Sie verstaute Alistairs Broschenkästchen und seine Dokumente in ihrer Umhängetasche. »Vielen Dank für deine Unterstützung. Ich bringe dir alles sicher und unbeschädigt wieder zurück.«
Doch er winkte nur ab. »Wenn man so alt ist wie ich, werden diese Broschen irgendwann bedeutungslos. Wissen kann man nicht mit Erfahrung aufrechnen. Allerdings« – Alistair lehnte hinter ihr an der Eingangstür – »ist meine Hilfe an eine Bedingung geknüpft: Die, dass du Arnault zurückgibst, was du ihm gestohlen hast.«
Einen Mörder von seiner Strafe befreien? Sie packte den weichen Lederriemen ihrer Tasche fester. »Arnault weiß, wer ich bin.«
»Ich weiß auch, wer du bist.« Der Druide zuckte gleichgültig mit den Achseln. »Arnault ist nicht dumm und du solltest es genauso wenig sein – zumindest, wenn du meine Unterstützung haben willst.«
Langsam presste Sera die Luft heraus. »In Ordnung.« Irgendwann vielleicht.
Sie wandte sich zur Fläche unter den Bäumen, wo noch wenige Monate zuvor vollgesogene, bunte Pilze standen und wo Saoirse und die Panthera jetzt bei Janek und Killian saßen.
»Er hat es dir wirklich nicht gesagt, hm?«
Seraphina schloss die Augen. Ihr Bruder war ein Manipulator. Nicht weinen. »Noch nicht«, ließ sie ihre Gabe für sich sprechen und schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid.« Doch Alistairs Stimme hinter ihr verklang in einer Kälte, die nicht vom aufgewühlten Schnee herrührte.
Auf der anderen Seite der Lichtung hielt Saoirse den jungen Lehrling im Arm, während Quiva und Rory ihren Vater anstupsten und zum Spielen anzuregen versuchten.
»Saoirse?«
»Féileacán.« Die Druidin wand sich aus Janeks Umklammerung und stand auf. »Konnte Alistair dir helfen?«
»Ja, danke.« Während Janek nun schniefend den Kopf in Killian vergrub, ging Sera zum gefrorenen Teich mit seinem stillstehenden Miniaturwasserfall.
Tausend kleine Luftbläschen sprenkelten die Eiszapfen wie Sterne den Nachthimmel. Kälte brannte in ihren Augen und stach in ihre Lungen. »Mein Bruder ist ein Anhänger der Schwarzen Katze, nicht wahr?«
Ein Seufzen und neben ihr stiegen Wölkchen gen Himmel. »Du wirst eines Tages wie die Sonne sein, Féileacán. Réalta wird eines Tages wie der Erste Stern sein. Als Tagfalter bist du im Licht geboren, als Nachtfalter wird er dir den Rücken decken.«
»Das beantwortet meine Frage nicht.«
»Nein, aber das muss es auch nicht.«
Sie blickte Saoirse an.
Anspannung über den sonst so fröhlichen Zügen. Ewig alte Bernsteine, die sich wie Nadeln in ihre Augen bohrten.
»Gaben sind nicht das Entscheidende bei einer Person, sondern das hier.« Saoirse legte sich die Hand aufs Herz wie bei den Opfern für das Fest so viele Monate zuvor. »Und das ist bei Réalta an der richtigen Stelle.«
Ungesehene Tränen rannen Sera über die Wangen. Keine Verneinung war auch eine Bejahung.
Eine Erkenntnis, die ihr das Rückenmark hochschoss. Lucien hatte ihre Gefühle verdreht, sie glauben lassen, was nicht echt war und seine Gabe schamlos an ihr ausgenutzt!
Ihr Bruder hatte sie verraten.
Und sie hatte ihm vertraut.
Sera rannte. Weg hier! Weg von Saoirse. Weg von Alistair.
Ihr Märchenprinz von damals existierte nicht mehr. Lucius war tot.
»Féileacán, warte!«
Was sie leider auch musste – aber nicht wegen Saoirse. »Öffne die Lilie«, knurrte Sera die Druidin hinter ihr an.
»Nein.« Sie schlenderte mit diesem viel zu entschlossenen Ausdruck für ihren leichtfertigen Charakter auf Sera zu. »Nicht, solange du mir nicht richtig zugehört hast.«
Sera wich einen Schritt zurück. »Ich weiß, was ich wissen muss. Ich bin eine Aureum: Ich habe keinen Bruder.«
»Ist das dein Ernst? Was ist mit den letzten sechs Monaten? Réalta hat immer versucht, dich zu verteidigen. Zählt das alles gar nicht mehr?«
»Wie könnte eine Lüge zählen? Wegen ihm habe ich Marika damals nicht aufgehalten. Wegen ihm hätte Stojan mich fast geköpft. Wegen ihm hatte ich wirklich geglaubt, wieder so etwas wie eine Familie zu haben!«
Saoirse starrte sie mit offenem Mund und glasigen Augen an. »Aber die hast du doch noch.«
»Nein.« Sie rutschte am Lilientor in den eisigen Schnee. Wenn es nach Lucien gegangen wäre, würde sie noch immer eine Lüge leben.
Er vertraute ihr nicht. Hatte es nie.
»Réalta – Lucius – ist noch da.« Als näherte Saoirse sich einem wilden Tier, pirschte sie ohne jedes Geräusch zu Sera. »Er war nie weg. Er hat immer darauf gewartet, dass du Ratsherrin wirst und er endlich wieder nach Hause gehen kann. Zu dir. Nach Arta. Zum Pavillon im Rosengarten und zum Kirschbaum eurer Mutter, von dem ihr immer den Steilhang zum Strand runtergeklettert seid. Quentin. Die Sternstunden. Euer morgendliches Musizieren. Glaubst du wirklich, das alles ist ihm egal geworden?«
»Der Rosengarten ist verwelkt, sein Klavier und meine Violine Kleinholz und Quentin ein Mörder! Das, wonach Lucien sucht, gibt es nicht mehr!«
Saoirse hockte sich vor sie, dass Sera ihr geradewegs in die Augen sah. »Aber das, was er am meisten gesucht hat, ist hier.«
»Ach, ja?«, lachte sie mit trockener Kehle. Ihre Handballen trockneten ihr das Gesicht und sie blickte an der Druidin vorbei in die Senke. Wenigstens spähte von dort niemand zu ihnen hoch.
»Ich weiß, dass du dir Ehrlichkeit von ihm gewünscht hast. Und ich weiß, dass Lucius sich nach nichts mehr sehnt, als für den akzeptiert zu werden, der er wirklich ist. Was denkst du, wie fühlt sich jemand, der als Kind von zu Hause rausgeflogen ist und seit Jahren nicht mehr weiß, wo er noch hingehört? Wir konnten in Deireadh, in Dasotrada oder den Schneefängen sein – er ist ein Schmetterling. Und ein Schmetterling gehört nicht ins Land der Panthera oder der Leuchtkäfer oder des Schnees. Er gehört ins Land der Schmetterlinge. Er gehört zu dir.«
Sera lugte zu Saoirse.
Sie lächelte. Trotz der beinahe überlaufenden Bernsteine und ihrem viel zu häufigen Blinzeln.
»Geh zu ihm, Fina«, flüsterte Saoirse. »Geh zu ihm und sei ehrlich. Dann wird er versuchen, dir Ehrlichkeit zurückzugeben.«
~✧~
Ehrlichkeit ...
Schweigsam wie ein ›stummer Singschwanz‹ – als ihre Mutter noch gelebt hatte, hatte ihr Vater ihr einmal den Singschwanzchor aus der Nachttrilogie im nun verdorrten Rosengarten erschaffen – betrat sie Bastiens Burg und suchte das Arbeits- und Besprechungszimmer des Stadtgrafen auf, um Alistairs Dokumente für Wyatt abzugeben.
»Dass man eine so prächtige Schatulle überhaupt verstauben lassen darf.« Bastien inspizierte die geschnitzten Füchse und Figuren. »Erhält jeder Absolvent eine so hochwertige Kiste?«
»Mittlerweile werden sie aus Birnbaumholz gefertigt, weil die Hartholzbearbeitung zu aufwändig und teuer für so viele Absolventen ist.« Wyatt stellte seinen Tee beiseite und nahm die Blätter aus der knisternden Ledermappe.
Vier längst vergilbte Urkunden zu Alistairs Abschlüssen, jede mit dem Fuchswachssiegel und der Unterschrift der damaligen Meisterin der Universität – Nika – beglaubigt. Das fünfte, kleinere Dokument beinhaltete ein farbiges Portrait des ehemaligen Studenten als Ausweis.
»Geboren achthundertsechsundneunzig.« Der Herzog pfiff eine anerkennende Melodie und Sera legte die Stirn in Falten.
So alt war Alistair? »Man hat mir gesagt, Lucien wäre auf der Burg?«
Bastien begutachtete den Hennenknauf. »Euer Professor hat ihn gerade erst die Treppen hochgeschleift. Was er wollte, war mir schleierhaft. Wie er hier hereingekommen ist, ebenso. Nicht aber, dass es – «
»Stadtgraf.« Wyatt hob die Hand und sofort zuckte Bastien zusammen, während der Herzog Sera freundlich zulächelte. »Wenn Euch etwas bedrückt, höre ich Euch gerne zu, Füchsin. Manchmal hilft eine unbeteiligte Person, seine Gedanken wieder zu ordnen.«
»Habt vielen Dank für Euer Angebot, doch zuvor gibt es ein anderes wichtiges Gespräch.« Sie verbeugte sich und flüchtete aus dem Raum.
»Sagt, Herzog, wozu das Huhn auf der Schatulle?«, hörte Sera Bastien noch fragen, ehe sie die Tür vollends schloss.
War das, was sie jetzt tun wollte, wirklich ihr Wunsch oder hatte Lucien sie immer noch im Griff?
Jede Treppe fühlte sich zu kurz an, wenn man das obere Ende fürchtete. Schon vor der letzten Windung zu Tjelvars und ihren Zimmern spürte sie die starke Präsenz ihres Professors und die schwächere ihres Bruders.
»... du? Was soll das?«, knurrte Lucien so befremdlich wie damals, als er Tjelvar des Betrugs bezichtigt hatte.
»Die Frage sollte ich dir stellen. Willst du Wyatt aufspießen, damit Émile mit einer richtigen Armee auf der anderen Seite des Verts steht?«
Sera öffnete die Tür nicht. Dahinter standen zwei Männer und zwei Geheimnisse – und sie hatte eine Gelegenheit, sie zu erfahren.
»Glaubst echt, der Duc ist besser? Wer hat sich denn das kleine Prinzchen an seinen Hof geholt, um ihn auszubilden? Was Émile heute tut, hat der Herzog ihm beigebracht!« Stiefel scharrten über den Teppich.
»Was Émile und Wyatt mutmaßlich tun, ist Philippes Schrecken zu beenden. Ein Ende der Druidenpogrome sollte doch auch in deinem Interesse sein, oder nicht?«
»Das nennst du ein Ende?«, lachte Lucien. »Der lässt auf Menschen und Druiden gleichermaßen schießen. Mit Émile und Wyatt werden die Druiden von Todgeweihten zu Sklaven!«
»Du musst es ja wissen«, spottete Tjelvar. »Schwarzer Kater.«
Stille.
Sera hörte nicht einmal mehr Atemzüge auf der anderen Seite der Tür. Nur das Blut in ihren Ohren und ihre innere Stimme, dass es die ganze Zeit schon offensichtlich wäre.
Selbst Tjelvar hatte es also gewusst ...
»Das war Alistair«, zischte ihr Bruder. Zusammen mit dem Ziehen von Metall aus Leder.
Seraphina stieß die Tür auf. »Das reicht, Lucien!« Niemals ließ sie zu, dass er ihren Professor angriff – ob der sich selbst verteidigen konnte oder nicht. Es ging um die Symbolik.
Lucien wurde die ganze Farbpalette an Beigetönen heller, bis er wie eine Marmorstatue aussah und sein Messer ihm fast aus der Hand rutschte. »Fina ...«
»Spar dir die Worte.« Sie trat ein und ließ die Tür offen.
Tjelvar schien ihre Anwesenheit genauso gespürt zu haben wie sie seine. Mit verschränkten Armen und gehobenen Brauen in Luciens Richtung stand er vor dem kalten Kamin wie eine Mauer in der Flut.
»Diese Witzfigur von Wasserteufel möchte mit dir reden, Tjelvar. Irgendetwas wegen eines Roten Königs in Yulth.« Sie krallte die Fingernägel ins Holz. Hoffentlich verpasste er Hakim den längst überfälligen Denkzettel für seine Manieren!
Doch der wurde blass und starrte sie an, als wäre sie ein Geist. Dann schlich er aus dem Raum – Sera immer im Blick – ehe seine Schritte die Wendeltreppe herunterflogen.
»Fina, ich ...« Der vierzackige Stern der Familie Aureum blitzte an der Klinge von Luciens Messer auf, als es auf den blassroten Teppich fiel.
Seraphina schloss die Tür und lehnte sich mit den Händen hinterm Rücken gegen sie. Senkte den Kopf und atmete durch.
Ehrlichkeit ...
»Weißt du, was das Schlimmste daran ist? Dass mir eine Fremde sagen muss, wer mein eigener Zwilling wirklich ist. Wir sind seit fast sieben Monaten in Sale und jetzt erst lerne ich dich richtig kennen. Ich wünschte, du hättest es mir selbst gesagt.«
Seine Beine knickten beim Versuch ein, auf sie zuzugehen. Stattdessen sackte er zwischen dem Stern und dem Sofa auf die Knie. »Tut mir leid.«
Seraphina drückte sich gegens Holz und presste die Kiefer aufeinander. Solange sie bezüglich Arnault nicht besser war, schuldete sie ihm ihr Gehör. »Ich habe deine Gedanken nicht abgehört. Ich habe nicht hingesehen, wenn du allein warst. Du solltest mir erzählen können, was du mir erzählen wolltest und dir die Zeit dafür nehmen, die du brauchst.«
Ein Wimmern war Luciens einzige Antwort.
Ihre Zähne hätten Eisen zu Sand mahlen können. Er würde ihre Ehrlichkeit erwidern? Nichts tat er! »Jetzt sag endlich was! Das kann dir doch nicht alles egal gewesen sein!«
»Ich ...« Ein kurzes Schniefen und eine noch viel längere Pause. »Du bist klug und mutig und weißt immer, was zu tun ist. Und ich ... Ich will dich nicht verlieren.«
Sie sollte ...? Sera fielen fast die Augen aus. Auf jeden konnte das zutreffen, nur nicht auf sie. »Dabei bist du derjenige von uns beiden, der frei ist. Der seinem Schicksal entkommen ist und nun tun kann, was immer er will.«
Er starrte sie mit offenem Mund an. »Was? Ich bin ... Das nennst du Freiheit?«
Ihre Beine trugen sie zu ihrem Spiegelbild, bis sie vor ihm kniete und sich ein erbärmlich zitterndes Lächeln abrang.
»Du bist mein Bruder, Lucius, und das wirst du immer bleiben. Genau wie ich immer deine Schwester sein werde. Ich habe dich all die Jahre so unendlich vermisst. Arta ohne dich war keine Heimat mehr und hier – von allen Orten ein wirres Krisengebiet am Ende eines Krieges – hier habe ich mein Zuhause wiedergefunden: Weil ich dich wiedergefunden habe. Um nichts in der Welt werde ich dich zurücklassen. Das schwöre ich dir unter dem Antlitz der Sonne.«
Ihr Spiegelbild weinte mit ihr – umschlang sie genauso fest wie Sera ihn.
War sie gerade wirklich verzweifelt und doch froh, Lucius jetzt endlich richtig zu kennen? Waren das ihre eigenen Gefühle?
War es jetzt noch wichtig? Früher hatte sie sich immer gewünscht, ihn wiederzusehen. Sie hätte so vieles dafür gegeben, ihn nie verloren zu haben. Niemals von seiner Seite gewichen zu sein. Bei ihm gewesen zu sein.
Und jetzt war sie hier.
~✧~
»Vom Vorfall im Untergrund von Cadeau hab ich dir schon mal erzählt, als wir das Fest der Krähe und der Saat vorbereitet hatten.« Lucius betrachtete seine drahtigen Finger. »Émile war Herr über die Stadt und hatte uns schon seit fast einem Jahr gesucht. Hat einen Spitzel in unser System geschleust und Informationen über die gefangenen Druiden der Königsfamilie durchsickern lassen. Und wir Idioten hatten ihm geglaubt.«
Seraphina und Lucius saßen auf dem Sofa vor dem flackernden Kamin, umgeben von wohliger Wärme und Vertrautheit.
Und dem Gefühl von Heimat – ob nun ihr eigenes oder nicht.
»Bei all unsren Sitzungen war er dabei und hat manchmal selbst Überfälle geplant. Als wir ins Schloss einbrechen wollten, hat er für uns die Geheimgänge gesucht. Sie führten direkt ins königliche Druidenverließ, wo die Herzogsfamilie de Cadeaux ihnen das Blut abzapfte. Erst lief auch alles gut, aber als wir wieder verschwinden wollten, waren die Tunnel versperrt. Émile hat mit seiner Leibwache gewartet, bis er uns alle abschießen konnte.«
Auch ohne ein Seher zu sein, konnten Menschen Hinterhältiges vollbringen. Wie würde sich dieser scharfsinnige, listige Statthalter als König bewähren? Würde er Überfälle auf Mervailler konstruieren, die die Druiden verübt haben sollten, damit der Krieg im Süden seine Daseinsberechtigung behielt?
»Mich und Saoirse haben die Schützen auch erwischt. Hatten nur Glück, dass wir den Angriff überlebt hatten.« Lucius zog seinen rechten Arm unter seinem Hemd hervor und präsentierte stechende Rippen. Erst auf Brusthöhe zeigte sich eine fingerbreite, helle Narbe. »Die andre hab ich im linken Oberschenkel. Saoirse ist spät dazu gekommen, sie zu heilen, darum sieht man sie noch.«
Ihr Bruder hätte tot sein können. Abgeschlachtet durch den Mann, der jetzt König war und als Heilsbringer eine neue Ära einläuten sollte!
Sie starrte von seiner Narbe in seine Augen. »Was hat ihn gehindert, dich zu töten?«
Lucius zuckte mit den Schultern. »War der Einzige, der seine Fragen noch beantworten konnte. Und er wollte jeden einzelnen von uns kriegen. Hat nächtelang versucht, es aus mir rauszufoltern. Mich zusehen lassen, wie sie im Gabenschlaf Saoirse Flasche um Flasche bluten ließen. Irgendwann hab ich 'ne Stimme gehört. Dachte erst, ich wär wahnsinnig geworden.
Hat mich gefragt, ob ich Émile hasse. Hab ihr gesagt nein, sondern nur, dass ich Saoirse retten und weg wollte. Die Druiden töten auch nur, wenn sie nicht anders können, also tu' ich's auch nicht. Die Stimme hat noch gesagt, dass die Druiden auch nicht anders können und gefragt, ob ich wirklich bereit bin, ihren Fluch zu teilen, wenn ich sie dadurch retten kann. Hab ja gesagt und dann ist meine Haut dunkler geworden.«
Sie nahm seine Hand und schmiegte sich an ihn. Tatsächlich wirkte seine Haut neben ihrer wie sonnengeküsstes Pergament. Wollte er damit sagen, die Schwarze Katze wäre für die bedingungslose Friedfertigkeit der Druiden verantwortlich?
»Hat sich angefühlt, als würd's keinen Ort auf der ganzen Welt geben, an den ich hingehöre, und ich wurde Manipulator.«
Der Nachmittag zog vorüber und die Sonne begrüßte den Horizont, als die Zwillinge noch immer auf dem Sofa saßen – nun mit einer Decke um sich – und Lucius ihr seine Gabe erklärte.
Anders als Seher oder Druiden verfügten Manipulatoren über eine stets konstante Menge Energie. Sie konnten nichts absorbieren und genauso wenig abgeben. Lediglich das beeinflussen, was schon vorhanden war, und auch nur die Emotionen, an die sie gebunden waren – Angst, Trauer und Einsamkeit in Lucius' Falle. Je länger er in der Nähe seiner Zielperson blieb und seine Gabe nutzte, umso stärker und langanhaltender die Wirkung.
»Lass uns auf etwas schwören, Lucius – im Angesicht der letzten Strahlen der über alles richtenden Sonne.« Sie reichte ihm die Hand. »Dass von nun an keiner den anderen ohne dessen Einverständnis täuscht, belügt, beschattet oder beeinflusst.«
Sein Blick wanderte durch den Raum, ehe er sie zögernd fixierte.
Schließlich nahm er ihre Hand. »Unter dem wachsamen Licht der rechtsprechenden Sonne, unter dem allgegenwärtigen Licht des leitenden Ersten Sterns, unter der Demut vorm Herrn der Welt: Ich, Lucius Elio Amias Aureum« – seine Schultern fielen ein ganzes Stück herab – »schwöre hiermit, meine Gabe dir gegenüber nicht mehr unerlaubt und ohne dein Wissen zu verwenden.«
Fina nickte und wiederholte seine Worte mit ihrem Namen.
Die vom Phönix herabgetragene Sonne, der ewig stehende Erste Stern und der leuchtende Silbermond bezeugten ihren Eid.
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