43 - Moorhar, der Rabe
"Los, weiter!" spornte Federpfote die anderen an, und schnell lösten sie ihre Blicke von den tiefblauen Wolken und trabten den Weg entlang, bis sie ihre Pfoten auf das zweite Hofgelände setzten. Das Zweibeinernest selbst war nur noch eine Ruine, aber auf dem Feld danneben hatten sich gerade acht Katzen versammelt. Wieselpfote, dessen Höflichkeit in der Eile verlorengeganggen war, rief: "He, ihr! Könnt ihr uns helfen?"
Sofort hoben die acht Katzen, darunter vier jüngere, den Kopf. Ein großer, schwarzer Vogel flatterte auf und setzte sich auf einen zerbrochenen Balken. Krähenpfote schnappte nach Luft. "Ein Rabe!"
Die vier älteren Katzen kamen auf sie zu, ein weißer Kater mit schwarzen Hinterbeinen und schwarzem Schweif lachte, als hätte er Krähenpfote gehört. "Das ist Moorhar." informierte er die verwunderten Katzen.
Eine weiße Kätzin mit orangenen Hinterbeinen und orange geringeltem Schweif trat neben ihm. "Wie können wir euch helfen?" fragte sie freundlich, während sich zwei jüngere Kater, etwa vier Monde alt, an ihre Flanken drängten und die Fremdlinge berechnend beäugten, als planten sie bereits irgendetwas. Einer war samtschwarz und hatte nur ein Auge, der andere hatte glattes, schwarzgoldenes Fell.
"Wir suchen jemanden, der uns den Weg über den Fluss zum Wald weisen kann." wiederholte Wieselpfote Federpfote Worte. "Zum WeidenClan, falls euch das etwas sagt."
Die weißorangene Kätzin legte den Kopf schief. "Ja, das sagt mir etwas. Ach, wo bleiben meine Manieren? Ich bin Kaira, das sind Hayles, Mingir und Loki." Nacheinander wies sie erst auf den schwarzweißen Kater und dann auf die beiden Jungen. Dann wandte sie den Kopf und rief die beiden anderen jungen Kätzinnen zu sich, die die Fremdlinge scheu beäugten.
Eine war dunkelbraun mit weißen Mustern und versteckte sich scheu hinter Kairas Schweif, die andere hatte silberhelles Fell. In ihrem Schweif steckten bunt schillernde Federn. "Das sind Rusty und Lorha." stellte Kaira sie freundlich vor. "Und das sind Coon und Shirley." fügte sie mit einem Blick auf die anderen zwei Katzen zu, die sich noch im Hintergrund hielten.
Shirley war eine junge, weiße Kätzin mit einem schwarzen und einem braunen Streifen auf der Stirn, außerdem zierte ein verwaschener Fleck ihre Nase. Coon hatte weißes Fell, sein Schweif und sein Rücken waren jedoch tiefschwarz, als hätte jemand etwas auf ihn draufgelegt.
Fand Haselpfote.
"Freut mich." antwortete Wieselpfote kurz angebunden, ohne sich und seine Begleiter vorzustellen. Haselpfote konnte sein Unbehagen fast riechen.
"Könnt ihr uns nun helfen oder nicht?" wollte Krähenpfote ungeduldig wissen.
"Natürlich. Moorhar wird euch den Weg zeigen, folgt einfach seinem Flug. Beeilt euch allerdings, ich sehe ein großes Unwetter kommen." antwortete Kaira sofort.
"Wann?" fragte Federpfote unruhig.
"Ich gebe euch eine Stunde, maximal zwei. Ihr solltet euch sofort auf den Weg machen." antwortete die zauberkundige Kätzin. Ihre Augen glitzerten. Schnell schaute Haselpfote weg.
"Na dann." Wieselpfote streckte sich und zuckte zusammen, als hätten sich seine Schrammen wieder einmal gemeldet. Moorhar, der Rabe, flatterte auf und drehte undeguldige Kreise über den fünf Katzen.
Als sie sich von den Hofkazzen verabschiedet hatten und ihm folgten, murmelte Willow unwillig: "Müssen wir ausgerechnet einem Raben folgen?" Haselpfote teilte ihre Bedenken, der große schwarze Vogel wurde ihr unheimlich, vor allem, als Federpfote sie entspannt darüber informiere, dass es Raben in ihrer Umgebung gar nicht gab.
"Aber den gibt es doch!" protestierte sie.
"Mäusehirn!" fauchte Federpfote. "Ihn sollte es nicht geben. Das ist ja das komische daran."
Haselpfote grummelte leise als Antwort.
Moorhar führte sie von der Zweibeinersieldung weg, und als sie über eine trockene Wiese liefen, weit und breit nichts als Felder in Sicht und einen langgezogenen Hügel zu ihrer Linken, beschwerte sich Wieselpfote bei ihrem federflügeligem Führer.
"Ist das eine Falle? Ich sehe hier weit und breit keinen Fluss! Wo führt der uns bloß hin?" zeterte er.
Wie erschraken sie, als Moorhar hinabschoss und krächzte: "Nur Geduld, Katzen! Klettert den Hügel hinauf, dann seht ihr die Straße wieder. Bald erreichen wir die Stelle, an der ihr in die Stadt gekommen seid, und von da an ist es nicht mehr weit."
Federpfote stand mit gesträubtem Fell und ungläubig aufgerissenen Augen neben Haselpfote, und auch Wieselpfote sah sehr überrascht aus. Nur Krähenpfote schien das schon erwartet zu haben. Haselpfote wusste nicht, was sie davon halten sollte, dass der Rabe sprechen konnte. Irgendwie hatte sie es ihm bereits zugetraut.
Während ihrem weiteren Weg - tatsächlich hatte Wieselpfote sie einen Blick auf den Donnerweg werfen gelassen, als traue er dem Hexenvogel nicht - sprach jener kein Wort mehr. Haselpfote glaubte bereits, sich das nur eingebildet zu haben, da fragte Federpfote: "Wann ist diese Stunde eigentlich vorbei? Kaira hat uns ja ein Unwetter vorhergesagt..."
Haselpfote erschauderte. Das hatte sie ganz vergessen. Wieselpfote legte die Ohren an. "Keine Ahnung. Wir sollten uns einfach beeilen."
"Gleich werdet ihr Bekannte treffen." versicherte ihnen Moorhar, und das Fell der jüngsten Schülerin prickelte, als sie die ungewohnte Stimme des rabenschwarzen Vogels zum zweiten Mal hörte.
"Bitte nicht die Ostpfoten..." murmelte Willow, und es war das erste Mal seit ihrer Abreise vom Hof, dass sie etwas sagte. Vielleicht schüchterte die Anwesenheit der Clankatzen sie ein - oder die dunklen Wolken, die sich am Himmel zusammenbrauten. Noch immer grollte der Donner, woran sie sich inzwischen fast gewöhnt hatten, nur Haselpfote zuckte manchmal noch zusammen.
Ihr Führer erhob sich mit gewaltigen Flügelschlägen, und bald folgten sie nur noch seiner ungewöhnlich großen, schwarzen Silhouette vor dem grauem Himmel. Auch die Sonne war nur noch ein weißer Fleck.
Nach einer Weile meinte Haselpfote, die Umgebung zu erkennen. Auch Wieselpfote witterte, dann änderte er plötzlich die Richtung und trabte auf dem Hügelkamm entlang. Die anderen folgten ihm.
Haselpfote sah auf die Stadt hinunter und erkannte den Donnerweg wieder, an dem sie Chantal, Caramel und Brandmaus getroffen hatten. Und auch Wieselpfote schien das gemerkt zu haben, er hielt genau darauf zu, während der Hügel unter ihnen flach abfiel und schließlich in einer Senke endete.
Kaum hatten die fünf Katzen eine Pfote auf den Donnerweg gesetzt, raschelte es im Brennesselgesträuch. Fahlgelbe Augen blitzten, dann sprang Caramel heraus, gefolgt von Brandmaus. Die beiden Dorfpfoten begrüßten die Jungkatzen freundlich, nachdem Willow vorgestellt wurde.
"Seid vorsichtig, wenn ihr weiterlauft." riet Brandmaus schließlich. "Ein Sturm zieht auf. Außerdem ist ein Fuchs in der Nähe, Mini hat uns Nachricht von Paul gebracht. Er hat ihn verscheucht, wurde deswegen dann aber von seinen Zweibeinern ein paar Tage eingesperrt, weil er Verletzungen hatte. Und alles deutet darauf hin, dass der Fuchs hierhergekommen ist."
Federpfote stöhnte genervt. "Auch das noch! Da fliehen wir vor Wolfshunden und jetzt ist hier schon wieder ein Fuchs."
"Ach, so schlimm ist das nicht." besänftigte Krähenpfote seine Clangenossin. "Mit dem werden wir schnell fertig."
"Habt ihr denn schon eine Möglichkeit, unsere Clans weitab von dem Zweibeinerort zu den Wäldern zu führen?" fragte Federpfote. Haselpfote erwartete verständnislose Blicke - woher sollten die beiden Straßenkatzen davon denn wissen? - aber Caramel legte nur den Kopf schräg. "Wir sind noch dran." antwortete er, und da verstand die kleine Schülerin, dass sie in wohl ein bisschen sehr in ihre Heilertätigkeit gewesen versunken war. Irgendeiner der anderen musste die beiden schon informiert haben.
Super, fand sie.
Moorhar drehte krähzend einen schwungvollen Kreis über die Köpfe der Katzen. "Wir müssen weiter." erinnerte Wieselpfote die anderen. "Der Tag geht schon zur Neige."
"Geht nur!" schnurrte Caramel. "Viel Glück!"
Und so hörte nur Haselpfote, die als letzte folgte, wie Brandmaus raunte: "Also, ich traue dem Rabe nicht. Die armen Katzen!"
Brandmaus' Sorge erwies sich noch als unbegründet, als sich Willow von den anderen trennte. Mittlerweile schlichen sie am Rand des belebten Zweibeinerortes entlang, während der Himmel mit jedem Pfotenschritt dunkler wurde. Die kleine Straßenkätzin meinte, ab hier würde sie sich schon auskennen, und die Clankatzen sollten ruhig weiterziehen, sie käme zurecht.
Wieselpfote stimmte ihr zu, und so gingen sie weiter ihrer Wege. Haselpfote fand es schade, dass Willow sich nicht dem Clan anschließen wollte, aber sie wusste ja, dass es ihre Entscheidung war.
Und endlich, endlich bog Moorhar in Richtung Süden ab und die Jungkatzen setzten ihre foten wieder auf altes, trockenes Gras, die Stadt nun im Rücken. Alle seufzten auf, nur Federpfote nicht. Etwas, das Haselpfote natürlich nicht entgehen konnte. Sie gesellte sich zu der cremefarbenen Schülerin.
"Alles in- Was hast du denn gemacht?!" Entsetzt blieb Haselpfote stehen, den Blick auf die Wunden der Heilerschülerin gerichtet. Sie hatten sich bösartig entzündet. Der jungen Kätzin war schleierhaft, wie Federpfote das bloß vor ihnen verbergen konnte. "Federpfote! Da muss sofort Brennessel drauf! Oder Ringelblume! Warum hast du denn nichts gesagt?!"
Die helle Kätzin fauchte und peitschte mit dem Schweif, verfolgt von den verwunderten Blicken der beiden Kater. Moorhar währenddessen flatterte über ihnen und krächzte, irritiert vom Innehalten der anderen. "Wenn wir jetzt nicht aufbrechen, erreichen wir den Fluss nicht rechtzeitig!"
"Ihr habt ihn gehört!" fauchte Federpfote. "Worauf wartet ihr? Wir haben keine Zeit mehr!"
"Doch!" protestierte Haselpfote. "Das muss behandelt werden! Brennessel, Ringelblume... irgendetwas!" Sie begann, nach Kräutern zu suchen, und wollte die Wunden genauer in Augenschein nehmen.
"Pfoten weg, du erbärmliches Stück Dreck einer Möchtegernheilerin!" schrie Federpfote erbost. "Ich kann mich selbst heilen!"
"Schluss, Haselpfote." knurrte Wieselpfote nervös. "Wir gehen weiter. Wenn sie keine Hilfe will, bekommt sie eben keine."
"Aber..." Haselpfotes kläglicher Protest ging in einem lauten Donner unter. Die Katzen zuckten zusammen. Grelles Licht blendete sie, es knallte, dann erbebte die Erde erneut unter einem rollenden Donner.
"Der Blitz hat eingeschlagen!" schrie Wieselpfote über den Lärm. Erschrocken sah Haselpfote sich um, den Gestank von ihrem Erlebnis mit dem Stromzaun wieder in der Nase, aber kein Feuer war in Sicht.
Sie konnte Moorhar nicht sehen, aber sie hörte ihn rufen: "Zum Fluss! Dannach seid ihr sicher." Schnell stolperte die Kätzin in die Richtung der anderen, während in ihren Ohren noch der Donner wiederhallte. Erste Regentropfen prasselten auf sie herab, hart wie unbarmherzige Klauen.
Mittlerweile war ihr Misstrauen verschwunden - zu oft waren sie von anderen abhängig gewesen, ohne die sie die Reise nicht geschafft hätten. Schlitzohr, Paul, die Dorfpfoten, Mini, Caramel und Brandmaus, Chantal, Willow, Lionel...und nun die Hexenkatzen und ihr Rabe.
Moorhar führte sie zu einem breiten, dunklen Strom, in dem sich das flackernde Licht der Blitze glitzernd brach. Verzweifelt starrten die Katzen auf das weit entfernte Ufer, das sich in der Dunkelheit verlor. "Wie sollen wir da rüberkommen?" fauchte Federpfote.
"Hier entlang!" Moorhar - Haselpfote erahnte manchmal seine flatternde Silhouette, wenn ein Blitz hinter ihm den Himmel entzweite - lockte die Schüler zu einem abschüssigen Teil der Bucht. Als Haselpfote ihre waldfarbenen Augen anstrengte, sah sie, dass sich das strömende Wasser an runden Felsen brach, die eine gerade Linie durch den Fluss bildeten.
Die Luft vibirierte. "Los, rüber!" schimpfte der Rabe. "Wenn der Regen erst einmal richtig anfängt, werden die Trittsteine überschwemmt!"
Einen Donnerschlag lang sahen sich die Katzen an, ihre Gesichter vom Blitz erhellt. Dann trat Krähenpfote vor, verschmolzen mit der Finsternis, und setzte als erster seine Pfoten auf die rutschigen Steine.
Haselpfote bangte, aber der AhornClan-Schüler sprang sicheren Schrittes von Stein zu stein, bis er im Nebel verschwand, der nun das gegenüberliegende Ufer verbarg.
"Der nächste!" kommandierte Moorhar und machte klackernde Geräuche mit seinem Schnabel, was sich unheimlich mit dem Donner vermischte. Mittlerweile schwoll der Regenklang an, bis sein Prasseln sogar den Donner übertönte. Wieselpfote wagte sich als nächster auf die Steine. Er rutschte einige Male, aber auch er schaffte es in den Nebel hinein, ohne ins Wasser zu fallen.
"Jetzt du!" schrie Federpfote gegen den rollenden Donner. Haselpfote bemerkte, dass sich das Regenwasser auf ihrem Fell mit frischem Blut vermengte, als wäre eine der Wunden aufgerissen. Beide Kätzinnen standen sich gegenüber, klatschnass, mit triefendem, klammen Fell, eine groß, eine klein, während der Blitz ihre Augen zu kleinen Monden erhellte, bevor er in der Nacht verblasste.
Haselpfote wagte nicht, zu wiedersprechen. Widerstrebend setzte sie ihre Pfoten auf die rutschigen, glatten Steine, während der dunkle Fluss um sie herum brüllte. Alles erinnerte sie heftig an ihr Erlebnis nach der Großen Versammlung, aber sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.
Sie hörte Federpfote hinter sich, die mühsam versuchte, keinen Ton von sich zu geben, während sie über die Steine schlitterte. Moorhar krächzte triumphierend - und dann kam die erste Welle.
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