2 - Falsche Farbe
✦ MARIANA ✦
Eine Welle packt unser Motorboot und wirft die Sauerstoffflaschen an Bord um. Es scheppert laut.
Ich stecke mir fluchend meine Zigarette zwischen die Lippen, während ich versuche, die knapp drei Kilogramm schweren Flaschen wieder aufzurichten.
Pirates Bay - das alte Piratenschiff, wie es in der Gemeinschaft genannt wird, ist unser heutiges Ziel. Es ist zwar nur ein altes Fischerboot, das vor einigen Jahren in der Nähe der Insel wegen eines Sturmes havarierte, aber Mythen bleiben schliesslich hartnäckig. Piratenschiff klingt einfach cooler.
Unser Fahrer bringt den Motor zum Schweigen und wirft den Anker aus. Während wir uns auf dreiunddreissig Meter Tiefe begeben werden, wird er auf der Wasseroberfläche die Stellung halten.
Der Himmel ist stahlblau und die Sonne brennt uns gnadenlos auf die Schultern. Es herrscht perfektes Wetter für ein Unterwassershooting. Bloss in der Ferne türmen sich ein paar weisse Quellwolken in die Höhe.
Meine Haut hat sich längst an die tückischen Strahlen des Feuerballes gewöhnt und glitzert in einem dunkelgoldenen Teint. Wenn ich mit Enzo tauchen gehe, trage ich keinen Neoprenanzug, sondern bloss meinen Badeanzug und darüber ein langärmeliges Shirt. Ich empfinde den engen Anzug sowieso als unnötiger Balast.
Die Wassertemperatur bewegt sich um die 29 Grad Celsius, da braucht man sich vor einer Hypothermie nicht fürchten. Und ausserdem wünscht sich Enzo für seine Fotos möglichst viel Natürlichkeit. Da passt so ein Neoprenanzug aus Kautschuk nicht ins Bild. Bei Bedarf nehme ich manchmal sogar den Sauerstofftank mit der Tarierjacke vom Rücken und paddle bloss mit meiner Kleidung, Taucherbrille und Flossen durch die Untiefen.
Alles, nur damit der Künstler ein geiles Foto schiessen kann.
Was Enzo mit seinen Schnappschüssen vorhat, wollte er mir bisher noch nie verraten. Er meint, es sei bloss ein belangloses Hobby. Ich weiss jedoch, dass er ein Virtuose ist. Eines Abends, als er vor seinem Computer eingenickt war, hatte ich die Bilder gesehen. Er hat tatsächlich eine Gabe - nur würde ich das niemals vor ihm zugeben.
Der Franzose schiebt sich seine schwarzen Haare mit einem Kopfband nach hinten. Er steht mit nacktem Oberkörper auf dem Motorboot und kontrolliert seine Unterwasserkamera.
Der Sport tut seinem Körper gut. Er hat - wie viele Taucher - einen athletischen Torso, lange Arme, die gut fürs Schwimmen sind und eine sonnengeküsste Haut. Viele weibliche Gäste erfreuen sich an seinem Anblick, wenn er nur in Badehose und triefend vor Nässe aus dem Wasser watet und sich die dunkle Mähne nach hinten streicht.
Ich zerdrücke meine Zigarette in einer Pfütze auf dem Boden und befördere den Filter in eine Abfalltüte. Mich lässt das Aussehen dieses französischen Charmeurs kalt, denn ich habe seine Persönlichkeit gesehen. Er ist ein kleiner Wichser und das weiss er sogar selbst. Schöner Körper, hässlicher Charakter.
Ein Wind zieht über die Wasseroberfläche. Das Motorboot schwankt stark, selbst bei dem leichten Wellengang.
Wir überprüfen unsere Computer, denn wir haben unseren Tauchgang penibel geplant. Mit den Sauerstofftanks, die wir uns auf die Rücken heben, sollten wir in der Tiefe etwa 22 Minuten verbringen können. Mehr nicht, sonst geht uns die Luft aus.
Enzo rüttelt an seiner Unterwasserkamera.
„MERDE!", ruft er und ich stelle einmal mehr fest, dass Fluchen auf Französisch recht elegant klingt.
„Probleme?"
Er blickt von seiner Kamera zu mir und schüttelt den Kopf. „Die Batterie ist fast leer."
„Konntest du sie gestern vor der Nachtruhe nicht mehr aufladen?", erkundige ich mich.
Um 22:00 Uhr werden die Lichter im Resort gelöscht und alle Generatoren ausgeschaltet, um die Tiere in der Nacht nicht zu stören. In der Finsternis brennt kein Licht, nur die kleinen Solarlämpchen, die den Nachteulen den Weg leuchten. Mutter Natur braucht ihren Schönheitsschlaf.
„Nein, leider nicht mehr. Musste ja ein Pokerspiel gewinnen", sagt er augenzwinkernd.
Ich grinse schief. „Tja, hättest du mich eben nicht herausgefordert, dann könnten–"
„Dann hätte ich nicht gewonnen und einen entspannten Morgen verbringen können", unterbricht er mich. „Ja, ich weiss."
Ich boxe ihn in die Schulter für seinen Seitenhieb. Er soll es mir nicht nochmal unter die Nase reiben, dass ich verloren habe.
„Wieviel Prozent?", frage ich und meine damit den Stand seines Akkus.
„Einundzwanzig."
„Das reicht", sage ich und deute mit dem Zeigefinger gen Himmel. „Bei dem Licht wirst du die besten Bilder von meinem sensationellen Körper schiessen. Das schaffen wir auch in zehn Minuten oder so lange, wie der Akku es aushält", sage ich und zurre die Taucherbrille an meinen Hinterkopf.
Enzo tut es mir gleich und zieht sich seine Flossen an. Dann lassen wir uns rückwärts vom Rand des Motorbootes ins Wasser fallen und werden von der Schwerelosigkeit verschluckt.
✦✧✦
Schon als kleines Mädchen durfte ich mit meinem Vater auf Tauchgänge mitkommen. Damals noch in meiner Heimat in Kolumbien. Ich erinnere mich daran, wie ich an seinem Ersatz-Atemregler hing und ihm zu seinen Forschungsstandorten unter Wasser folgte. Immer im sicheren Schatten seines Körpers schwimmend, wie ein Putzerlippfisch unter seinem Mantarochen.
Wir tauchten tief, bis zum Ursprung des Lebens, setzten uns vollkommen der Gnade der See und ihren Einwohnern aus - denjenigen Meerestieren, die so viel besser für diese Welt ohne Oben und Unten, ohne Last und Erdanziehungskraft, ohne Anfang und Ende geschaffen waren.
Ich verliebte mich sofort in das federleichte Schweben des Ozeans. Als wären die Tropfen der See in meine Zellen vorgedrungen und hätten mich zu ihresgleichen gemacht.
Ich bin das Meer und das Meer ein Teil meiner Seele.
Wer in seinem Leben schon einmal getaucht ist, hat die eigene Zerbrechlichkeit erlebt. Weiss, wie beinahe hilflos wir der Macht der Natur ausgesetzt sind. Es ist erschreckend, aber gleichzeitig so unglaublich erlösend.
Es hat etwas Befreiendes, wenn man die Verantwortung des Existierens abstreift und sein Leben in die Hände der Willkür legt.
Das Meer empfängt dich, nimmt dich auf, verschlingt dich und - wenn du Glück hast - speit es dich wieder aus. Aber reiner. Frischer. Es spült deine Dämonen vom Geiste und hinterlässt deine Seele in ihrer ganzen exponierten Rauheit.
Unverfälscht. Echt.
Menschen, die am Meer aufgewachsen sind, sind von einem anderen Schlag. Sie denken, fühlen und sind anders, denn sie haben das Meer verinnerlicht. Dies ist einer der Gründe, warum mir Taucher unter Menschen am sympathischsten sind. Sie sind sich über ihre eigene unbedeutende Existenz bewusst und es jagt ihnen keine Angst mehr ein.
Die Unendlichkeit ist für sie kein Grund zur Sorge, sondern ein Ort des Friedens und des Heilens.
Als Enzo und ich die tiefe Sandbank erreichen, stechen die Sonnenstrahlen zwar schwach, aber für die Fotos genau richtig durch das wiegende Wasser. Der Abstieg hat soweit problemlos geklappt.
Vor uns erhebt sich das rostige Wrack des Fischerbootes aus den 80er Jahren. Wir bewegen uns im Rhythmus des Meeres. Langsam, bedacht. Ohne Eile. Unter Wasser tickt die Zeit langsamer, so scheint es.
Wie immer legt sich diese vollendete Stille über uns. Nur das leichte Knistern der Korallen dringt an unsere Ohren.
Enzo gibt mir per Handzeichen zu verstehen, dass ich mich in Position begeben soll. Ich beschleunige meinen Flossenschlag und schwimme auf das Schiff zu. Mein französischer Tauchkumpel lässt sich auf den Sand sinken und richtet seine Kamera auf mich.
Wir sind ein eingespieltes Team, müssen keine hektischen Bewegungen oder Laute von uns geben, denn wir sprechen die gleiche Sprache. Ich weiss, wann er abdrückt und beginne, meinen schwebenden Tanz zu vollführen.
Zuerst strecke ich meine Beine, sodass ich aufrecht im Bild bin. Dann drehe ich mich um meine eigene Achse, lasse die Luft aus meinen Lungen, sodass die Bläschen spiralförmig gen Oberfläche rauschen. Den Rest der Arbeit lasse ich das Meer machen. Durch die Bewegung löse ich einen Wirbel aus, der mich sanft einige Meter in die Tiefe zieht.
In einem Raum, wo es keine Richtung mehr gibt, kann man sich schnell im Nichts verlieren. Für viele ist die Möglichkeit, in einen Tiefenrausch zu verfallen und sich in der nassen Ewigkeit zu vergessen, angsteinflössend. Mich sinnt es ruhig, ja gar friedlich.
Im Meer wurde ich geboren. Hier ist der einzige Ort, an welchem mein Herz in Ruhe schlägt. Es ist, als verlangsame es sich in dankbarer Erleichterung.
Während ich die Schwerelosigkeit geniesse, biete ich Enzo verschiedene Posen an. Er ist mit seiner Kamera näher gekommen und ich weiss, was das bedeutet. Ich soll meinen Sauerstofftank ausziehen und nur mit Taucherbrille, Flossen, meiner Kleidung und offenen Haaren um das Wrack schwimmen. Fast wie die Meerjungfrau, die er mich nennt.
Gelassen ziehe ich mir die Jacke aus, kneife den Atemregler zwischen meine Zähne, bis ich die Schläuche und den Tank auf dem Boden abgesetzt habe. Dann atme ich mehrmals tief ein und lege sodann alles weg.
Jetzt, wo das Atmen wegfällt, wird es noch stiller in meinem Kopf. Ich schwimme kraftsparend weiter vor, sodass Enzo meinen Körper aus verschiedenen Winkeln mit dem imposanten Schiff im Hintergrund ablichten kann.
Mittlerweile bin ich gute zehn Meter von meinem Sauerstoff entfernt. Enzo folgt mir, während ich dem Wrack entlang gleite. Ein Schwarm schwarz-gelber Falterfische rauscht an uns vorbei.
Ich habe ein Ziel vor Augen: Die Korallen, die unweit vom versunkenen Schiff farbenfroh aus dem Boden spriessen.
Mein Kollege macht eine Handbewegung, die mir verdeutlicht, dass er sich um meinen Sauerstoff Sorgen macht. Ich nicke und schwimme auf ihn zu, schnappe mir den Notatemregler an seinem Tank, atme aus und inhaliere wieder tief.
Ein Atemzug. Das muss reichen.
Grinsend schubse ich ihn von mir weg und lasse mich rückwärts zu Boden gleiten. Enzo befindet sich über mir und ich weiss, dass dieses Bild das beste wird. Denn hinter und somit unter mir befinden sich die Korallen, die in ihrer bunten Farbenpracht dem Fotografen entgegen leuchten müssen.
Die Sonnenstrahlen streicheln über das Riff, ich fühle ihre Wärme an meinem Gesicht. Ich blicke nicht zurück, sondern lächle in die Kamera, während Enzo eifrig abdrückt.
Da blitzt etwas in der Linse auf, das mein Lächeln sofort ersterben lässt. Eine Farbe, die es in diesem kunterbunten Topf eigentlich nicht geben dürfte.
Weiss.
Hektisch drehe ich mich um, vergesse augenblicklich, dass ich keinen Sauerstoff auf meinem Rücken trage, denn der Anblick, der sich mir bietet, raubt mir jeglichen Atem.
Knochenweiss!
Eine fünf mal drei Meter grosse Schneise frisst sich durch die gelben, roten und violetten Korallen. Das Licht der Sonne wird vom grellen Weiss zurückgeworfen. So hell, dass es mich fast blendet.
Der Tod hat sich in mein Paradies geschlichen. Hinterhältig und unauffällig.
Verzweifelt strecke ich die Arme aus und schwimme näher heran. Meine Finger fahren über die entblössten Skelette. Sie fühlen sich rau an meinen Fingerkuppen an. Ohne Leben. Kalt und hart.
Tränen formen sich in meinen Augen und sammeln sich am unteren Rand der Taucherbrille an. Es ist, als wollten sie sich mit dem Salzwasser der See vermischen. Ich spüre den Schmerz des Meeres. So deutlich. Ich höre es, wie an dieser Stelle das Knistern der Korallen verstummt ist und nur diese unheimliche Totenstille das Weite erfüllt.
Ich suche den Boden weiter ab und schwimme weiter. Mit Schrecken erkenne ich einen zweiten weiss-gräulichen Fleck im Regenbogenspiel dieses so prächtigen Unterwasserwaldes. Noch schneller als zuvor schlage ich meine Flossen in die Richtung. Wo Enzo ist, weiss ich nicht mehr. Es spielt keine Rolle.
Dieser Anblick bricht mir das Herz.
Die Korallenbleiche hat sich ausgebreitet. Im Meer kriecht der Tod im selben trägen Rhythmus wie das Leben heran und verschlingt alles in seiner Unvermeidbarkeit. Wenn ich schreien könnte, dann würde ich das jetzt tun, nur bliese das die letzten Centiliter Sauerstoff aus meinen Lungen.
Eine Hand berührt meine Schulter. Ich will mich nicht zu der Person umdrehen, denn ich kann meine Augen nicht von diesem Elend lösen. Von Weitem erblicke ich eine dritte betroffene Fläche. Sie schimmert gräulich in der Ferne.
Ehe ich dorthin schwimmen kann, werde ich herumgerissen und etwas Hartes prallt gegen meine Zähne. Der Schlag an meine Lippen lässt meine Haut aufplatzen und ich sehe, wie sich das Wasser vor meiner Taucherbrille rötlich färbt.
Enzo hat mir den Atemregler in die Fresse gehauen! Ich knurre aufgebracht durch den Regler und schubse ihn weg, aber er krallt sich an mich, wie ein Seestern an einen Felsen.
Seine Augen sind hinter der Brille weit aufgerissen. So erschrocken habe ich ihn noch nie gesehen. Seine Finger bohren sich in meine Schultern. Ich will seinen Griff lockern, aber er lässt es nicht zu.
Was hat er denn?
Vorsichtig zieht er mich von den Korallen zurück zur Sandbank, an welcher ich meine Tauchsachen abgelegt hatte. Er tut das alles, ohne den Blick von mir abzulassen, ohne die Hand von meinem Arm zu lösen. Ich lasse ihn gewähren.
Erst als ich meine eigene Tarierjacke und den Sauerstofftank trage, wieder selbstständig durch meine Ausrüstung atme, nickt er mir zu. Seine Hand umgreift die meine und dann stösst er sich vom Sandboden ab, mich hinterherziehend.
Wir steigen auf und lassen das Elend hinter uns.
✦✧✦
„Putain de merde! Est-ce que ça va encore? Tu veux te suicider, ou quoi? Nom de Dieu!", flucht er laut auf Französisch, als wir an der Wasseroberfläche ankommen. Wenn Enzo schimpft, dann ist mit ihm nicht mehr zu spassen.
Ich hieve mich wortlos aufs Motorboot und zwänge meine Füsse aus den Flossen. Zu sehr brennt die Trauer und die Verzweiflung in meinem Brustkorb, als dass ich den Grund seiner Fassungslosigkeit wirklich verstehen könnte. Mich überkommt das starke Bedürfnis, meinen Vater anzurufen. Er muss hierüber in Kenntnis gesetzt werden. So schnell wie möglich.
Mit dem Handrücken fahre ich mir über die Unterlippe. Es blutet noch immer und das von der Hitze bereits getrocknete Meersalz brennt an der Wunde.
„Was sollte das? Du hast mir fast einen Zahn ausgeschlagen!", fauche ich zurück und zeige demonstrativ den blutigen Handrücken.
„Sonst wärst du erstickt! Hast du denn deinen Verstand verloren?"
„Ich hätte noch länger ohne Luft schwimmen können!"
„Mariana, dein Maximum ist fünf Minuten und siebenundzwanzig Sekunden", belehrt er mich.
Ich bin zwar keine Apnoetaucherin, aber für einen normalsterblichen Menschen sind das schon viele Minuten ohne Sauerstoff. Viel mehr, als die meisten überleben könnten. Mich beunruhigt es halt einfach nicht, wenn mein Herzschlag sich so sehr verlangsamt, dass man fast spüren kann, wie man stirbt. Ich empfinde es als ein schönes Gefühl.
„Das waren keine fünf Minuten!", herrsche ich ihn an.
„Nein, es waren sechs!"
Erstaunt und leicht verwirrt blinzle ich ihn an, kann meine Gedanken gerade nicht wirklich klar fassen. Der metallische Geschmack in meinem Mund spucke ich aus.
„Ich hab meinen Rekord gebrochen?", frage ich und greife zur Wasserflasche.
Unser Motorboot setzt sich in Bewegung. Der malaysische Fahrer, der immer still ist und nie ein Wörtchen mit uns wechselt, hat wohl entschieden, dass es Zeit für uns ist, nach Hause zu gehen. Der Blick auf meine Uhr verrät mir, dass es schon nach 18:00 Uhr ist.
Es ist höchste Zeit.
Enzo hockt sich hin und schüttelt den Kopf. Wir schweigen uns eisern an. Mir ist bewusst, dass Enzo nur für meine Sicherheit sorgen wollte. Das ist schliesslich seine Aufgabe als mein Tauchbuddy.
Man sollte nie alleine tauchen gehen, aus verschiedenen Gründen. Nebst dass es viele schreckliche Wege gibt, an einer Stickstoffvergiftung zu sterben, kann man sich unter Wasser schlichtweg vergessen. Viele Taucher sind nie wieder aufgestiegen, einfach weil sie nicht mehr wollten.
Der Tiefenrausch kann die Besten von uns erwischen.
Als wir uns der Bucht des Resorts nähern, verlangsamt der Fahrer das Boot. Der weite und einsame Strand vom Bubbles breitet sich vor uns aus. Der Sand eierschalenfarben, der Urwald, der den Strand umschliesst, erhebt sich dahinter sattgrün und üppig. Bei dem Anblick kann ich nur lächeln.
Ich liebe es hier.
Dieses Paradies offenbart sich nur den wenigen, die es sich zwar leisten können, hier Urlaub zu machen, aber keine Ansprüche an die Hotelanlage und das Freizeitangebot haben. Die Bungalows verfügen über Bett, Strom, Hängematte und eine Aussendusche. Mehr nicht. Kein Fernseher, kein Animationsprogramm, kein Pool. Nur eine kleine Bar, welche die leckersten Fruchtcocktails zaubert und sich in die beste Küche der Welt verwandelt, wenn das Essen serviert wird.
Ins Bubbles kommt man, wenn man tauchen oder schnorcheln gehen will, oder wenn man ein paar Tage abgeschottet von der Menschheit in der makellosen Natur verbringen möchte.
Normalerweise achtet Bob bei den Buchungen auch wirklich sehr penibel darauf, wen er auf seinen Strand lässt.
Deswegen bin ich umso mehr schockiert, als ich das riesige Sportboot vor unserem Riff erblicke. Eine hässliche, eisblaue Lackierung weist es auf. Der spitze, aerodynamisch geformte Bug und die Grösse des Motors am Heck verraten mir, dass man mit dem Ding über die Wellen fliegen kann, wenn man möchte. Das Fahrzeug hat mehr Ähnlichkeit mit einer Rakete als mit einem Schiff.
Selbst Enzo ist über den Anblick dieser Kraftstoffschleuder überrascht. Das Boot passt überhaupt nicht ins Bild unseres sonst so naturfreundlichen Resorts.
Eine Umweltsünde in ihrer glänzenden Pracht ist das.
Der Fahrer schifft uns vorsichtig daran vorbei und schlängelt sich durch das seichte Wasser. Da unser hauseigenes Korallenriff direkt vor der Tür wächst, ist bei der Einfahrt zum schwimmenden Bootssteg - auch Jetty genannt - besonders viel Vorsicht geboten. Der Schiffsbauch könnte die Korallen zerstören, die hier gedeihen. Aus diesem Grund herrscht ab einer Distanz von hundert Metern absolutes Fahrverbot für tiefgängige Boote, wie es dieses CO₂-hustende Ding ist.
Am Jetty angekommen, werden wir von meinem Chef empfangen. Bob steht da, in seiner schwarzen, knielangen Badehose, nacktem Oberkörper und die langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. In seiner Hand hält er eine Bierflasche, was mich stutzen lässt.
Bob trinkt nie vor den Gästen. Eigentlich darf er das als Moslem sowieso nicht. Da scheint ihn etwas total aus der Bahn geworfen zu haben, dass er eine so heilige Regel bricht. Ich hüpfe von unserem Motorboot und gehe auf ihn zu.
„Wem gehört das?", will ich wissen und meine damit die motorisierte Schande vor unserem Riff.
„Dem neuen Teammitglied", lautet die knappe Antwort.
„Und wo ist dieser ekelhafte Kerl?", frage ich.
„Noch auf seiner Penisverlängerung. Wir haben auf euch gewartet, damit ihr ihn an den Strand bringen könnt. Die Kommunikation mit dem Typen war über die Distanz etwas schwierig. Fast wäre er über das Riff gefahren und auf der Sandbank aufgelaufen."
Ich schüttle den Kopf und binde meine nassen Haare zu einem Dutt im Nacken zusammen. Wenn dieser Kerl so ignorant ist, dann weiss ich beim besten Willen nicht, was der auf unserer Insel zu suchen hat.
„Wie wär's, wenn wir ihn dort lassen?" Mein Schmunzeln stimmt Bob allerdings nicht fröhlich.
„Das geht nicht. Wir brauchen ihn", seufzt der Malaysier und hebt die Flasche an die Lippen.
Am düsteren Schatten auf seinem Gesicht sehe ich, dass ein Nachhaken meinerseits in diesem Moment nicht angebracht ist. Obwohl ich gerne wissen würde, was er damit meint, unterlasse ich es, weitere Fragen zu stellen. Bob ist offensichtlich nicht in Stimmung, mit mir darüber zu sprechen.
„Soll ich ...?", stelle ich die unausgesprochene Frage.
„Ja, bitte. Du hast die stärksten Nerven von uns allen und bist am schlagfertigsten."
In drei Schritten bin ich wieder bei unserem Boot und werfe den Motor an. Als Tauchlehrerin lernt man verschiedene Skills. So gehört auch das Steuern von Motorbooten dazu, denn diese bringen uns schliesslich zu unseren Tauchplätzen. Geschickt navigiere ich das Boot von der Anlegestelle über das Riff.
Beim Anblick dieser blitzblanken Kanone wird mir mulmig zumute. Ein Gefühl sagt mir, dass sich einiges mit der Ankunft dieses offenbar reichen Fremden verändern wird und ich bin mir nicht sicher, ob es zum Guten ist.
✦✧✦✧✦
Hallöchen
So, wir waren mit Mariana unter Wasser. Ich hoffe, es hat euch gefallen.
War jemand von euch schon einmal tauchen? Ich kann euch das wärmstens empfehlen, es ist wahrlich ein wunderbares Gefühl.
Ahja und siehe da: Der unerwünschte Gast ist endlich angekommen. Im nächsten Kapitel hat er seinen Auftritt (ich weiss, da warten gewisse Leserinnen schon ganz gespannt darauf.).
Hab euch lieb und wünsche euch ein tolles Wochenende!
Eure Fleur
(Chapter Photo by Ahmed Areef: https://unsplash.com/photos/xSTZPuSmI8A)
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