32 - Sonne
Während Haselpfote darüber sinnierte, was mit Ginsterkralle los sein mochte, brannte die Sonne auf die Pelze der Katzen. Der Pfad, dem sie folgten, wurde breiter und wich schließlich einem groben Zweibeinerweg aus flachen Steinen. Wieselpfote blieb stehen und Haselpfote wäre beinahe in ihn hineingelaufen.
"Sollten wir den Weg nicht besser verlassen?" fragte der schwarzweiß gefleckte Kater nervös. "Er ist von Zweibeinern gemacht."
"Nein, wir folgen ihm weiter." entgegnete Federpfote und wies auf den Weg vor ihnen, der sich schnurgerade in die Richtung bewegte, die sie anstrebten. Die Sonne würde ihren Zenit bald erreichen.
"Sicher, dass wir hier die Katze treffen, die uns weiter führen soll?" wagte Haselpfote, einzuwenden.
"Du musst es ja wissen." höhnte Federpfote, und Haselpfote fauchte leise. Mit beleidigt angelegten Ohren musterte sie die Flächen, die den Weg umgaben. Im Osten befand sich ein trockenes Feld voller Erdbrocken, teilweiße aufgerissen vor lauter Dürre. Im Westen lag eine Wiese, die seltsam kurz aussah. Es roch verbrannt wie damals, als der Blitz im Lager eingeschlagen hatte.
"Mir gefällt es hier nicht." gab auch Federpfote zu. "Aber der Weg ist der beste Weg, nach Süden zu gehen, ohne sich zu verlaufen. He, wo ist eigentlich Krähenpfote?"
Alle fuhren herum und starrten zurück. Haselpfote seufzte erleichtert, als sie den schwarzen Kater wiederfand, nicht dass sie ihn mochte, aber einen Reisegefährten zu vergessen wäre ja blöd, aber Federpfote sah angespannt und unruhig aus. Krähenpfote hechelte und japste, und sein Gang wirkte aus der Nähe ziemlich schwankend, und kaum hatte er sie erreicht, brach er ohne ein Wort zusammen. Haselpfote starrte erschrocken auf seinen Pelz, während die Sonne ihr glühende Hitze durch den Körper jagte.
"Wieselpfote, gibt es hier irgendwo Schatten?" fragte Federpfote, die Heilerschülerin, konzentriert, während sie sich die ziemlich verwelkten Reisekräuter von der Pfote wickelte. "Ich glaube, er hat einen Sonnenstich." Wieselpfote lief eifrig voraus und kam wenig später zurück. "Da vorn wächst ein kleiner Busch, der spendet Schatten." berichtete er. Federpfote nickte ihm zu, dann wandte sie sich an Haselpfote. "He, du, hilf mir mal, ihn zu tragen."
Haselpfote zuckte zusammen. Eilig half sie, Krähenpfote in den Schatten zu bringen. Wieselpfote hatte den Busch inzwischen markiert, in dem er sich daran gerieben hatte. Das Fell des schwarzen Katers war unvorstellbar heiß, es musste die Sonne richtig angezogen haben. Als der AhornClan-Schüler wenig später im Schatten lag, schickte Federpfote Wieselpfote auf Jagd und Haselpfote auf die Suche nach Mutterkraut.
"Das Kraut wächst auf Wiesen und hat ähnliche Blüten wie Kamille, riecht aber scharf..."
"Ich weiß!" unterbrach Haselpfote die arrogante Kätzin zornig, dann zog sie das Bündel ihrer Reisekräuter, das sie nur behindern würde, von ihrer Pfote herunter und sprang wortlos davon.
Die Wiese sah unendlich trostlos aus. Das Gras war bei genauerer Betrachtung gelb und trocken, große Erdflecken schauten hervor. Wer auch immer das Gras so kurz geschnitten hatte, der musste echt keine Ahnung haben oder die armen Pflanzen hassen. Wenn Hellpfote das gesehen hätte! Mitfühlend strich Haselpfote über die armseligen Halme, dann machte sie sich auf die Suche nach den ihr wohlbekannten Blättern.
Sie musste fast die gesamte Wiese überqueren, das Kraut fand sie erst, als sie auf höheres, wildes Gras stieß, das irgendwas zu verbergen schien. Dort war es angenehm kühl und schattig, und ihr stieg der Duft von Wasser in die Nase. Mit einem Büschel Mutterkrut im Maul stapfte sie raschelnd durch die Wiese, bis plötzlich kein Boden mehr unter ihren Pfoten war, nur noch krümelig-lockerer Sand. Strampelnd zog sie die Pfoten zurück, dann lugte sie neugierig durch das Gras.
Vor ihr erstreckte sich eine große Wasserfläche, umrahmt von Bäumen, Schilf und hohem Gras. Haselpfote jauchzte verzückt, suchte nach einer passenden Stelle und trank ausgiebig das wohlschmeckende Wasser, bevor sie sich abgekühlt auf den Weg zurück machte, allerdings nicht, ohne einen kleinen Moosfetzen mit Wasser mitzunehmen.
Hochkonzentriert darauf, ihn nicht fallen zu lassen, kam sie wieder bei ihren Reisegefährten an, die gerade an den Resten eines Kaninchens nagten, selbst Krähenpfote, der ziemlich elend aussah. Haselpfote ließ das Moos fallen und reichte Federpfote das Kraut. "Hier. Ich habe einen See gefunden!" erklärte sie stolz.
"Ein See? Sicher, dass du dir das in der Hitze nicht eingebildet hast?" argwöhnte Federpfote, während sie Krähenpfote das Wasser ins Maul räufelte, der die Behandlung widerwillig über sich ergehen ließ. Dannach musste der schweigsame Schüler die Blätter essen.
"Sicher!" entgegnete Haselpfote. "Ich kann es euch zeigen!"
"Eigentlich ist das keine schlechte Idee..." überlegte Wieselpfote. "Wir könnten im Schatten warten, bis es kühler wird, und dann in der Dämmerung reisen. Dann ist es nicht so warm. Außerdem muss Krähenpfote sich erholen." Er sah Federpfote entwaffnend an. Die zucke mit den Schultern. "Wenn ihr meint?"
Tatsächlich hatten sie keine große Wahl, die Sonne verkürzte ihren ohnehin kleinen Schattenfleck immer weiter. Krähenpfote war schließlich derjenige, der es entschied, indem er aufstand und sich streckte. "Also, ich habe nichts gegen Schatten." betonte er und kratzte sich am Ohr, als ob ihm unwohl zumute war in der Sonne.
"Dann los! Haselpfote, lauf voran. Wer als erstes da ist!" rief Wieselpfote motiviert. Haselpfote prechte los, Wieselpfote hinterher. Er musste den Ort schon von seiner Jagd gekannt haben, denn er überholte die jüngere Kätzin problemlos. Federpfote und Krähenpfote trabten ruhiger hinter ihnen her, die restlichen Reisekräuter im Maul.
Als die drei Schüler dann den See erreichten, schnaubte Federpfote enttäuscht. "Das ist doch bloß ein Teich." knurrte sie, während Krähenpfote neben ihr vorsprang und nach einer rutschfesten Stelle zum Trinken suchte. "Hauptsache, es ist Wasser drin." besänftigte er die gereizte Heilerschülerin.
Haselpfote ließ die beiden am Ufer stehen und gesellte sich zu Wieselpfote, der zusammengerollt im Schatten unter einer Tanne döste. Sie hatte Hunger, aber um sich nicht mit ihrer schlechten Jagd vor Federpfote zu blamieren, legte sie sich neben ihren Clangenossen. "Wieselpfote, glaubst wenigstens du mir, dass ich wirklich vom SternenClan geträumt habe?" fragte sie kläglich.
Wieselpfote legte die Schweifspitze über sein Gesicht, ein untrügliches Zeichen dafür, dass er nicht reden wollte. Haselpfote seufzte und wälzte sich ein bisschen in der trockenen, kühlen Erde, bis ihr Pelz von Staub bedeckt war. Dann rollte sie sich schwungvoll auf die Seite und streckte sich aus, bettete den Kopf auf einer Vorderpfote und schloss die Augen.
Sie befand sich in einem dunklen Tunnel aus Baumwurzeln. Ihr kleiner Körper warf einen Schatten vor sich, und als sie sich umdrehte, erhaschte sie einen Blick auf eine Gestalt vor dem silbernen Sternenlicht am Ende des Tunnels. Dort stand eine Katze, deren Aussehen sie nicht erkennen konnte, und sie hört Worte in ihrem Kopf flüstern, die sie nicht verstand.
Sie drehte sich um und folgte dem Tunnel neugierig ins Dunkle, bis er sich ausweitete. Ihre Nachtaugen erkannten, dass sie sich in einer Höhle befinden musste. Wurzeln von Nadelbäumen ragten aus der modrigen Höhlendecke, alte Nadeln bedeckten den Boden. Sie trat in etwas piksiges und stellte fest, dass es sich um eine bunte Scherbe handelte. Der ganze Boden war mit bunten Scherben bedeckt, und als durch irgendein Loch kaltes Mondlicht in die Höhle fiel, glitzerten sie in bunten Farben.
Das bunte Licht beleuchtete auch andere Dinge, die herumlagen, und der Schülerin wurde schelcht. Knochen. Überall lagen Knochen, dazwischen Nadeln und Scherben.
"Willkommen." Haselpfote schrak zusammen und sah nach oben. Wenige Katzenlängen vor ihr türmte sich ein dunkler Fels auf. Er hatte eine runde, glatte Oberfläche, und überall, wo sie zerschrammt und zerkratzt war, glitzerten bunte Kristalle.
Glitzernde Kristalle. Kistallglitzer? Haselpfote verwarf den Gedanken. Auf dem Stein trohnte in hellgrauer, weiß getigerter Kater. Das war gut und dämpfte ihre Furcht. Böse Katzen waren dunkel, schwarz wie die Kätzin, die schräg unterhalb des Katers auf dem Boden saß. Daran glaubte sie fest. Der Kater war nicht böse. Ihr gesträubtes Fell legte sich wieder, und sie mied den Blick der Kätzin. Ihre funkelnden, durchdringend grünen Augen durchbohrten die Schülerin, und ihr rabenschwarzes Fell verschmolz mit den Schatten.
Ebenso durchdringend war auch das linke Auge des Katers, nur grasgrün. Das rechte war eisblau und kalt wie Schnee.
Haselpfote fühlte sich hin- und hergerissen zwischen Faszination und Angst. Der Kater, der auf dem glatten Felsen thronte, wirkte majestätisch, bescheiden und gleichzeitig unheimlich. Seine Bewegungen waren geschmeidig und elegant, doch die Aura, die ihn umgab, schien sowohl Macht als auch Bedrohung auszustrahlen.
"Wer bist du?" fragte sie, die Worte kaum mehr als ein Flüstern. Ihre Stimme klang in der kalten Höhle verloren, als würde sie in die Dunkelheit gesogen. Die Augen des Katers blitzten.
"Ich bin Eisherz." antwortete er, und passend zu seinem Namen wurde die Luft um einiges kälter. Haselpfote erzitterte, während etwas in ihren Erinnerungen hämmerte und flackerte wie Blitze am Nachthimmel. Dieser Name! Woher...? "Und das hier", Er legte den Kopf schief, "ist mein Reich, mein Territorium."
"Dein Reich?" Sie sah sich um, unsicher angesichts der schmutzigen, staubigen Knochen, von denen sie lieber nicht wissen wollte, zu welchen Tieren sie gehörten, und der bunten Scherben, denen sie bei bestem Willen nichts abgewinnen konnte, so schön sie auch glitzerten.
"Ich... ich verstehe nicht. Warum bin ich hier?" Mutig hob sie das Kinn. Sie würde sich eh nicht mehr an den Traum erinnern können, was spielte das ganze also für eine Rolle?
"Die Suche nach Wissen führt dich hierher, Haselpfote." sagte Eisherz mit einem geheimnisvollen Lächeln.
"Habe ich wegen euch diese seltsamen Träume gehabt, in denen jemand mir einreden wollte, ich sei nicht die Tochter meiner Mutter?" fragte die kleine Schülerin misstrauisch. Kurz sah Eisherz irritiert aus.
"Nein, wir haben dir keine Träume geschickt, wir sind hier, damit du etwas anderes erfahren kannst. Gut, du hast nie gefragt. Du bist zufrieden. Aber andere sind das ganz und gar nicht. Jede Katze hat ihre Bestimmung zu erfüllen. Aber um deine zu finden, musst du deinem Schicksal ins Auge sehen."
"Und wenn ich das nicht will?" entgegnete Haselpfote trotzig.
"Du willst, du weißt es nur noch nicht. Und früher oder später wirst du es müssen." Ein nachsichtiges Lächeln umspielte die Schnauze des Katers. Er beugte sich ein wenig vor. "Und ich glaube, früher wäre besser."
"Kann ich jetzt gehen?" fauchte Haselpfote.
Die schwarze Kätzin unter Eisherz, auf Augenhöhe mit der kleinen Schülerin, schien zu lächeln, aber es war kein freundliches Lächeln. Ihre Augen glitzerten ebenso wie die Kristalle auf dem Stein, und sie schien zu genießen, wie Haselpfote sich unter ihrem Blick wand. Gleichzeitig strahlte sie unglaubliche Feindsehligkeit, aber auch tiefen Respekt vor Eisherz aus.
Ihr Blick verwandelte sich in pure Angst, als plötzlich ein helles Licht aufblitzte. Die Konturen verschwammen, Haselpfote schloss geblendet die Augen. Sie hörte Eisherz' wütende Stimme - "Es ist noch nicht vorbei!" - dann wurde es still und dunkel.
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