30 - Abschiede
"Haselpfote, wach auf!"
Verwirrt blinzelnd hob Haselpfote den Kopf. Die gelbbraune Kätzin bemerkte überrascht, dass die Sonne noch nicht aufgegangen war; Im Schülerbau konnte sie nur gerade so die Konturen der anderen Katzen erkennen. Als sie aufsah, bemerkte sie Wieselpfote. Sein weißes Fell schimmerte fahl, die schwarzen Flecken verschmolzen mit der Nacht. Seine Augen glühten aufgeregt. "Steh auf! Bald bricht die Morgendämmerung an, und dann müssen wir bei den sieben Bäumen sein. Es wird Zeit..."
"Sterne!" knurrte Haselpfote unwillig, quälte sich aber auf die Pfoten.
Da draußen wartet vielleicht der Tod auf uns, dachte sie, während sie sich mit der rauen Zunge rasch durch das Fell fuhr, um keine Zeit zu verlieren. Immerhin wollte sie sich noch von den anderen - und vielleicht auch vom Territorium - verabschieden. In ihren Gedanken waberte das diffuse Gefühl, einen Traum gehabt zu haben, an den sie sich nicht mehr erinnerte, was ihr nicht unbekannt vorkam. Zum Glück löste es sich mit der Zeit auf wie Nebel in der Sonne.
Als sie Wieselpfote nach draußen folgte, überraschte sie ebensolcher - schwülwarmer, unangenehmer Nebel. Ihr Fell stellte sich auf, und die Feuchtigkeit kroch durch ihren Körper. Trotz der unangenehmen Wärme fröstelte sie und trat nervös von einer Pfote auf die andere. Die Luft war schwer und klamm, ihr Fell fühlte sich schwer an. Kalter Morgentau perlte von den wenigen Grashalmen, die noch übrig geblieben waren.
Wieselpfote ging selbstsicher an ihr vorbei zum Frischbeutehaufen und nahm sich irgendetwas, um es in Ruhe zu verzehren. Seine Freundin zwang sich, es ihm gleich zu tun, auch wenn sie eigentlich viel zu unruhig war. Sie verschlang eine Wühlmaus und lief dann durch das stille Lager, nur vom Nebel begleitet, auf den Abhang zu.
Als sie wenig später auf der Kräuterwiese neben dem Heilerteich stand, starrte sie sehnsüchtig vor sich hin, die Ohren mutlos angelegt. Kurz überlegte sie, ob sie vielleicht die Bachquelle besuchen solle, entschied sich aber dann dagegen. Selbst der Heilerteich war düster und still, als würde er sich ihrer Laune anpassen.
Unkonzentriert kletterte die kleine Kätzin den Abhang wieder hinab und setzte sich, mit um die Pfoten geringeltem Schweif, in die Schatten, in düstere Gedanken versunken.
Erst, als die Sonne sich irgendwo am Horizont langsam aus dem Schlaf erhob und die Schatten deutlicher wurden, kam Leben in den Clan. Haferstern trat aus ihrem Bau, ihr Blick war abwesend und müde, ihr Fell wirkte ziemlich ungepflegt. Sie schien Haselpfote gewittert zu haben, da sie der Schülerin halbherzig zunickte und ihr zu verstehen gab, dass sie ihr folgen sollte. Die beiden trabten schweigend zum Großfelsen. Haselpfote bemerkte, dass die Anführerin unruhig und erschöpft aussah, wahrscheinlich hatte sie schlecht geschlafen, und auch sie fühlte sich eindeutig nicht bereit.
Auch der nebelige Morgen besserte ihre Laune nicht. Ihr dichtes Fell schien sich mit der Feuchtigkeit vollzusaugen, während sie durch das nasse Gras streifte und die warme, feuchte Erde unter ihren Pfoten fühlte. Faszinierende Nebelschwaden stiegen aus dem Wald auf und füllten den Himmel mit matten Wolken, während die sandfarbene, langbeinige Kätzin die Felsen erklomm.
"Alle Katzen, die sich hier in diesem Lager befinden, versammeln sich jetzt am Großfelsen!" rief Haferstern. "Ein letztes Mal." fügte sie bitter hinzu.
Haselpfote beobachtete, wie die Katzen sich versammelten, und ging ihre Namen in Gedanken durch. Rotfuß, Aalschweif, Wolkenschleier, Abendröte, Amselflug, Fliederlied, Orkansturm und Humpeltatze kamen unter der jüngeren Zypresse hervor, gefolgt von Tupfenfeder, die abwesend und unkonzentriert wirkte.
Aus dem zweiten Kriegerbau folgten Löwenmähne, Wolfsmond, Flutregen, Gelbkralle und Grünnase, Bärenbart, Donnerecho, Grauteich und allen voran Ginsterkralle, der instinktiv seinen angestammten Platz einnahm.
Aus der Kinderstube kam Wunschrose, aus dem Schülerbau stießen Frostpfote und Plätscherpfote zu ihnen. Haselpfote erinnerte sich an das Gespräch, dass sie am vorigen Tag belauscht hatte. Frostpfote beschwerte sich gerade darüber, dass Monde immer so langsam vergangen, und Plätscherpfote neckte ihn damit, dass er doch bloß auf die Große Versammlung und Wellenpfote wiedersehen wollte.
Zuletzt traten Efeusturm, Hellpfote und Kleintatze aus dem Heilerbau. Hinter ihnen erschien Dunkelkrähe, der enorm angespannt und misstrauisch aussah, danneben Nacht, der seine Schwester stützte. Die kleine Einzelläuferfamilie ließ sich etwas entfernt nieder, nachdem sie misstrauisch angeknurrt und beäugt wurde.
Weil Haferstern keine Anstalten machte, etwas zu sagen, erhob Grünnase das Wort. "Warum hast du uns hierhergerufen?" wollte er wissen.
"Willst du die Schüler doch noch gegen erfahrene Krieger tauschen?" rief Gelbkralle.
"Genau!" bekräftigte Orkansturm die respektlose Kriegerin, ein bisschen einfallslos, wie Haselpfote fand.
"Warum müssen wir überhaupt gehen?" knurrte Amselflug rebellisch. "Das ist doch Unsinn! Wir können sie vertreiben wie letztes Mal auch!"
"Weil sie eben nicht die richtige Anführerin ist!" antwortete Bärenbart hämisch. "Sie unterwirfst sich Korallenstern, ohne den Clan überhaupt zu fragen!"
"Bärenbart!" fauchte Efeusturm. "Haferstern wurde vom SternenClan ernannt. Du hast kein Recht, ihr so etwas zu unterwerfen!"
Schockiertes Gemurmel breitete sich aus, und Ginsterkralle, der ebenfalls nicht begeistert aussah, beobachtete es mit Argwohn.
"Warum hast du uns gerufen?" fragte Löwenmähne ungeduldig.
"HaselClan!" rief Haferstern, und bei ihrem Anblick verstummten die Katzen. Sie sah furchtbar ernst aus, und irgendwie kaputt, meinte Haselpfote. Nicht einmal Frostpfote und Plätscherpfote trauten sich, zu tuscheln.
"Wir werden in fünf Sonnenaufgängen dieses Lager verlassen - Alle, die sich als loyal gegenüber des Gesetzes bezeichnen." Ihre Stimme klang scharf und schneidend wie der heulende Wind.
"Warum müssen wir eigentlich fort?" wollte Grauteich wissen. Ihr Blick war ehrlich und respektvoll. "Der AhornClan hat es doch schon einmal geschafft, die Wölfe zu vertreiben, oder? Warum sollten wir es dann gemeinsam nicht schaffen?"
"Ach, hat euch das Kleintatze erzählt?" fragte Haferstern müde. Kleintatze, die schräg neben dem Großfelsen stand, sah ein wenig verlegen aus, und Haselpfote glaubte, Schmerz in ihren Augen zu erkennen.
"Ja, sie haben es geschafft, aber nicht allein. Und jeder Clan hat viele verloren, zum Beispiel Kleintatzes Gefährte Schattensprung, der wegen seinen Verletzungen später überfahren wurde. Wir brauchen unsere Krieger. Die Blattleere ist näher denn je." Die sandfarbene Anführerin hob abwesend die Nase und prüfte die Luft.
"Aber ist denn unser Clan überhaupt reisefähig?" rief Rotfuß besorgt. "Ich will nicht, dass meine Jungen in Gefahr geraten!"
"Ich weiß es nicht!" antwortete die Anführerin heftig. "Die Jungen des AhornClans sind dreizehn Sonnenaufgänge alt, unsere etwa neun. Kleintatzes Wunden sind fast verheilt. Wir werden es schaffen." Aber sie klang, als wüsste sie, dass das nicht stimmte. Nicht stimmen konnte. Und das beunruhigte die Clankatzen sehr. Anspannung lag fast greifbar in der Luft.
"Und dafür schickst du Schüler auf die gefährliche Reise?" fauchte Wunschrose plötzlich. "Haselpfote konnte bisher kaum etwas lernen! Ich glaube auch nicht, dass Glanzrose deine Entscheidung über Wieselpfote billigt." Jedes ihrer Worte war scharf wie Klauen, die sich in Haselpfotes Herz bohrten. Ihre Mutter hatte recht, aber sah sie denn nicht, wie wenig Zeit noch blieb?
"Genug!" knurrte Haferstern. "Der SternenClan hat kein Zeichen geschickt, um meiner Wahl zu misstrauen. Verabschiedet euch hier und jetzt von den beiden Schülern, damit sie zu den sieben Bäumen gehen und unsere Abmachung einhalten können."
Als die Anführerin verstummte, brandete Stimmengewirr auf. Wunschrose, Kleintatze, ihre Geschwister, Rosenpfote, Ahornpfote, der von ihr gestützt wurde, Löwenmähne und etliche andere Katzen traten nacheinander auf sie zu, während sich Wieselpfote neben sie setzte und Efeusturm mit ihrer Schülerin im Heilerbau verschwand, was die gelbbraune Kätzin zusätzlich irritierte.
Den Anfang machte ihre Mutter - Wunschrose. "Bitte pass auf dich auf." schnurrte die graue Kätzin. "Denk an deinen Vater und seinen Vater! Denk an Nordstern." Haselpfote bemerkte irritiert, dass das ja bedeuten musste, dass Goldstreif ihre Halb-Tante war, die Halbschwester von ihrem Vater. Oder so. Seltsame Familie, aber dass Nordstern mit ihr verwandt war, machte sie stolz.
"Denk daran, dass die anderen älter sind als du. Verlass dich auf sie und scher nicht aus, ja? Ich will dich am siebten Tag heil wiedersehen." fügte Wunschrose noch hinzu.
"Versprochen!" schnurrte Haselpfote und rieb ihren Kopf an der Stirn ihrer Mutter. Dann trat die Graue beiseite, um noch ein paar Worte mit Donnerecho und Wieselpfote zu wechseln.
Frostpfote, Hellpfote und Plätscherpfote umringten ihre Schwester. "Lass dich nicht von den AhornClan-Katzen ärgern!" riet Plätscherpfote. Frostpfote nickte heftig. "Und bestell ihnen Grüße an Wellenpfote!"
Haselpfote schnurrte belustigt. "Mach ich!" rief sie.
Die Abschiede besänftigten ihre Sorgen, aber sie machten sie trotzdem nervös. Es fühlte sich alles so endgültig an! Löwenmähne und Aalschweif schärften ihr ein, sich an das Training zu erinnern. Rosenpfote glättete ihr vom Nebel aufgestelltes Fell und beruhigte sie. Ahornpfote machte Witze, um sie aufzuheitern, und beteuerte, dass er fest an sie glaubte.
Rotfuß wollte, dass sie noch einmal zu Goldstreif ging. Hellpfote wollte, dass sie zu Efeusturm kam, wegen irgendwelchen Reisekräutern. Abendröte und Tupfenfeder beglückwünschten sie, dann verschwanden die beiden jungen Krieger wieder in dem Meer aus Pelzen, das der Schülerin langsam zu viel wurde.
Als endlich alle ihre Worte losgeworden waren, zerstreuten sich die Katzen wieder. Kleintatze trat vor, ihre schrecklichen Wunden waren kaum mehr als verkrustete Narben. Sie leckte Haselpfote feierlich über die Schulter und verkündete, dass alles gut werden würde. Und dass sie an ihre Geschichte denken sollte. Haselpfote riss die Augen auf. Da war doch etwas...
"Ich habe von deinem Gefährten geträumt!" miaute sie stolz. Kleintatze senkte wehmütig den Schweif, aber ihre Miene hellte sich wieder auf, als Haselpfote ihr erzählte, dass Schattensprung sie noch immer liebte. Gleichzeitig fiel ihr ein, was der Kater noch gesagt hatte, aber sie schüttelte die finsteren Gedanken erstmal ab und verabschiedete sich herzlich von ihrer Freundin.
Haferstern trat zuletzt vor, ihre Augen waren ernst und glanzlos. "Denkt daran, Spuren zu hinterlassen!" schärfte sie ihr ein. Haselpfote merkte es sich und nickte untergeben. Als Haferstern weg war, sah sie sich nach Wieselpfote um, aber der schwarzweiße Kater war verschwunden. Sie entschied, erst Goldstreif und dann Efeusturm aufzusuchen.
Als sie in die Kinderstube trat und den vertrauten Geruch einatmete, löste er eine Welle an Gefühlen und Erinnerungen in ihr aus. Doch bevor sie sich in ihnen verlieren konnte, ertönte leises Miauen.
Überrascht lugte Haselpfote zum Nest der Freundin ihrer Mutter. Goldstreif kauerte mit unterschlagenen Pfoten neben ihren Jungen. Sie grüßte Haselpfote freundlich und ließ sie dann zu den Jungen, während Rotfuß ihr ausführlich von der Versammlung berichtete, manchmal unterbrochen von Wunschrose.
Die beiden tauschten mehrmals merkwürdige Blicke. Immer wieder sah die goldene Kätzin auf ihre Jungen hinunter, die sich im Nest hin- und herrollten. Das schwarze Junge schlief, die anderen drei wirkten ziemlich übermütig, sie miauten und versuchten, aufzustehen. Und noch etwas war anders: Sie hatten die Augen geöffnet.
Haselpfote schnurrte. Deswegen hatte sie also herkommen sollen. Es war wie ein Zeichen: Diese Jungen müssen vor den Wölfen in Sicherheit gebracht werden. Sie beobachtete die putzigen, jungen Kätzchen eine kleine Weile, dann verabschiedete sie sich mit einem Schwanzschnippen und machte sich auf den Weg zum Heilerbau.
Efeusturm überreichte ihr eine Menge an Kräutern, die Haselpfote sogar erkannte. Gänseblümchen, Kamille und Sauerampfer. Wo auch immer die Heilerin die Kamille herhaben mochte, vielleicht von den Zweibeinern?
Nachdem sie sich auch von den Heilerkatzen verabschiedet hatte, begann sie, mit den Kräutern am Vorderbein gebunden, nach Wieselpfote zu suchen. Die Sonne war schon fast aufgegangen. Wo steckte ihr Reisegefährte bloß?
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