Still und heimlich in eine neue Zukunft
Diese Nacht hatte ich kaum geschlafen. Ich war einfach zu aufgeregt, konnte nicht klar denken.
Um acht, so stand es im Brief, sollte ich abgeholt werden. Schon altmodisch, so ne Brieftauben-Post. Wäre es eine Eule gewesen, hätte ich gedacht, das ich nach Hogwarts muss. Wie bei Harry Potter. Dann wäre ich aber nach London gefahren, um den Zug an Gleis 9 ¾ zu nehmen. Aber das wäre ziemlich weit hergeholt...
Heute war ein Samstag. Sehr blöd dafür, mich hier unbemerkt wegzuschaffen. Um sechs, als alle noch schliefen, weckte Mrs Graham mich auf. Sofort war ich wach und hiefte mich lautlos in den Rollstuhl. "Ich wasche jetzt deine Haare!", flüsterte sie und schob mich ins Bad.
Sie wollte meine Haare waschen? Naja, sonst hätte sie mich nicht so früh geweckt. Hatte ich etwa Taubendreck im Haar? Ne, das war ja bei ihr gestern... Bei dem Gedanke, das die Taube Mrs Graham auf den Kopf gemacht hat, musste ich immerzu grinsen.
Naja, sie wusch jetzt meine Haare. Ok, die waren schon ziemlich lang. Damit hatte sie erstmal zu tun...
Als sie damit fertig war, machte sie mir einen langen geflochtenen Zopf, aus dem sie dann einen Dutt machte. Zu aufwendig sollte es nun auch nicht sein, hatte sie gemeint.
Dann holte sie einen Koffer, der niegel-nagel-neu aussah. Dort waren die Klamotten und der Laptop drin. Meine alten Klamotten, sagte sie, hatte sie mit reingelegt. Ok...
Danach zog ich mir vernünftige Sachen an. Ein graues T-Shirt, ne schwarze Hose, wie immer eigentlich. Wieso eigentlich? Die Sachen waren nagelneu. Ne Hose, ohne Löcher! Sowas hatte ich sonst nur beim Wäsche waschen in den Händen...
Danach bewegte ich mich lautlos, ohne einen einzigen Mucks, in die Küche, wo ich mir ursprünglich ein Butterbrot schmieren wollte, was ich aber nicht mehr zu machen brauchte, da Mrs Graham schon welche geschmiert hatte. Oha, wie fürsorglich sie plötzlich war, verrückt...
Vielleicht macht sie das auch nur, um sich JETZT bei mir einzuschleimen, damit ich niemandem über diese Schreckzustände erzähle. Das zieht bei mir aber nicht. Sollte mich jemand fragen, ich schwöre, ich werde alles erzählen, von A bis Z.
In der letzten halben Stunde, die über war, erklärte sie mir den Laptop. Aber ehrlich, ich hatte schon so oft den Laptop von Debbie benutzen dürfen, ich wusste schon, wie alles funktioniert. Aber trotzdem bedankte ich mich dafür.
Um zehn vor acht standen wir dann zusammen am Tor und warteten darauf, das Mrs Hawk, meine neue Direktorin, vorfuhr, um mich abzuholen.
Um kurz vor acht fuhr dann eine Limousine vor. Ehrlich gesagt hatte ich etwas anderes erwartet. Nun stieg eine Frau aus, die ich auf Mitte 40 schätzte. Sie hatte mittelbraune Haare, die ihr bis zu den Hüften reichten und mittelblaue Augen. Sie trug ein rotes Kleid, was mit einem schwarzen Gürtel im Hüftbereich verziert war und bis unter die Knie reichte.
Sie stellte sich als Mrs Hawk vor, meine neue Schulleiterin. Ich fand sie auf Anhieb sympathisch.
"Dann werde ich sie mal in deine schützende Obhut übergeben!", meinte Mrs Graham mit übertriebener Freundlichkeit. Übergeben? Ich kotz gleich!
"Ich danke dir, Melinda", sagte Mrs Hawk, obwohl sie dies mit ziemlich gepresster Stimme tat. Sie schien Mrs Graham ebenso wenig leiden zu können wie ich. Danke schon mal dafür.
Nun stieß ihr Fahrer aus, ein hochgewachsener Mann mit schwarzen Anzug und Sonnenbrille. OK, was geht denn hier ab?
"Setzen Sie bitte Elly ins Auto und laden Ihre restlichen Sachen ein!", sagte Mrs Hawk mit einem leicht beherrschendem Unterton. "Sehr wohl, Miss", antwortete er und hiefte mich aus dem Rollstuhl ins Auto. Danach fing er an, meinen Rollstuhl einzuklappen und zu verstauen, was er mit meinem Koffer auch machte.
Schlussendlich stieg auch Mrs Hawk ins Auto, ebenso wie ihr Fahrer. Mrs Graham winkte nochmal. Doch bevor ich zurückwinken konnte, schloss sie die Tür und das Auto fuhr los. Durch die getönten Scheiben hätte sie mein Rückwinken gar nicht mehr gesehen. Ehrlich gesagt, ich hätte eh nicht zurück gewunken.
Nun würde mir ziemlich mulmig zumute. Erst wusste ich nicht warum, doch das fiel es mir wieder ein. Ich hasste lange Autofahrten, da ich Angst hatte, dass die schlimme Sache, die sich heute vor zehn Jahren ereignet hatte, wiederholte. Ich würde dieses Mal wahrscheinlich nicht so glimpflich davon kommen.
Ich saß sehr angespannt neben Mrs Hawk, die das noch nicht zu merken schien. Würde sie fragen, würde ich es ihr sagen, keine Frage. Aber es würde mir sehr schwer fallen, es ihr so ohne weiteres zu erzählen.
Ich hatte vielen Leuten zu schnell mein vollstes Vertrauen geschenkt, und sie hatten es meistens eiskalt missbraucht. Seitdem überlege ich mir immer zweimal, was ich wem erzähle.
"Ist alles in Ordnung, Elly?", fragte sie und schaute mich besorgt an, "Du bist so angespannt" Ich atmete tief durch, bevor zu erzählen begann...
"Wissen Sie, ich habe in den letzten Jahren eine Menge durch gemacht. Heute vor zehn Jahren habe ich meine Eltern und meinen großen Bruder bei einem schweren Autounfall verloren. Ich habe Angst, dass ich ebenfalls bei solch einem Unfall ums Leben komme", erklärte ich ihr, "ich habe jahrelang in keinem Auto mehr gesessen, nur wegen dieser Angst" "Das tut mir wirklich schrecklich leid, was damals mit deiner Familie passiert ist", sagte sie, "deine Eltern waren so herzensgute Menschen" Sie blickte zu Boden.
Ich jedoch wendete meinen Blick auf die Direktorin. "Sie kannten meine Eltern?", fragte ich sie verblüfft. "Natürlich", sagte sie "jeder Lehrer auf dem Internat kann dir etwas über sie erzählen" "Ich versteh nicht", sagte ich. "Weißt du, die Eltern von unseren Schülern waren auch mal auf diesem Internat, mich eingeschlossen", erklärte sie, "ich bin eine alte Klassenkameradin deines Vaters"
OK, das kam ziemlich unerwartet. Vielleicht erfahre ich noch ein wenig mehr. "Warum musste ich eigentlich so plötzlich auf dieses eine Internat?", fragte ich sie. "Das kann ich dir hier und jetzt noch nicht erklären. Außerhalb des Schulgeländes ist es mir verboten, darüber zu reden", sagte sie ruhig, "da musst du dich noch einen Weile gedulden"
Gedulden? Überhaupt nicht mein Fall, dachte ich. Aber mir blieb wohl nichts anderes als warten übrig.
Nun saß ich angespannt neben meiner Direktorin, immer noch hasste ich Autofahrten UND habe noch mehr Fragen als sowieso schon. Ich wollte sowieso nicht weiter fragen, vorerst, weil ich wusste, dass sie mir hier und jetzt noch keine Antworten geben würde. Naja, warten wir es mal ab. Zeit, sie mal so richtig über meine Eltern auszuquetschen...
"Wie waren meine Eltern denn so?", fragte ich vorsichtig. Hoffentlich würde sie mir Antworten geben. "Dein Vater war immer sehr nett, aber ziemlich zurückhaltend. Immer darauf besonnen, fehlerfrei zu sein, obwohl seine Schwester immer das Gegenteil behauptet hatte. Trauerkloß hatte sie ihn immer genannt", meinte sie mit einem Lächeln, "Deine Mutter dagegen immer ziemlich draufgängerisch. Sie und ihre Freundinnen Samira, Jodie und Mae haben es sich immer zum Spaß gemacht, Leute hinters Licht zu führen. Selbst Direktorin Williams blieb damals nicht verschont" Sie lachte leise, als wären es schöne Erinnerungen an diese Streiche, die meine Mutter mit ihren Freundinnen gespielt hatte. "Naja, jedenfalls hatten beide ihre Macken", fügte sie noch hinzu. Ok, genug Information.
"Was ist aus ihren Freundinnen geworden?", hakte ich weiter nach. Geht mich zwar nichts an, aber wäre mal gut zu wissen...
"Also Jodie war früher schon ziemlich verrückt, die Cousine deines Vaters hatte sich ständig über sie beschwert, vor allem, weil ihr ihr Gelächter ziemlich auf den Keks ging. Soweit ich weiß hat sie eine psychische Störung und lebt seit geraumer Zeit in einer Psychiatrie. Mae ist Chemielehrerin auf einer weiterführenden Schule in Edinburgh und Samira...", fing sie an, kam jedoch ins Stocken, "hatte es nicht leicht, ganz im Gegenteil. Den letzten Kontakt, den ich persönlich zu ihr hatte, war vor zehn Jahren, kurz bevor sie ermordet wurde" Eine Träne kullerte ihr die Wange herunter. Moment was?!?
"Dabei hat sie doch drei Töchter, wovon zwei beim Vater leben. Sie und ihr Lebensgefährte... waren tot, man konnte nichts mehr für sie tun", sagte sie. "Aber, wenn zwei beim Vater leben... Wo ist dann die dritte?", fragte ich vorsichtig. "Die dritte... Sie lebte bei Samira... Glücklicherweise hat sie das Massaker überlebt... Sie lebt im Waisenhaus in Edinburgh, wenn ich mich recht erinnere... Die kleine Samantha müsste inzwischen 13 sein", meinte sie. "Sie meinen Samantha Jones?", fragte ich. Sie nickte kurz. "Ich kenne sie, sie ist meine beste Freundin", sagte ich, "ihr geht es den Umständen entsprechend" "Wie? Den Umständen ansprechend?", fragte sie verwirrt.
Nun war es Zeit, über die scheinbar schöne Zeit im Waisenhaus auszupacken.
"So wie sie Mrs Graham vorhin gesehen haben, so ist sie niemals. Die letzten zehn Jahre waren die Hölle. Während sie auf ihrer faulen Haut lag, mussten wir, vor allen aber ich, die hinfällige Hausarbeit machen. Sie hat uns beleidigt, uns runtergemacht und uns mehrmals Schläge angedroht.", sagte ich. "Melinda hatte es noch nie mit Kindererziehung", antwortete sie, "sie darf ja nicht mal Kontakt zu ihren Kindern haben, weil sie fünf Jahre wegen Kindesmisshandlung im Knast saß" Jetzt war ich diejenige, die große Augen machte.
"Ehrlich?", fragte ich ungläubig. "Ich frage mich tatsächlich, warum diese Ziege deine Heimleitung sein durfte", meinte sie, "normalerweise droht ihr jetzt wegen Widersetzung gegen eine richterliche Anordnung zwei Jahre Haft" "Die gehört in eine Psychiatrie", schmiss ich in den Raum. "Ich sehe das genauso wie du", meinte sie.
Ich ging nun davon aus, dass das Gespräch zu Ende war, weil sie aus dem Fenster schaute, also machte ich es ihr gleich. "Wir sind gleich da", sagte sie, "zehn Minuten noch" Wie schnell die Zeit vergeht, wenn man sich unterhält.
Hoffentlich würde ich gleich endlich Antworten auf meine noch nicht beantworteten Fragen bekommen...
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Heyy Leudis!
Hier ist das neue Kapitel (zugegebenermaßen sehr viel früher als normal, naja ich habe zurzeit seeehr viel Zeit...)
Jetzt mal ehrlich, WAS IST DAS FÜR EIN INTERNAT???
Hättet ihr erwartet, dass Mrs Hawk mehr über Ellys Eltern weiß als sie selbst?
Nun ja, wie seid ihr so ins neue Jahr gekommen?
Habt ihr Vorsätze? Also ich nicht...
Lasst mich wissen, wenn ihr Fragen habt!
Und Voten nicht vergessen!
WeiseEisaura lässt grüßen!
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