Angst allerdings immer noch am ganzen Körper. Er wagte es nicht seinen Mund aufzumachen, da es Mr. Midow noch nicht gestattet hatte. Der Junge hatte großen Respekt vor diesen großen, fülligen Mann. Aber er warf immer wieder einen beunruhigten Blick zur Tür, die hinter ihm ins Schloss gefallen war. Das Mädchen könnte immer noch jeden Moment reinkommen und ihn töten! »Was ist denn passiert?«, fragte der Direktor besorgt nach, als er das völlig verängstigte Kind in seinem Büro näher betrachtete. Er kannte ihn nicht. Die Stelle als Direktor hatte er erst seit kurzem und hatte daher noch nicht die Zeit gehabt jeden Schüler kennen zu lernen. Bei seiner Vorgängerin Dorethia war das anders gewesen. Sie hatte all diese Kinder persönlich kenngelernt, als sie auf die Schule gekommen waren. »Dieses Mädchen..«, keuchte er und zeigte Richtung Tür. »Sie hat Marie umgebracht!« Er fiel vor Erschöpfung zu Boden. Sofort sprang der Direktor auf und eilte zu dem Kind. »Du meine Güte, wer soll wen umgebracht haben?« Er hockte sich neben den kleinen Jungen. Mr. Midow konnte kaum glauben, was der Junge da behauptet. Wieso sollte eine Schülerin eine andere umgebracht haben? »Dieses blonde Mädchen!« Der Kleine sagte das, als gebe es nur ein blondes Mädchen an dieser Schule. Besorgt darüber, dass mit dem Jungen alles in Ordnung war, fühlte er seine Stirn, musste aber feststellen, dass er nicht sonderlich überhitz war, ließ man die Schweißperlen außer Acht. Die kamen vermutlich vom Rennen. »Und du bist dir ganz sicher, dass Marie tot ist?« Gerade wollte der Junge nicken, als die Tür zum Direktorat erneut aufflog. Darin stand dieses Mal ein Junge, der Mr. Midow sogar bekannt war. Sein Name war Mario und er ging in die 4. Klasse dieser Schule. Daher war er schon fast erwachsen. Die rötlichen Haare klebten ihm im Gesicht und seine Brust hob und senkte sich schneller als gewöhnlich. Er durfte wohl auch gerannt sein. Seine Augen suchten den Raum ab, bis sie den Direktor schließlich am Boden hockend fanden. »Mr. Midow, da liegt eine Leiche im Gang!«, platzte Mario heraus.
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