13.6 Kapitel
Der Name von Louises bester Freundin stand auf diesem Grabstein. Er war so liebevoll darin eingemeißelt worden. In Gold thronte ihr Name ganz oben auf dem Grab. Darunter stand von wann bis wann sie gelebt hatte. Februar 2016 war sie gestorben. Das war nun knapp zwei Jahre her. Ungefähr zu dieser Zeit war Louise auch zu einem Weißumhang geworden. Ob diese Ereignisse irgendwie zusammen hingen?
Eine halbabgebrannte Kerze stand auf einem Sockel und frische Blumen lagen auf dem hübsch verzierten Grab. Es durfte wohl vor kurzen erst jemand hier gewesen sein. Vermutlich handelte es sich bei den Blumenbringern um Lovelyns Eltern. Aurora hatte bei ihren ersten Treffen in der Cafeteria erwähnt, dass die Eltern von Lovelyn in New York leben sollen. Außerdem hatte sie gemeint, dass Louises andere Freundin und Lovelyn eben hier her gezogen waren, da sie es mit Louise nicht ausgehalten hatten. Das war wohl nicht die Wahrheit gewesen, aber das hatte Aurora ja nicht wissen können. Immerhin hatte Louise selbst dieses Gerücht verbreitet. Wieso sie dies wohl getan hatte?
Auch die anderen Gräber waren hübsch verziert und mit Blumen überhäuft. Auch hier kümmerten sich wohl die Angehörigen liebevoll um ihre Verstorbenen. Nur ein einziges Grab, das Grab zwei Gräber weiter war verwildert. Dort waren nur Blumen, die bereits seit Monaten eingetrocknet waren. Niemand schien sich darum zu kümmern, wem auch immer es gehörte.
Stella warf Louise einen unauffälligen Blick zu. Das Mädchen stand immer noch mit gläsernen Augen und nasser Wange vor dem Grab. Unendliche Traurigkeit spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder. Sie hatte zwei enge Freundinnen innerhalb kürzester Zeit verloren. Schon als Stella erfahren hatte, dass Sunshine in Louises Armen gestorben war, hatte sie sich nicht vorstellen wollen, wie viel von Louise in diesem Moment zersplittert war. Sie war so unglaublich stark, jedenfalls kam es so rüber, doch innerlich war sie sicherlich ein einziges Wrack.
Das Mädchen ließ ihre Hände langsam sinken und offenbarten das Ding, welches sie zuvor an ihre Brust gepresst hatte. Es waren zwei Hälften eines ganzen Herzen, die an zwei Ketten angebracht worden waren. Sie waren nun wirklich nichts Besonderes, doch für Louise schienen sie einen bedeutenden Wert zu haben.
»Louise, ich weiß wirklich nicht was ich jetzt sagen sollen. Ich habe noch nie jemanden sterben gesehen. Auch wenn wir uns noch nicht so lange kennen, möchte ich dass du weißt, dass du in mir immer eine Freundin sehen kannst.« Stella brach damit die Stille, die hier am leeren Friedhof herrschte. Nur die wenigen Windböen, die immer wieder durch ihre Haare fuhren und die Bäume zum knarren brachten, erzeugten leise Geräusche. Die Sonne, die sich schon die ganze Zeit über hinter einer Wolkendecke versteckt hatte, ging langsam unter. Das Licht schwand und es wurde zunehmend kälter. Der Stoff von Stellas Missionsuniform wärmte sie zwar ausreichend gegen die Kälte, doch gegen die düstere Stimmung hier in Mitten von hunderten Toten konnte selbst der wärmende Stoff nichts ausrichten.
Und Stella hatte tatsächlich noch nie jemanden sterben gesehen. Um sie herum waren tatsächlich einige Personen gestorben; Ihre Eltern, die vielen Elements vor dem STE Gebäude und Joseph. Doch bei keinem von ihnen hatte sie zusehen müssen, wie das letzte bisschen Leben aus ihren Körpern entwichen war. Und selbst wenn sich Stella versuchte an all diese Menschen zu erinnern, kamen ihr nicht die Tränen. Selbst bei ihren Eltern blieben ihre Augen trocken. Immerhin hatte man ihr nie bestätigt, dass sie tot waren. Mittlerweile ging Stella einfach davon aus. Die Zeit zum Trauern hatte sie dennoch nicht gehabt. Und genau diese Zeit löst normalerweise die stärksten Trauergefühle aus. Genau an diese Zeit erinnert man sich ja, genau diese Gefühle kommen hoch.
»Es muss hart sein zwei gute Freunde zu verlieren.« Die Hand, die die Herzen hielt schloss sich ruckartig und sie verkrampfte sich. Mit großen Augen beobachtete Stella sie. Louise fing an laut zu schluchzen und die Tränen flossen wie wild ihr Gesicht herab. Das salzige Wasser tropfte auf die Graberde und versank langsam darin. Immer fester schloss sich die Hand um die Anhänger, während sich die andere Hand ebenfalls zur Faust ballte. Stella machte gerade einen Schritt auf ihre Zimmerkollegin zu, hielt dann aber inne, als ihr Blick auf die rosa Blumen fiel. Viele von dieser Art waren in einem Dreieck angepflanzt worden, was wunderschön aussah. Doch das war nicht der Grund, wieso Stella ihren Blick nicht von diesen wunderbaren Pflanzen abwenden konnte. Denn langsam bildete sich eine Eisschicht auf ihnen. So schnell wie Stella es noch nie beobachtet hatte, gefroren alle Pflanzen im Umkreis von zehn Meter. Selbst die Trampelpfade, auf welchen die Besucher gingen wurden von einer zarten Eisschicht überzogen. »Louise..«, setzte Stella an, als ihr Wort eine Wolke in die mittlerweile eisige Luft blies. »Louise, bitte!«, flehte Stella. Sie solle doch damit aufhören. Doch kaum eine Millisekunde später holte Louise aus, schrie verzweifelt auf und schmetterte die zwei Ketten gegen Lovelyns Grabstein. Die beiden Herzteile flogen durch die Luft und zersplitterten den Glaskasten in welchem die brennende Kerze stand. Klirrend kippte das Gefäß zur Seite und flog mitsamt der Kerze den Sockel hinab, bevor die Flamme zwischen den vereisten Blumen erlosch.
»Jede von ihnen hat ein Stück von mir mit sich in den Tod gerissen. Sunshine nahm mir die Fähigkeit zu lieben, Lovelyn nahm mir die Fähigkeit anderen zu vertrauen und..« Louise stoppte und sank auf ihre Knie. Es war keine Ähnlichkeit mehr zu erkennen zwischen diesem Mädchen und dem, das noch vor kurzen voller Entschlossenheit oben im Bürogebäude gekämpft hatte oder dem, das Stella ihre anderen Elemente trainiert hatte. Sie hob zitternd ihre Hand und deutete auf das verwucherte Grab. Nun waren auch Stellas Knie weich geworden. Langsam ging sie darauf zu. Selbst der Grabstein war überwuchert mit Schlingpflanzen. Man konnte kaum den Namen auf den grauen, billigen Stein lesen. Der eisige Wind wehte Stella ihre Haare ins Gesicht und ließ sie nun doch frösteln. Für diesen kurzen Moment vergaß sie alles um sich herum. Für sie zählte nur mehr der Name auf dem Grabstein, der immer noch unlesbar war. Nur vereinzelte Buchstaben waren zu erkennen. ik T phe se stand dort. Doch als Stella näher kam, ihre Hand über den Stein gleiten ließ, die Pflanzen sich lösten und den Namen preisgaben. Die schwarzen Linien zogen sich über die ganze Breitseite des Gesteins, doch sonst war nicht abgebildet. Schockiert hielt sie eine Hand vor ihren Mund, als sie sich an den Namen der hier begrabenen Person erinnerte. ».. und Mikaru nahm mir die Hoffnung.«
Mikaru, der Name der zweiten besten Freundin von Louise. Louise hatte einmal von ihr erzählt. Es war an Stellas zweiten Tag an der Elite gewesen. Mikau war das Mädchen gewesen, welches den Englisch Lehrer Professor Collins verspottet hatte, weil er ihr erklärt hatte, wie wichtig doch eine saubere und ordentliche Uniform sei. Damals hatte sie über dieses Mädchen gelacht und nun kamen ihr die Tränen. Sie litt mit Louise. Denn es waren nicht nur zwei Menschen, die sie innerhalb kürzester Zeit verloren hatte, sondern drei. Und diese drei Personen haben Louise zu Grunde gerichtet. Ihr Tod war auch der Tod von dem Mädchen, welches Louises einmal gewesen sein mochte.
Langsam kehrte Stella wieder zurück zu dem schwarzhaarigen, gebrochenen Mädchen. Wieso sah Stella sie erst jetzt in diesem Licht? Wieso konnte sie erst jetzt hinter Louises Schleier sehen? Schon zuvor hatte sie mitbekommen, dass mit ihr etwas nicht stimmte, doch das wahre Ausmaß hatte sie nicht erkannt.
Louise saß mittlerweile am Boden und hatte ihren Kopf zwischen ihren Knien vergraben. Als sich Stella neben sie hockte und einen Arm um sie legte, sah sie langsam auf. Sie hatte aufgehört zu weinen und zu beben. Nur mehr der Schleier der Trauer umhüllte sie. Ihr Gesicht war wieder ausdruckslos. Die eingetrockneten Tränen waren das Einzige was auf ihre vorigen Gefühle hindeuten. Doch davon ließ sich Stella nicht abschrecken. Denn nun wusste sie, was wirklich dahinter steckte. Sie drückte Louise näher an sich und flüsterte: »Ich weiß du denkst, dass alle um dich herum gestorben sind. Dass du denkst, dass dir Liebe, Hoffnung und Vertrauen genommen wurden, doch so ist es nicht. Ich bin da, Aurora ist da, Luna..« Stella legte ihren Kopf auf Louises Schultern und sah sich um. Die Frostschicht, die sich über alles gelegt hatte taute langsam auf. ».. Wir alle sind deine Freunde und ich bin mir sicher, dass es auch noch mehr sein könnten. Siehst du? Du bist nicht alleine und ich verspreche dir, dass ich für immer deine Freundin sein werde.« Stella merkte, dass Louise etwas erwidern wollte, es dann aber doch sein ließ. Stattdessen blühten die Blumen wieder in ihren schönsten Farben und die Kälte verschwand endgültig. Ein schmächtiges Lächeln huschte über Louises Gesicht, als sie ihren Kopf gegen Stellas Brust sinken ließ. »Danke.«
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