44 - Haselpfote hat Probleme mit Flüssen
Der Aufprall war heftig. Haselpfote wurde die Luft aus den Lungen gedrückt, die kleine Kätzin gurgelte und ruderte mit den Pfoten, während das unbarmherzige Wasser sie mit sich riss.
Hinter ihren Ohren und in ihrer Brust baute sich ein bohrender Schmerz auf, und mit weit aufgerissenen Augen kämpfte sie darum, an die Oberfläche zu kommen. Das eiskalte Wasser hatte ihren Verstand erstarren lassen, sie handelte aus reinen Instinkten.
Plötzlich ging ein heftiger Ruck durch ihren Körper, scharfer Schmerz durchzuckte ihr Genick. Im nächsten Moment war die Schwere des Wassers verschwunden, und sie brach auf irgendetwas hartem zusammen, sog gierig Luft ein und hustete.
"Lebst du noch?" Es dauerte einen Moment, dann konnte Haselpfote in der verschwommenen Umgebung wieder etwas erkennen. Langsam wurde ihr Sichtfeld klarer und sie erkannte, wer vor ihr stand: Federpfote.
Haselpfote starrte sie an, dann setzten sich ihre eingefrorenen Gedanken langsam wieder in Bewegung. "Ja" krächzte sie und hustete einen Schwall Wasser aus. "Wo-wo sind Wieselpfote und Krähenpfote?"
"Die suchen Moorhar." Federpfote knurrte. "Jetzt haben diese Hexen doch noch ihren Spaß mit uns getrieben! Verdammt nochmal, du musst weg vom Wasser. Wenn der Blitz einschlägt, sind wir alle tot. Eulendreck! Fuchsdung! Hoffentlich sind wir hier richtig!" Leise vor sich hinfluchend packte die helle Kätzin Haselpfote am Genick und schleppte sie wie ein Junges durch die Dunkelheit.
Nebelschwaden tanzten vor ihren Augen, und jeder Donner wurde tausendmal wiederholt, als gäbe es ein Echo. Haselpfotes Augenlider wurden schwer, sie zitterte am ganzen Leib, aber jeder Blitz schreckte sie wieder aus dem Schlaf.
Endlich hob Federpfote den Kopf, witterte und folgte dann einer unsichtbaren Spur bis zu einer kleinen Höhle. Dort war es noch dunkler als der Himmel, aber Haselpfote konnte den weißen Pelz ihres Freundes und Krähenpfotes Brustfell schimmern sehen.
Als Federpfote sie auf weiches, trockenes Moos gleiten ließ, überkam Haselpfote die endgültige Müdigkeit und sie ließ sich in einen erholsamen Schlaf sinken.
Stimmen weckten die kleine Kätzin schließlich. Als sie die Augen öffnete, zuckte sie geblendet zurück - helles Sonnenlicht beleuchtete die Höhle, angenehm warm auf ihrem Pelz. Gerüche strömten auf sie ein; Regenduft, der Geruch ihrer Reisegefährten, der Duft von Katzenminze und der Duft von Beute. Instinktiv hob sie den Kopf. Ihr Blick fiel auf eine frische, dicke Maus, an deren Fell noch nasses Gras klebte. Die gelbbraune Kätzin streckte eine Pfote aus und zog sie zu sich.
Als sie ihren bohrenden Hunger fürs erste gestillt hatte, wagte sie einen genaueren Blick auf die neue Umgebung. Sogleich entdeckte sie Federpfote, Wieselpfote und Krähenpfote, die in ein Gespräch vertieft waren - mit einem fremden, gelborangenem Kater, einer roten Kätzin mit orangenem Brustfell und einem gelbbraunem Kater.
Keiner hatte gemerkt, dass die kleine Schülerin sich regte, also versuchte Haselpfote, ruhig zu bleiben. Sie konnte nicht verstehen, was sie sprachen, aber der Gelbbraune sah angespannt aus, und das wirkte nicht gerade beruhigend. Die junge, rote Kätzin langweilte sich eindeutig, sie musste noch eine Schülerin sein.
Bemüht, so leise wie möglich zu sein, kroch Haselpfote näher, bis sie verstand, was gesagt wurde.
"Ich schicke Blitzsprung zurück zum Clan, dann wissen die schon mal Bescheid, und dann kann ich euch selbst führen."
Führen? Wohin denn? Und welcher Clan? ...etwa der WeidenClan?
Wieselpfote legte zustimmend den Kopf schief. "Bist du sicher, dass ihr das Territorium abtreten werdet, Sonnenjäger? Braucht der WeidenClan es nicht selbst?"
Ist das wirklich der WeidenClan? Haben wir es etwa geschafft?
"Nein." antwortete der Gelbe bestimmt, dann wechselte er leise Worte mit dem gelbbraunem Kater - Blitzsprung? - der daraufhin die Höhle verließ.
"Esst noch etwas, dann brechen wir auf." befand Sonnenjäger schließlich. Haselpfote zuckte zusammen, damit hatte sie nicht gerechnet! Sie versuchte, unauffällig zurückzukriechen, aber da lachte Federpfote schon. "Sieh an, du bist wach? Prima, dann müssen wir nicht alles wiederholen."
Die Heilerschülerin trabte zu ihr hinüber und ließ ihren Blick über Haselpfotes Pelz gleiten. "Gut, du hast keine Wunden", sie befühlte ihre Nase, "und auch keine Unterkühlung mehr. Am besten isst du noch etwas und putzt dich dann mal, so kannst du doch nicht vor den WeidenClan treten!"
Haselpfote duckte sich peinlich berührt weg und setzte sich auf das Moos, um sich in ein gründliches Putzen zu vertiefen.
Als die Katzen bereit zum Aufbruch waren, hatte die kleine Kätzin schon einiges über ihren neuen Begleiter erfahren. Sonnenjäger war der zweite Anführer des WeidenClans, der nicht weit weg in einer Hecke lebte. Er, Blitzsprung und Flammenpfote waren Wieselpfote und Krähenpfote nach dem Unwetter über den Weg gelaufen, die ihre Beweggründe gut erklären konnten.
Haselpfote platzte fast vor Spannung - auf dem Weg zum WeidenClan würden sie das neue Territorium durchqueren. Der Himmel war nach wie vor bewölkt, die Luft klamm und kalt. Sie trat wartend von einer Pfote auf die andere, um sich zu wärmen, das dichte Fell gesträubt.
"Können wir?" fragte Krähenpfote, als sich die sechs Katzen vor der Höhle versammelt hatten.
"Ja - los geht's!" Gut gelaunt stapfte Sonnenjäger voran. Haselpfote schnappte sich den Platz schräg hinter ihm, neugierig auf alles, was der Kater über seinen Clan erzählen konnte, den sie nur aus Geschichten kannte.
Sonnenjägers gelbgoldenes Fell war schon dicht und bereit für die Blattleere, der Kater darunter kräftig und jung. Und definitiv wohlgenährt. Was der WeidenClan jetzt wohl für ein Territorium hatte, nach dem Moor? Haselpfote wurde ein wenig melanchonisch, als sie an das alte Territorium dachte.
Hinter sich konnte sie Flammenpfote mit den beiden Katern plaudern hören. Sie sah über die Schulter zurück und begegnete Federpfotes Blick. Die Heilerschülerin trabte mit gespitzten Ohren hinter ihr her, und Haselpfote lud sie mit einem Schweifschnippen ein, nach vorne zu kommen.
Als die Ältere sich tatsächlich zu ihr gesellte, warf Haselpfote einen Blick auf ihre Wunden. Sie waren unter Spinnenweben verborgen, also hatte Federpfote sich wohl doch gekümmert. Erleichtert und erfrischt hob Haselpfote wieder den Kopf und fühlte sich total erwachsen. Eine Sorge weniger!
Neugierig betrachtete sie die Umgebung, genoss die Ruhe, die herrschte. Auch Moorhars Krächzen vermisste sie nicht. Andere Vögel sangen, viel schöner als der Rabe, und am Himmel zog ein Vogelschwarm mit gegabelten Schwänzen vorüber. Die Schwalben flogen weiter. Wurde auch Zeit.
Der Wald um sie herum war ein schöner Laubwald, überall lag goldenes, braunes, rotes und orangenes Laub, das herrlich raschelte. Haselpfote konnte es kaum erwarten, hindurchzustreifen, wenn dann endlich alles dem HaselClan gehören würde. Sonnenjäger folgte stetig einem unsichtbarem Pfad, und wenn Haselpfote ihr Sinn nicht trog, lief er nicht geradeaus.
Als der Wald plötzlich endete und sie unerwartet ihre Pfoten auf einen breiten, steinigen Zweibeinerpfad setzten, wusste die Schülerin auch, wieso. Der Pfad war eine Grenze; auf der Ostseite Laubwald, im Westen standen dunkle, hohe Nadelbäume, bei deren Anblick Federpfote aufgeregt mit dem Schweif schlug.
"Das Territorium ist perfekt!" schwärmte auch Wieselpfote hingerissen. "Und das würdet ihr wirklich abgeben?"
"Sicher." Sonnenjäger schnurrte. "Wisst ihr, wir sind immer noch keine Waldkatzen. Zwar führt nun Lindenstern unseren Clan, aber Wolkenstern lebt noch, als Ältester. Er ist mächtig, und wenn der Wald der Finsternis ihm nicht plötzlich irgendeinen Groll eingeflüstert hat, wird er gar nicht anders können, als zuzustimmen. Die Vorstellung, unsere alten Feinde - ich meine, Verbündeten - wieder in direkter Nachbarschaft zu haben, wird ihn begeistern und auch alle anderen, die eure Clans noch kennen."
"Korallenstern führt den AhornClan sogar noch." gab Federpfote zu bedenken. "Das heißt, sie erkennen sich dann wieder! Und Haferstern ist euch auch nicht unbekannt, oder?"
"Nein, gar nicht!" Flammenpfote hüpfte aufgeregt auf und ab, wie eine flackernde Flamme. "Wir haben ganz viele Geschichten über eure Clans gehört."
"Ist ja wieder gut!" beschwichtigte der zweite Anführer die Schülerin. "Ja, keiner hat unsere drei Clans vergessen. Apropos drei Clans - etwas wird euch nicht gefallen, auf den Großen Versammlungen wird nämlich auch der EisClan auftauchen."
Haselpfote blieb wie angewurzelt stehen, sodass Wieselpfote in sie hineinlief. "Der EisClan? Ich meine...er ist hier?" Die Schülerin wusste nicht, was sie davon halten sollte, dass der legendäre Clan aus den verbotenen Geschichten in der Nähe lebte. Falls er es denn tat.
"Du hast wohl Geschichten gehört? Ja, ist er. Es sind nicht viele Katzen, aber sie leben auf einem Feld hinter der Hecke, unserem Territorium. Deswegen leben wir auch in einer Art zwanghaften Frieden - weil sie, wenn die Zweibeiner mähen, bei uns Unterschlupf suchen müssen."
Haselpfote setzte sich langsam wieder in Bewegung. Sie spürte das Vibrieren in der Luft kaum, während sie weiter hinter dem Kater herlief. Erst, als der Regen erneut einsetzte, wurde sie wieder aus ihren Gedanken gerissen - er war eisig kalt.
Krähenpfote schnappte nach einem Tropfen. "Bah, die Blattleere ist schon so nahe!"
"Was habt ihr denn?" schnurrte Haselpfote mit geschlossenen Augen. "Dann schneit es!" Zwar weckte die Kälte ihre Benommenheit aus dem Fluss und verlangsamte ihre Bewegungen, aber das hätte sie niemals zugegeben.
"Igitt, Schnee ist voll mäusehirnig!" fauchte die WeidenClan-Schülerin hinter ihr. Haselpfote lachte, sie glaubte nicht, dass Flammenpfote schon einmal eine Blattleere erlebt hatte. Dann stolperte sie über Federpfotes Schweif und konzentrierte sich schnell wieder auf den Weg.
Sie hatte es gar nicht gemerkt, aber mittlerweile war ein kurzer Grasstreifen in Sicht gekommen, dahinter lag ein breiter, dicht überwucherter Streifen aus kleinen Bäumen, Büschen und Sträuchern. Sie verließen das Waldgebiet, und Sonnenjäger hielt genau darauf zu.
Haselpfote warf zufällig einen Blick nach Westen - und staunte. Eine große, glatte Wasserfläche breitete sich bs zum Horizont aus, spiegelte die sturmgrauen Wolken. Ein paar scharfkantige, dunkle Felsen versperrten ihren blick, und trotzdem blieb die Kätzin überwältigt stehen.
Wieselpfote lief in sie hinein. "He, was ist los?" fragte der Gefleckte verwirrt.
"Schau mal, da ist Meer!" rief Haselpfote, noch immer überwältigt. "Sonnenjäger, ist da wirklich ein Meer?"
"Keine Ahnung." gab der gelbe Kater zu. "Vielleicht auch ein großer See. Kommt ihr?"
Während Haselpfote den anderen wieder folgte, ging ihr das Meer nicht aus dem Kopf. Weil Flammenpfote gerade das Unglück hatte, neben ihr zu laufen, überhäufte Haselpfote sie mit ihren Gedanken:
"Das Meer ist ja noch schöner als in den Geschichten! Wusstest du, dass nur wegen ihm die Clans im Norden entstanden sind? Die Urahnen der Katzen dort sind mit Schiffen angereist, die in den Klippen untergegangen sind. Die Zweibener sind gestorben, aber die Katzen haben das überlebt und die Clans gegründet! Ob das Meer immer so grau ist? Kleintatze sagt doch, Meerestern hatte seinen Namen von seinen meerblauen Augen..."
Kurz vor der Hecke stolperte die kleine Kätzin schließlich über einen Stock, was sie aus ihrer Schwafelei riss. Flammenpfote nutzte den Augenblick und holte zu Sonnenjäger auf, aber selbst das konnte Haselpfotes Europhie nicht vertreiben, genauso wenig wie der Nieselregen, der ihr dichtes Fell mit winzigen Tröpfchen bedeckte.
Als sie die Schatten unter den Pflanzen betraten, schärfte Sonnenjäger ihnen ein: "Passt auf, dass ihr nicht auf alte Zaunteile tretet." Aufmerksam stakste Haselpfote hinter den WeidenClan-Katzen durch Brombeergestrüpp und Brennesseln, bis ein starker Geruch nach vielen Katzen und Katzenminze sie ablenkte. Haselpfote erinnerte sich an Löwenmähnes Worte - Katzenminze, der Geruch des WeidenClans.
Sie hatten das Lager erreicht.
Überall waren Katzen, wohin die kleine Kätzin auch schaute. Alle wirkten fremd, neugierig, feindsehlig und vor allem misstrauisch. Als Sonnenjäger die vier Reisegefährten an ihnen vorbeiführte, schnappten einige ältere Katzen nach Luft und rissen die Augen auf.
Haselpfote verkniff sich ein Schmunzeln. Sie waren erkannt worden! Der zweite Anführer schritt würdevoll voran, und so führte er sie zu einer großen, grünen Höhle unter zwei wilden Kirschen, die von Efeu, Wein und Brombeeren umrankt wurden. Die schülerin staunte. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Die Pflanzen bildeten eine gemütliche, kleine Höhle, deren Boden mit Moos und Gras bewachsen wurde.
"Das ist Lindensterns Höhle." informierte Sonnenjäger die vier knapp. Haselpfote bemerkte, dass Flammenpfote sich davongestohlen hatte, als dürfe sie den Anführer nicht sehen. Die junge Kätzin tat ihr unerwartet leid, Haselpfote hoffte, sie später unter entspannteren Umständen wiederzusehen.
Im hinteren Schatten der Höhle lag ein dunkelbrauner, juger Kater, die Pfoten unterschlagen. Seine grünen Augen funkelten im Zwielicht, als die Schatten der Katzen auf den Boden vor ihm fielen.
Er erhob sich geschmeidig, und endlich konnte Haselpfote einen Blick auf den nach Katzenminze duftenden Kater erhaschen. Er war unerwartet jung, nicht viel älter als Sonnenjäger, strahlte aber neben Selbstbewusstsein auch Misstrauen und Unruhe aus.
"Wer seid ihr?" Lindenstern schlug unruhig mit dem Schweif.
"War Blitzsprung nicht hier?" erwiderte Sonnenjäger überrascht.
"Doch, klar." Der WeidenClan-Anführer schnippte zerstreut mit den Ohren, dann musterte er die vier Schüler nacheinander aus klargrünen Augen. "Ihr wollt also den Wald als euer Territorium?"
"Unsere Clans, ja. Die Wölfe waren wieder da, und wir mussten weg." ergänzte Federpfote. Wieselpfote neben ihr war still geworden, als könnte er es nicht fassen, einer Katze aus dem verschollenem Clan gegenüberzustehen.
"Das könnt ihr bekommen." entschied Lindenstern einfach. "Der Laub- und Mischwald soll euch gehören, von Donnerweg im Osten zum Meer im Westen, im Norden unsere Hecke, im Süden der Fluss und der Zweibeinerort."
Federpfote legte misstrauisch die Ohren an. "Das klingt zu einfach." widersprach sie. "Wer lebt in diesem Wald? Was sind die Gefahren? Wenn er frei ist, warum lebt ihr dann nicht dort?"
Lindenstern legte verunsichert die Ohren an. "Wir sind Moorkatzen. Wald liegt uns nicht." stellte er klar.
"Klar gibt es Gefahren." mischte Sonnenjäger sich ein. "Die Klippen am Meer sind gefährlich, der Fluss und vor allem die Zweibeiner. Aber nein, dort lebt niemand. Unser Clan ist nur deshalb stark geblieben, weil wir immer wieder Patroullien in die Wälder geschickt haben. Dort ist es sicher."
Lindenstern schlug gereizt mit dem Schweif, als würde er es entweder hassen, dass Sonnenjäger für ihn sprach - oder dass er es selbst nicht konnte.
"Gut." Wieselpfote hatte offenbar beschlossen, auch noch etwas beizutragen. "Dann sollten wir jetzt zurückgehen, wir müssen damit rechnen, dass die Clans bald eintreffen."
Lindenstern hob den Kopf, seine Augen glitzerten hinterlistig.
"Ach, eins wäre da noch..."
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