30. Bastien - Sohn des Schlächters
Michels Forderungen verließen sein Arbeitszimmer nicht. Sera konnte sagen oder vorschlagen, was sie wollte: Bastiens Antwort blieb die gleiche.
Und jetzt? Sollte sie die Geheimniskrämerei zwischen Bastien und Nolann fortsetzen, sobald Tjelvar und der Kommandant zurückkamen?
Nein, das fiel auf. Es wäre nur ein weiterer Verstoß gegen Xandrias Vorschriften. Sie musste Bastien anders überzeugen, Nolann einzuweihen.
Seraphina fand den Stadtgrafen an diesem neblig kalten Nachmittag nicht in seinem Arbeitszimmer, sondern auf dem oberen Burghof. Er übte wieder mit seinem Lehrmeister den Schwertkampf – beide in Plattenrüstung und mit Anderthalbhändern bewaffnet.
Klappernd umlauerten sie sich, ehe Bastien einen Angriff vortäuschte. Sein Lehrer zuckte nicht einmal mit der Schwertspitze. Als Bastien schließlich angriff, klirrten die Schwerter aufeinander und im nächsten Moment rammte sein Trainer ihn mit der Schulter zu Boden.
»Gute Angriffe, Euer Ehren. Nur an der Verteidigung Eurer rechten Flanke müsst Ihr noch arbeiten.« Bastiens Lehrer reichte ihm die Hand und stemmte ihn wieder auf die Beine.
Der schnaufte und die Schlitze seines Visiers deuteten auf Seraphina. »Heute nicht in der Stadt, Füchsin Jeanne? Wobei auch immer Euer Professor dem Kommandanten helfen soll, sie lassen sich Zeit.«
»Allerdings.« Sie schluckte. Versuchte sich an einem Lächeln und trat näher. Ritter. Waffen. Zum Töten. »Er sollte heute oder morgen wieder zurück sein. Übt Ihr für das Erbe Eures Vaters?«
Mit gepanzerten Händen zog Bastien das Visier hoch und der Schweiß auf seinen Wangen reflektierte den Schnee und die gelben Burgmauern. »Ja. König Philippe erwartet vom Sohn des Druidenschlächters ebenso viel Hingabe und Kampferfahrung. Irgendwann werde ich der Bluthund der Nation sein, der den Duthchal-Wald niederbrennt«, sagte er erhobenen Hauptes. Und doch klang es rezitiert.
»Was haltet Ihr von einer Runde Schach? Strategen kann ein König ebenso sehr gebrauchen wie Kämpfer.« Seraphina lächelte. Auf einem Übungsplatz konnte sie kaum mit ihm reden, wie sie es brauchte.
Sein Blick huschte zum Ritter mit dem wettergegerbten Gesicht, der Sera unter hochgeklapptem Visier musterte. »Für heute entschuldige ich mich. Morgen zur selben Zeit stehe ich wieder hier und baue meine rechte Verteidigung aus.«
Der alte Trainer nickte nur, nahm die Schwerter und verließ den Hof.
Der Stadtgraf nahm den Helm ab und schmunzelte. Seit der Nahrungsmittelknappheit im Herbst war sein Gesicht so viel schmaler geworden. »Danke«, flüsterte er. »Also auf zu einer Runde Schach, meine Füchsin.«
Schach. Ein Spiel, das Bastien sogar noch früher erlernt hatte als Seraphina – und schon sie war damals noch zu jung, um echte Strategien auf dem Brett zu entwickeln.
Doch er war ein anständiger Spieler, ein guter Gewinner und ein noch besserer Verlierer – lobte Sera gar, wenn sie seine Taktiken aufbrach. Hatte er sich bei ihrem ersten gemeinsamen Spiel noch auf sein Verhör fokussiert, war er nun aufmerksam wie ein Adler.
»Wisst Ihr, woran mich Eure Taktik erinnert, Füchsin?« Er gab ihr die Spielfiguren zurück, die er in seinem Feldzug erobert hatte. »An Täuschungen und Finten.«
Sie stellte ihre Figuren erneut auf. »Mein Vater sagte immer, beim Schach gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man spielt ehrlich und verliert, oder man lügt und verliert sich selbst.«
»Ein weiser Mann.« Nach einem Zupfen an seinem dunkelblonden Kinnbart schob Bastien den ersten Bauern vor. »Aber es gibt noch eine dritte Spielart: Die Rücksichtslose. Seid bereit, Opfer zu bringen, und Ihr gelangt ebenfalls zum Ziel.«
Da stutzte sie und zog die Brauen zusammen. »Haltet Ihr Opfer für den richtigen Weg?« Der perfekt geschliffene Elfenbeinläufer lag kühl und schwer in ihrer Hand, als sie mit ihm das Mittelfeld absicherte.
»Haltet Ihr Lügen für den richtigen Weg?« Aus der Lücke preschte der Springer heraus und flankierte seinen Bauern im Mittelfeld.
Sera blickte auf.
Bastiens nachtblaue Augen stachen in ihre.
Der Adler lauerte ihr bereits auf. Legte den Kopf schief. Ganz so, als wollte er einschätzen, ob sie Beute oder Konkurrenz war.
Also stellte sie ihren Läufer wieder ab. Legte sie die Ellenbogen auf die Tischplatte und ihr Kinn mit einem süffisanten Grinsen auf die verschränkten Finger. »Lügen pflastern den Weg zur Wahrheit. Warum würdet Ihr Opfer bringen?«
Wenn er ein Adler war, musste sie ein Drache sein.
»Ich?« Er wich nur kurz zurück, bevor er seine Stellung wieder bezog. Dann hob er die Brauen und tippte dem detailliert gearbeiteten König aufs Haupt. »Nicht ich entscheide, welche Figur fällt. Doch eines weiß ich: Der König braucht seine Bauern, wenn er leben will - und für die sieht es im Augenblick schlecht aus.« Bastien schob ihr seinen Bauern zum Fraß vor. »Das ist, was aus ihnen geworden ist.«
Es barg noch nicht einmal ein Risiko, ihn anzugreifen. »Ihr hättet ihn schützen können.«
»Hätte ich. Habe ich aber nicht.« Nun lag das Grinsen in seinem Gesicht. Er faltete die Hände und lehnte sich zurück.
Sera blickte von ihm zum Bauern. Wenn sie ihn angriff, war sie genau wie Bastiens König. Wenn sie es nicht tat, würde er ihr früher oder später gefährlich werden. Aber eigentlich ging es schon gar nicht mehr ums Schach, nicht wahr?
Also tat sie den Zug. Erwartete Bastiens Erklärung.
»Willkommen in meinem Königreich, Füchsin!« Er breitete die Arme aus und lachte. »Wir opfern Bauern. Wir opfern Land. Wir opfern Leben und wir opfern die Wahrheit. Alles nur für eine nachtverdammte Lüge.«
»Für die Lüge, das Leben hätte den König getötet?«
Jeder seiner Gesichtszüge wurde ernst, als hätte sie ihn des Hochverrats beschuldigt. Doch er nickte. »Für die Lüge, das Leben hätte den König getötet. Schon als die alte Partie Schach noch andauerte, hatten Springer, Läufer und Turm ihre Bauern ausbluten lassen. Die restlichen haben sie dann aus Angst niedergemetzelt. Wir wollen ja nicht, dass Bauern sich gegen ihre Herren wenden.« So hob er seinen Springer und ignorierte das sinnlose Opfer zuvor.
Seraphina musterte die Formation der Spielfiguren. Suchte in diesem Beispiel nach einer Taktik.
Opfer? Lüge? Wahrheit? Wahrscheinlich Lüge.
»Würdet Ihr die Bauern abschlachten?« Sie spielte den Turm aus.
Bastien reckte das Kinn. »Bin ich mein Vater? Bauern sind interessante Figuren. Wenn ein König schlau ist, kann er aus ihnen alles machen. Allein dafür lohnt es sich, sie leben zu lassen.« Sein Läufer gewann ihren Turm und verschwand wieder, ehe sie zuschlagen konnte.
Da endlich begriff sie seine Taktik: Sein Opfer hatte den Ausbau ihrer Stellung verzögert. Sein Springer war eine Lüge. Seine Worte zuvor die Wahrheit.
Und sie bereits in der Defensive.
Er grinste und trommelte einen Siegestakt auf dem Holztisch, während sie sich auf die Unterlippe biss.
Dass ein Emporkömmling sie so sehr blenden konnte ... »Was wollt Ihr aus den Bauern machen?«
»Sie nutzen.« Bastien setzte nach. Zug um Zug pflügte er durch ihre Reihen. »Wir können sie spielen lassen – für unsere Sache kämpfen lassen – aber am Ende ist es ihre Existenz, die den Erhalt des Gemeinwohls sichert. Wir brauchen sie.«
Sie widerstand dem Drang, sich durch die Haare zu fahren. Eine Drachin hätte sie sein sollen, keine Maus! Jetzt musste sie zumindest ebenbürtig erscheinen. »Meine Königin hat einmal gesagt, der edelste König pflegt den buntesten Garten.«
»Eure Königin ist wahrhaftig mit des Silbermondes Gunst gesegnet.« Mit einem letzten Zug setzte er sie schachmatt und schmunzelte.
Seraphina ließ den Kopf sinken. Er hatte gewonnen. »Jetzt ist sie ihm wieder ganz nah«, krächzte sie.
Bastien weitete die Augen, zog die Hände unter den Tisch und starrte aufs Schachbrett. »Das tut mir leid, Füchsin.«
~✧~
Ein Mervaille, das die Druiden wieder achtete ...
Hatte der Mondgott ihnen die Lilie gezeigt, damit Sale zum Vorreiter dieser Zukunft werden konnte? Die Vergangenheit, der auch ihre Mutter nachgetrauert hatte, wiederbeleben konnte?
Am nächsten Mittag trotzte Seraphina dem peitschenden Wind auf der Burgmauer und dem eisigen Stechen in ihrer Brust, wann immer sie an die längst verwaschenen Märchenstunden dachte. Wie Lucius auf dem Schoß ihrer Mutter saß.
Und sie auf dem ihres Vaters.
Sie schlang den Umhang mit dem weichen, beigen Wolfsfell enger um den Körper und betrachtete die Soldaten, die als Stadtwachen patrouillierten.
Wann hatte ihr Vater aufgehört, für sie da zu sein? Wann, sie in den Arm zu nehmen? Wann hatte sie ihn das letzte Mal lachen gehört?
Selbst durch den Tränenschleier sah sie die beiden Soldaten von Süden her noch, wie sie durchs Haupttor der Stadt und weiter durch die Straße zu den Docks ritten. Waren das Männer aus der Stadtwache?
Oder Männer aus dem Arbeitslager?
Seraphina rieb die Augen trocken und tastete sich die vereiste Treppe herab. Wenn weder Tjelvar noch Nolann bei ihnen waren und sie trotz allem zur Burg wollten, konnten sie nur eine Botschaft für Bastien haben.
»Sale steht ja noch! Verzeiht, Stadtgraf, aber habt Ihr den Wasserteufel auf der Savage gesehen?«
»Was beim Silbermond ...? Sagt mir nicht, der Wasserteufel ist ausgebrochen!« Bastien fiel das Schwert beinahe aus der Hand, als er sein Training zum zweiten Mal in Folge unterbrach und Sera sackte das Herz in die Magengrube.
Verflucht!
Sie drehte sich weg und blickte über die verschneite Landschaft. Hoffentlich hatte niemand ihre entgleisten Gesichtszüge bemerkt!
»Aufseher Arnault hat noch versucht, ihn aufzuhalten, aber ...« Der Erste stockte.
»... der Wasserteufel hat's trotzdem geschafft und ist über die Savage geflohen. Wenn er hier nicht mehr ist, ist er schon weiter unten auf dem Vert und ganz am Ende ...«
Ganz am Ende lag erst die Mündung in die Vie, dann Cadeau – Mervailles Hauptstadt. Wäre Hakim wirklich dort, hätte er zehntausende Leben gefährden können.
Vorsichtig drehte sie den Kopf zur Seite und spähte aus den Augenwinkeln zum Geschehen.
Bastien war zu einer Metallstatue in Richtung Fluss gefroren. »Wann ist der Teufel geflohen?«
»Äh ... Vor acht Tagen? Der Kommandant wollte ihn erstmal suchen lassen, bevor er Alarm schlägt. Aber was passiert, wenn er Cadeau angreift? Er wird die Stadt doch im Nu fluten!«
Vier Kalkstatuen standen sich gegenüber. Zwei silbern gepanzert, zwei weiß-rot gepolstert.
Die erste Statue platzte aus ihrer Erstarrung und Bastien wankte so weiß und entgeistert auf die Soldaten zu, dass er jeden Augenblick in den Schnee fallen und nie wieder aufstehen würde. »Vor acht Tagen? Und das sagt ihr mir jetzt? Von hier aus braucht man keine Woche über den Vert und die Vie nach Cadeau!«
Er wandte sich an den nächstbesten Bediensteten und schrie ihn an. »Stift und Papier. Jetzt! In zehn Minuten ist ein Eilbote abreisefertig und ein Schiff den Vert runter aufgetrieben. Wie, interessiert mich nicht, nur dass! Und ihr beide ...«
Arnaults Soldaten zuckten synchron zu Sera zusammen.
»... schafft mir euren Kommandanten her, sobald er die Stadt betritt!«
»J-jawohl!« Die beiden sprangen wie angeschossene Kaninchen von ihren Posten und den Hof hinaus.
»Verdammte Scheiße. Acht Tage lang!« Bastien schmetterte seine Panzerhandschuhe in den Schnee und beschrieb das gebrachte Papier auf dem Waffenständer.
»An den Statthalter von Cadeau.
Der im Krieg gefangene Wasserteufel ist dem Lehen Sale auf dem Vert entflohen. Vorsicht vor unvorstellbaren Flutkatastrophen. Er kontrolliert Wassermassen.
Stadtgraf von Sale, Bastien Boucher«
Der Eilbote flog mit dem knapp versiegelten Brief aus dem Hof und keine drei Minuten später legte tatsächlich ein Schiff vom Hafen der Stadt ab. Hoffentlich blieb Hakim ganz still in Alistairs Versteck und rührte sich erst, wenn der Tumult um ihn verklungen war.
»Und genau darum wollte ich nie in dieses verdammte Sumpfloch!« Bastien lockerte die Riemen seiner Rüstung und riss sich eine Platte nach der anderen ab, bis er im verschwitzten Gambeson dastand.
Ihr Atem flatterte in der Brust. Bastien hätte erst von Hakim erfahren sollen, wenn dieser schon bei Kräften und weit weg gewesen wäre! Stattdessen hatte er soeben auch noch die Hauptstadt informiert ...
Im darauffolgenden Chaos auf der Burg fand Bastiens verstörter Blick ihren und sie starrte ihn einen Moment zu lang an. »Ihr wusstet davon.«
Seraphina richtete ihren Rücken auf und hielt seinem Funkeln stand. Gut, dass er ihre verkrampften Hände in den Manteltaschen nicht sah. »Ja. Der Wasserteufel ist der Grund, weshalb Tjelvar und Kommandant Nolann außer Haus sind.«
»Und Ihr habt es nicht für nötig gehalten, uns darüber zu informieren?«
Reglos blickte sie zum Vert. Das unbeeindruckte Rauschen des Flusses hatte etwas Beruhigendes an sich. »Wie Ihr schon sagtet, hätte der Wasserteufel Cadeau ohnehin bereits erreicht. Nur eine Art von Benachrichtigung wäre überhaupt rechtzeitig in Cadeau eingetroffen und die können wir hier nicht nutzen.« Selbst wenn Sera gewollt hätte: Kontakt zum Kommunikator in Cadeau konnte nicht einmal sie aufnehmen.
»Ihr habt die Hauptstadt aufgegeben? Was ist Euer Plan, wenn der Teufel das Perlenmeer aushebt und auf Cadeau stürzen lässt?« Eiszapfen an seinen dunkelblonden Haarspitzen klingelten und Schweißgeruch umgab ihn, als Bastien nähertrat. Kein Zorn, keine Vorwürfe lagen in seinem Ausdruck. Nur Angst.
»Beten, dass er den Menschen an der Küste einen schnellen Tod schenkt. Welche Alternative hätten wir sonst? Gegen eine Sintflut hälfe keine Evakuierung und allgemeine Panik ließe die öffentliche Ordnung nur kollabieren. Aber niemand sagt, dass es soweit kommen muss.« Sie entspannte ihre Schultern und bemühte sich um ein ehrliches Lächeln.
Hätte Hakim die Macht dazu?
Bastien strich sich mit beiden Händen übers Gesicht und die Haare nach hinten. »Ich bete, dass Ihr recht habt, Füchsin.« Hin und her irrte er an den Zinnen – den Fluss immer im Blick. »König Philippe wird jeden Stein hier umdrehen lassen, bis er den Wasserteufel gefunden hat. Er sollte die ultimative Waffe gegen die Druiden werden.«
»Wir haben ihn auf einer Eisscholle den Vert hinabtreiben sehen. Als wir versuchten, ihn aufzuhalten und aus dem Wasser zu holen, wehrte er unsere Angriffe ab und trieb ohne weitere Vorfälle aus dem Lehen«, reimte Seraphina sich eine gar nicht so falsche Geschichte zusammen und zuckte mit den Schultern. »Wenn wir uns damit aufhalten, dass er noch hier sein könnte, kann Sale sich von der Landkarte verabschieden.«
Bastien starrte sie mit offenem Munde an. »Wir sollen die Krone belügen? Was, wenn der Wasserteufel noch hier ist?«
»Wollt Ihr lieber Philippes Zorn auf Euch ziehen? Lasst uns abwarten, ob Tjelvar und Kommandant Nolann etwas gefunden haben.« Was sicher nicht passierte.
Allerdings bekamen sie Schwierigkeiten, sollte Philippe hier eine Suchaktion starten. Er würde nicht nur Alistairs Versteck finden und vielleicht irgendwie aufbrechen - ihm würden zusätzlich Panthera an den Hals springen, Druiden würden brennen und Hakim ... Wer wusste schon, wozu er wirklich fähig war?
Der Stadtgraf nickte, doch seine Lippen waren so zusammengepresst, dass sie in der Blässe seines Gesichts verlorenzugehen drohten.
Den restlichen Tag brüteten sie in seinem Arbeitszimmer über der Landkarte und addierten unheilvolle Summen an möglichen Toten und Sachschäden zusammen. Da verstand auch Bastien, dass sie Hakim selbst mit Vorwarnung gnadenlos ausgeliefert wären.
Seraphina schluckte bei den Einwohnerzahlen der Siedlungen und Städte entlang des Verts und der Vie, die allesamt vom Wasser hätten verschlungen werden können. Immer wieder stießen sie bei ihren Berechnungen auf die gleiche Unbekannte: Wie viel Wasser konnte Hakim maximal kontrollieren und zu welchem Schaden war er noch fähig?
»Was ich mich ständig frage: Was will der Wasserteufel in Yulth? Das Gebiet ist kein zweites Niemandsland geworden, weil ein Kind so entschieden hat.« Bastien strich die Falte auf der Karte glatt, hinter der sich die dicke, schwarze Linie zwischen den Drachenschuppenbergen befand. Yulths Grenze. Von Sale aus keine zehn Tagesritte nach Nordwesten entfernt.
»Das haben die Moragi in der Stadt ihm auch gesagt, aber er wollte wohl gerade deswegen nach Yulth.«
Wollte Hakim die Nacht über der verlorenen Metropole vertreiben?
Oder wollte er sie auf Agartha loslassen und eine zweite Lange Nacht beginnen?
»Hat er niemandem gesagt, was er dort wollte?«
»Das ist das Problem.« Sera verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf den schwarzen Kreis auf der Landkarte. »Er hat überhaupt nicht viel von sich preisgegeben.«
Am hintersten Winkel des Drachensees im Norden des Perlenmeeres war Yulth auf der Karte eingezeichnet. Seit dreihundert Jahren sah die Stadt auf jeder neuen Karte identisch aus. Seit über dreihundert Jahren war alles, was sie erschaffen hatte, verloren. Hatte Antworten auf so viele Geheimnisse mit sich gerissen.
Wie wohl der Ursprungsort der Blutlinie Aureum – die Geburtsstätte von Sol Aureum – ausgesehen hatte, als die Sonne die bunten Mauern noch erleuchtet hatte?
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