Kapitel 21
Schweigend schob ich mir eine weitere Gabel in den Mund. Verdammt, das schmeckte echt gut. Arno räusperte sich und durchbrach diese unangenehme Stille.
„Schmeckt's dir?" Erwartungsvoll sah er mir in die Augen. Hektisch nickte ich ihm zu. „Es ist echt total lecker", antwortete ich ihm schließlich und formte meine Lippen zu einem leichten Lächeln. Diese Situation war für uns beide scheinbar sehr schwierig. Eigentlich waren wir beide einander völlig fremd. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war ich erst fünf Jahre alt gewesen und schon damals muss er so verschlossen gewesen sein, da hatte er schon einige Therapien hinter sich. Angefangen hat es, als er achtzehn war.
„Wenn du möchtest, können wir deinen Vater besuchen gehen", sagte er jetzt. Die Hand, die seine Gabel hielt, zitterte unaufhörlich. Ich hatte mir gerade die letzten Nudeln in den Mund geschoben und wartete, bis ich fertig gekaut hatte, bevor ich Arno antwortete.
„Nein, es ist wahrscheinlich besser für alle, wenn ich ein bisschen auf Abstand gehe. Aber wenn du möchtest, kannst du ihn besuchen gehen." Ich zuckte mit den Schultern und Arno riss den Kopf hoch, um mich mit weit aufgerissenen Augen anzusehen. Dann schüttelte er schnell den Kopf und seufzte auf.
„Nein, ich denke nicht, dass das eine besonders gute Idee ist."
Nach dem Essen zog ich mir meine Schuhe und eine Jacke an und verließ das große Mehrfamilienhaus. Ich hoffte, dass ich Noah im Wald treffen würde, also ging ich langsam durch die geschäftigen Straßen, die Hände in meinen Jackentaschen vergraben. Die Autos rasten an mir vorbei, der Abgasgeruch stieg mir in die Nase. Ich beschleunigte meinen Gang. Automatisch lief ich durch meine Straße und das freudige, mir allzu bekannte Bellen ließ mich lächeln. Langsam ging ich auf Fey zu. Sofort legte sie ihre Pfoten auf das Gitter. Ich kniete mich zu ihr runter und kraulte ihren Kopf. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass Flo seinen Fernseher angelassen hatte. Er hatte also wieder Schicht. Einmal hatte er mir anvertraut, dass er nie fern sah, das Gerät aber immer dann lief, wenn er nicht da war, weil er so hoffte, Einbrecher abschrecken zu können. Er war ein wenig paranoid.
Fey leckte meine Hand ab und holte mich damit zurück in die Gegenwart. Mit geübten Bewegungen öffnete ich das Gatter und rief sie zu mir. Zusammen liefen wir in den Wald, zu dem kleinen Vorsprung. Ich setzte mich darunter und wartete eine Weile. Je mehr Zeit verstrich, desto ungeduldiger wurde ich. Würde Noah überhaupt her kommen? Ich war furchtbar naiv, zu glauben, dass er erneut zu diesem Treffpunkt kommen würde, aber ich wünschte mir so sehr, dass ich mit ihm sprechen konnte. Als ich dann endlich meine Hoffnung aufgeben wollte, knackten hinter mir ein paar Äste und Fey lief wie von der Tarantel gestochen davon. Wenig später spürte ich eine angenehme Wärme, die von dem Körper neben mir ausging. Er war auch der, der die Stille zwischen uns brach.
„Hör' zu. Ich hatte einfach einen echt beschissenen Tag. Die ganze Sache hat mich überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass Sören sich das wirklich traut." Noah sah vor sich auf den Boden, aber ich konnte trotzdem erkennen, dass er seine Augen zusammen kniff, während er die letzten Worte sprach. Er presste seine Kiefer fest aufeinander. Ich griff nach seiner Hand und strich sanft darüber. Als er seinen Kopf dann zu mir drehte, lächelte ich ihn an. Es war okay. Inzwischen verstand ich, weshalb er so gereizt reagiert hatte. Noah beugte sich zu mir runter und hauchte mir einen leichten Kuss auf die Wange, der dafür sorgte, dass ich rot anlief. Fey begann aufgeregt um uns herum zu hüpfen und legte einen Stock vor unseren Füßen ab. Dabei schien es sie gar nicht zu interessieren, dass dieses Spielzeug mehr als doppelt so groß war wie sie. Ich schmunzelte. Noah sprang schnell auf, taumelte leicht und machte einen seitlichen Ausfallschritt, um sich abzufangen. Kurz drehte er sich um und schenkte mir ein beruhigendes Lächeln, ich runzelte aber nur meine Stirn. Was war nur los mit ihm? Noah spielte einige Zeit mit Fey, warf ihr Stöckchen und wirkte wieder ziemlich sicher auf den Beinen. Währenddessen saß ich da und dachte nach. Sollte ich Noah vielleicht von meinem Vater erzählen? Dass er trinkt und weshalb er trinkt? Sollte ich vielleicht erzählen, dass Sören die Polizei informiert hat und sollte ich ihm vielleicht von Arno erzählen? Letztendlich entschied ich mich dagegen. Ich kannte ihn wirklich noch nicht sehr lange, aber ich wollte ihn auch nicht mit meinen Problemen nerven. Es war ja auch nicht wichtig.
Die Sonne ging gerade unter und ich entschloss zurück zu meinem Onkel zu gehen. Schließlich stand ich auf und ging auf Fey und Noah zu, als seine Beine plötzlich einknickten und er drohte auf dem Boden aufzuschlagen. Schnell rannte ich auf ihn zu und fing ihn kurz vor dem Aufprall auf. Besorgt sah ich auf ihn hinab, aber Noah wich meinem Blick aus. Hastig löste er sich aus meinem Griff und trat einige Schritte zurück. Peinlich berührt klopfte er sich den Dreck von der Kleidung. Ich musterte ihn eindringlich.
„Ist alles okay?"
„Ja, es ist alles in Ordnung. Danke für's Auffangen." Er kratzte sich kurz am Nacken.
„Bist du sicher? Ich meine, es ist doch nicht normal, dass du solche Probleme damit hast, dich auf deinen Beinen zu halten." Ich verschränkte die Arme vor der Brust und hob eine Augenbraue. Was verheimlichte Noah mir? Lächelnd kam er auf mich zu und schlang seine Arme um mich.
„Aaron, es ist wirklich alles okay. Mach' dir bitte keine Sorgen, mir passiert schon nichts mehr."
Danach zog er mich in einen leidenschaftlichen und fordernden Kuss, aber so sehr mir dieser auch gefiel, gingen mir zwei Dinge einfach nicht aus dem Kopf.
Was war mit Noah los und wieso versuchte er, mich davon abzulenken, dass mit ihm ganz sicher irgendwas nicht stimmte?
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