Ein seltsames Aufeinandertreffen
(Grayson Owl P.O.V.)
Auf meine Aussage hin schaute sie mich direkt erschrocken an. Ich wusste es, ich hatte bei ihr irgendeine Erinnerung ausgelöst. „Ich dachte, du würdest dich nicht daran erinnern.", hauchte sie. „Wusste nicht, ob ich dich überhaupt darauf ansprechen soll." „Ich auch nicht.", antwortete ich wahrheitsgemäß. „Hatte Angst, dass du irgendwie ausrastest, wenn ich dich auf etwas aus deiner Vergangenheit anspreche."
„Warum sollte ich deswegen ausrasten, wenn du mir dazu 'ne Frage stellst?", fragte sie nun verwirrt. „Ich fange nicht direkt mit einem Vortrag darüber an, wie wenig man Menschen da vertrauen kann." Dann lachte sie.
Ich schaute zu Boden. Sie hatte bei mir einen Nerv getroffen. „Lass mir doch meine Paranoia.", antwortete ich. „Ich habe Gründe dafür." „Wegen der Sache mit Dylan in der Bibliothek?", fragte sie.
Woher zum Teufel weiß sie davon? Bestimmt hat sie irgendwen gefragt. „Wen hast du gefragt?", fragte ich zurück. „Den Schulsprecher.", antwortete sie schlicht. „Ben's Cousin, Derek." „Also wieder mal nur die halbe Geschichte.", meinte ich und verdrehte die Augen. „Genauso die, die alle anderen auch erzählen." Ich stöhnte auf. Ich hatte es satt, dass immer die falsche Geschichte erzählt wird und meine Geschichte, die die wirklich passiert ist, fälschlicherweise als Lüge abgestempelt wird.
„Wie lautet denn die ganze Geschichte dahinter?", fragte sie nun. Sie ließ da echt nicht locker. Sie muss ja schließlich Derek auch gefragt haben. Freiwillig hat er ihr das wahrscheinlich nicht erzählt. „Ich denke, meine Antwort von vorhin hat gereicht, oder nicht?", erwiderte ich und schaute sie an. Sie nickte, blickte aber zu Boden. Hatte ich irgendwas falsches gesagt? Ist sie etwa traurig, dass ich ihr nicht vertraue? Ich vertraue niemanden. Nicht mal ihr. Auch, wenn sie eher vertrauenserweckend ist als so mancher anderer an dieser Schule, die Lehrerschaft eingeschlossen.
(Elly Hampshire P.O.V.)
Warum wollte er denn die wahre Geschichte nicht erzählen? Es bildeten sich Fragezeichen in meinem Kopf. Er vertraute scheinbar niemanden, nicht einmal mir.
Aber warum vertraute er niemanden? War es wegen der Sache mit Dylan? Die waren vorher doch so dick befreundet? Was muss zwischen den beiden vorgefallen sein, dass sie sich jetzt bis aufs Blut hassen? Ich verstehe es nicht!
Und warum will der einzige, der die wahre Geschichte erzählen könnte, nicht einfach auspacken? Die ganze Sache dabei wird mir ehrlich nicht ganz klar.
Plötzlich spürte ich ein leichtes Vibrieren im Rollstuhl. Ich schaute auf den Boden, aber Grayson stand still da. Jemand schien zu kommen. „Da kommt wer.", sagte ich leise. Er schaute mich an und dann zog er sein Handy hervor und schaute darauf. „Scheiße.", fluchte er. „Es ist schon nach neun." Ich schaute ihn verdutzt an, bevor ich es begriff: „Geschlechtersperre.", murmelte ich.
„Ich muss dann.", antwortete Grayson, winkte und verschwand durch die Tür nach draußen, welche hinter ihm ins Schloss fiel. Ich schaute ihm erst nur nach, bis ich realisierte, dass ich Ärger bekommen würde, wenn man mich hier erwischen würde. Ich rollte zur Tür und wollte sie gerade öffnen, aber da kam mir jemand zuvor und riss die Tür auf.
Eine im Vergleich zu meinen Mitschülern kleine Frau, die sich möglicherweise in ihren Vierzigern befand, öffnete die Tür und blickte mich an. Sie besaß schwarze Haare, welche im Ansatz schon eine gräuliche Farbe angenommen hatten, und grüne Augen, wobei das linke so aussah, als wäre die Farbe nicht so ganz natürlich. Ich würde vermuten, dass sie eine Lehrerin war und ich glaube mich zu erinnern, sie heute Morgen mit am Lehrertisch im Speisesaal gesehen zu haben.
Sie räusperte sich und begann zu sprechen: „Ich vermute, dass du Elly Hampshire bist, richtig?" Langsam, aber immer noch erschrocken nickte ich. Woher wusste sie direkt meinen Namen? Dann dämmerte es mir: Rollstuhl.
„Ich gehe davon aus, dass du, durch das viele Durcheinander, das bei dir vorging, noch nicht dazu gekommen bist, die Schulordnung zu lesen, oder?", meinte sie nun, schaute mich weiter an und ich hatte das beklemmende Gefühl, dass ihre grünen Augen mich durchbohrten. „Nein, dazu bin ich tatsächlich nicht gekommen.", meinte ich leise und sah sie schuldig an. Ich glaubte, ein kleines Lächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen und ich merkte, dass sie mich langsam in den Raum zurückdrängte und hinter sich die Tür schloss.
Was hatte sie jetzt vor? Wollte sie mir eine Standpauke halten?
„Nun ja, wollen wir mal ein Auge zudrücken.", meinte sie und lächelte. „Aber auch nur, weil du gerade erst angekommen bist." Ich nickte und atmete erleichtert auf. „Ich dachte, ich bekomme jetzt Ärger deswegen.", meinte ich nach einer kurzen Pause. „Nein du bekommst noch keinen Ärger, nur weil du noch draußen warst, weil du hier neu bist.", antwortete sie darauf. „Ich bin eigentlich aus anderen Gründen hier."
Ich schaute sie interessiert an. „Dir ist bestimmt schon aufgefallen, dass du nicht in dein Zimmer reinkommst ohne zu klopfen, oder?", fragte sie. Ich nickte. „Nun ja, normalerweise bekommen neue Schüler oder Schülerinnen an ihrem ersten Tag direkt ihren Zimmerschlüssel.", erzählte sie, „allerdings hat Mrs Hawk das ärgerlicherweise vergessen. Also bin ich jetzt hier, um dir deinen Schlüssel zu bringen."
Sie steckte ihre Hand in ihre Hosentasche und zog einen Schlüssel hervor. Dieser hing an einem grau-gefärbten Schlüsselanhänger auf dem „Elly H." stand. „Oh dankeschön.", sagte ich und lächelte.
„Und da ich schon mal hier bin und mit dir ein Gespräch führen kann, wollte ich schon mal fragen, wie du dich bisher zurecht findest.", meinte sie „Und ob du vielleicht schon alte Bekannte getroffen hast." „Also bisher finde ich mich hier gut zurecht.", antwortete ich wahrheitsgemäß. „Und ich habe sehr alte Bekannte getroffen, an die ich mich kaum erinnern konnte bis jetzt." „Wen kanntest du denn schon vorher?", fragte die Lehrerin, die sich mir immer noch nicht richtig vorgestellt hatte.
„Nun ja, ich kannte einige Leute schon vorher, unter anderem die, die aus Edinburgh kommen und mit denen ich vorher schon in einer Klasse war, also Ben, Louis und Rose und leider auch Cara, Zara, Cedric und Jeanette.", meinte ich. „Und lustigerweise auch Lola, Christopher und Jessica von früher, als wir noch in Glasgow gelebt haben." Im ihrem Gesicht zeigte sich eine etwas komische Regung, die ich nicht so ganz deuten konnte. Als ob sie Wut auf etwas oder jemanden zurückhalten musste. „Das ist schön zu hören, dass du hier bekannte Gesichter getroffen hast.", meinte sie mit einem Lächeln, was aber leicht verkrampft wirkte. „Oh ich habe Dylan und Grayson vergessen.", meinte ich. „Ich weiß aber nicht ganz genau, woher ich die beiden kenne."
Ihre Augen rissen erschrocken auf. „Wissen die beiden das?", fragte sie. „Dass du sie kennst und dich an sie erinnerst?" „Ob Dylan es weiß, weiß ich nicht.", sagte ich. „Aber Grayson schien sich an mich zu erinnern. Jedenfalls hat er mich eben darauf angesprochen." „Also war er der Schatten, der gerade über den Flur geflitzt ist.", meinte sie mit hochgezogener Augenbraue. „Wir hatten die Zeit nicht im Blick.", sagte ich. „Ich besitze keine Uhr oder ein Handy. Ich habe nur die Schritte auf der Treppe gespürt und Grayson gewarnt, sodass er keinen Ärger bekommt." „Löblich. Echt löblich, dieses Verhalten.", meinte sie, aber auch mit einem Blick, den ich mir nicht erklären konnte.
Sie ist irgendwie komisch und sie hat sich immer noch nicht vorgestellt.
Dann räusperte sie sich. „Nun ja, aber schön zu hören, dass ich du sich bisher gut zurecht findest.", meinte sie. „Und tu mir bitte den Gefallen, und versuch für Grayson eine gute beste Freundin zu werden. Auch wenn einige das nicht gut heißen, einen guten Freund oder eine gute Freundin wären hilfreich für ihn. Du scheinst die einzige zu sein, mit der er klarkommt beziehungsweise die mit ihm klarkommt." „Ok, das ist bestimmt kein Problem.", meinte ich. „Aber ich finde, er hat ein ziemliches Vertrauensproblem." Sie nickte und ich fuhr fort: „Und die Klasse scheint ihn nicht ganz leiden zu können. Aber mir kommt das ein bisschen so vor, als ob sich die anderen gegen ihn verschworen haben oder so."
„Du scheinst gut Ahnung davon zu haben, wie es ist, ausgegrenzt zu werden.", meinte sie. Ich nickte und schaute zu Boden. „Oh tut mir leid, ich wusste das nicht.", meinte sie dann ergriffen. „Man hat mir von den Missständen nichts zukommen lassen. Ich hoffe, dass das hier nicht ganz so schlimm ist und sich deine Situation diesbezüglich bessert." Ich nickte, schaute zu ihr auf und lächelte. „Ich glaube, Mrs Hawk hatte schon mit meinem ehemaligen Direktor telefoniert, wenn mich nicht alles täuscht.", meinte ich. „Gut möglich.", antwortete die Lehrerin. „Aber vielleicht wurde mir das schon erzählt und ich habe es einfach vergessen.", meinte sie und lächelte verlegen. „Ist leider nicht das erste Mal."
Nach einer kleinen Pause räusperte sie sich erneut und fing an sich zu verabschieden. „Na dann, wir sehen uns morgen früh, Elly.", meinte sie dann und machte Anstalten, zu gehen. „Warten Sie!", rief ich und sie drehte sich noch mal um. „Ich glaube, sie haben vergessen, sich vorzustellen."
„Oh entschuldige:", meinte sie verlegen. „Ich bin Mrs Owl und wie es scheint deine neue Klassenlehrerin. Bis morgen dann." Danach war sie aus dem Raum verschwunden.
Und erst als sie auf dem Weg die Treppe runter verschwand, realisierte ich, dass ich gerade mit meiner Tante Jane gesprochen hatte.
(Jane Owl P.O.V.)
Das bedeutete Ärger, aber ganz viel davon!
Wie konnte er es wagen, sich unseren Anweisungen zu widersetzen?! Wir hatten ihm doch ganz klipp und klar gemacht, dass er die Finger davon lassen soll! Er sollte ihre Erinnerungen nicht wachrütteln! Wir hatten es ihm strikt verboten!
Nachdem ich die Treppe human runter gegangen war, sprintete ich zu Claras Büro, um ihr die neugewonnenen Erkenntnisse zu unterbreiten. Ich stürmte in ihr Büro, wobei sie sich erschrak - was mich aufgrund ihrer guten Ohren schon wunderte. Sie hatte noch gesagt, dass sie einige Büroarbeit erledigen wollte, die sie aufgrund ihrer Kopfschmerzen vorhin nicht wahrnehmen konnte.
„Was ist los, Jane?", fragte sie, nachdem sie sich von dem Schrecken erholt hatte. „Er hat sich unseren Anweisungen widersetzt!", antwortete ich wütend. „Er hat Ellys Erinnerungen wachgerüttelt." „Er hat was getan?!", antwortete Clara entsetzt. „Ja, und sie erinnert sich an Dinge vor dem Unfall. Sogar an Grayson und Dylan.", erwiderte ich und ich sah, dass sie davon schlimmer erschrocken war als vorher.
„Er hat mich die ganze Nacht wachgehalten.", sagte Claire. „Er hat in seinem Zimmer wild mit Annabeth diskutiert. Die ganze Nacht lang, sodass sich sogar Graves bei mir beschwert hat." „Graves soll mal den Ball flachhalten.", meinte ich rücksichtslos angesichts von Graves. „Wollen wir ihn jetzt noch zur Rede stellen?", fragte Claire. „Auf jeden Fall!", meinte ich aufgebracht. „Er wird uns noch Rede und Antwort stellen müssen, und zwar hier und jetzt!"
Claire nickte und stand auf. „Worauf warten wir denn noch??", meinte sie. „Der Schlafräuber ist uns Antworten schuldig!" Zusammen verließen wir Claires Büro und begaben uns zu seinem Zimmer.
Dort angekommen öffnete ich die Tür mit einem meiner Universal-Pflanzenschlüsseln und wir erwischten ihn dort. „KÖNNT IHR BEIDE NICHT ANKLOPFEN WIE JEDER NORMALE MENSCH!?", rief er erschrocken. „Ich hätte nackt sein können!!!" „Ann hat doch gestern Nacht auch nicht geklopft.", meinte Claire aufgebracht. „Doch, hat sie.", knurrte er. „Aber ich glaube, sie hätte meine Tür eingetreten, wenn ich sie nicht reingelassen hätte."
„Du bist uns Antworten schuldig.", meinte ich nun ebenso aufgebracht. „Wir haben dir gesagt, dass du das zu unterlassen hast!" „Was meint ihr? Ich verstehe nur Bahnhof.", meinte er verwirrt und zog die Augenbrauen hoch.
„DU HAST ELLY IHRE ERINNERUNGEN WACHGERÜTTELT!!!", schrien Claire und ich aus einem Munde. „Und das findet ihr jetzt erst heraus?", fragte er. „WIESO HAST DU DAS GETAN!?", schrien wir wieder im Chor. „Ich wollte nur, dass sie sich an den Unfall erinnert und weiß, dass Serafina die Schuldige ist! Ich wollte, dass sie bei ihr aufpasst und dass ihr nichts passiert!", rechtfertigte er sich in einem lauten Ton, der jemanden im Nebenzimmer auf den Plan rief.
„Kann ich nicht mal eine Nacht genug Ruhe zum Schlafen haben!?", polterte die Person hinter der Wand.
„Halt die Fresse, Graves!"
–––
Hey Guys,
Auch wenn das letzte Kapitel schon länger her ist, hier ist das neue :)
Ich hoffe, es gefällt euch :D
So und jetzt wieder zu den üblichen Fragen:
Was meint ihr, wann genau wird Grayson ihr vertrauen?
Wird Grayson für das „zu lange draußen sein" noch Ärger bekommen?
Wie wird sich die Situation zwischen Elly und ihrer Tante noch entwickeln?
Und warum war die Schulleitung gegen das „Erinnerungen wachrütteln" und wie genau hat er das eigentlich gemacht?
Nun ja, ich hoffe, dass das nächste Kapitel nicht so lange dauert... Aber versprechen kann ich es nicht.
Und bitte das Voten nicht vergessen! Jeder dieser Sterne bedeutet mir sooooo viel <3
Eisige Grüße von WeiseEisaura
❄️🐧❄️
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