Kapitel 27
Die Tränen liefen über meine Wangen, vielleicht war das aber auch nur der Regen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich das nicht mehr so genau sagen. Meine Haare hingen mir in nassen Strähnen klebend auf der Stirn und tropften unscheinbar auf die feuchten Straßen. Ich wusste nicht genau, wie lange ich an Noahs Bett gesessen habe, aber inzwischen war es dunkel, die Laternen beleuchteten die Gegend nur spärlich und die Grillen zirpten versteckt im hohen Gras.
Meine Füße bewegten sich schon beinahe automatisch auf mein Haus zu, ich hatte bei meinem spontanen Aufbruch nicht bedacht, dass ich für eine längere Zeit nicht mehr hier sein würde.
Vor der Tür suchte ich nicht lange nach dem Schlüssel in meiner Hosentasche, den ich immernoch bei mir trug. Ich schluckte kurz und drehte dann doch das Metall in dem Schloss um, das die Holzbarriere vor mir mit einem leisen Klicken öffnete. Im Haus selbst war es still, es sah alles noch genauso aus, wie vor wenigen Tagen. Mein Vater war scheinbar also noch nicht wieder da und augenblicklich fiel mir eine riesige Last von den Schultern.
Schnell ging ich die dunkle Treppe in großen Schritte nach oben, übersprang jede zweite Stufe und betrat dann mein Zimmer. Im Sonnenlicht flogen einzelne Staubpartikel, die durch den Schwung meiner Tür aufgewirbelt worden waren.
Ein paar Minuten später hatte ich eine weitere Tasche mit Klamotten vollgestopft, die ich achtlos zusammengeknäult hatte. Ich wollte nicht unnötig viel Zeit in diesem Haus verbringen, wollte so schnell wie möglich wieder hier raus. Schnell setzte ich einen Fuß aus meinem Zimmer, als ich hörte, wie die Haustür unten ins Schloss fiel. Ich schluckte augenblicklich und merkte, wie sich mein Puls sofort verschnellerte. Mein Körper regte sich nicht, blieb starr stehen. Ich hörte ein Grummeln und etwas, das klang, als wäre eine Glasflasche gegen eine Wand geknallt. Vorsichtig setzte ich mich in Bewegung, ging langsam die Treppe runter, die leise unter meinem Gewicht knarzte. Mein Blick war wachsam auf das Wohnzimmer gerichtet, indem mein Vater sich jetzt wahrscheinlich befand.
Es fehlten nur noch wenige Stufen, bis ich an der Tür angelangt war und einfach wegrennen konnte, aber eines der letzten Holzbretter machte so viel Krach unter meinem Fuß, dass mein Vater sich in den Türrahmen zwischen Flur und Wohnzimmer stellte. Seine Arme hatte er vor der Brust verschränkt und auf seinem Gesicht lag ein widerliches Grinsen. Ein flaues Gefühl machte sich in meinem Magen breit und ich wusste, dass es eine schlechte Idee gewesen war, zurück zu kommen. Mein Kopf bewegte sich in schnellen Bewegungen zwischen Haustür und meinem Vater hin und her und sorgte damit dafür, dass mir schwindelig wurde. Meine rechte Hand krallte sich in das Geländer neben mir und ich schluckte schwer. Mein Hals wurde langsam trocken und ein wenig Panik stieg in mir auf. Das Grinsen meines Vaters wurde breiter, als er meine Reaktion bemerkte. Was hatte er vor?
„Ich wusste, dass du dich irgendwann wieder bei mir blicken lassen würdest. Bist halt immernoch ein kleiner Pisser, der nichts auf die Reihe bekommt.” Ein gehässiges Lachen verließ seine Lippen.
Meine linke Hand festigte den Griff um meine Tasche und ich ging die Treppe weiter runter.
„Nein, du bist Nichts. Du warst noch nie etwas und du wirst auch nie etwas sein. Kein Wunder, dass deine Mutter dich verlassen hat.”
Bei diesen Worten verlor ich jede Kontrolle über mich selbst, konnte nicht mehr klar denken, meinen Körper lenken. Es war fast so, als könnte ich mir selbst bei dem zuschauen, was ich als nächstes tat. Die Tasche fiel auf die letzte Stufe und landete nach dem Aufprall auf dem Teppich, der in unserem Flur lag. Meine Beine bewegten sich wie automatisch, steuerten geradewegs auf meinen Vater zu und meine Hände packten ihn an seinem Kragen, drückten ihn mit solcher Gewalt gegen den Türrahmen, sodass er mit dem Hinterkopf gegen das Holz knallte. Ich war wie betäubt, spürte nicht den Stoff seines Shirts, nicht seinen warmen Atem auf meiner Haut und hörte nicht das dumpfe Geräusch, als sein Kopf den Rahmen rammte. Das Einzige, was ich wahrnahm, war der starke Alkoholgeruch, den er schon wieder verströmte. Er war stärker als ich, aber der Schockmoment war auf meiner Seite, machte meinen Vater unfähig, sich zu bewegen. Mein Blut rauschte rasend schnell durch meine Ohren, kochte vor Wut in mir. Meine Stimme allerdings war leise, kaum hörbar.
„Schieb' mir nicht immer alles in die Schuhe. Mama ist gegangen, weil sie endlich gemerkt hat, was für ein elender Verlierer du bist. Du warst nie gut genug für sie, das wusste sie, das weiß ich und du weißt das auch. Deswegen säufst du jetzt ja auch. Also halt verdammt nochmal deine Fresse.” Die Worte kamen einfach so aus meinem Mund, aber meine eigenen waren es nicht. Ich bemerkte nur noch, wie ich meinem Vater ins Gesicht spuckte, der mir nur einen geschockten Blick zu warf. Mit schnellen Schritten ging ich zur Tür, hob meine Tasche auf und verließ das Haus. Hinter mir erklangen nur noch die Worte meines Vaters.
„Du dreckiger Hurensohn!”
Mit schnellen, großen Schritten lief ich die Straße lang, steuerte geradewegs auf den Wald zu. Fey stand wie so oft draußen im Vorgarten von Flos Haus und bellte mich freudig an. Ihre Pfoten lagen auf dem Tor und da ich ein wenig Ablenkung gebrauchen konnte, öffnete ich das Tor und nahm sie mit in den Wald.
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