48 - Da ist jemand in unserem Territorium
Was, wenn Schlitzohr keine Lust hatte, die Katzen zu Paul zu bringen?
Was, wenn der Regen ihre Markierungen verwischt und überlagert hatte?
Was, wenn Paul nicht helfen konnte, weil er noch eingesperrt war?
Was, wenn die Dorfpfoten nicht halfen?
Was, wenn die Clankatzen den Dorfpfoten als Hauskätzchen nicht vertrauten?
Was, wenn Mini von einem Monster getötet worden war und sie nun niemand über die Felder führte?
Was, wenn der Storch oder die Hunde sie angriffen?
Was, wenn sie in die Fänge von den West- oder Ostpfoten gerieten?
Was, wenn Caramel und Brandmaus ihnen nicht zum Fluss helfen konnten und die Hexenkatzen sie verhexen würden?
Was, wenn...
Ich mache mir zu viele Gedanken!
Haselpfote schüttelte sich. Sie hatte immer etwas verwirrt zugesehen, wenn Federpfote, Wieselpfote oder Krähenpfote voller Anspannung am Höhleneingang auf irgendein Zeichen warteten. Sie war umhergezogen, glücklich, das Territorium für sich zu haben.
Keine Fliederpfote, kein Grünnase, keine Gelbkralle, keine Efeusturm, die sie anfauchte, weil sie jemanden anstecken könnte. Kein Löwenmähne, der sie bestrafte.
Aber...
Immer wieder, wenn sie sich nicht auf etwas konzentrierte, schweiften ihre Gedanken ab - Sie sah Frostpfotes blaue Augen funkeln, spürte Plätscherpfotes warmen Pelz an ihrer Flanke. Sie hörte Wunschroses sanfte Worte, dachte an das, was sie bei Efeusturm gelernt hatte.
Wann immer sie eine Pflanze sah, dachte sie an Hellpfote. Wann immer sie das Laub betrachtete, erinnerte sie sich an Aalschweif. Wenn sie die Tierspuren im regendurchweichtem Boden sah, dachte sie an Donnerecho.
Sie vermisste sogar ihren Vater, Ginsterkralle, obwohl er nie richtig da war, und die ruhige Art ihrer Freundin Rosenpfote. Sie bangte um Goldstreifs Jungen - ob sie die Reise schadlos überstanden? Vor allem aber machte sie sich Sorgen um Ahornpfote mit seinen Verletzungen und um Kleintatze, die Älteste des Clans und ihre allerbeste Freundin überhaupt.
Ein ungewohnter Geruch riss die kleine gelbbraune Kätzin aus ihren Gedanken. Sie blieb stehen, um zu wittern. Es roch nach nassem Fell...und nach Blut.
Mit geschärften Sinnen, den Körper angespannt, schlich sie weiter, den Blick aufmerksam nach vorn gerichtet. Kein Geräuch drang durch den Nebel, der um sie herumwaberte - wann er wohl zurückgekommen war? Sie wusste es nicht.
Eine Weile, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, stapfte sie lautlos durch dichte, gelblich-hellgraue Nebelschwaden, dann lichteten sie sich. Ihr Blick richtete sich auf die Stelle. Dort lag ein großer Kater, hellbraun, mit schwarzen Tupfen und einem kurzem, geringelten Schweif mit dunkler Spitze.
Da ist jemand in unserem Territorium! dachte Haselpfote entrüstet.
Sein Gesicht wirkte ein wenig eckiger als das einer normalen Katze, er hatte dichte Fellbäusche an de Wangen. Seine Ohren waren mit schwarzen, pinselartigen Fellhaaren gesehen, die nach oben standen. Er hatte breite Pfoten und einen kräftigen Körper.
Der fremde Kater lag auf der Seite, den Kopf auf zwei Pfoten gelegt, und schlief. Sein Schweif zuckte ab und zu, und jedes Mal erschrak Haselpfote, die ihn fasziniert anstarrte. Plötzlich fiel ihr Blick auf etwas anderes - ein runder, tiefroter Fleck direkt neben seiner Flanke. Sie erstarrte.
Blut!
Unfähig, sich zu rühren, starrte sie die Stelle an, bis der Fleck sich auf einmal bewegte, eine helle Unterseite zeigte und dann vom Wind ins nächste Gebüsch getragen wurde.
Ein Blatt! Nur ein Blatt!
Erleichtert stieß Haselpfote die Luft aus, von der sie gar nicht bemerkt hatte, sie angehalten zu haben. Sie fühlte sich ein wenig schwindelig. Noch einmal musterte sie den Fremden, ihr Blick glitt konzentriert über seine Pinselohren, seine Sprenkel, seine dunkle Nase, seine bernsteinfarbenen Augen, seine Pfoten-
Moment, Augen?
Haselpfote zuckte zurück, während sie erschrocken bemerkte, dass der Kater seine dunklen Augen einen Spalt breit geöffnet hatte. Auch sein Schweif lag jetzt ganz still da. Er musterte sie, und sie rat unruhig von einer Pfote auf die andere, weil sie absolut keinen einzigen Gedanken aus seinem Gesicht ablesen konnte.
Der Kater stützte sich auf die Vorderpfoten, und Haselpfote schien es, als hätte sich der seichte Blutgeruch verstärkt. Er musterte die kleine Kätzin von den Ohrenspitzen bis zu den Pfoten.
"Äh...Hallo" murmelte Haselpfote schließlich, als er immer noch nichts gesagt hatte.
Der Fremde legte den Kopf schräg. "Freut mich. Wer bist du denn?" Seine Stimme war tief und kratzig, als hätte er lange nicht gesprochen.
Haselpfote hob das Kinn. "Ich bin Haselpfote aus dem HaselClan! Und du bist in unserem Territorium." behauptete sie.
"Das mag sein." Ihr Gegenüber zuckte unbekümmert mit den Ohren. "Aber ich kann nun mal nicht fort."
"Warum nicht?" Haselpfote versuchte, herausfordernd und streng zu klingen, während ihre Augen vor Neugier leuchteten.
Statt einer Antwort erhob sich der Kater auf die großen Pfoten, und plötzlich wirkte er viel riesiger als vorher, während er den Blick auf sein rechtes Hinterbein freigab - das in einem abartig böse aussehendem Fangeisen mit spitzen Klauen steckte, an denen Blut klebte.
"Oh" machte Haselpfote. "Und das geht nicht ab?"
Der Kater schüttelte den Kopf, das Gewicht vorsichtig auf seine anderen drei Pfoten verlagert. "Ohne Hilfe schaffe ich das nicht."
Haselpfote, die an dem Fremden nichts böses finden konnte, trat einen Schritt näher, um sich das Eisen anzusehen. Da gellte eine Stimme: "Haselpfote! Weg da! Was tust du denn?"
Im gleichen Moment landete Wieselpfote neben ihr und riss sie unsanft zurück. Federpfote erschien wie aus dem Nichts, sie fluchte leise vor sich hin. "Beim SternenClan, so mäusehirnig kann doch keiner sein! Verdammter Fuchsdreck, wenn..."
"Was habt ihr denn?" protestierte Haselpfote, die versuchte, an Wieselpfote vorbeizugelangen. Der schwarzweiße Kater bleckte die Zähne und knurrte den Fremden warnend an. Sein Schweif peitschte über den Boden, während Haselpfotes neuer Bekannter die Schüler mit stoischer Gelassenheit beobachtete.
"Das ist ein Luchs, du Bienenhirn!" zischte Wieselpfote, dessen Ohren unruhig zuckten. "Beim SternenClan, er...er hätte.."
Haselpfote erstarrte. Ein Luchs! Seit wann bin ich zu blöd, um einen Luchs zu erkennen?
"Hey, ist ja gut!" meinte der Luchs plötzlich. Federpfote zuckte zusammen, während Wieselpfote Haselpfote ein Stückchen wegschob. Seine grünen Augen funkelten wie die von Ahornpfote, erfüllt von Mut und Angst.
"Ich tue euch nichts." Der Luchs leckte sich über das dichte Brustfell. "Eigentlich gehöre ich auch gar nicht hierher, und wenn ihr mir helft, bin ich auch gleich wieder weg."
"Aber du hast doch gesagt, du kannst mit dem Dings nicht weg" widersprach Haselpfote trotzig.
Der Luchs schnurrte leise, als würde er die Nervosität der Katzen spüren. "Das stimmt, aber mit genug Kraft und den richtigen Pfoten könnt ihr mir helfen. Glaubt mir, ich will auch keine Probleme."
Wieselpfote warf Haselpfote einen besorgten, unruhigen Blick zu. "Was, wenn er uns hintergeht? Luchse sind viel stärker als wir!"
"Hört zu, ich bin nicht hier, um zu kämpfen. Ich bin nur ein unglücklicher Wanderer." erwiderte der Luchs und wies auf sein gefangenes Bein. "Wenn ihr mir helft, schwöre ich, ich werde euch nichts antun. Okay?" Er betrachtete mit seinen strengen, goldenen Augen die jungen Katzen ganz genau.
Haselpfote fühlte, wie ihr Herz schneller schlug. Die Unsicherheit trotz der Verlockung des Abenteuers und der damit erreichbaren Würde nagte an ihr. Sie stellte sich vor, wie ihr Vater staunen würde, wenn sie es ihm erzählte. Und ihre Geschwister und Kleintatze und Ahornpfote...Aber was, wenn Federpfote trotz ihres übertriebenen Misstrauens recht hatte?
"Ich... ich weiß nicht", murmelt sie. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, spürte sie den eindringlichen Blick des Luchses auf sich.
"Vertraue mir, kleine Kätzin", sagte der Luchs sanft, seine Stimme war hypnotisierend. "Ein guter Krieger hilft den Bedürftigen, und ein Heiler erst recht. Kein Grund zur Angst, ich bin nicht euer Feind."
Ein Krieger...Heiler? Woher weiß er, dass ich Heilerin werden wollte? Haselpfote wich verunsichert zurück.
Federpfote knurrte verächtlich. "Du bist wirklich närrisch, Haselpfote, wenn du glaubst, dieser Luchs hat gute Absichten. Der könnte uns alle in winzige Fellfetzen reißen, wenn er wollte!" Ihre Stimme war scharf wie ein schneidender Grashalm. "Du solltest auf Wieselpfote hören, der hat recht. Lass uns einfach gehen."
"Wenn wir ihm helfen, könnte das dem Clan zugutekommen!" protestierte Haselpfote. Ganz wohl war ihr nicht in ihrem Pelz, aber Federpfotes Worte weckten ihren Trotz.
Wieselpfote knurrte. "Es ist zu riskant! Vor allem bei einen Luchs!"
Federpfote fluchte leise über ihre Naivität, schüttelte den Kopf und murmelte: "Manche lernen es eben auf die harte Tour." Sie schien es aufgegeben zu haben, die HaselClan-Kätzin zu belehren.
Wieselpfote hingegen nicht. Er drängte sich zwischen Haselpfote und den Luchs und funkelte seine Freundin verzweifelt an. Sein schwarzweißes Fell war gesträubt. "Haselpfote, du bist die Jüngste von uns! Ich kann dich das nicht machen lassen." Seine Stimme war fest, und seine grünen Augen glänzten vor Besorgnis. "Wir müssen zusammenhalten und diesen Luchs ignorieren. Was, wenn er uns hintergeht? Federpfote hat recht. Wir sind zu unvorsichtig geworden."
Doch Haselpfote war nun entschlossen, ihr Trotz wurde durch die Worte ihrer Reisegefährten erst recht angestachelt. "Ich kann nicht einfach weggehen, ohne es zu versuchen! Vielleicht hat er wirklich nur Pech gehabt. Uns hätte es doch auch passieren können, oder nicht?" Trotz ihrer aufkeimenden Zweifel nach den Worten ihrer Reisegefährten trat sie einen Schritt näher an den Luchs heran und unterdrückte die misstrauischen Fragen ihres Gewissens.
Der Luchs beobachtete sie mit einer Mischung aus Neugier und Geduld. "Bist du nicht ein wenig arg, arg klein?" fragte er amüsiert.
"Gar nicht!" protestierte Haselpfote und wich etwas zurück, als der Luchs verlockend und leise schnurrte. Doch der Blick in seinen goldenen Augen überzeugte sie. Sie kauerte sich neben das Hinterbein des kräftigen Katers und begann, das Fangeisen genauer zu untersuchen. "Vielleicht könnte ich es öffnen, wenn ich meine Pfoten so drauf setze...oder so..." murmelte sie kozentriert.
Wieselpfote wollte protestieren, doch Haselpfote war bereits ganz auf die Aufgabe versessen. Der Luchs beobachtete sie ruhig. Haselpfote setzte ihre zierlichen Pfoten an eine bestimmte Stelle - klick, schon fiel das gefährliche Ding mit spitzen, blutigen Zähnen ins Gras, als hätte die Erde plötzlich ein Maul, um sie zu verschlingen.
Haselpfote erschauderte, sie wich zurück, während ein irrer Teil ihres Verstandes ihr ein Bild davon zeigte, wie das Eisen auf sie zuglitt und-
Plötzlich sprang der Luchs auf, seine Bewegungen waren geschmeidig, obwohl an seinem Hinterbein noch frisches Blut klebte. Seine Augen blitzten. "Danke, kleine Kätzin! Aber ich bin nicht unversehrt, oh nein!"
Er machte einen Satz nach vorne, und seine Krallen blitzten auf.
Haselpfote quietschte erschrocken und machte einen Sprung zur Seite, Federpfote rief: "Ich habe es doch gesagt!" und rannte den nächsten Baum hinauf, während Wieselpfote zu seiner Clangefährtin hastete und dabei beinahe selbst in das Fangeisen getreten wäre.
Der Luchstrat auf sie zu und blieb stehen. Er lachte. Er lachte sie aus! Empört legte Haselpfote die Ohren an, blieb aber stehen, während Wieselpfote nervös zurückwich. Sie glaubte, den Luchs inzwischen zu kennen, und tatsächlich nickte er wohlwollend und verschwand dann im Nebel zwischen den Bäumen.
Federpfote rutschte den Baumstamm hinunter. "Glaubt ihr, er geht wirklich weg?" fragte sie, un in ihrer Stimme lag ein winziger Hauch von Unsicherheit.
"Ich denke, schon." behauptete Haselpfote optimistisch, dann betrachtete sie das Fangeisen. "Glaubt ihr, wir können das vergraben?"
Wieselpfote scharrte probehalber etwas Erde zur Seite. "Bestimmt. Noch ist der Boden ziemlich weich, wir haben ja noch keine Blattleere."
Haselpfote half ihm, ein kleines Loch zu graben, und es machte ihr sogar Spaß, bis sie sich eine Kralle ausriss und bemerkte, dass sie über und über voller Erdklümpchen war. Da schob Federpfote das Fangeisen aber auch schon in die Kuhle, und zusammen begruben sie es unter dem lockerem Dreck, damit sich so ein Vorfall nicht wiederholen konnte. Der AhornClan sollte schließlich sicher hier entlanggehen können.
Nachdem dies vollzogen war, nahmen die älteren Schüler Haselpfote in ihre Mitte, und die kleine Kätzin ließ es sich erschöpft gefallen. Federpfote schlich achtsam neben ihr her, die Ohren gespitzt, während Wieselpfote beständig das Maul leicht öffnete, um Gerüche besser zu erkennen.
Er war auch der erste, der plötzlich wie angewurzelt stehen blieb, die Augen weit aufgerissen. Federpfote schrak zusammen, als hätte sie etwas gehört, und Haselpfote ärgerte sich unbändig, dass sie im Nebel absolut nichts sehen konnte und nur feuchtes Laub roch.
"Wir gehen nach Osten, auf den Zweibeinerweg." bestimmte Federpfote plötzlich, und so standen sie wenig später auf dem unbefestigtem, steinig-schlammigen Zweibeinerpfad. Haselpfote schaffte es nicht, sich zu konzentrieren, die Gewächse am Waldrand zu ihrer beider Seiten lenkten sie ab. Eine hellgrüne, rankige Pflanze erblühte neben ihr in einem zarten lila-hellblau, eine Wegwarte, wie sie sich erinnerte, und danneben sprossen Pilze in allerlei Braun- und Grautönen aus dem Boden.
Sie dachte sich an ein Gespräch mit Efeusturm, als sie selbst gesagt hatte, es sei schade, dass der HaselClan keine Pilze als Heilmittel benutzte. Haselpfote wollte gerade versuchen, sich an Einzelheiten zu erinnern, da bemerkte sie, wie sich ihre beiden Reisegefährten anspannten. Dieses Mal hörte sie es selbst - dumpfe Rufe, irgendwo vor ihnen im Nebel.
Feiner Sprühregen benetzte ihr Fell. Aufmerksam liefen die Katzen weiter, und Haselpfote glaubte, die bunten Lichter der Zweibeiner irgendwo viel weiter vorn schimmern zu sehen. Die Sonne lag nach wie vor im Nebel verborgen, die kleine Kätzin wusste nicht, ob Sonnenhoch schon vorbei war. Oder eben nicht.
Je weiter sie liefen, desto näher kamen die Rufe. Federpfote und Wieselpfote beschleunigten ihre Schritte, und als sie weit vor ihnen eine dunkle Silhouette, kaum mehr als ein verschwommener Umriss, zu erkennen war, warfen sich die beiden wortlos einen Blick zu - dann jagten sie einfach los.
"Hey!" beschwerte sich Haselpfote und beeilte sich, ihnen zu folgen, bevor der Nebel ihre peitschenden Schweife verschluckte.
Schwer atmend holte sie die Älteren ein und lief in Wieselpfote hinein, als der ruckartig stehen blieb. Sie lugte an ihrem Freund vorbei.
Vor ihnen stand Krähenpfote. Der schwarze Kater rang nach Luft, seine Augen leuchteten wie zwei helle Sonnen.
"Die Clans kommen!" verkündete er.
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