Kapitel 2
Die Schule fing wirklich gut an: Gleich in der ersten Pause hörte ich eine von Ronjas zickigen Freundinnen rufen: „Wem hast du sie gegeben? Ich höre wohl nicht richtig!“ Misstrauisch näherte ich mich ihnen, um etwas mehr von ihrem Gespräch mitzukriegen. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass es um mich ging. Und es ging garantiert nicht um etwas Gutes.
„Hör mal“, sagte Ronja erbost. „Gerade weil niemand auf die Idee kommen würde, dass sie die Kette hat, ist es doch so genial, aber wenn du weiter so herumschreist, ist es wohl bald kein Geheimnis mehr!“ Was hatten denn diese Zicken mit der Kette zu schaffen? Warum durften die davon wissen, Thea aber nicht? Das war verdammt ungerecht!
„Ein Geheimnis?“, flötete da jemand Ronja ins Ohr, und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Wütend fuhr sie herum, und wischte die Hand wie eine lästige Fliege weg. Prompt drehten sich alle Zicken zu dem Sprecher um, auch ich musste meine Position verändern, um ihn zu erkennen. Es war einer der Jungen aus der Nachbarklasse, die häufig rüberkamen, um sich mit den Jungs aus dieser Klasse zu raufen. Was hatte der denn bei Ronjas kleinen, widerlichen Gruppe zu suchen? Ich spürte einen kleinen Stich von Eifersucht, und ärgerte mich über mich selbst.
„Hört mal, Nu will mit euch sprechen. Ich schätze, ihr wisst, worum es geht. Hoffentlich erscheint ihr nächste Pause bei der alten Linde, sonst müssen wir euch wohl oder übel dort hinschleifen. Und zwar persönlich!“ Damit wandte er sich um, und ging. Wetten, wetten, dass Ronjas kleines Grüppchen nicht erscheinen wird?, dachte ich finster. Diese Zicken träumen wahrscheinlich schon davon, dass die Jungen sie dort hinschleppen! Spöttisch verdrehte ich die Augen und wandte mich ab. Nächste Pause würde ich sie im Auge behalten, soviel stand fest.
Ich wollte mich gerade abwenden, und zu meinem Platz zurück laufen, als ich eine der Zicken fragen hörte: „Sag mal Ronja, welcher der Bäume da draußen ist eine Linde?“
„Keine Sorge“, entgegnete Ronja mit einem milden Lächeln. „Ich würde die Linde schon finden, wenn ich dort hin wollte. Aber ich glaube nicht, dass ich ihm gerne begegnen würde. Das alles war keine gute Idee, aber wenn wir ihnen jetzt die Kette zurückgeben, erschient es einfach nur lächerlich.“
„In der Tat“, erwiderte Cindy kritisch. „Aber ich weiß wirklich nicht, was du gegen Nu hast.“ Ronja warf ihr darauf nur einen vielsagenden Blick zu, und stapfte zu ihrem Platz. Ich ging ebenfalls zu meinem.
Gegen Ende der Mathestunde war mir so langweilig, dass ich mich wie ein Pendel nach links, nach rechts, wieder nach links, ... und immer weiter pendeln ließ, und dabei spürte, wie sich die Kette unter meinem Pullover mitbewegte. Thea warf mir schon die ganze Zeit komische Blicke zu, und Harold (der englische Name zählte zu meinen Lieblingsnamen, die Person allerdings nicht zu meinen beliebtesten Personen, da Harold sehr frech war, und eine ungeheure Vorliebe dafür hatte, Mädchen zu ärgern), der mal wieder versuchte, sich blonde Strähnen in sein fast schwarzes Haar zu malen, war sicherheitshalber ein kleines Stück weiter weg von mir gerutscht. Doch das bemerkte ich gar nicht, ich schreckte erst aus meinen verträumten Bewegungen auf, als der Gong ertönte.
Sofort sprang ich auf, und nahm ohne Verzögerung die Verfolgung auf – Ronja und die Anderen schienen es extrem eilig zu haben.
„Wohin so schnell?“ Harold war neben mir erschienen, und warf mir einen misstrauischen Blick zu, als ich scheinbar gelassen hinter Ronjas Gruppe nach draußen schlenderte. Er folgte mir.
„Darf ich nicht mehr alleine rausgehen?“, fragte ich ärgerlich. Ich hatte das unangenehme Gefühl, das er mir nachlief.
„Aber natürlich darfst du das. Ich will halt auch nur raus. Was dagegen?“ Er grinste mich hämisch an, und blieb an meiner Seite. So konnte ich Ronjas Gruppe unmöglich weiter folgen, es würde zu auffällig erscheinen. Also musste ich mich damit begnügen, ihnen aus der Ferne zuzusehen, denn sie entfernten sich auf die gegenüberliegende Seite des Schulhofs.
„Was ist los, Ria? Du gehst doch sonst nicht alleine raus?“, fragte mich Harold spielerisch besorgt. Aber ich wusste, dass er mir nicht traute, wahrscheinlich hatte er mich schon längst durchschaut. Ich schnitt ihm eine Fratze und wandte mich ab.
„Schon gut“, sagte er lächelnd, und verschwand. Erleichtert seufzend beobachtete ich wieder Ronjas Gruppe – inzwischen war die schon wieder in meiner Nähe und versuchte sich dort zwischen ein paar anderen Schülern zu verstecken. Ihre Versuche waren so kläglich, dass ich grinsen musste.
Als ich genauer hinüberspähte, konnte ich auch ihre Verfolger entdecken: Es waren mindestens drei Jungs, Harold unter ihnen. Aha, das treiben die also immer in ihren Pausen!, dachte ich grimmig, und näherte mich langsam, um mehr mitzubekommen. Das sah mir doch ganz nach einem amüsanten Schauspiel aus!
Hinter ein paar schwatzenden Großen ging ich in Deckung und spitzte die Ohren, um jedes Wort, dass Ronja oder die Anderen sprachen, mitzukriegen. Sie waren nun schon bis zu den Hecken, die das Schulgelände abgrenzten, zurückgewichen, denn ihre Verfolger hatten sie schnell gefunden (was mich ehrlich gesagt kein bisschen wunderte).
„Was um Himmels willen treiben die da?“, murmelte ich vor mich hin, und kam noch ein Stück näher.
„Das war der kläglichste Versuch zu fliehen, den ich je gesehen habe“, spottete da jemand, den ich nicht genau ausmachen konnte. „Was meinst du, Harold?“ Mein Blick schoss zu Harold hinüber, der sich neben ein paar anderen Jungs vor Ronja aufgebaut hatte. Und der große, blonde Junge neben ihm musste gesprochen haben.
Harold lächelte. „Ganz meiner Meinung“, entgegnete er amüsiert.
Ronja schnaubte verächtlich.
Cindy, die die ganze Zeit über den blonden Jungen angeschaut hatte, trat jetzt einen Schritt nach vorne. Jetzt steht sie direkt vor ihrem Angebeteten, dachte ich mir hämisch und konnte mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.
„Vergiss es. Wir geben euch die Kette nicht zurück“, sagte sie und genoss es anscheinend sehr, seine Aufmerksamkeit zu haben.
Ich rümpfte die Nase. Das wird ja immer interessanter, dachte ich mir, verließ meine Deckung und pirschte mich hinter eine Gruppe lachender Schüler.
Ich war nur noch ein kleines Stück von Ronja entfernt und konnte jedes Wort verstehen.
„An eurer Stelle würde ich das aber tun“, meinte Nu und sah Ronja an.
„Und warum?“, fragte die gespielt gelassen. Harold grinste breit und einer der anderen Jungen lachte leise.
Nu beugte sich ein Stück näher zu Ronja und lächelte.
„Weil es sonst ungemütlich wird. Das verspreche ich euch.“
Den Zicken schien es nicht zu gefallen, dass Ronja und Nu sich jetzt so nah waren, aber da lehnte Nu sich auch schon wieder zurück.
Ich hob beide Augenbrauen und unterdrückte ein Kichern.
Ein Wunder, dass Nu noch nicht aufgefallen ist, dass die ihn anbeten, dachte ich und huschte hinter einen Busch, um noch ein Stück näher zu kommen. Nun war Cindy keinen Meter von mir entfernt, bemerkte mich aber trotzdem nicht. Blind musste man auch sein!
„Das werden wir ja sehen“, stellte Cindy spöttisch fest. Nu legte den Kopf leicht schräg und sah sie an. „Ja das werden wir“, sagte er dann.
Bisher hatte ich mich ein Stück vorgebeugt. Wenn die Jungs in meine Richtung schauen würden, könnten sie mich sehen, aber das bemerkte ich nicht.
„Die Kette siehst du wohl nicht wieder“, sagte Ronja achselzuckend.
Cindy lächelte breit und einer der anderen Zicken drängte sich heimlich ein Stück weiter nach vorne.
„OK. Harold. Gib ihnen einen kleinen Vorgeschmack“, sagte Nu und musterte die Gruppe vor ihm.
Harold nickte und machte ein paar Schritte auf die Zicken zu.
Die drängten sich zusammen, jede versuchte außen zu stehen. Nur Ronja bewegte sich keinen Millimeter vom Fleck.
Harold machte einen schnellen weiteren Schritt auf die Zicken zu und diese wichen ein kleines Stück zurück.
Ich lehnte mich noch ein bisschen weiter vor. Was ihm wohl so wichtig an der Kette war?
Ronja verdrehte die Augen und Nu warf ihr einen spöttisch mitleidigen Blick zu. „Hört auf“, stöhnte sie. „Harold tut euch sowieso nichts.“
Grinsend wich Harold zurück und die Zicken stellten sich wieder hinter Ronja.
Die Enttäuschung war ihnen deutlich anzusehen.
Mein Gott. Wie peinlich, dachte ich. Diese Zicken waren einfach viel zu blöd!
Ich hätte Harold eine runtergehauen, dachte ich mir gehässig. Aber die doch nicht. Die müssen doch aufpassen, das sie nicht zu wenig Aufmerksamkeit von Nu bekommen.
Plötzlich schaute Harold in meine Richtung und verzog erstaunt das Gesicht. Erschrocken wich ich zurück, konnte jedoch sehen, wie er sich zu Nu beugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
Nu schaute in die Richtung, in der ich gewesen war, konnte aber nur noch ein paar leicht hin und her schwankende Zweige sehen. Den Zicken schien das irgendwie überhaupt nicht zu passen. Sie tauschten wütende Blicke. Aber anscheinend hatten sie Harold nicht verstanden. Nu wandte sich zu zwei Jungs um, die hinter ihm standen, und sagte etwas zu ihnen.
Auch Ronja drehte sich zu dem Busch um, hinter dem ich gestanden hatte, wandte sich dann aber wieder der gegnerischen Gruppe zu.
Als ich noch einen Blick zurückwarf, sah ich, wie die beiden Jungs nickten und im Gewühl des Schulhofes verschwanden. Der eine von ihnen, Joscha, würde mich mit Sicherheit wiedererkennen.
Nichts wie weg!, dachte ich mir und schlängelte mich durch die herumstehenden Gruppen. Ein paar warfen mir komische Blicke hinterher, wenn ich sie anrempelte, doch mir blieb keine Zeit, mich zu entschuldigen.
„Da ist sie!“, hörte ich Joscha nicht weit entfernt rufen. Sofort drehte ich um, und flüchtete in die Menge, sodass die Beiden erst mal meine Spur verloren – Nicht auszudenken, was sie mit mir vorhatten! –, dann hastete ich in Richtung Gebäude.
Als ich mich leicht verspätet auf meinen Platz fallen ließ (ich hatte mich auf der Toilette versteckt, bis der Lehrer gekommen war), musterte Harold mich finster. Er wartete ungeduldig, bis die Klasse wieder ihre normale Lautstärke erreicht hatte, dann wandte er sich zu mir um.
„Was sollte denn das geben? Du gehörst doch jetzt nicht auch noch dazu, oder?“, fragte er mich, fast schon entsetzt schaute er mich dabei an.
„Keine Sorge. Ich habe nur Hagebutten gesucht“, entgegnete ich, und kam mir unendlich dumm vor. Harold grinste von einem Ohr zum anderen und presste sich die Hand auf den Mund, um nicht laut loszulachen.
„Das ... muss ich Nu erzählen!“, japste er, und unterdrückte einen erneuten Lachanfall. Wütend packte ich mein Heft und schlug ihm damit auf den Kopf.
„Warte, da hab ich doch was für dich“, meinte Harold immer noch grinsend, und wühlte in seinem Schulranzen. Mit einem erstickten Aufschrei versuchte ich zurückzuweichen, und stieß gegen Thea, die mich gerade noch packte, bevor ich auf den Boden viel.
„Lass das, Harold!“ Warnend funkelte sie Harold an, der seinen Atlas über dem Kopf erhoben hatte. Doch Harold hörte gar nicht auf sie. Er schlug mir mit dem Atlas auf die Knie, reflexartig schoss mein Oberkörper nach vorne, und noch bevor ich mich wieder aufrichten konnte, hatte er mich am Genick gepackt, und vom Stuhl geworfen. Wütend fluchte ich auf, und erschien wieder über dem Tisch.
„Ria, was soll denn das?“ Unser Deutschlehrer blickte mich vorwurfsvoll an. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Mirko sich krümmte vor Lachen. Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu, dann wandte ich mich an den Lehrer.
„Harold hat mich vom Stuhl geworfen!“ Anklagend zeigte ich auf Harold, der mit Mühe ein Grinsen unterdrückte.
„Stimmt das?“, fragte der Lehrer Harold. Wie kann man nur so blöd sein?, dachte ich ärgerlich. Als ob Harold die Wahrheit sagen würde.
„Nein, hab ich nicht.“ Harold hatte inzwischen seine Unschuldsmiene aufgesetzt, bei der jeder dahinschmolz. Selbst ich ertappte mich dabei, wie ich versonnen auf sein Gesicht schaute.
„Hat er wohl!“, warf Thea ein. Unser Deutschlehrer stöhnte auf, und sagte, an Harold und mich gewandt „Benehmt euch!“, dann ging er wieder zurück, und versuchte weiterhin vergebens für Ruhe zu sorgen. Harold grinste mich noch einmal süffisant an, dann wandte er sich mit übertriebenem Eifer der Aufgabe zu, die wir machen sollten.
In den nächsten Pausen musterten mich die Zicken und ein paar der Jungs zwar ärgerlich, oder gar misstrauisch, ließen mich aber in Ruhe. Ronja schien äußerst besorgt, und als die Schule endlich rum war, tauchte sie neben mir auf, noch bevor Thea erschienen war.
„Ria, du darfst keine weitere Aufmerksamkeit auf dich lenken.“ Besorgt schaute sie sich um, dann fuhr sie mit gesenkter Stimme fort: „Diese blöden Halunken sollen nicht erfahren, wo die Kette ist. Ich schätze, du hast schon so einiges in Erfahrung gebracht, aber ich möchte, dass du dich da raushältst. Oder du gibst die Kette jemand anderem. Klar?“
„Schon gut!“, sagte ich entsetzt, und konnte mich gerade noch davon abhalten, nach der Kette zu tasten. Ich würde sie nicht weggeben. Nein, nie im Leben! Doch noch entfernter dachte ich daran, Ronjas Grüppchen nicht hinterher zu spionieren.
Doch zu meiner Erleichterung tauchte da Thea auf, und Ronja ließ mich erst mal in Ruhe.
„Was wollte die denn von dir?“, fragte Thea mich neugierig.
„Ich habe ihr und ihrem kleinen Grüppchen mal auf dem Schulhof nachspioniert. Leider haben sie mich ertappt. Ich soll das jetzt bleiben lassen.“ Ich zuckte mit den Schultern. Immerhin hatte mir Ronja nicht verboten, das zu sagen, und ich wollte Thea nicht schon wieder anlügen.
„Was haben sie gemacht?“, wollte Thea neugierig wissen. Ich riss im Gehen einen Grashalm raus, und versuchte, einen Knoten hineinzumachen.
„Oh, sie sind irgendwelchen Jungs hinterhergeschleimt.“ Ich versuchte, einen dritten Knoten zu machen, und der Grashalm riss. Fluchend warf ich ihn in das Gestrüpp am Wegrand.
„Irgendwie klar, dass die bei Jungs rumhängen, oder?“, meinte Thea, und grinste breit. „Sieht ihnen ähnlich.“ Ich nickte, und legte einen Finger an die Lippen – nicht weit hinter uns liefen Mirko und Joscha, und ich wollte nicht, dass sie etwas von unserem Gespräch mitbekamen.
„Sag mal, schwitzt du dich nicht tot in diesem Rollkragenpullover?“, fragte mich Thea, um das Thema zu wechseln, doch mir gefiel die Richtung nicht, in die das Gespräch verlief.
„Ach, eigentlich nicht“, log ich wieder, und mein Magen verkrampfte sich. Wieso musste ich sie nur immer anlügen!
Als ich die Haustür aufschloss, hatte ich mich wirklich schon fast totgeschwitzt unter dem Pullover. Keuchend machte ich die Wohnungstür zu, warf meinen Schulranzen in eine Ecke, und riss mir den Pullover aus. Darunter hatte ich nur ein Top getragen, und so war es angenehm kühl, nun, da ich den Pulli los war. Silbern glitzerte der Edelstein auf meinem hellblauen Top, diesmal wirkte die Farbe nicht ganz so kräftig, was jedoch nichts an seiner Schönheit minderte. Du gehörst also einer Gruppe voller lausiger Jungs, und ein paar zickige Mädchen haben dich irgendwie geklaut, und nun zu mir gebracht, dachte ich, und betrachtete verträumt den Edelstein. Keine besonders ruhmreiche Geschichte.
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