40 - Storch, erwache!
Gleich darauf krachten Zweige, dann brach Krähenpfote zwischen den kahlen Zweigen hervor und sank auf dem dicken Ast zwischen den Schülern zusammen. Blut rann über seinen Pelz, von einer tiefen Wunde an der Schulter. Auch am Schweif war er nicht verschont geblieben.
Federpfote beugte sich über ihn. "Ich brauche dringend Spinnenweben und Kräuter!" murmelte sie. "Sind die Hunde noch da?"
Haselpfote witterte. Ein stechender Geruch, eine Mischung aus ihrer eigenen Angst und dem Gestank der Hunde, drang ihr in die Nase.
Wieselpfote starrte mit weit aufgerissenen Augen an ihr vorbei. Eilig folgte die Kätzin seinem Blick und sah mit an, wie der Storch sich regte.
"Krähenpfote muss ihn geweckt haben!" flüsterte Wieselpfote panisch.
Ein wütendes Klappern zerriss die Stille, als der Storch erwachte und mit den Flügeln schlug. Ein plötzlicher Windstoß fegte durch die Baumkrone und riss Haselpfote beinahe vom Ast.
"Oh nein! Was habt ihr gemacht?" quietschte Federpfote schrill, während sie angsterfüllt zurückwich. Der Storch, völlig aufgebracht, sah auf die kleinen Katzen herab. Sein imposanter, scharfer Schnabel öffnete sich bedrohlich, während er seine scharfen Augen auf die jungen Katzen richtete.
Die Katzen waren wie gelähmt. Krähenpfote, der sich wankend aufgerichtet hatte und ohnehin mutig war, hatte nun die Aufmerksamkeit des riesigen Vogels auf sich gezogen. Der Storch schien nicht gewillt, diese Beleidigung einfach hinzunehmen. Mit einem raschen Hieb seines Schnabels versuchte er, Wieselpfote zu erwischen, der nur knapp ausweichen konnte.
Dann richtete der Vogel sich zur vollen Größe aus und alles geschah wie auf einmal. Er schlug mit den riesigen Flügeln und fegte Wieselpfote vom Ast, bohrte die Klauen seiner langen Beine in Federpfotes Flanken und hackte nach Krähenpfotes ohnehin verletzter Schulter. Panik brach aus, Federpfote schrie und wand sich, während Krähenpfote zusammenbrach, den Halt verlor und ebenfalls stürzte. Blut besprenkelte die kahlen Äste. Haselpfote duckte sich tief, aber selbst die kleinste Kätzin entging den scharfen Augen des Storches nicht.
Federpfote versuchte, den Storch zu verletzen, indem sie ihre Fänge in sein Bein grub, aber der Storch schüttelte sie ab. Er hackte mit dem Schnabel nach der jungeren Kätzin. Haselpfote schrie auf, dann konnte sie sich nicht mehr halten. Ihre kleinen Krallen glitten an der Rinde ab, während sie verzweifelt versuchte, Halt zu finden. Dann rutschte sie endgültig weg - und plötzlich war da nichts mehr.
Äste zersplitterten, Zweige bohrten sich in ihre Flanken und zerrissen ihr Fell, während sie stürzte. Schließlich landete sie unsanft auf dem trockenem Gras, zwar auf allen vier Pfoten, aber ein scharfer Schmerz jagte so unsanft durch ihren Körper, dass sie erschöpft zusammenbrach.
"Steh auf! Er kommt!" Träge hob Haselpfote den Kopf und sah in Wieselpfotes Augen. Seine Pupillen waren riesig vor Panik.
"Wer kommt?" murmelte sie benommen. Wieselpfote zerrte sie unsanft auf die Pfoten und riss sie damit aus ihrer Trägheit. Ihre Ballen brannten wie Feuer. "Hey!"
"Der Storch ist uns gefolgt!" zischte er warnend.
Haselpfote schüttelte den letzten Rest Trägheit ab. "Wo sind die anderen?"
"Da!" Wieselpfote wies mit der Schnauze auf den Donnerweg. Krähenpfote lag dort, auf der Seite, und Federpfote kauerte neben ihm.
"Was machen sie denn? Sie müssen da weg!" rief Haselpfote entsetzt. Sie wollte zu den AhornClan-Schülern stürzen und ihnen helfen - Krähenpfote hatte ja immerhin die Hunde für sie aufgehalten - allerdings hörte sie da schon das Schlagen riesiger Flügel, dann landete der Storch vor ihr und trennte die beiden von ihren Reisegefährten.
"Ich lenke ihn ab!" wisperte Wieselpfote. "Du musst dich um Krähenpfote und Federpfote kümmern!"
Haselpfotes Gedanken jagten. Wieselpfote kann das doch viel besser, ich komme mit denen nicht klar! Oh, wahrscheinlich traut er mir nicht zu, den Storch abzulenken. Pah!
Wieselpfote ließ sich nicht zu einer Disskussion herab, er sprang auf den Storch zu und riss ihm eine Feder aus dem Flügel. Der scharfe Schnabel kappte ihm dafür einige Schnurrhaare.
Haselpfote fühlte, wie das Adrenalin durch ihren Körper rauschte. Der Storch war ein unberechenbarer Gegner, und sie wusste, dass sie jetzt handeln musste. Auch wenn ihre Pfoten weich und voller Angst waren, war die Entscheidung klar. Sie musste tun, was sie konnte.
In der Nähe hörte sie Monster und Hundegebell, und das erinnerte sie daran, dass die Zeit drängte. Während der Storch seine Aufmerksamkeit weiterhin auf Wieselpfote richtete, nutzte Haselpfote die Gelegenheit, um zu den AhornClan-Schülern zu sprinten. Die Straße war unter Krähenpfote blutbefleckt, und auch aus den tiefen Wunden, die die Klauen des Storches in Federpfotes Flanken hinterlassen hatten, sickerte stetig Blut.
"Los, wir müssen weg hier!" drängte sie. Federpfote legte die Ohren an. "Denkst du, ich weiß das nicht?" fauchte sie verzweifelt. "Krähenpfote ist bewusstlos! Wenn du mir helfen würdest, ihn zu tragen, wäre das hilfreicher als dein sinnloses Gelaber."
Haselpfote knurrte leise und versuchte, sich einzureden, dass Federpfote eben geschockt war. Gemeinsam mit der älteren Kätzin schaffte sie es, den schweren Kater hochzuhieven und an den Rand des Donnerweges zu tragen. Weiter kamen sie es nicht.
Federpfote flüsterte ihrem Clangenosse schnurrend etwas zu, das Haselpfote nicht verstand. Dann rüttelte sie an dem schwarzen Kater. "Krähenpfote, wach auf! Wir müssen weg hier!"
Krähenpfote stöhnte schmerzerfüllt, dann öffnete er die Augen. Sie blitzten vor Schmerz, aber er nickte angestrengt. "Gib mir einen Moment... ich kann es versuchen..." murmelte er, während er sich mühsam aufrappelte und die Zähne zusammenbiss. Schließlich stand er schwankend zwischen den Kätzinnen. Federpfote begann sofort, seine Wunden zu untersuchen, während Haselpfote hin- und herlief, um einen Blick auf Wieselpfote zu erhaschen.
Dieser schwang sich wieder zu dem Ast, auf dem der Storch sein Nest hatte, um einen besseren Blick auf die Umgebung zu bekommen. "Ich lenke ihn ab! Ihr müsst weiterlaufen, bis ihr den Waldrand seht! Dann könnt ihr euch im Maisfeld verstecken!" rief er, während er mit seinen Pfoten auf den Baumstamm hämmerte und fauchte, um die Aufmerksamkeit des Vogels auf sich zu ziehen.
"Schafft ihr das allein?" fragte Haselpfote hastig. Wieselpfotes Verhalten erinnerte sie schmerzhaft an Ahornpfote, und sie wollte nicht, dass wieder einer ihrer Freunde schlimm verletzt wurde, um ihr zu helfen.
Federpfote nickte abwesend, dann stützte sie Krähenpfote und half ihm, dem Rand des Donnerweges zu folgen. Haselpfote lief über ebenjenen und stürzte sich dann von hinten auf den Storch, der gerade mit den Flügeln schlug, um Wieselpfote vom Baum zu werfen.
Der Storch, verwirrt von Haselpfotes plötzlichem Angriff, drehte sich zu ihr um und hob seinen Schnabel, gewillt, den frechen Eindringling zu fangen. Haselpfote riss ihm Federn aus und beobachtete, wie Wieselpfote von dem Ast sprang und um den Storch herumrannte, damit er von seiner Freundin abgelenkt wurde.
Haselpfote währenddessen flüchtete auf den untersten Zweig und beobachtete, wie Federpfote und Krähenpfote sich den Donnerweg hinaufkämpften. Sie konnte auch den Waldrand sehen, von dem Wieselpfote gesprochen hatte, und das Feld dahinter, das sehr unübersichtlich aussah. Es war wirklich eine gute Lösung. Nur mussten sie erstmal alle dort ankommen.
Einer plötzlichen Idee folgend, sprang sie wieder zu Wieselpfote hinunter und rief ihm zu: "Wir müssen einfach auch zum Feld laufen! Vielleicht entfernt sich der Storch ja nicht so weit von seinem Nest."
"Gute Idee!" rief Wieselpfote und duckte sich unter einem Flügelschlag weg. Dann sah er abwartend zu ihr hinauf. Haselpfote versuchte, alle Gedanken wie "SternenClan, das ist dov h zu hoch!" erneut zu verbannen und sprang dann auf den Boden, nicht viel sanfter als vorher. Schnell sprintete sie an dem Storch vorbei und schloss zu ihrem Freund auf. Sie rannten zum Donnerweg und folgten dann ihren Reisegefährten.
"Es funktioniert nicht!" stellte Wieselpfote fest, als sie Flügelschlagen über sich hörten. Die beiden schüler rannten noch schneller. Jeder Atemzug stach Haselpfote wie eine enorme Klaue in die Seite, aber schließlich schossen sie an dem letzten Haus vorbei und mitten in das Feld hinein. Die Maispflanzen waren viel höher, als sie ausgesehen hatten, und Haselpfote verlor sofort die Orientierung.
Der Storch, nun wütend, seine Beute nicht mehr sehen zu können, schlug verwirrt mit seinen Flügeln in der Luft, während das Geschrei und Schlagen seiner Flügel die Maispflanzen erzittern ließ.
"Wieso sind wir nicht einfach nach Hause gelaufen?" bedauerte Haselpfote. Ihre Beine zitterten vor Erschöpfung, und sie atmete so schnell, dass ihr Sichtfeld flimmerte.
"Weil wir unseren Clan und unsere Reisegefährten nicht im Stich lassen können" erwiderte Wieselpfote hechelnd, die Augen noch immer weit aufgerissen.
"Und wie finden wir die jetzt?" fragte Haselpfote erschöpft.
"Witterung." Wieselpfote verharrte einen Moment, wie um seine Kräfte zu sammeln, dann reckte er den Kopf und verfolgte eine unsichtbare Spur zwischen den hohen, scharfblättrigen Pflanzen hindurch. Haselpfote beeilte sich, den Anschluss nicht zu verlieren.
Schließlich erkannte sie den Geruch selbst - es roch nach den AhornClan-Schülern, mit denen sie schon drei Tage unterwegs war, nach Blut und einer fremden Katze. Oder waren es zwei?
Gleich darauf erreichten sie eine freie Lichtung zwischen den hohen Pflanzen. Krähenpfote lag dort auf dem trockenem, rissigen Boden, gebettet auf ein paar wenigen verkümmerten Pflänzchen. Federpfote kauerte neben ihm und war konzentriert damit beschäftigt, eine Kräuterpaste auf seiner Schulterwunde aufzutragen. Ihre eigenen Wunden sahen genauso schrecklich aus wie vorher, nur bluteten sie kaum noch.
Woher hat sie denn den Ampfer? fragte sich Haselpfote, doch die Antwort stand schon vor ihr - in Form einer kleinen, hellen, graubraunen Kätzin mit leichtem Muster und schmalen, hellgrünen Augen, deren Form sie sehr anders wirken ließen. Neben ihr standen zwei gleichalte Katzen, ein flauschiger, dunkelbrauner Kater mit breiten, schwarzen Streifen und eine Kätzin mit demselben Muster, die offenbar gerade im Begriff waren, zu gehen. "Oh, wir haben Besuch." meinte sie aufmerksam.
"Wer seid ihr?" knurrte Wieselpfote feindsehlig, und auch Haselpfote versuchte, sich auf einen Kampf einzustellen.
"Ich bin Mini, und das ist meine Freundin Kätzchen und ihr Bruder Katzi." erwiderte die schmaläugige freundlich. Haselpfote entspannte sich wieder. Mini hatte jemand von den Dorfpfoten erwähnt - Paul, glaubte sie. Jedenfalls waren das nicht ihre Feinde. Wieselpfote sah aber nicht so überzeugt aus.
"Wir müssen jetzt gehen." entschuldigte sich Kätzchen. "Unsere Zweibeiner suchen sonst noch nach uns." Katzi nickte zustimmend. Er schien sich unter den wilden Katzen nicht sehr wohlzufühlen.
"Geht nur." schnurrte Mini. "Es passiert schon nichts. Es sei denn, ihr seid nicht Wieselpfote und Haselpfote, wie der Hühnerwächter gesagt hat?"
"Doch, das sind wir." antwortete Haselpfote und setzte sich. Wieselpfote ließ sich ebenfalls nieder, hatte die Ohren aber noch immer wachsam gespitzt. "Es riecht nach Fuchs." bemerkte er.
"Ja, ich weiß." antwortete Mini unbekümmert. "Er schleicht hier im Feld herum. Wenn eure Freunde hier fertig sind, gehen wir über die Straße ins Getreidefeld, das ist sicher, und ihr könnt trotzdem noch drübergucken."
Das klang gut, fand Haselpfote.
"Weißt du denn, wie wir hier herauskommen?" wollte Federpfote wissen.
"Natürlich." Mini putzte sich gleichgültig die Pfote. Plötzlich hielt sie inne. Ihr Schweif zuckte, ihre Ohren waren nach vorn gespitzt. Sie erhob sich auf die Hinterbeine, die Vorderpfoten dicht am Körper, dann sprang sie plötzlich schnell nach vorn. Eine braune Feldmaus fiepste unter ihren Pfoten, und die Kätzin erlegte sie mit einem geübten Biss. Eine Jagdtechnik, die Haselpfote noch nie gesehen hatte.
Weil Mini offenbar nicht daran dachte, etwas abzugeben, umrundete die Schülerin die Lichtung und versuchte, eine hellgrau-weiße Taube zu belauern, aber Mini hielt sie zurück. "Nicht, das ist eine Taube aus der Schar von Zweibeinern." wisperte sie, um den Vogel nicht zu erschrecken. "Es gibt Gerüchte, was mit Katzen passiert, die sie fangen, und deswegen würde ich es dir nicht raten, es ihnen gleichzutun."
"Schade." Haselpfote versuchte, ihr unwohl aufgestelltes Fell zu glätten und ließ die Taube ziehen.
"Du kansnt meine Maus haben." bot Mini an, und dankbar verschlang Haselpfote die warme Beute.
"Ist die Sonne eigentlich schon untergegangen?" fragte Wieselpfote.
"Nein, noch lange nicht. Und das Wetter sieht auch gut aus, nur ein paar tiefblaue Wolken, aber die sind schon länger da und machen nichts." erwiderte Mini ruhig. "Ruht euch aus, ihr seht aus, als bräuchtet ihr das."
Das ließ Haselpfote sich nicht zweimal sagen. Sie rollte sich auf einem kleinen Pflanzenbüschel zusammen, legte den Kopf auf die Pfoten und zack, war sie weg.
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